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Viktor Pelewin
in Die schöne Welt der Bücher 11.05.2011 00:52von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Viktor Pelewin
Generation P
Viktor Pelewin wohnt in Moskau und ist einer der meist gelesenen Schriftsteller seines Landes und der jungen russischen Generation. Das alleine besagt natürlich noch rein gar nichts, und zunächst erwartete ich von diesem Mann auch keinen besonderen Tiefsinn, sondern eher einen Einblick in die heutige Zeit russischer Moderne, wo Pepsi Cola durch Coca Cola ersetzt wird, damit das Symbol der westlichen Freiheit auch in den weiten Gefilden Russlands Einzug hält. Doch Pelewin hat mich in jeglicher Hinsicht überrascht.
Ihm gelingt in seinem Roman „Generation P“ ein wunderbar kritischer Abriss der modernen russischen Gesellschaft, wobei der Verfall durchaus über die Grenzen hinausreicht und wieder zurückschnellt, weil bestimmte Vorgänge und Krankheiten nur in Russland möglich sind. Weiter betrachtet er die Massenmedien und den Materialismus kritisch, in dessen Mitte der Mensch allmählich als Identität verschwindet, von dem er sich bestimmen lässt und auf den er seine Persönlichkeit ausrichtet.
Wo das Buch zunächst an die jungen Wilden erinnert, wie z. B. Matias Faldbakken, da der Protagonist Tatarzki zu den Randgängern gehört, Drogen nimmt, anfangs an die Romantik und Dichtung glaubt, im Laufe seiner Entwicklung aber den Glauben an den Wert der Literatur verliert und sich stattdessen recht und schlecht durch das Leben schlägt, bis er statt Gedichte schließlich Werbeslogans schreibt, um der „russischen Seele“ die westliche Konsumwelt schmackhaft zu machen, entwickelt das Buch Seite für Seite in seinen Überlegungen Tiefe und Nachdenklichkeit. Hier wird im oberflächlichen Schauplatz der Werbung und des Drogenkonsums weiter gedacht, wobei Pelewins Stil auch noch ausgezeichnet ist, der Inhalt dagegen nicht auf den reinen radikalen Moment beharrt, der den Leser lediglich schockieren soll oder mit einer Welt konfrontieren, die er nicht kennt. Es fehlt dabei weder an Humor noch an dem nötigen Ernst, fällt der Blick auf ein Russland, in dem es keine Marktwirtschaft mehr gibt, keine Produktion, nur noch die fiktiv beworbenen Produkte aus dem Ausland und Menschen, die tagtäglich damit bombardiert werden, um sich darin selbst zu verlieren. Lediglich die Werbung macht den Menschen weiß, er würde noch existieren, und da das alleine (ebenfalls durch die Medien vermittelt) nicht ausreicht, wird mittels beworbener Produkte Göttlichkeit und Erlösung verkauft.
Tatarzki spaziert dabei auch in Cafés mit dem Namen „Arme Leute“, Pelewin verbindet klassische Literatureindrücke mit der Hoffnungslosigkeit einer degenerierten Welt, die nicht mehr ist, da nur noch Muster von dem existieren, was einst der Mensch war.
Pelewin blickt und zeigt mit offener Geste auf das, was in Russland falsch läuft und vor die Hunde geht, während es mit dem Ausland Schritt halten will, jedoch nur die kapitalistische Fratze übernimmt, nicht den Wert eines Marktes, auf dem frei gehandelt wird. Die Werbeaufträge kommen dabei von Reichen, die keine Produkte herstellen oder tatsächlich Wert auf den Verkauf legen, sondern lediglich anderen Reichen zeigen wollen, wieviel Geld sie in der Lage sind, für eine schwachsinnige und auf Unsinn zielende Kampagne hinauszuwerfen, weil – sie es sich leisten können. Der demonstrierte Unsinn ist damit das neue Statussymbol, und die damit konfrontierte Mittelschicht begnügt sich damit, Markenprodukte zu konsumieren, um wenigstens das Gefühl jener scheinbaren Freiheit zu ergattern, die ihnen die Werbung vermittelt. Wenn man genauer hinblickt, erkennt man, dass nur der Durchschnittsmensch tatsächlich Wert auf Nike-Schuhe und Armani-Anzüge legt, im Wissen, wieviel er dafür arbeiten und ausgeben muss, um sich darüber zu definieren.
Dass selbst der Buddhismus und andere geistig höhere oder esoterische Bereiche zum Verschachern dienen, setzt Pelewin eindrucksvoll ironisch ins Bild. So erwirbt sein Protagonist in einem chaotischen Laden eine Maschine, die mit den Geistern Kontakt aufnimmt, wodurch er sich von Che Guevara die Werbetexte schreiben lässt, der wiederum einen Angriff auf den modernen Menschen und die Medien startet. Der Mensch, heißt es darin, wird zum Wow-Typen, zum Homo zappien, der durch die Medien zur Nichtexistenz verarmt, da er, blickt er auf den Bildschirm mit seinen beständig einströmenden Sequenzen, nur noch gesteuert wird und sich von den gesteuerten Programmen schließlich auch selbst steuert, indem er konsumiert und sich über den Besitz und Konsum definiert. Dadurch wird er zum willenlosen Wesen, das glaubt, eigenständig zu handeln, damit zu existieren, während es längst nur noch ein Effekt aus Konsumwünschen und Geldgier ist und sich darüber definiert. Geld ist nicht zum Erfüllen der Wünsche gedacht, sondern nur das Sinnbild jener Summe, die diese Wünsche kosten, und zeigt so das Erreichte im Leben, hinter dem eigentliche Werte verkümmern.
Übrigens: Wie westliche Werbung auf die russische Welt umgesetzt werden kann, demonstriert Tatarski in herrlicher und lustiger Weise. Werbung ist dabei auch Propaganda, ist Mittel, das Russische (und die Welt) zu verschachern, die russische Geschichte zwischen Coca Cola und Zigarettenmarken zu (zer)setzen. Gleichzeitig kann sie ganz locker mit den westlichen "Ideenreichtum" mithalten (die Mittel zur Verdummung werden sowohl in den uns allen bekannten Werbespots als auch in diesem Buch großformatig sichtbar, wenn man nur darauf achtet), um weiter das Nichts als eine einzige Wahrheit zu verkaufen. Hier könnte man mit viel Optimismus höchstens noch anmerken: wenigstens wirkt die in Russland betriebene Werbung inmitten anderer Schwierigkeiten eher abstrakt bis absurd, während sie im Westen als in gleicher Form gar nicht mehr wahrgenommen wird.
Der Schluss dieses Buches artet ein bisschen aus, ist mir zu abstrakt und zu fantastisch, wenn auch ein Kern Wahrheit durchschimmert. Pelewin hat sich eingeprägt und wird unbedingt näher betrachtet. Zum Beispiel in "Buddhas kleiner Finger".
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
RE: Viktor Pelewin
in Die schöne Welt der Bücher 11.05.2011 10:54von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Generation P:
Zitat von Pelewin
Es gab eine Zeit, da lebte in Russland tatsächlich eine unbekümmerte junge Generation, die dem Sommer, der Sonne und dem Meer zulächelte - und Pepsi wählte.
So beginnt das Buch. Und dafür steht auch das P. Putin war noch nicht, Jelzin dagegen schon. Die Generation P ist die, die sich nach und nach verwandelt, die am Ende nur noch einen Gott kennt: das Geld.
Art & Vibration