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Degenhardt, Brandstellen
in Die schöne Welt der Bücher 29.08.2010 00:32von Roquairol • 1.072 Beiträge
Heute stieß ich beim Degenhardt auf eine so schöne Stelle, dass ich sie hier zitieren will:
(ein wegen Ruhestörung verhafteter Volkssänger nachts auf der Polizeiwache:)
"Er ging an die Wand, stand gespreizt in Position zwei, die Hände über sein großes Geschlecht gekreuzt, und sprach, fast flüsternd, aber dann in der Lautstärke sich steigernd:
Ich habe gesungen, und Scheiche in Zelten aus Ziegenfell rauchten nicht weiter, schwäbische Bauern begannen zu träumen, Navajo-Indianer vergossen den Branntwein im Sand, die Belegschaft des Stahlkombinats in Omsk bat mich schluchzend zu bleiben, Wallstreetgangster flennten wie Huren am Grab ihrer Mutter, Hindufrauen hielten mir ihre Kinder zum Segnen hin, im Auftrag des Goethe-Instituts habe ich unser Liedgut getragen von Sydney bis Reykjavik. Und der da - eine Phantom jaulte in den Sturzflug - der da, der da nennt das Quäken" (s. 175).
Die Handlung des Romans ist eigentlich nicht so, dass es einen in Begeisterungsstürme reißt: Es geht um einen Anwalt, der seine Ex-Geliebte, eine RAF-Terroristin, sucht, da er erfahren hat, dass sie von einem Spitzel verraten wurde und kurz vor der Enttarnung steht. Auf dieser Mission verschlägt es ihn dann in seine Heimatstadt (unverkennbar Schwelm, Westfalen), wo er mit seiner Familie und diversen Jugenderinnerungen konfrontiert wird, außerdem gerät er in die politischen Auseinandersetzungen um ein Naturschutzgebiet, das einem Truppenübungsplatz weichen soll, und auch hier soll es in den Kreisen der Naturschützer einen Spitzel geben ...
Also das muss man jetzt nicht unbedingt lesen wollen - aber es gibt eben darin immer wieder so Stellen, köstliche Stellen ....
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