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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Leonard Cohen

in Die schöne Welt der Bücher 15.08.2007 23:16
von Taxine
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Leonard Cohen

SCHÖNE VERLIERER


Ja, ja, wir kennen ihn alle. Die tiefe Stimme, das melodisch Melancholische. „Future“ und „Ten New Songs“, diese Platten sind ganz großartig gelungen, sein „Halleluja“ kennt man überall, doch der gute Mann hat auch geschrieben. Popliteratur nennt sich diese Art des Schreibens. Er nun, der sich 1996 in ein buddhistisches Kloster zurückgezogen hat, um hier zum Mönch ernannt zu werden, hatte auch andere, wilde Zeiten. Auf der Rückseite des Buches „Schöne Verlierer“ steht geschrieben:
„Wer Henry Miller gern gelesen hat und Kerouac, Ferlinghetti und Ginsberg auf dem Bücherregal stehen hat, sollte Leonard Cohen nicht übersehen.“

Hm… Lassen wir Miller weg, schon eher Kerouac und Ginsberg. Cohen schreibt sympathisch, auch wenn sich die Themen sehr eigenwillig entwickeln. Zwei tote Menschen, die wieder in der Erinnerung aufleben, die Suche nach einer Irokesenfrau aus dem 17. Jahrhundert (genauer sucht er nach ihr ), aus der er eine Verbindung mit seiner ebenfalls so jung gestorbenen indianischen Frau kreiert, Erinnerung an den Freund, der an der Raserei gestorben sein soll, dazwischen dann viel Körperflüssigkeit, ja fließende Säfte, „schmutzige“ Worte und sexuelle Praktiken. Die Beschreibungen dabei fast surreal, manchmal völlig absurd (nicht so elegant in schöner Sprache eines Bataille). Sex mit dem Finger im Ohr. Sex zwischen Männern, ohne Homosexualität. Die Sechziger leben in einem sehr regen Bild wieder auf. Man spürt diese ganze Stimmung durch jedes Wort des Schriftstellers.
Über Cohen habe ich schon viel gelesen, von ihm noch nichts. Dabei hat er viele Gedichte und sogar eine Autobiografie hinterlassen, mit dem Titel „Das Lieblingsspiel“. Seine spirituellen Ansichten sind bekannt, auch er, wie so viele Berühmtheiten, damals ein Gast des berüchtigten Chelsea Hotels im Greenwich Village in New York, welches noch heute Kunstwerke präsentiert, mit denen verschiedene Künstler damals ihre Rechnungen beglichen haben. Ein ganz wunderbarer Ort voller Geschichte. Hier fanden sie Unterschlupf, als sie noch nicht bekannt und berühmt waren. Angefangen mit Sara Bernhardt, Arthur Miller, Vladimir Nabokov, William S. Burroughs, Jack Kerouac, Allen Ginsberg, Willem de Kooning, Jim Dine, Jasper Jones, Leo Katz, Claes Oldenberg oder Christo, Bob Dylan, Janis Joplin, Jane Fonda, Jimi Hendrix, Edith Piaf, gar Diego Rivera, Mark Twain, Dylan Thomas, Tennessee Williams… eine ewige Liste all derer, die dort für so wenig Geld untergekommen sind, sich auf den knarrenden Fluren und Treppen getroffen haben (und wenn auch nur als Geister der Geschichte). Hier riet Leonard Cohen der Warhol Muse Edie Sedgwick, dass sie ihre Kerzen anders anordnen sollte, weil ihre Aufstellung ein schlechtes Karma verbreiten würde. Sie winkte ab, es wäre nicht so wichtig, es wäre nur ganz wahllos aufgestellt, worauf er dann kopfschüttelnd wieder ging. In der Nacht brannte dann das Hotel lichterloh.
Cohens vagabundierender Lebensstil und seine Drogenerfahrung ließen ihn zu Kanadas „entfant terrible“ werden, denn dort ist er geboren, in Montreal am 21.09.1934.
Schon als Siebzehnjähriger trat er mit eigenen Liedern auf und brachte Gedichtsbände heraus. Auch reiste er viel. Diesen Roman „Schöne Verlierer“ schrieb er auf der griechischen Insel Hydra.

Cohen schreibt eine Art pornografischer Heiligen-Vita. Während er auf die Suche nach der Legende des Irokesenmädchens geht, versucht er das Sexualleben seiner indianischen Frau Edith zu rekonstruieren.
„Über dieser Arbeit läutert er sich zu einem perversen Heiligen, dem es gelungen ist, seine eigene Sexualität zu spiritualisieren, seinen Geist aber zu sexualisieren. Äußerlich total verwahrlost, aber mit der inneren Überlegenheit des Mystikers, verlässt er am Ende sein Baumhaus in den Wäldern und kehrt in die Zivilisation zurück. (Der Spiegel)

Er schreibt witzig und setzt sich dabei auch mit der kanadischen Geschichte und seinen Ureinwohnern auseinander.

In Antwort auf:
Liebe kann man nicht horten. Ist ein Teil von Jesus in jedem ausgestanzten Kruzifix? Ich glaube schon.



In Antwort auf:
Ist Materie heilig? Ich möchte, dass der Friseur mein Haar begräbt.



Und was so eine Verstopfung doch an Hinterfragungen hervorrufen kann:

In Antwort auf:
Der hockende Mensch rechtet mit Gott, legt Liste um Liste mit Neujahresresolutionen vor.
(… ) Ich möchte kein Stern sein und nur dahinsterben. Bitte lass mich hungrig sein, dann bin ich nicht mehr der tote Mittelpunkt, dann kann ich die Bäume an ihren besonderen Lebensformen unterscheiden, dann kann ich mich für die Namen von Flüssen interessieren (… ), oh ich möchte fasziniert werden von Erscheinungen. Ich möchte kein nach innen gekehrtes Leben führen.



In Antwort auf:
Wie kann ich existieren als das Gefäß der Metzelei von gestern?



In Antwort auf:
Gibt es wilde Viehherden, die schlecht von mir denken? Mord in der Küche! Dachau-Bauernhöfe! Wir betreuen Lebewesen, um sie aufzuessen. Liebt Gott die Welt? Was für ein ungeheuerliches System der Ernährung! Wir alle sind Tierhorden in ewigem Krieg.



In Antwort auf:
Alle Tiere fressen, nicht zum Vergnügen, nicht um Gold, nicht um Macht, nur um zu existieren.



Danach wird es schon tragischer. Cohen schreibt von der Vergewaltigung seiner Frau, als sie dreizehn Jahre alt war, ebenso erhebt er den Vergleich zur Irokesenfrau, die ebenso "benutzt" wurde, aber aus anderen Gründen. Bei ihrem Stamm war es normal, dass Mädchen in diesem Alter bereits verheiratet wurden.
Es ist sehr unangenehm, davon zu lesen, weil Cohen hier nur mit Vergleichen arbeitet, die diese Situation noch schmerzlicher machen.
In seiner Wut schreit der namenlose Protagonist, dass eigentlich alle "scharf" auf Dreizehnjährige wären, die in den Medien die Teenager mit Lippenstift und Stöckelschuhen locken wollen.
Vielleicht im Sinne von: Machen wir sie schnell erwachsen, um unser schlechtes Gewissen zu beruhigen.

In Antwort auf:
Trümmer, Trümmer. Ich möchte Dynamit schlucken.



Danach zündet der Protagonist Feuerwerkskörper an, verbrennt sich ganz schmerzlich die Hand, und kümmert wieder vor sich hin, in den üblichen Schweinereien.
Ich muss sagen, es ist ein sehr offenes "Gespräch" zwischen Schreiberling und Leser. Offen, intim und mit einem richtigen Schauer des Ekels.
Seitenweise Erguß.
Manchmal der Versuch eines kleinen Joyce, nur Großgeschriebenes, aneinander gereihte Worte, die den Akt sehr lebendig machen.

Mal sehen, was da noch alles auf mich zukommt!

zuletzt bearbeitet 30.10.2009 16:32 | nach oben springen

#2

RE: Leonard Cohen

in Die schöne Welt der Bücher 15.08.2007 23:17
von Jo
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Hallo Taxine,

da hast du dir ja direkt das sexuell intensivste Buch ausgesucht. Ich habe es früher auch mal gelesen, ist aber schon lange her. Ich weiß nur noch, dass er dort auf der Suche nach einer Indianerin ist und das die sexuellen Beschreibungen sehr ausgeprägt waren.
Von Cohen sind die Gedichte und Songtexte interessant.
"Stranger Music" oder "Book of longing".
Ich habe sie in englischer Ausführung gelesen.

Es grüßt
jo

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#3

RE: Leonard Cohen

in Die schöne Welt der Bücher 15.08.2007 23:17
von Taxine
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Hallo Jo.

Ja, da kann ich nur zustimmen. Und der sexuelle Akt dabei nicht unbedingt in seiner Schönheit, sondern ins Detail beschrieben, wie ein Henry Miller den Dreck der Hintergassen ausspuckt.

Danke für den Tipp. Werde mal gucken, was ich von Cohen noch so finde.

Liebe Grüße an dich
und schön, mal wieder etwas von dir zu hören.
Taxine

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