HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Fjodor Sologub
in Die schöne Welt der Bücher 12.11.2010 15:03von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Apropos Dämonen und böse Geister. Ein schön quirliger und leicht vor sich hin sprudelnder Roman mit belebendem Stil und furchtbar gehässigen Menschen ist „Der kleine Dämon“ von Fjodor Sologub. Wäre da nicht der Name des Schriftstellers und der der Figuren, so könnte man den Roman stellenweise auch für einen französischen halten. Der Roman wurde 1902 geschrieben, erschien 1905 in einer Zeitschrift und fand begeisterte Zustimmung und hasserfüllte Abneigung. Tatsächlich ist er für diese Zeit erstaunlich locker geschrieben, wagt sich über gewisse Anstandsgrenzen hinaus. Die „bleiernen Scheußlichkeiten“ (so Gorki) des zaristischen Russland sind hier zu Bildern geronnen, deren krasse Trostlosigkeit nichts heiligt.
Sologub war ein Symbolist, wurde 1863 in Petersburg geboren und verstarb auch da, 1927. Es gibt von ihm noch Novellen und phantastisch-unheimliche Geschichten, zusammengefasst in "Der vergiftete Garten".
Die Symbolisten waren darauf aus, ein Sprachkunstwerk zu schaffen, in dem manifester Inhalt sich mit latenter Bedeutung verbindet. Ähnlichkeiten, Sinnverschiebungen, Überhöhungen und natürlich Symbole und Zeichen. Die Sprache wird nicht als Mittel des Ausdrucks, sondern als Medium der Erkenntnis benutzt (wie man es z. B. auch ganz wunderbar bei Andrej Bely findet). Der älteste Symbolist war übrigens Platon mit seinem Höhlengleichnis.
„Die Dinge an sich, die unsterblichen Ideen“, so Platon, nehme der Mensch nicht wahr, jedoch wohnten sie den ebenfalls unsterblichen Seelen inne, und dem Philosophen sei es durch Rückerinnerung möglich, sie zu erschauen.
Auch die späteren Symbolisten strebten nach der reinsten, vollendeten sprachlichen Form, um so zum „Ding an sich“ zu gelangen, zur Idee, zum Wahren. Ihre Werke sollten eine höhere, spirituelle Wirklichkeit verkörpern.
Der russische Symbolismus strebte nicht nach Abstraktion oder l’art pour l’art, nach einer Hinwendung zum Irrationalen, wie es der französische Symbolismus stilisiert hat, sondern nach den Werten von Menschlichkeit und Moral. Er entfaltete sich von 1894 bis 1910, darunter bekannte Namen wie Annenski, Balmont, Bely, Blok, Brjussow, Iwanow, Mereschkowski, Remisow und der Religionsphilosoph Solowjow (der übrigens ebenfalls über Dostojewskij geschrieben hat, besser gesagt über den Großinquisitor. Sein Buch heißt: „Die Erzählung vom Antichrist“. Darin geht er insbesondere auf den Gottmenschen ein.)
Dieser Hintergrund ist natürlich zu bedenken, liest man Sologubs Prosa, insbesondere seinen bekanntesten Roman „Der kleine Dämon. „Der Roman ist ein Spiegel“, sagte der Schriftsteller selbst. Wenn er zum Zerrspiegel gerät, befindet sich der Leser mitten im Geschehen.
Der kleine Dämon ist das Ungreifbare (Nedotykomka), ein Halbwesen. Er erscheint in erster Linie als ein Hirngespinst, eine Halluzination des allmählich in den Wahnsinn verfallenden Protagonisten, des Lehrers Ardaljon Borisowitsch Peredonow. Er sieht während seinen Panikattacken unter anderem einen Eumel, der ihn verfolgt und immer mehr auf den Leib rückt. Sein Gelächter dröhnt ihm in den Ohren, sein Leiden ist pathologisch.
Anfangs ist Peredonow ein schlichter, gelackter, widerlicher Charakter. Er ist gleichgültig, gelangweilt und gemein, frisst ständig Bonbons, hasst seine Schüler, besonders, wenn sie nicht von Adel, sondern Bauernsöhne sind, und verhöhnt diejenigen, die auch durch ihre Mitschüler gehänselt werden, statt sie mit Werten zu erziehen. Hier verkörpert er den Typ des heuchlerischen Pädagogen der „Selbstherrschaftsepoche“. Da schimmern auch der Frust und die Perspektivlosigkeit durch, die zu jener Zeit in Russland vorherrschte. Peredonow erhofft sich durch die Heirat mit seiner Cousine Warwara eine höhere Stellung, kämpft gleichzeitig aber auch mit seiner Abneigung gegen sie und überhaupt gegen die Frauen. Keine ist gut genug für ihn, weil er weder Liebe empfinden noch Liebe geben kann. Am liebsten würde er Warwara hintergehen, hinter ihrem Rücken eine andere Frau heiraten, nicht aus Zuneigung, sondern um sich zu rächen oder ihr auf diese Weise „ins Gesicht zu spucken“. Dieses tut er überhaupt sehr gerne, bespuckt, beschimpft und verprügelt sie, und Warwara, völlig daran gewöhnt, hofft einfach auf die Hochzeit, damit „sie nicht mehr für ihn springen muss“, während sie Peredonow ihrerseits betrügt, da die versprochene Stellung nur eine vage Zusage durch eine befreundete Fürstin ist und sich bald als falsch erweist.
Peredonow, ein ungeistiger Mensch, der offene und versteckte Kränkung in sich hineinfrisst, wird zunehmend paranoid. Überall wittert er Gefahr. Er verbrennt Bücher, die ihm schaden könnten, wie die revolutionären Werke Pissarows, und denkt, dass ihm jeder etwas Böses will, als ein gutes Beispiel für jene Menschen, die weil sie selbst schlecht handeln, auch von überall Schlechtes erwarten. Seiner Ansicht nach will Warwara ihn vergiften, ein anderer mit einem Billardqueue erschießen, die Frauen lachen hinter seinem Rücken und überall lauern Feinde. Seine Zerstörungswut und seine Aggression kehren sich dabei nicht nur gegen seine Umwelt, sondern auch gegen ihn selbst. Statt aber wie Dostojewskijs „Doppelgänger“ im Wahn seine Wunschvorstellung zu verwirklichen, verwirklicht Peredonow seinen eigenen Untergang.
Zitat von Sologub
Peredonow empfand die Natur als ein Spiegelbild seines Trübsinns, seiner Angst vor ihrer Feindlichkeit; jenes innere, sich den äußeren Bestimmungen verschließende Leben in der Natur, jenes Leben, das allein echte, tiefe unanfechtbare Beziehungen zwischen Mensch und Natur zu schaffen vermag – das empfand er nicht. Deshalb glaubte er, die ganze Natur sei von kleinlichen menschlichen Gefühlen durchdrungen. Geblendet vom Wahn der eigenen Person und der von der Natur losgelösten Existenz, begriff er nichts von dem in ihr frohlockenden und zum Himmel emporschreienden dionysischen, urwüchsigen Entzücken. Er war blind und armselig wie so viele von uns.
(zitiert aus F. Sologub „Der kleine Dämon“, Reclam, S. 212)
Diese Zitatstelle ist bezeichnend, da man auch glaubt, etwas von Sologubs eigenen und wirklichen Empfindungen herauszuhören, der einsam und verbittert starb. Er war ein Pessimist. Ein Hoffnungsloser.
Peredonow und Warwara, diese beiden falschen Menschen stehen einander nun einerseits gegenüber und andererseits gemeinsam der Meute gegenüber, jener Stadt, die alles wissen will, was in ihren Räumen geschieht. Neugierige lauern überall, und wenn positive Nachrichten ins Haus flattern, ist man auch gerne gewillt, diese lauthals zu verkünden. Anders verhält es sich natürlich mit den negativen Umständen, die sich häufen.
Peredonow sucht hochstehende Persönlichkeiten auf, um mit seiner Paranoia, die Leute würden hinter seinen Rücken schlimme Dinge über ihn erzählen, nun seinerseits die Leute gegeneinander aufzubringen und ganz neue Verdachtsmomente zu entfalten und sich gegen Verleumdung abzusichern, die noch nicht existiert. Sein Verhalten führt aber bald dazu, dass die Leute reden, auch ist sein Zaudern wegen Heirat und Stellung bekannt. Er beginnt Leute namentlich anzuklagen, Eltern aufzusuchen, die vor ihm ihre Kinder züchtigen sollen, weil er ihnen fälschlicherweise schlechtes Verhalten vorwirft, scheut sich nicht, diejenigen zu benennen, denen er selbst drohte, sie denunzieren zu wollen, wobei in seinem Kopf nur die Denunziation zurückbleibt, die natürlich gegen ihn selbst gerichtet ist.
Schließlich fühlt er sich durch alles bedroht. Durch den Eumel, durch Warwara, durch seine Freunde und auch durch fremde Menschen. Alle wollen ihn töten oder aus dem Weg schaffen, verleumden oder beschmutzen. Er flieht vor sich selbst als eine Flucht vor den anderen, sieht sogar in seinem Kater Gefahr, der sich in einen Menschen verwandeln könnte, um ihm zu schaden, oder ängstigt sich davor, dass man ihn gegen einen anderen austauschen kann, was er wortwörtlich nimmt, warum er seine Körperteile mit einem P bemalt, um später zu überprüfen, ob er noch er selbst ist.
Durch seinen Wahn, der natürlich nicht unbemerkt bleibt, und die ganzen Denunziationen, verfällt die ganze Stadt in Klatsch und Tratsch, auf einem Maskenball gerät alles aus den Fugen und wenige Seiten weiter geschieht dann auch das zu erwartende Unglück.
Von der rasanten Doppelgänger-Variante, die den Leser regelrecht in die Zeilen reißt und atemlos vor die Ereignisse stellt, die dort im Kopf Goljadkins ablaufen, die alle zu sortieren dem Leser selbst überlassen bleibt, ist bei Sologub allerdings nichts zu spüren. Vieles deutet darauf hin, dass er hier den Angriff auf die vergnügungssüchtige und oberflächliche Gesellschaft, auf das Kleinbürgertum, auf Lehrer und Beamte und deren Vorurteile und Maßlosigkeit startet. „Sie tranken mehr als sie aßen.“ Er selbst war Lehrer und zeigt nun schonungslos ihre Frivolitäten auf, zögert nicht, eine Frau zu skizzieren, die hinter einer blumig parfümierten Fassade ihre verruchte Seele verbirgt und einen fünfzehnjährigen Jungen verführt und ihm ihre Gier irgendwo aufnötigt. Was als zarte Liebe beginnt, wird zunehmend ein Gewaltspiel mit Höhen und Tiefen.
Seine Figuren sind gemein und hinterlistig oder anständig und gerecht, stehen in diesen Gegensätzen einander gegenüber und werden erst als „die Stadt“ zu einem Haufen Dekadenz und Perversion. Im Grunde sind sie Stereotypen, fast schon Symbole. Dazwischen liegt die ganze Verderbtheit der menschlichen Begegnungen, die ordinär flucht, sich unflätig beschimpft, bespuckt und verprügelt.
Das alles drückt die Hoffnungslosigkeit des Schriftstellers aus, der in seiner Zeit keine Entwicklung mehr erkennt, der davon ausgeht, dass alles den Bach runter geht. Sein Blick richtet sich auf Menschen und die sie umgebenden wirksamen Zwänge, über die Charaktereigenschaften schließt er auf gesellschaftliche Umstände. Was dem Menschen bleibt, ist der langsame Verfall in den Wahnsinn oder die völlige Ausartung.
Sologubs Schreibstil ist leicht und unterhaltsam. Jedoch ist der Roman unbedingt unter die schöngeistigen zu zählen. () Die pathologisch verzwickte Situation des Protagonisten, der von seinem Verfolgungswahn geplagt wird und gleichzeitig wirklich betrogen und hintergangen wird, ist spannend zu lesen, verführt aber keinesfalls zu tieferen Gedanken. Das Menschsein gerät ganz einfach in ein völliges Chaos, kehrt alles, was in ihm gärt, in äußere Zustände um, zeigt das Gesicht als groteske Fratze.
Zumindest für den Leser,
denn Sologub war in dieser Hinsicht ganz anderer Ansicht. Er sagte:
„Ich meinerseits kam gar nicht in die Verlegenheit, die Geschehnisse zu erdichten; alle Vorgänge in diesem Roman, die gesellschaftlichen wie die psychologischen, beruhen auf sehr genauen Beobachtungen, denn dazu hatte ich ja genügend Natur um mich.“
Die Übersetzung ist von dem Herausgeber Eckhard Thiele, durch den ich auch ein neues „altes Wort“ gelernt habe. Der Eumel im Roman fickfackert beständig, sobald er auftaucht. (“fickfackern = nervös herumlaufen”)
Art & Vibration