HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Passt zur Ferienzeit:
Ich lese gerade die letzen Zeilen der 10-bändigen Krimiserie von Maj Sjöwall und Per Wahlöö. Diese Bücher wurden in Schweden in den 60-er und 70-er Jahren geschrieben, die Autoren gehören zu den Vorboten der inzwischen sehr populären «Schwedenkrimis». Sie sind politisch stark linkslastig und sozialkritisch in Bezug auf die schwedische Gesellschaft jener Epoche, was in den Texten auch deutlich durchschimmert (das eine oder andere hätte da vielleicht ein bisschen gekürzt werden können, aber na gut...). Zu den Autoren gibt es umfassende Informationen im Internet, Wahlöö ist leider schon lange tot. Gewisse wirtschaftliche und soziale Parallelen in den Romanen zu aktuellen Situtationen – selbst noch 40, 50 Jahre später – sind einigermaßen verblüffend und mitunter deprimierend ....
Gefallen tut mir bei diesen Büchern der erfrischend ironische Stil, mit der die Arbeit der Polizei geschildert wird. Man trifft auf etliche satirische Perlen und Absurditäten. Ähnlichkeiten zu tatsächlichen Vorkommnissen sind natürlich wie immer rein zufällig.... Wer allerdings bereits mal «in echt» Kontakt zur Polizei (oder zu anderen Behörden) gehabt hat, wird die detaillierte Beobachtungsgabe der Autoren vermutlich zu schätzen wissen...
Man sollte die Lektüre mit dem ersten Band «Rosannah» beginnen (selbst wenn jeder Band in sich abgeschlossen ist) und sich dann nach und nach voranarbeiten. In den Folgebänden wird manchmal auch auf vorherige Ereignisse Bezug genommen, mitunter bleibt auch mal ein Ermittler auf der Strecke und spielt dann nicht weiter mit. Außer als Leiche oder Erinnerung.
Hauptpersonen sind der depressive Kommissar Martin Beck aus Stockholm und seine Kollegen Kollberg, Larsson, der nervtötende Chef Malm etc. Auch manche bereits entlarvte und verurteilte Täter spielen in mehreren Bänden erneut mit.
Die Originale dieser Bücher wurden auf Schwedisch geschrieben, ich lese sie auf Französisch. Viel hängt beim Lesevergnügen ja von der Qualität der Übersetzung ab – wie gut oder schlecht die deutsche Version da gelungen ist, weiß ich nicht – ich kenne sie nicht. Die älteren Ausgaben waren hier etwas sehr hausbacken ausgefallen, wurden aber vor kurzem alle noch einmal überarbeitet, neu herausgegeben und das Ergebnis gefällt mir gut.
Kleine Stilprobe:
La direction de la police nationale exigeait que l'on «s'active». Cette expression signifiait que l'on devait immédiatement envoyer un peu partout des cars entiers de policiers vêtus de gilets pare-balles et de casques avec visière abaissable en plexiglas. Ainsi, bien sûr, que des tireurs d'élite équipés d'armes automatiques et de bombes lacrymogènes; le tout obligeamment prêté, comme d'habitude, par l'armée.
Pour Lennart Kollberg, par contre, «s'activer» voulait dire: parler aux gens.
(aus "L'assassin de l'agent de police")
Auf deutsch:
Die Direktion der Staatspolizei verlangte, dass man «tätig wurde». Diese Umschreibung bedeutete, dass sofort in so ziemlich alle Teile des Landes ganze Busladungen voller Polizisten entsandt werden mussten, die mit schusssicheren Westen und Schutzhelmen mit klappbaren Plexiglas-Visieren ausgestattet waren. Außerdem natürlich Scharfschützen mit automatischen Waffen und Tränengaspatronen – das Ganze wurde, wie üblich, zuvorkommend von der Armee zur Verfügung gestellt.
Für Lennart Kollberg bedeutete «tätig werden» allerdings : mit den Leuten sprechen.
RE: Sjöwall und Wahlöö
in Die schöne Welt der Bücher 16.01.2012 15:29von Patmöser • 1.121 Beiträge
Habe diesen Beitrag erst jetzt gelesen, schade...
Sjöwall und Wahlöö wurden, damals, auch fleißig in der DDR verlegt, vielleicht und gerade wegen der gesellschaftskritischen Tendenzen in diesen Romanen, denn oft war es mehr Roman als Krimi.
Die Ur-Schwedenkrimis, sozusagen, sind für mich immer noch, was Dramtik, Humor, Kritk an den Kapitalismus und Spannung angeht, die absolute Messlatte für die Nachkommenden, vor allem das Spätwerk von Sjöwall und Wahlöö ist heute aktueller denn je.
Die 10-Bändige Ausgabe dieser Kriminalromane umfasst folgende Bücher:
Die Tote im Götakanal
Der Mann, der sich in Luft auflöste
Der Mann auf dem Balkon
Endstation für neun
Alarm in Sköldgatan
Und die Großen lässt man laufen
Das Ekel aus Säffle
Verschlossen und verriegelt
Der Polizistenmörder
Die Terroristen
Rowohlt TB-V, im Schuber. Ich habe die Ausgabe bei Ebay schon für wenige Euro weggehen sehen, im Anitquariat allerdings wird es bedeutend teurer.
Man kann diese Bücher ruhig neben seinem Chandler stellen, sie haben es allemal verdient.
Und alle Welt rätselt weiter, warum ausgerechnet diese "Schwedenkrimis" immer und immer noch so erfolgreich sind...
Stieg Larsson kommt nun auf "amerikanisch" in die Kinos, gut, oder auch nicht gut, aber es wird viele Leser wieder "in die Bücher" von Stieg Larsson treiben, das allerdings ist dann wieder sehr gut.
RE: Sjöwall und Wahlöö
in Die schöne Welt der Bücher 17.01.2012 00:43von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Kurze Nebenbemerkung im Bereich des Themas: Ich habe mich ein einziges Mal an Chandler versucht. "Der tiefe Schlaf". Hat mir nicht viel gegeben. Gibt es bessere Werke von ihm?
Art & Vibration
RE: Sjöwall und Wahlöö
in Die schöne Welt der Bücher 17.01.2012 09:46von Patmöser • 1.121 Beiträge
Also ich würde "Der lange Abschied" als Chandlers Hauptwerk einstufen. Ist wohl auch sein vielschichtigster Roman. Seine vielen Kriminalkurzgeschichten liegen mir auch nicht so unbedingt. Ich las Chandler als sehr junger Bursche, heute nicht mehr und vielleicht war Chandlers Philip Marlowe gerade damals auch so etwas wie eine "Identifikationsfigur" für mich, zwischen all dem grauen Mief realsozialistischer Kleinbürgerlichkeit und diesem eklen Heil-Marx.
Pessoas:
"Die Literatur ist die angenehmste Art, das Leben zu ignorieren."
traf auf viele Menschen zu, Literatur war für viele so eine Art von geistiger Fluchtpunkt und Überlebensmanna.