HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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"Das Tal des Himmels", Roman (1932)
Richard Whiteside liest seinem Sohn oft aus Herodot, Thukydides und aus Xenophons „Anabasis“ vor.
Zitat von Steinbeck
Alles was die Menschheit zu tun fähig ist, steht in diesen drei Bänden aufgezeichnet. Die Liebe und der Haß, die dumme Falschheit und Kurzsichtigkeit, Heldenmut und Größe und Traurigkeit der menschlichen Rasse – alles findest du hier drin.
So wird auch von den Menschen im Tal des Himmels erzählt, einem Tal in Karlifornien, nicht weit von Salinas, wo John Steinbeck geboren. Das Tal so schön, dass, wenn man es einmal geschaut hatte, der Wunsch sich regte, für immer dort zu bleiben. Das Tal wie ein Paradies für Menschen, die sich nach einem schönen Leben sehnen. Doch wie die Menschen sind, hat der Vater seinem Sohn bei den altgriechischen Historikern gelesen, auch in einem Tal wie „Das Tal des Himmels“, wird dem Menschen das Leid nicht vorenthalten. Bezeichnend dafür sind schon die Umstände, wie das Tal entdeckt wurde.
Um das Jahr 1776, die Carmelo Mission von Alta California wird aufgebaut. Einige Indianer, die die neue Religion nicht annehmen wollen, fliehen aus ihren Hütten, werden vom Militär aber wieder eingefangen. Auf dem Rückweg zum Lager geschieht es, die Kolonne schreckt ein junges Reh auf, welches dann die Flucht aufnimmt, hinter einem Hügelkamm verschwindet. Der Kopral den Wunsch hat, dem Tier zu folgen und sein Pferd antreibt, durch Stechpalmen und Kakteen den Hügel hochzureiten, oben angekommen der Koporal im Auftrage christlicher Mission als erster Mensch auf Erden, einen Blick in das wundervolle Tal werfen kann, langestrecktes grünes Weideland auf dem Rehe friedlich grasen, und der Korporal entzückt ausruft:
Zitat von Steinbeck
Heilige Mutter Gottes...das ist wahrhaftig das Tal des Himmels, das uns der Herr verheißen hat.
Nun wird über Generationen hinweg das Tal besiedelt, Häuser, Bauernhöfe, eine Schule. „Das Tal des Himmels“ kann die Menschen nicht zu einem friedfertigen Leben verhelfen. Sie schaffen sich Illusionen und verhaken im Lebenskampf, im Leid. Ein Schicksal nach dem anderen reiht sich. Steinbeck hat sich dazu bewogen, einige geistig zurückgebliebende Kinder im Tal aufwachsen zu lassen. Ich frage mich warum? Hier kann natürlich variativ spekuliert werden. Gesunde Menschen kommen mit ihrem Leben nicht zurecht, weil sie ihre Eigenheiten haben. Warum sollen es Kranke dann besser machen? Gewisse unabwindbare Schicksale gibt es natürlich, trotzdem, die Leute im Tal des Himmels treffen z.T. sehr eigensinnige Entscheidungen, die einen weiteren dunklen Graben in ihr Leben furchen, wie Frau Deventer, die ihr offenbar psychisch krankes Kind nicht zu einem Facharzt schicken will, weil sie damit rechnen muss, ihr Kind komme in ein Pflegeheim. Sie will ihre Tochter für sich behalten. Natürlich ist das ein egoistisches Motiv, der Egoismus der Mutter geht auf die Gesundheit des Kindes. Mutterliebe kann seltsame Wege gehen, die Konsequenz in unserer Geschichte ist hart. Dann gibt es noch den Bauern Shark, der vorgibt gute Geldgeschäfte zu machen und schließlich Pleite ist und seiner Tochter verbieten will, sich mit Männern zu treffen. Sein Leben auf ein Scheingebäude errichten, was ist das schon?
Mich berührt besonders das Schicksal von Junius Maltby, der sehr verarmt und verwahrlost im Tale lebt, der wegen seiner Faulheit von Mitmenschen fast schon gehasst wird, sein Haus und Hof im erbärmlichen Zustand, er aber ein fleißiger Leser ist und seinem Sohn aus „Treasure Islands“ vorliest. Junius Maltby geht es gut, er hat nichts zu beklagen, wegen Gesellschaftsdruck sich aber wandelt und nach San Francisco zieht, um dort ein bürgerliches Leben zu führen, dabei auch an die Zukunft seines Sohnes denkt.
So flechtet John Steinbeck einen Schicksalsreigen, lässt viele Gestalten vorüberziehen. An eine gewohnte Romanform hält sich Steinbeck nicht. In jedem Kapitel wird ein anderes Leben präsentiert. Eine gute Wahl finde ich, die Kapitel sich aber trotzdem verbinden, weil einige Gestalten als Nebenfiguren hier und dort wieder auftauchen. Auf diese Weise webt John Steinbeck das menschliche Dasein und setzt es auf ein Fleckchen Erde. Wunderbar.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
"Tortilla Flat"(1935)
John Steinbeck ließ sich in dem 1935 geschriebenen Roman von eigenen Erlebnissen inspirieren, die er als Gelegenheitsarbeiter in einer Zuckerfabrik mit mexikanischen Mitarbeitern erlebte. Steinbeck verlegt die Geschichte ins kaliforische Monterey, deren oberer Hügelbezirk „Tortilla Flat“ genannt wird. Dort leben Paisanos, Leute, mit einer „Mischung aus spanischem, mexikanischem und erlesenem kaukasischem Blut“. Der Roman handelt von Danny und seinen Freunden, einer Clique von Tagedieben, Habenichtsen, Landstreichern. Steinbeck zieht ausdrücklich eine Verbindung zu König Artus und seiner Tafelrunde.
Danny kehrt aus dem ersten Weltkrieg heim und erbt von seinem Großvater zwei Häuser. Für Danny, der in seinem Leben noch nie etwas besessen hatte, ist das natürlich etwas besonderes und sein Freund Pilon mahnt die Gefahren materiellen Besitzes: Besitz verändere den Menschen. Vorhaben, sein Eigentum mit seinen Freunden zu teilen, wenn man etwas hat, verfliegen, wenn man wirklich Eigentum besitzt. Danny werde nun seine Freunde verlassen, den Branntwein nicht mehr teilen. Danny verspricht das Gegenteil und schwingt sich zum Wohltäter auf. Ein Vagabund nach dem anderen wird irgendwo aufgelesen und zieht in das Haus ein. Großartige Stärke beweist Danny, als ein Haus infolge von Leichtsinn abbrennt. Das verlockt Danny zu einer Überlegung über die Vergänglichkeit irdischen Besitzes.
Auf den ersten Seiten des Buches ist schon klar, Steinbeck will nicht einfach eine Geschichte von Abenteurern erzählen, sondern er will den Lesern eine Botschaft vermitteln. Der Roman teilt sich in siebzehn einzelne Geschichten auf, manche könnten auch für sich alleine stehen, aber sie stellen letztlich doch ein Ganzes da. Die philosophischen Gedanken, die dem Roman sorgsam eingestreut sind, ohne das sie moralisierend wirken, machen den Roman lesenwert. Aber nicht nur das. Anstatt mit Moral sind die Abenteuer mit Humor gewürzt und einer manchmal seltsamen köstlichen Landstreicherlogik.
Der Roman hat einen religiösen Touch. So ist es unübersehbar, dass der Pirat, einer von Dannys Freunden, wie Franz von Assisi mit Tieren redet, und eine Frau, die nicht mehr weiß, von welchen Männern sie ihre Kinder hat, war zeitweise überzeugt, sie brauche dazu keinen Liebhaber mehr. Was für ein schelmischer Wink zur Jungfrau Maria. Manche Geschichten sind sehr wundersam und wirken mystisch.
Ganz bewusst gebe ich an dieser Stelle kaum Romaninhalt preis, weil ich der Meinung bin, damit einigen künftigen Leser um die Lesefreude zu bringen. Der Roman ist herzlich ironisch und ihr werdet bestimmt eure Freude an Steinbecks feinsinnigen Humor haben.
Im Fernsehen kann man gelegentlich Halbleichen-Promis sehen, die sich mit Gesichtsoperationen jung halten wollen und dicke Klunker um den Hals tragen. Was für eine widerliche Welt und schön sehen diese Frauen nicht aus. Natürlich denke ich dann an die Clique von „Tortilla Flat“, die solchen Mist nicht brauchen , auf Eigentum verzichten und trotzdem glücklich in den Tag hineinleben.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
"Früchte des Zorns"
Steinbeck hat einen natürlichen, lockeren Stil. Man hat den Eindruck, ihm fliegen die Sätze einfach so aus dem Mund. Er beschreibt die Landschaft und zeichnet Dialoge absolut realistisch. Allerdings wirkte dieser Stil trotzdem sehr trocken auf mich, so trocken wie die Dürre zu Beginn des Romans. Die Landschaftsbeschreibungen sind aber großartig. Vielleicht liegt es an den tristen Geschehnissen, dass mir die Lektüre sehr mühsam wurde. Es wird eben knallhart realistisch erzählt, wie eine Familie aus Oklahoma ihr Hab und Gut verlassen muss, die Hoffnung auf ein neues schönes Leben sie nach Kalifornien führt. Es ist wie ein biblischer Exodus in ein Gelobtes Land, der allerdings in noch bitterer Armut führt, in rigide Formen unbarmherziger Ausbeutung. Der Roman spielt in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts.
Der Roman beginnt mit der großen Dürre, die über Oklahoma liegt. Der Protagonist der ersten Seiten ist der Staub. Vom Staub aus gleitet Steinbeck ganz sacht über in die Welt der Menschen, die ja in diesem Lande in der Dürre leben. Der Staub hängt in der Luft, die Menschen müssen ihre Fenster schließen. Das ist der Übergang zur Zivilisation. Solche sanften Übergänge mag ich. Tom Joad kommt nach vier Jahren aus dem Gefängnis. Und dann widmet sich Tom einer Schildkröte, die er auf der Straße findet. Beim Gehen wirbelt Tom Staub auf. Toms Begegnung mit dem Prediger, der inzwischen kein Prediger mehr ist, sondern ein einfacher natürlicher Mensch, der seine eigenen Gedanken zum Heiligen Geist entwickelt hat, ist eine sympathische Figur. Er macht sich eigene Gedanken über Gott und die Welt. Bezeichnend ist doch auch, dass Tom Joads Beschreibung seiner Mordtat beim Prediger ziemlich gelassen ankommt. In diesem Land scheint man sich über die Dürre mehr sorgen zu machen, als über einen Mord. Diese Art der Mentalität hat schon was. Das Abfallen des Predigers vom regulären christlichen Glauben, ist ein deutliches Merkmal dafür, dass an den Fundamenten der USA gerüttelt wird, und auf dem Weg ins Gelobte Kalifornien die Familie Joad immer mehr auseinanderbricht. Die älteste Generation, Großvater und Großmutter, Kalifornien erst gar nicht erreichen, sondern dahinsterben. Mit dem neuen Leben können sie nichts mehr anfangen, ihre Heimat, mit der sich sich indentifiziert hatten, ist verloren, darum auch sie verloren sind und sterben. Ein anonymes Grab am Straßenrand, ein Armengrab. Das zeigt noch mal deutlich, dass alte Totengebräuche auch nicht mehr aufrechterhalten werden können, dass alles zu Bruch geht.
Es ist nicht nur die Dürre allein, warum hunderttausende damals nach Kalifornien auswandern.
Zitat von Steinbeck
Die Bank - das Ungeheuer muß die ganze Zeit Profite haben. Sie kann nicht warten. Sonst stirbt sie.
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Die Bank ist mehr, als Menschen sind, das sage ich dir. Sie ist ein Ungeheuer. Menschen haben sie zwar gemacht, aber sie können sie nun nicht mehr kontrollieren. (Kap. 5)
Die Produktivität soll durch Traktoren gesteigert werden.
„Ein Mann auf einem Traktor kann zwölf oder vierzehn Familien ersetzen.“ Da die Pächter verschuldet sind, gehört das Land der Bank und die Pächter müssen mit ihren Familien von dannen ziehen. Es ist ganz klar, dass John Steinbeck gegen den Raubtierkapitalismus schreibt, der leider heute immer noch wütet. Die Banken müssen gerettet werden, die Bevölkerung hat nichts davon (siehe Griechenland). Warum die Landbesitzer den Pächtern Kalifornien schmackhaft machen, ist unklar. Denn so paradiesisch wird es dort ja nicht werden, wie sie behaupten:
Zitat von Steinbeck
Ihr braucht bloß die Hand auszustrecken und könnt überall eine Orange pflücken.
Für die Großgrundbesitzer und Ausbeuter mag das stimmen, aber nicht für die Arbeiter, die sich für einen Elendslohn kaputtschuften – heute heißt das Lohndumping. Bevor die Joads überhaupt in Kalifornien ankommen, werden im Roman dreimal Zweifel eingestreut, dass in Kalifornien das Leben besser sei als in Oklahoma. Kommen wir noch mal zu den Orangenplantagen zurück. Kurz bevor die Joads Kaliforinien erreichen, erfahren sie von einem alten Mann, wie furchtbar es in diesem Land zugeht. Nur die Großgrundbesitzter haben das sagen. Nur ihnen gehören die Orangen. Sie hassen die Einwanderer, weil sie wissen, sie haben Hunger und könnten sich an einer Orange vergreifen. Wenn man eine anrührt, muss man damit rechnen, erschossen zu werden. Die Einwanderer nennen sie Oki. Das ist jemand, der aus Oklahoma kommt und ein Schwein ist.
Zitat von Steinbeck
Es sollen jetzt dreihunderttausend Leute da unten sein – und sie leben wie die Schweine, weil alles in Kalifornien jemanden gehört. Ist nichts mehr übrig. Und die Leute, denen's gehört, klammern sich daran – und wenn sie dabei die ganze Menschheit umbringen müssten...Ihr müsst jeden Tag eure paar Kröten fürs Essen zusammenkratzen. (Kap. 18).
Wie in „Tortilla Flat“ vetritt John Steinbeck diese wunderbare Lebenseinstellung, die er übrigens mit Henry Miller teilt, dass materieller Reichtum allein eben nicht glücklich macht, dabei Steinbeck auf die Großgrundbesitzer schielt. Über den Herrn, der einen Millionen Hektar großen Wald besitzt, der jeden erschießt, der eine Orange klaut, legt Steinbeck dem Prediger Casy folgende Worte in den Mund:
Zitat von Steinbeck
Wenn er 'ne Million Hektar braucht, um sich reich zu fühlen, so scheint's mir, er braucht sie, weil er in seinem Innern schrecklich arm ist.... (Kap. 18)
John Steinbecks Roman ist knallhart, sodass er in diesem Roman sogar jeden Humor verloren hat, den er in „Tortilla Flat“ noch hatte. Das ist auch ein Grund, dass ich den Roman so zögerlich, manchmal auch mit Widerwillen gelesen habe. Aber Steinbecks Bitternis gegen den unsäglichen Kapitalismus, der Menschen brutal versklavt und erniedrigt, ist gerechtfertigt. Humor hat hier nichts verloren. Steinbecks Klage ist sehr zornig und erbarmungslos und darum humorlos. Der Romanleser endet in tiefer Hoffnungslosigkeit. Auf diese Weise verdeutlicht Steinbeck, wie brutal und erbarmungslos der Raubtierkapitalismus ist. Steinbecks Roman ist gerade heute wieder besonders aktuell.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)