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Hundert Gedichte
Auch wenn es mir meine Zeit eigentlich versagt, möchte ich nicht, dass der Lyrikband Johannes R. Becher "Hundert Gedichte" ungepriesen im Regal verschwindet, nachdem er mich zugegeben tief berührt hat.
Kaum etwas mehr als ein Jahr ist die Zusammenstellung von Jens-Fietje Dwars erst alt (2008 erschienen) und schon wieder auf dem Ramschtisch gelandet. Das scheint wohl Bechers (1891-1958) Schicksal zu sein, der sicher einer der meist falsch verstandenen Lyriker des 20. Jahrhunderts ist. Und dem bis heute der Ruf des ideologisch verblendeten Kämpfers der Einheitsfront und Kulturpolitikers im Dienste der DDR zuungunsten seiner Dichtung nachhängt. Die Auswahl versucht einen Querschnitt seines Schaffens von 1911 bis 1958 zu präsentieren, jenseits der ideologischen Irrwege, ohne jedoch die zeitgeschichtlich wachen Reflexionen Bechers zu vernachlässigen. Mit Dwars zu sprechen:
"Es wäre ein Leichtes, aus diesem Schutt des Erledigten jene Verse auszuwählen, die ihn als Erzstalinisten entlarven oder seinen Verfall von einer ‚Flamme des Expressionismus’ zur ‚Stalllaterne der Partei’ illustrieren würden, wie es heute im Feuilleton heißt. Doch was hätten wir davon? Eine Bestätigung mehr für unser selbstgerechtes Besserwissen, das uns den vergangenen Zeiten so überlegen dünkt und nicht merken lässt, wie wir zu Gefangenen des eigenen Zeitgeistes werden. […] Bechers Gedichte, die nur noch für Historiker oder Ideologen von Wert sind, finden keinen Eingang in die vorliegende Auswahl. Sie sucht nach dem Bleibenden im Werk des Lyrikers. Denn 50 Jahre nach seinem Tod sollte die Zeit reif sein, vorurteilsfrei das ganze zu sichten, nach den Versen zu fragen, die uns heute ansprechen, die uns selbst zu bereichern vermögen." (aus dem Nachwort)
Und die gibt es, reichlich sogar. Von der expressionistischen Form einer zerrissenen, destruktiven Jugend bis zum Sonett, das in einer apokalyptischen Welt ohne festen Halt zum Fixpunkt wurde.
Der Lyrikliebhaber findet ein chronologisch geordnetes Potpourri aus Naturlyrik, Lobpreisungen, Lebensphilosophisches, Melancholisches und Zeitkritisches vor. Wer würde von Becher erwarten, dass er Tübingen oder Rembrandt preist. Selbst Thomas Mann fand 1938 anerkennende Worte. Pasternak nannte ihn sogar einen wahren, großen, einzigartigen Dichter.
Halt suchte Becher ebenso in der kommunistischen Idee, keine Frage. Er zeigte größten Einsatz im antifaschistischen Kampf, warum soll man das nicht erwähnen dürfen. Doch dass er ein Mensch war, der hinterfragen und sich selbst revidieren konnte und korrigiert hat, wird mit größtem Eifer vernachlässigt, um altbewährte Ressentiments zu pflegen. In diesem Band wird deutlich sichtbar, wie der Dichter Becher sich gegen Ende seines Lebens von der politischen Clique des Staatsapparates der DDR distanzierte.
Von einer ideologischen Vereinnahmung nach dem Tod, die er trotz seiner oppositionellen Haltung scharfsinnig kommen sah, er wusste nur zu gut, wie das System tickt, verwehrte er sich sogar testamentarisch.
Dass dies nicht berücksichtigt wurde und allerbeste Miene zum "bösen Spiel" Bechers gegen die politische Elite gemacht wurde ist eine wesentliche Ursache, die Becher nachhaltig bis heute in einem falschen Licht erscheinen lässt. Spätestens jetzt, mit dieser gekonnten Auswahl Jens-Fietje Dwars, sollte der Lyrikliebhaber sich die Zeit nehmen, Johannes R. Becher aus einem anderen Blickwinkel zu entdecken und den wahren Dichter kennen lernen.
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[i]Poka![/i]
RE: Johannes R. Becher
in Die schöne Welt der Bücher 06.02.2010 18:15von Patmöser • 1.121 Beiträge
Zitat von LX.C
Spätestens jetzt, mit dieser gekonnten Auswahl Jens-Fietje Dwars, sollte der Lyrikliebhaber sich die Zeit nehmen, Johannes R. Becher aus einem anderen Blickwinkel zu entdecken und den wahren Dichter kennen lernen.
Seltsam, gerade jetzt, wo ich mich mit dem lyrischen Werk Bechers näher beschäftige, schriebst du diesen Beitrag. Danke, dafür, LC.X.
Nein, ein Stalinist und "realsozialistischer " Betonkopf war er nicht, der Johannes R. Becher, dazu sah er zuviel und hatte den Mut, dieses auch zu Hinterfragen, auch für und vor sich selbst. Für mich alles ein Grund mehr, mich auf die Suche zu machen, nach seinem Gesamtwerk und damit hin zu Johannes R. Becher.
Vielleicht noch ein Gedicht, das ihn so zeigt, wie er war, aber eigentlich doch - wie er ist.
Auswahl
Die wenig gelungenen Stellen
aus meinen kaum gelungenen Gedichten
wird man auswählen,
um zu beweisen,
ich wäre euresgleichen.
Aber dem ist nicht so:
Denn ich bin
meinesgleichen.
So werde ich auch im Tode
mich zu wehren haben,
und über meinen Tod hinaus
- wie lange wohl? -
erklären müssen,
dass ich meinesgleichen war
und dadurch euresgleichen,
aber nicht euresgleichen
in eurem Sinne.
Indem ich mir glich,
glich ich euch.
Aber nur so.
Johannes R. Becher