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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

William Trevor

in Die schöne Welt der Bücher 03.01.2011 19:31
von Martinus • 3.195 Beiträge

William Trevor "Turgenjews Schatten", Roman

William Trevor erzählt von Marie Louise Dallon, die mit dem Textilhändler Elmer Quarry eine Vernunftehe eingeht, um dem kargen Leben auf dem Bauernhof zu entfliehen . Ihr lockt das Leben in der Stadt, und Elmer, der übrigens 14 Jahre älter ist als das Bauernmädchen, heiratet sie aus Berechnung. Ihm geht es darum, die Fortführung seines Textilunternehmens zu gewährleisten. Die Ehe steht unter einem schlechten Stern. Schon körperlich passen sie nicht zusammen. Sie, ein zierliches Bauermädchen, er, ein dickleibiger kleinwüchsiger Herr im Anzug. Sie leben in zwar in einem Hause, aber getrennt. Elmers Schwestern Rose und Matilde mögen sie nicht, und haben ihn vor der Ehe mit ihr gewarnt. Sie wirken eher wie Hexen, die nur böses in Mary Louise sehen, aber auch Letty, Mary Louises Schwester, ist enttäuscht über diese Verbindung.

Ein typisch irisches Extra, der Konflikt der Konfessionen, wird im Roman gelegentlich angedeutet:

Unter den Hochzeitsgeschenken zu Lettys Hochzeit befindet sich

Zitat von Trevor
ein gerahmtes Bild der Jungfrau Maria mit einer Herz-Jesu Darstellung. Letzteres kränkte Mrs. Dallon. Es stammte entweder von jemandem, der nichts von Lettys Glauben wußte, oder aber von jemandem, der das Bildnis in dem Hausstand, der gegründet wurde, für unverzichtbar hielt. Letty würde es nicht aufhängen, sie würde es bestrimmt beiseite legen.



In erster Linie erzählt Trevor von Mary Louises unerfüllter Liebe zu ihrem Cousin Robert. Schon in ihrer Schulzeit war sie in ihn verliebt gewesen. Als sie ihn Jahre später wieder trifft, stellt sich heraus, dass Robert ihre Zuneigung erwiedert. Er liest ihr auf einem Friedhof aus Turgenjew vor. Nach ein wenig Recherche bin ich darauf gekommen, das Robert ihr aus dem Roman „Vorabend“ vorgelesen hat. Bei Trevor heißt es über Turgenjews Roman:

Zitat von Trevor
Jelena Nikolajewna liebte Insarow, ohne es zu wissen.



So war ja Mary Louises Liebe zu Robert einige Jahre verschüttet gewesen. Auch Roberts Schicksal ähnelt dem Schicksal Insarows.

William Trevors Prosa erzählt von Liebesschmerz, Tod, Einsamkeit und Wahn, und wie er es erzählt, erinnert an Prosa des neunzehnten Jahrhunderts. Sehr nachvollziehbar ist das Zitat des Hessischen Rundfunks auf dem Klappentext.

Zitat
Turgenjews Schatten wirkt, als hätte William Trevor die Geschichte einer Madame Bovary aktualisiert und dadurch für die Leser das Erzählen traditionellen Stils in unsere Zeit hinübergerettet.



Um nochmal auf Turgenjews Roman „Vorabend“ zurückzukommen: Auch Jelena war brünnet wie Mary Louise. Das Jelena „ ein schwieriges Wesen hatte“, wie Trevor erzählt, gilt auch für Mary Louise.

Den Roman empfehle ich gerne weiter, nur rätsele ich darüber, warum bloß hat Mary Louise den Textilhändler geheiratet. Wohl aus "kindlicher Unschuld".


Liebe Grüße
mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 03.01.2011 19:33 | nach oben springen

#2

RE: William Trevor

in Die schöne Welt der Bücher 15.01.2011 15:40
von Martinus • 3.195 Beiträge

Felicias Reise

In einem Dorf in Irland wird Felicias in ihrer ersten Liebesnacht geschwängert, der Mann, Johnny Lysaght, verschwindet aber nach England. Angeblich soll er in einer Rasenmäherfabrik arbeiten. Die schwangere Felicias reist nach England, um Johnny aufzuspüren, doch diese Reise führt nicht zum Ziel, eine Reise durchs Kneipen- und Obdachlosenmilieu, durch Industrieanlagen und auch eine heilige Missionssekte wird von Felicias' Reise berührt. Anstatt auf Johnny zu treffen, macht Felicias die Bekanntschaft des Kantinenbesitzers Mr. Hilditch, der immer mehr Einfluss auf Felicias' Suche gewinnt, dem es gelingt, immer tiefere Bande mit Felicias zu knüpfen. Mit Mr. Hilditch betritt das Böse den Roman, erst auf leichten Fußsohlen kaum wahrnehmbar, und dann, das ist die Raffinesse des Romans, wird es immer bedrohlicher für Felicias, obwohl der Leser immer noch nicht weiß, was dieser Mittvierziger mit der jungen Frau vorhat. Er schleicht sich in ihr Leben ein und der Leser fragt sich irgendwann, hoffentlich passiert Felicias nichts schlimmes. Trevor gelingt es in hervorragender Weise, den Leser im Ungewissen zu lassen. Es werden Andeutungen gemacht, der Leser wird auf falsche Fährten gelockt. Man bangt bis zum Schluss, immerhin hat Mr. Hilditch schon mit diversen Frauen ein böses Spiel getrieben.

Dieses Art des Unheimlichen in der Literatur ähnelt ein wenig einigen Romanen von Amélie Nothomb („Kosmetik des Bösen“, „Der Professor“), wobei ich aber mehr für Trevors Roman favorisiere. Amélie Nothomb unterhält gut, ist auch spannend, aber ich habe das Gefühl, eine einmalige Lektüre reicht. Bei William Trevor ist das anders. Hier ist einer, der handwerklich wirklich gut arbeitet. Wenn er von Felicias Reise erzählt, wirft er Rückblenden ein, und wir erfahren von ihrer Vorgeschichte, von ihrem Vater, der über Johnny Lysaght schimpft, weil dieser, so glaubt er zu wissen, heimlich zur britischen Armee gegangen ist, usw. Es ist typisch für Trevor, dass er sich in Romanen mit den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Iren und Briten auseinandersetzt. Welcher irischer Vater möchte da schon einen britischen Soldaten zum Schwiegersohn haben. Ich mag gute Milieuschilderungen. In diesem Buch haben mir Schilderungen aus der Welt Obdachloser sehr gefallen.

Zitat von William Trevor
In ihren Verstecken sinken die Leute von der Straße in einen Schlaf, der vom Alkohol herbeigeführt und von Verzweiflung aufgeschreckt wird, in Träume, die sie in das Leben zurückversetzen, das einmal ihres war. Die Bettelschilder noch neben sich und die Zigarettenstummel vom Bürgersteig griffbereit, liegen sie da, noch genug in der Flasche, um sich den Augenblick des Erwachens zu erleichtern. Hungrig und obdachlos lautet ihr Appell auf einem Stück Pappe, gedankenlos hingekritzelt, wobei einer vom anderen abgeschrieben hat: Nur das Geld zählt.



Man mag von Elke Heidenreichs ehemaliger Fernsehsendung „Lesen“ halten, was man mag, aber darin wurde William Trevors Erzählband „Tod des Professors“ besprochen. So bin ich auf diesen Autor gestoßen und bereue es nicht.

Liebe Grüße
mArtinus




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