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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Amélie Nothomb

in Die schöne Welt der Bücher 05.01.2010 15:45
von Martinus • 3.195 Beiträge

Amélie Nothomb, *1967, Schriftstellerin aus Belgien, geboren als Tochter eines belgischen Diplomaten in Kōbe (Japan). In einigen Romanen verarbeitete sie ihre Kindheit in Japan und China: "Metaphysik der Röhren", "Mit Staunen und Zittern", "Die Liebessabotage". Letztes Jahr erschien "Biographie des Hungers".

Doch hier erstmal ein Roman über das Böse:

Kosmetik des Bösen


Weil sein Flugzeug Verpätung hat, sitzt der Geschäftsmann Jérôme Angust auf einem Flughafen fest und nimmt ein Buch zur Hand, wird aber durch einen Holländer namens Textor Texel gestört, der mit Jérôme ein Gespräch beginnt und den Geschäftsmann kontinuierlich steigernd auf die Palme bringt und schließlich wird klar, Textor Texel lege es offenbar auf einen Psychoterror an. Jérôme ist genervt und entsetzt von diesem Holländer, der ihm von seinen grauslig morbiden Erlebnissen aus seiner Vergangenheit erzählt, entsetzt von Texels Gefühlskälte und den damit abstrusen Vorstellungen von zwischenmenschlichen Beziehungen. Textor Texel wird als verkorkster Psychopath dargestellt, der von einem unverarbeiteten Trauma ausgehend, durchs Leben getrieben wird.

Der sehr kurze Roman, wenn es nicht doch eine Erzählung ist, besteht fasst ausschließlich aus dem Dialog zwischen Jérôme und Textor. Es ist der Autorin sehr geglückt mit diesem Dialog Spannung zu erzeugen und zu steigern. Besonders die Stellen, die Textor Texel als eine absolut gestörte Persönlichkeit erkennen lassen, sind herausragend gezeichnet. Gerade deshalb aber, ist die Schlusswendung des Textes, in der alles selektionsmäßig aufgeschlüsselt wird, doch eher ernüchternd. Die Autorin bedient sich eines Elements aus dem Phantastikgenre, was an sich nicht schlecht ist, ich dieses aber mit einer „Aha- schon mal so was gelesen“- Reaktion quittierte, weil es sehr plump, als plötzliche Offenbarung, aufgetischt wird. Das ist ein arger Fehler und verdirbt letztendndlich die ganze Geschichte. Das ist äußerst bedauerlich und schmerzlich, weil die Autorin bis dahin, ihre Geschichte sehr glücklich, durchaus hervorragend gestaltet hat. Am Ende des Romans habe ich mir gewünscht, ich wäre etwas im Ungewissen, im Rätselhaften geblieben. Für mich wäre das spannender gewesen.

Liebe Grüße
mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
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#2

RE: Amélie Nothomb

in Die schöne Welt der Bücher 06.01.2010 11:35
von LX.C • 2.821 Beiträge

Bin nun neugierig, worin sein Trauma besteht. Und was dieses "Element aus dem Phantastikgenre" ist?


--------------
[i]Poka![/i]

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#3

RE: Amélie Nothomb

in Die schöne Welt der Bücher 06.01.2010 20:51
von Martinus • 3.195 Beiträge

Zitat von LX.C
Bin nun neugierig, worin sein Trauma besteht. Und was dieses "Element aus dem Phantastikgenre" ist?



Seine Eltern hatten sich aufgehängt (er ist also ohne Liebe aufgewachsen). Das andere habe ich natürlich bewusst nicht erwähnt, weil ich nicht zu viel verraten wollte. Aber wenn du das wissen willst.

Es handelt sich um das Doppelgängermotiv.




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 14.03.2010 13:59 | nach oben springen

#4

RE: Amélie Nothomb

in Die schöne Welt der Bücher 14.01.2010 13:08
von Martinus • 3.195 Beiträge

Der Professor

Amélie Nothomb hat einen wunderbaren Draht zum Skrurrilen. Und ich staune doch, was die Autorin aus dem an sich ziemlich banal scheinenden Ausgangspunkt des Romans herausholt. Es geht nämlich darum, ein Arzt, schon siebzig Jahre alt, auf dem Lande lebend, nervt ein neu hinzugezogenes älteres Ehepaar in der Nachbarschaft, indem er jeden Tag pünktlich um 16.00 Uhr bei Émile und Juliette Hazel klingelt, sich zum Kaffetrinken einladen lässt, sehr schweigsam ist, lakonisch meist nur mit „Ja" und „Nein“ antwortet, dem friedlebenden Ehepaar deftig auf die Nerven geht, dass man hier schon von einem Psychoterror sprechen kann. Um 18.00 Uhr geht er dann wieder. Der Ausgangspunkt ist also ähnlich wie in "Kosmetik des Bösen", der Verlauf und der Grund des nachbarschaftlichen Terrors ein ganz anderer.

Die These des Romans ist nicht neu: Das Böse lauert überall. Nicht neu, richtig, aber es kommt darauf an, wie die These im Roman umgesetzt und verarbeitet wird. Ich finde, das ist hier auf skurrile und freche Weise mit einem durchaus leckerbissigen Humor gelungen, auch der Schluss enttäuscht nicht, sondern ist an sich logisch, kann, wenn ich die Lektüre rückwirkend betrachte, auch gar nicht anders sein kann. Der erste Satz des Romans sitzt wie gegossen und führt dann in einem großen Bogen zum Romanende hin. Der erste Satz heißt wie folgt:

Zitat von Nothomb
Von sich selbst weiß man nichts.



Émile und Juliette kennen sich seit ihrer Schulzeit und waren seither unzertrennlich gewesen, ein friedliches, unauffälliges Paar. Es gab keine Lebenskrisen, alles war schön, Émile verwirklichte sich als Griechisch – und Lateinlehrer. Man konnte gar nicht unhöflich , nicht unsittlich sein, weil man nie so war. „Gewisse elementare Reflexe“ hatte man in sich, und wenn Herr Bernardin, der Quälgeist, an die Tür klopft, fühlt sich der brave Philolog' geradezu dazu verpflichtet, die Tür zu öffnen und hat dann den klobigen Nervtöter als Belohnung in der Wohnung. Diese biedere Menschenfreundlichkeit wird hinterfragt, und als Leser denke ich mir wirklich, wie im Grunde langweilig muss doch dieses brave Leben gewesen sein. Émile und Juliette haben endlich ihr Ziel erreicht, ein ruhiges Haus auf dem Lande zu finden, in dem sie weiterhin ihre biederfriedliche Existenz fortführen wollen bis zum Tod. Und dann kommt der Quälgeist, ihre friedliche Zeit ist vorbei.

Das Ehepaar Émile und Juliette ist wie ein geschlossenes System, was nur in sich geschlossen funktioniert.Wird aber die Außenwelt hineingetragen, hier durch den Professor verkörpert, so kann ein geschlossenes System, welches bis dahin funktioniert hat, brüchig werden und plötzlich wird eine Introspektion in Gang gesetzt, dass die Betroffenen in eine ungeheuerliche Selbstoffenbarung führt.

Zitat von Nothomb
Je mehr Jahre hingehen, desto weniger versteht man, wer diese Person ist, in deren Namen man spricht und handelt.



Prädikat wertvoll.

Liebe Grüße
mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 14.01.2010 14:44 | nach oben springen


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