HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Witold Gombrowicz
in Die schöne Welt der Bücher 31.05.2010 17:48von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Kosmos
(auch unter dem Titel "Indizien" herausgegeben.)
Ich lächelte im Mondschein beim linden Gedanken an die Machtlosigkeit des Verstandes gegenüber der wuchernden verheerenden Wirklichkeit … Es gibt keine unmögliche Kombination… Jede Kombination ist möglich…
Gombrowicz zu lesen, ist als ob man direkt in den Gedanken des Protagonisten hockt. Vielleicht ist es auch darum Witold Gombrowicz selbst, der erzählt. Jener bezieht, zusammen mit Fuks, einem froschgesichtigen Bekannten, den er nicht mag, mit dem er nur ein ähnliches Schicksal teilt, ein günstiges Zimmer bei einer Wirtsfamilie. Beide begegnen direkt am Anfang einem Spatz, den jemand an einem Ast erhängt hat. Durch die Höhe des Astes ist ein Lausbubenstreich auszuschließen. Wie absurd aber ist es, einen Vogel aufzuhängen? Damit beginnen die sich bald überstürzenden Ereignisse.
Aus Unwirklichkeiten Wirklichkeiten formen, das gelingt Gombrowicz in ganz eigenem Sprachstil, der sich durch Sprachfetzen, Experiment, Wortschöpfungen, Gedanken, Spekulationen, Wiederholungen, Sichtweisen wunderbar lebendig zusammensetzt. Der Leser wird einfach mitgerissen, lauscht staunend dem, was passiert.
Zitat von Gombrowicz
Ich kann das nicht erzählen… diese Geschichte… weil ich sie ex post erzähle. Der Pfeil zum Beispiel… Dieser Pfeil zum Beispiel. Dieser Pfeil damals beim Abendessen war gar nicht wichtiger als Leons Schachspiel, die Zeitung oder der Tee, alles – gleichrangig, alles fügte sich zum gegebenen Augenblick zusammen, eine Art Zusammenklang, das Gesumme eines Schwarms. Heute aber, ex post, weiß ich, dass der Pfeil am wichtigsten war, also hebe ich ihn in der Erzählung hervor, ich hole aus der undifferenzierten Masse der Tatsachen die zukunftsträchtige Konfiguration heraus. Und wie soll man anders als ex post erzählen? Kann also niemals wirklich etwas ausgedrückt, in seinem anonymen Werden gezeigt werden, wird nie jemand in der Lage sein, das Gestammel des entstehenden Augenblicks wiederzugeben, wie kommt es, dass wir, aus dem Chaos geboren, es doch nie zu fassen kriegen, kaum schauen wir hin, schon entsteht Ordnung unter unserem Blick… und Gestalt…Macht nichts.
Was also geschieht, wenn zwei Menschen, die vor ihren eigenen Unzulänglichkeiten fliehen, auf einmal von kläglicher Langweile getrieben auf eine Idee kommen, anfangen nach Indizien zu suchen und eine fremde Familie auseinander zu montieren? Wenn jeder Hinweis auf einmal Sinn ergibt? Wenn ein aufgehängter Spatz, ein Ast, ein Nagel, Steinchen, Risse wie Pfeile, Finger plötzlich zu Zeichen werden, die sich, sucht man nur allzu genau, immer miteinander und mit anderen Bedingungen verbinden lassen?
Es gibt so etwas wie ein Übermaß an Wirklichkeit, ihr Aufquellen bis zur Unerträglichkeit.
Jedes Ding, Sein, Wort wird zum Symbol. Die Münder verschmelzen miteinander, Finger sind verwurstelt, der Erzähler versaut sich das eigene „mir“ (hat sich in sich selbst vergewaltigt, indem er sich durch Vorstellungen die Menschen und Vorgänge zurecht "voyeuriert", bis es kein Zurück aus der Verschrobenheit tiefsitzend düsterer Gelüste und Neigungen gibt), ein Kater wird zum eigenen Schweinehund. Teekannen bringen das Fass zum Überlaufen, es wird bis in die Begierden gegrebt, Geheimnisse werden bloßgelegt, ohne erkannt zu sein, und die Ereignisse nehmen ihren bedrohlichen Lauf.
Nichts verstanden? Gut! Dann das Buch lesen.
Art & Vibration
Mensch, polnischen Schriftsteller, na den müsst ich mir doch mal zu Gemüte ziehen. Ich finde es immer schön, wenn in Buchvorstellungen kurz auch was zum Autor gesagt wird. Muss man gar keinen Aufriss machen, einfach zwei, drei Eckpunkte mit einflechten. Also nur so mal, als Anregung.
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[i]Poka![/i]
RE: Witold Gombrowicz
in Die schöne Welt der Bücher 01.06.2010 19:27von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Wird gemacht, der Herr. Ich wollte eigentlich etwas warten, da ich noch einige Tagebuch-Einträge mit einfließen lassen wollte, aber man kann ja durchaus schon mal zusammenfassen:
Witold Gombrowicz, einer der bedeutendsten Schriftsteller Polens, ein "Meister der Groteske und des befreienden Lachens", wurde 1904 als Sohn eines Landadligen in Małoszyce in Polen geboren. 1915 übersiedelte die Familie nach Warschau, wo Gombrowicz nach Abschluss der Schule Jura studierte. Von 1928 bis 1934 arbeitete er an einem Warschauer Gericht, widmete sich jedoch bald ausschließlich der Literatur.
1937 erschien Ferdydurke und löste eine heftige literarische Diskussion aus. Im Sommer 1939 wird Gombrowicz auf einer Reise in Buenos Aires vom Ausbruch des Krieges überrascht. Er blieb fast 24 Jahre lang in Argentinien, das für ihn zur zweiten Heimat wurde. In dieser Zeit entstehen fast alle seine Werke.
1963 kehrt Gombrowicz nach Europa zurück. 1964 lässt er sich, mit einjähriger Unterbrechung, in Berlin, dann in Vence nieder, wo er 1969 an den Folgen von Asthma stirbt.
Mein Eindruck nach den ersten Seiten von Ferdydurke: Ich werde wohl ALLES von ihm lesen. Nachdem "Kosmos" - übrigens sein letztes Werk - eher spielerisch und trotzdem bewegend ist, er war während des Schreibens schon sehr krank, so findet man sowohl im Tagebuch (ein unfassbar dicker Klopper) als auch in dem oben genannten umstrittenen Roman eine faszinierende Tiefe. Allein die Idee:
Aufgrund der schlechten Erfahrung der ersten Veröffentlichung seines Buches, wo dem Autor Unreife unterstellt wird:
Zitat von Gombrowicz
... ein ganzes Meer von Urteilen, deren jedes dich im anderen Menschen bezeichnet und dich in seiner Seele erschafft, wie wenn du in Tausenden von zu engen Seelen geboren würdest!
... verwandelt sich der dreißigjährige Protagonist durch den strengen Blick eines Paukers, der seine Entwürfe prüft, in einen Schüler zurück, wobei er aber sein Alter und Denken beibehält. So steht er sowohl sich selbst als auch dem Schulsystem kritisch gegenüber.
Kazimierz Brandys (ein mir ebenfalls ans Herz gewachsener, polnischer Schriftsteller) sagte in seinen "Briefen an Frau Z." so schön, dass der Emigrant immer zu einem neuen Geschöpf wird, der weniger über sein Handeln und sich selbst nachdenkt, als wie er wirkt, wie er sich in der fremden Umgebung einpassen und benehmen muss. Er versucht eine neue Kultur, ihm unbekannte Traditionen zu übernehmen. Gleichzeitig sind die, die ihre eigenen, aus dem eigenen Land mitgebrachten Traditionen weiterhin beibehalten, genauso gehandikapt. Derjenige aber, der sich in einem fremden Land anpassen will, versucht die Merkmale dieses Landes zu erwerben.
Zitat von Brandys
Man kann diesem Ziel sein ganzes Leben widmen und es schließlich auch erreichen. Aber stets droht hier eine Gefahr, die in der Nachahmung liegt: die Schrumpfung des Inhalts zugunsten des Stils, ein Formalismus der Werte.
Aus dem Emigranten werden zwei Menschen, die „füreinander verloren sind".
Ich denke, auch bei Gombrowicz wird sich vieles davon wiederfinden. Sein Blick war immer auf Polen gerichtet, seine frohe Botschaft nach dem Krieg für den polnischen Leidensgenossen war simpel: Sei du selbst. Die Menschen "sind frei, sie können die Augen weit aufmachen, können leben und als einzelne, als Individuen stark werden, ohne Polen dadurch ein Unrecht zu tun, ganz im Gegenteil". Damit wurde er zum "fröhlichen Propheten". (heißt es im Nachwort in "Kosmos" von A. Zagajewski)
Schöne Seite über Gombrowicz mit reichlich Information.
Art & Vibration
RE: Witold Gombrowicz
in Die schöne Welt der Bücher 08.06.2010 21:56von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Nicht nur die Aufmachung der Bücher... Gombrowicz ist surreal. Ein ganz eigener Surrealismus seiner selbst.
Ein „Aus der Seele – Sprecher“ oder einfach nur schön zu sehen, dass es zu jeder Zeit jenes „Parallel-Denken“ gibt?
Kann "Sein oder Nicht-Sein", das ist hier die Frage. Auf jeden Fall hat er mich gepackt, so richtig, sowohl im gleichen Denken (das reicht ja nie) als auch im Drehen meines Kopfes auf all die scheinbar so notwendig mitlaufenden Um-Ereignisse. Nur ein kleiner Moment, ein schrittweise Vorankommen, aber jede Zeile wirkt. Da ist ein über Seiten lang erfolgender Angriff von Gombrowicz auf die Eitelkeiten der Künstler und besonders auf all die, die noch im Werden sind und die Nase trotzdem schon hochtragen, sich feiern lassen und nach jenem Milieu "Kunst" streben, als würde dieses, will man schöpfen, tatsächlich existieren.
Sein Ratschlag:
Zitat von Gombrowicz
Vor allem brecht ein für allemal mit dem Worte „Kunst“ und auch mit dem anderen: „Künstler“. Hört auf, euch an diesen Worten zu berauschen, die ihr bis zur unendlichen Monotonie wiederholt. Ist es nicht so, dass jeder ein wenig Künstler ist? Ist es nicht wahr, dass die Menschheit Kunst nicht nur auf Papier und Leinwand schafft, sondern in jedem Moment des täglichen Lebens? Wenn ein Mägdelein sich eine Blume ins Haar steckt, wenn euch im Gespräch ein guter Witz entschlüpft, wenn wir uns in den schwindenden Farbtönen der Dämmerung ergehen – was ist das alles denn anderes als Ausüben von Kunst? Wozu denn also diese sonderbare und unsinnige Einteilung in „Künstler“ einerseits und die übrige Menschheit andererseits?
Kein Wunder also, dass Gombrowicz so umstritten war. Bestimmt nicht (so sehr) bei den Lesern, sondern vielmehr bei den Kritikern und Eigen-Schöpfern, bei den Schriftstellern und Künstlern, denen er ihre eigene Wichtigkeit vor den Kopf gehauen hat.
Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Auch wenn er recht hat, dass es nicht wichtig ist, sich einem Stil zu widmen:
Über euer Papier gebeugt, vergesst ihr eure eigene Person, und nicht darauf kommt es euch an, euren persönlichen, eigenen, konkreten Stil zu vervollkommnen, sondern ihr seid nur mit irgendeiner abstrakten Stilisierung im leeren Raum beschäftigt. Anstatt dass die Kunst euch diente, dient ihr der Kunst…
… so setzt er doch auch voraus, dass Kunst nicht die Wirkung hat, die ihr seit jeher zugeschrieben wird. Er sagt, dass ein Stück von z. B. Chopin mehr darum beklatscht wird, weil andere Menschen im Saal klatschen, als dass es tatsächlich in seiner Melodie gewirkt hätte. Der Wert würde sich also eher durch das Muss der Gemeinschaft hochschaukeln, was er allgemein in der Kunst voraussetzt, egal, auf welchem Gebiet sie stattfindet.
Ich dagegen sehe ständig, wie Werke auf mich wirken. Ob dies nun ein mit den Jahren aufgebauter, geprägter und geformter „Schau-und-Lausch-Prozess“ oder ganz einfach ein innerer Drang zur Kunst ist, lässt sich vielleicht so leicht nicht mehr ausmachen. Trotzdessen weiß ich, dass all das jetzt wirkt, und so ist es letztendlich unwichtig, woraus sich die Lust, die Sehnsucht, die Liebe zur Kunst-Betrachtung gebildet hat. Sie findet statt.
Art & Vibration
RE: Witold Gombrowicz
in Die schöne Welt der Bücher 09.06.2010 00:59von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Im Sinne seiner Bodenständigkeit ist Surrealismus schon etwas gewagt, will man das, was er macht, so benennen.
Er ist ganz ein... Selbst.
So wäre es vielleicht besser ausgedrückt.
Kein Träumer.
Kein Drauf-los-Schreiber, was ihm gerade aus dem Sinn wächst.
Er schreibt, was er gerade denkt und sagen will.
Das ist etwas anderes.
Und doch ist es genau das.
Aber es soll sich zum Sinn fügen.
Na, du wirst schon sehen.
Art & Vibration