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Viktor Jerofejew
in Die schöne Welt der Bücher 01.02.2012 21:52von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Viktor Jerofejew
Der gute Stalin
„Meine Eltern ließen mich nicht taufen. Meine Großmütter trugen mich nicht heimlich in die Kirche. Vom Christentum habe ich nichts mitbekommen. In der Sowjetunion wurde behauptet, es gebe keinen Tod. Sterben – das war wie unerlaubtes Entfernen von der Truppe.“
Zu den Herausgebern von „Metropol“ gehörten Viktor Jerofejew, Jewgeni Popow, der Satiriker Fasil Iskander, Andrej Bitow und Wassili Axjonow. Jerofejew hatte die Idee zur „Bombe“. Mit Axjonow und Popow war er befreundet, mit Bitow gleichfalls und ist es bis heute. Von allen, außer Iskander, habe ich schon etwas gelesen, so von Jerofejew „Der gute Stalin“, von Popow „Die Wunderschönheit des Lebens“, von Bitow alles (u. a. „Das Puschkinhaus“) und von Wassili Axjonow z. B. „Der rosa Eisberg oder Auf der Suche nach der Gattung“.
Eigentlich wollten die Schriftsteller nur einen literarischen Almanach herausgeben, der experimentelle Prosa und Lyrik verschiedenster, noch nicht bekannter Autoren aus dem Untergrund enthielt. Sie reichten dieses Machwerk beim Schriftstellerverband ein, mit dem Wissen, dass sie dafür „in die Fresse kriegen“ würden, dennoch gingen sie nicht von einem solchen Skandal aus, der daraufhin in Moskau losbrach. Kopien des Almanachs hatten sie zuvor durch einen französischen und amerikanischen Botschafter ins Ausland geschafft, wollten ihn aber in Russland veröffentlichen. Er enthielt Werke u. a. von Lipkin (Lyriker) oder Wyssotzki (Liedermacher). Man forderte sie auf, diesen „geistigen Unrat“ nicht im Ausland herauszubringen, Jerofejew und co riefen: „Dann bringen Sie ihn hier heraus!“
Natürlich war es nur eine Absicherung, das Manuskript ins Ausland zu schaffen, er sollte dort nicht veröffentlicht werden, doch gegen ihren Willen meldete sich ein Verleger, der „Metropol“ publik machte, und damit nahmen die Dinge ihren Lauf. Die Kritiken über "Metropol" lauteten überwiegend so:
… Hier werden im Überfluss präsentiert: literarische Geschmacklosigkeit und Hilflosigkeit, Mittelmaß und Banalität, nur leicht übertüncht mit primitivem „Absurdismus“ oder einer neu erstandenen Gottsuche…
Alle Herausgeber und Schriftsteller haben einen ganz unterschiedlichen Stil und wenden sich ihren Themen auch unterschiedlich zu. Bitow ist der Philosoph unter den Schreibern, Popow der Ideenmann, so hat er seinen Roman aus Zeitschriften, Artikeln und eigenen Texten zusammengestellt, durch die Jahr für Jahr vorangeschritten sich die Zeit in Russland zusammensetzt, das sowjetische Geschehen rekapituliert wird und daher auch wunderbar zur Geltung kommt, wie schwer es war, sich immer wieder daran erinnern zu müssen, die „Wunderschönheit des Lebens“ nicht aus den Augen zu verlieren. Die Kombination der Texte und Zeitungsausschnitte bringt eine erstaunliche Authentizität hervor und damit die gesamte Stimmung großartig herüber. Axjonows Bücher sind verspielt und linear, aber durchaus auch experimentierfreudig. So ist es in seinen Geschichten nicht verwunderlich, dass der Realismus mit der Fantasie Hand in Hand geht, auch Geister aufkreuzen oder andere Wunder geschehen.
Jerofejew, der ständig gegen den wunderbaren Autor der „Reise nach Petuschki“ ankämpfen muss, der zwar tot, aber eben auch ein russisches Idol ist, befasst sich gerne mit dem Skandal, schreibt provozierend und schonungslos. Er wuchs in unkomplizierten Verhältnissen auf, vergleicht seine Kindheit mit der Nabokovs, während er nun nicht adlig war, in seiner Familie jedoch das Gourmetessen aus dem berühmten Kochbuch der Stalinzeit „Über schmackhaftes und gesundes Essen“ keineswegs "wie eine Verhöhnung des sowjetischen Menschen“ wirkte.
Schon in den ersten Zeilen von "Der gute Stalin" spricht er davon, seinen Vater getötet zu haben. Wie das nun geschehen ist und was das genau bedeutet, darüber handelt der Roman. Autobiografisch beschreibt Jerofejew darin seinen eigenen Aufstieg und Fall, schreibt über seine Kindheit und Familie und endet mit einem sehr liebevollen Blick auf seinen Vater, der dennoch eine ganz andere Generation ist. Dieser schätzt Stalin und kennt unzählige Gelegenheiten, in denen er ihm menschlich, fast gütig erschienen ist. Das daraus einige Schwierigkeiten und Konflikte entstehen, ist vorhersehbar.
Am Anfang leitet Jerofejew schön ein:
Zitat von Jerofejew
„Eltern sind nicht entwickelte Negative. (…) Die Nabelschnur ist nicht durchschnitten – wir bestehen exakt in dem Maße aus ihnen, in dem wir sie nicht verstehen können. (…) Sie wollen sich einfach nicht in normale Menschen verwandeln und bleiben für immer eine Abfolge von Eindrücken nicht eindeutiger Herkunft, flüchtige Trugbilder, Vogelscheuchen gleich.
Es sind unantastbare Wesen. Unsere Urteile über sie sind hilflos, aus den Fingern gesogen, auf Voreingenommenheit aufgebaut, auf nicht ausgelebten kindlichen Ängsten, den Kampf zwischen Vollkommenheit und Realität, der Rechtfertigung des nicht zu Rechtfertigenden. Aber auch die Eltern sind hilflos vor unserem Urteil. Unsre beiderseitige Liebe gehört weder ihnen noch uns, sondern einem Instinkt, der sich wie im Schoß der Mutter auch im Schoß der Zivilisation verirrt hat.
(…) Die Eltern sind der Puffer zwischen uns und dem Tod.“
Sowohl Axjonow als auch Jerofejew haben berühmte Eltern. Axjonow ist der Sohn von Jewgenia Ginsburg, die mit ihrem Kind in der Verbannung lebte und über die Gulags und die Stalinverbrechen in „Marschroute des Lebens“ und „Gratwanderung“ schrieb. Jerofejew ist der Sohn von Wladimir Jerofejew, einem Dolmetscher, der für Stalin persönlich übersetzte und später sowjetischer Botschafter war. Während der russischen Bewegungen und Machtwechsel ändern sich die Ansichten. Wer war Stalin und wie denkt man heute über ihn? Für Jerofejew steht ganz klar fest, dass die Russen ihn immer noch mit zwei Gesichtern sehen, besonders als denjenigen, der Veränderungen und Fortschritt ermöglichte. Während sein Vater mit den wechselnden Umständen kämpft, muss sich Jerofejew durch die Herausgabe des Almanachs und seinen Weg als Schriftsteller auf andere Art mit dem Umständen auseinandersetzen.
Er erzählt über seine Kindheit und den Umzug nach Paris, als der Vater als Botschafter ins Ausland geschickt wird. Er beschreibt seine Enttäuschung über die „Felder“ der Champs-Elysees, die er nicht erblickt und Paris daher mit einer Lüge beginnt, als er seiner Mutter antwortet, er würde sie sehen, spricht von der Verwandlung seiner Eltern aus der Schwere russischer Tradition und Kleidung in junge, aufgeschlossene und leichte Pariser Schwerelosigkeit, vergleicht die russische Küche mit der französischen, die sich die Waage halten. Pelmeni und Schwarzbrot haben den Vorrang aus russischer Sicht, Pommes Frites, Steaks und gute rote Weine überwiegen auf französischer Seite. Überhaupt wird, so Jerofejew ironisch, in Paris nur gegessen. Als der Vater in Frankreich jedoch der Spionage bezichtigt wird, müssen die Jerofejews wieder zurück nach Moskau.
Als dann der Skandal um „Metropol“ ausbricht, muss sich Viktor Jerofejew mit ganz neuen "Gulag-Verhältnissen" auseinandersetzen. Er wird abgehört und bedroht, seine Freunde gleichfalls, damit sie ihm die Freundschaft kündigen. Sein Auto wird aufgebrochen. Man bezeichnet und diffamiert Axjonow und Jerofejew der Homosexualität. Kurz: es werden allerlei Mittel angewandt, um den Skandal aufzubauschen und die Betroffenen einzuschüchtern. Schließlich wird er sogar durch zwei KGB Agenten mitgenommen und in ein Zimmer gesperrt und verhört.
„Ich wurde nicht in Lagern durchgeprügelt oder bei einem Hungerstreik zwangsernährt. Aber in jenem Jahr begriff ich das Wesen der Gesellschaft, in der ich damals lebte, den moralischen Stoff der Menschen, die Niedrigkeit und Feigheit der einen und den Edelmut der anderen, wie ich es sonst im ganzen Leben nicht begriffen hätte.“
Daraufhin beginnen Repressionen gegen die Metropol-Autoren. Bücher, auch die, die bereits gedruckt sind, werden verboten. Aber am tragischsten und schlimmsten trifft es Jerofejews Vater, den Botschafter, dessen Freunde bereits nicht mehr anrufen und sich gegen ihn richten. Viktor Jerofejew beschreibt den inneren Konflikt emotional und voller Wärme, den er ausfechten musste. Verrat seiner Freunde und des Almanachs oder die Vernichtung des Vaters, den regierungstreuen Menschen. Mit einer herzzerreißend schönen Vater-Sohn-Szene wird ihm die Entscheidung erleichtert.
Als Popow und Jerofejew aus dem Schriftstellerverband geworfen werden, protestieren die anderen Almanach-Autoren. Bitow, Axjonow, Iskander, Lipkin, Lisnjanskaja, sogar Bella Achmadulina. Aus Amerika treffen weitere Proteste ein, darunter die von Vonnegut, Styron, Updike, Henri Miller und Albee. An diesem Punkt weiß Jerofejew, dass er trotzdem schreiben wird. Sowohl er als auch Popow werden nicht wieder aufgenommen, was die Herausgabe eigener Bücher oder das Ansehen als Schriftsteller in Russland so gut wie unmöglich macht. Fast alle mussten darunter leiden. Erst mit dem Einsetzen der Perestroika erschienen ihre Bücher wieder. Jerofejew hat es gleichfalls geschafft, ohne das Land verlassen zu müssen. Sein erstes Buch, "Die Moskauer Schönheit", ist ein eigenwillig spannend geschriebener Blick einer Frau, die sich inmitten der morbiden sowjetischen Welt zurechtfinden muss.
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RE: Viktor Jerofejew
in Die schöne Welt der Bücher 02.02.2012 09:16von Patmöser • 1.121 Beiträge
Danke für die Rezi, liebes Taxinchen,
und so entdeckt man immer wieder feine Edelsteine der russischen Literatur. Jewtuschenko war für mich ebenso ein Glücksfall, damals, wie nun Jerofjew und Dowlatow. Das Buch ist bestellt und mein, sowieso schon immer masochistisch veranlagtes Portemonnaie, das legt nun wieder sein Zwiebelleder in sorgenvolle Falten...
Wo nehmt ihr nur die vielen güldenen Talerchen für eure Bücher her? Oder habt ihr einen heißen Draht zu den liebreizenden Feen geheimnisvoll mystischer Bücherwelten?
RE: Viktor Jerofejew
in Die schöne Welt der Bücher 02.02.2012 15:00von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Patmos
Wo nehmt ihr nur die vielen güldenen Talerchen für eure Bücher her? Oder habt ihr einen heißen Draht zu den liebreizenden Feen geheimnisvoll mystischer Bücherwelten?
Eine lang erprobte Auswahl und Frequentierung verschiedenster (zuhauf virtueller) Antiquariate erleichtert sowohl die Buchsuche als es auch den Geldbeutel viel weniger belastet.
Und wenn wir schon dabei sind, bei den guten Russen, Patmos: Der andere Jerofejew - Wenedikt Jerofejew "Die Reise nach Petuschki" - lohnt sich auch. Dieses Buch ist ein Highlight aus Gedanken, menschlichen Verwirrungen und Abgründen, aus Reise durch Russland (die womöglich gar nicht stattfindet) und Suff. Ein wunderbar urkomisches Lieblingswerk von mir. Zusammenhänge, Auszüge und Orte der Handlung findest du hier .
(Die Fortsetzung dieser Unterhaltung wurde verschoben in den "Wenedikt Jerofejew" - Ordner.)
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