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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Ein Kommissar tritt ab

in Prosa 04.12.2011 15:23
von Martinus • 3.195 Beiträge

Ein Kommissar tritt ab
nix für schwache Nerven

Nein danke, murmelte er, keinen Tag länger, und drehte sich eine Gouloises. Habe genug Scheiße gesehen: das Sterben auf der Straße, blutverschmierte Nutten usw. Ich will ja nicht behaupten, dass ich meinen Job nicht gern getan habe. Habe die Schnauze voll. Das ist alles. - Im grellen Neolicht kräuselte der Rauch zur Decke. Kerzenlicht macht nur noch einsamer, darum verzichtet er darauf.

Vor einem Jahr hat mich meine Frau verlassen. Im Licht des Adventskranzes machten wir auf dem Teppich herum und ja, es war kurz vorm Orgasmus, vor meinem, da klingelte das Telefon. - Ich muss mal kurz unterbrechen. Da gibt es sicher wieder eine Leiche. - Du kannst doch nicht, schrie meine Frau, mach weiter! - Entschuldige, die Pflicht ruft, erwiderte ich trocken. - Sie schrie herum, ich elender Scheißkerl und so was. Ich nahm schon den Hörer: Hier Gruber, ahh, Mutti, ja, ich wünsche dir auch einen schönen Advent. Schreibst du schon Weihnachtskarten? - Unterdessen hörte ich Porzellan klirren, eine Blumenvase hat wohl dran glauben müssen. Meine Mutter regte sich über den Krach auf - Ach , das sind Nachbarn, ja, kann auch nichts dafür. - Dazu muss ich noch vermerken, meine Mutter redet am Telefon sehr lange und findet kein Schluss. Im Hintergrund hörte ich Türenschlagen, das eine oder andere Schimpfwort und dann war es irgendwann totenstill. Nur meine Mutter hörte ich noch. Schließlich sagte ich: Mutti, hast du den Adventskranz im Auge? Ich möchte nicht, dass deine Bude...ich meine deine Wohnung soll nicht abbrennen. - Das war meine Rettung. Ich legte den Telefonhörer auf. Ich war allein. Meine Frau weg. Die Kerzen brannten. - Sie hat es nicht leicht gehabt mit mir. Nackt und allein stand ich in der Wohnung.

Das Zimmer schon hoffnungslos verqualmt. Vielleicht sollte ich mal Lüften, ein Zigarettenstummel landete wieder im Aschenbecher. Habe natürlich gehofft, heute würde niemand umgebracht, ich könnte weiterqualmen und so. Falsch! Rief heute eine ältere Frau an und stammelte aufgeregt, aus ihrem Müllcontainer rage das Bein eines Mannes heraus. Verflucht! Bin natürlich hingefahren. Viele Hausbewohner standen herum, als wir die Leiche im Müll betrachteten. Wenn man vom Gestank verfaulter Lebensmittelreste und dem Dreck an seiner Kleidung absah, gab er ein gepflegtes Erscheinungsbild ab: dunkelblauer Anzug, wahrscheinlich maßgeschneidert, schwarze Schuhe, die immer noch glänzten. Occipital waren seine Haare blutig, um den Hals ein Strick. Wie soll ein Selbstmörder sich einen Strick um den Hals zurren und dann in eine Mülltonne steigen, fragte ich mich. Also kein Selbstmörder. Ein schneller Tod. Habe ich mir auch immer gewünscht, so einen glatten Übergang ins Nichts. Wo ist Doktor Boerne? Spuren wurden gesichert, einer lief mit der Kamera herum, zwei Polizisten verscheuchten Gaffer. Ich konnte mich nie an den Anblick von Leichen gewöhnen. Einmal werde auch irgendwo rumliegen, besoffen unter dem Weihnachtsbaum oder so. Wie im letztem Jahr wird mich meine Mutter wieder zum Plätzchenaufessen einladen. Was für eine Perspektive.

Das ist unser Hausmeister, jammerte Frau Lohse, heute früh hat mich seine Bohrmaschine wieder einmal aus dem Schlaf gerissen, keuchte sie noch aufgeregt. - Woher wollen sie wissen, dass das die Bohrmaschine vom Hausmeister war, die sie gehört haben? Die Lohse: Ach, sie sind es, Herr Gruber. Was machen sie denn hier? - Ich ermittele, was denn sonst? - Ich habe gar nicht gewusst, dass ein Wachtmeister über mir wohnt. - Dieses Geschwafel nervte, weil ich soviel Dummheit auf einmal begegnen musste. - Werte Frau Lohse, erstens wohnt kein Wachtmeister über ihnen und zweitens muss ich halt irgendwo wohnen. Übrigens machen sie sich verdächtig. Sie wollten den Hausmeister loswerden, weil er dauernd mit seiner Bohrmaschine rumgebohrt hat. Sie haben bereits zugegeben, dass sie oft aus dem Schlaf gerissen wurden. Das ist ein Mordmotiv. - Die alte Frau Lohse wurde nun giftig, weiß nicht warum, schließlich machte ich nur nur Routinearbeit. - Wie können sie es wagen, mich, eine alte schwache Frau, des Mordes zu bezichtigen. Sie sind ein schlechter Polizist. - Kommissar, Frau Lohse, Kommissar, und reißen sie sich bitte zusammen, damit sie sich nicht in Versuchung geraten, sich einer Beamtenbeleidigung schuldig zu machen. Das wird teuer. - Warum Frau Lohse jetzt noch lauter wurde, obwohl ich sie doch nur über juristische Folgen aufgeklärt hatte, war mir ein Rätsel. - So eine Frechheit ist mir noch nie untergekommen, und die Lohse fing zu heulen an. Sie behaupten, ich hätte sie beleidigt, und dann soll ich den Hausmeister umgebracht haben, obwohl ich so einen Mann gar nicht über das Fensterbrett heben kann. - Ahh, Frau Lohse, woher wollen sie wissen, dass er über das Fensterbrett gehoben wurde? Sie tun so, als wären sie dabei gewesen. Wenn sie vielleicht auch nicht der Haupttäter sind, so haben sie sich trotzdem mitschuldig gemacht, weil sie einfach zuschauen, wenn jemand umgebracht wird. Zumindest hätten sie die Polizei verständigen müssen. - Ich habe sie doch angerufen, empörte sich Frau Lohse, mit dem Mord aber habe ich nichts zu tun.

Die Zigarette war zu einem Stummel geschrumpft, kurze dicke Finger zerdrückten ihn in die restlichen Kippen eines Arbeitstages. Die Finger so geschwärzt und stinkend, dass seine Nase rümpfte. Der Kommissar ging zum Waschbecken. Draußen war es schon dunkel, Autos rauschten vorbei. Die Lohse, ja, die Lohse. Das wärs gewesen, ihr den Mord anzuhängen. Utopisch, selbst ich hatte Mühen, den Dreckskerl über die Fensterbank zu hieven. Er schaltete das Radio an. Adventsmusik schrillte durch das Büro. Der Regler war voll aufgedreht. Gibt's da nichts anderes?, murmelte er vor sich hin und drehte am Regler. Dann schaltete er genervt das Ding wieder aus. Es war wieder still im Kommissariat. Still und einsam. So einsam wie damals am zweiten Advent, als er nackt in der Wohnung stand, seine Frau für immer verschwunden war. In seinem Geiste war nun der Adventskranz auf dem Wohnzimmertisch. Wozu der jetzt noch? fragte er sich damals. Und jetzt, der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Nackte Angst. Boerne, der Hund, wird in allen Wohnungen herumschnüffeln, die Spusi alle Zimmer durchwühlen, aus denen der Hausmeister hinuntergestürzt sein könnte. Bei der Lohse werden sie nichts finden, und dann kommen sie in meine Wohnung. Vielleicht haben die das Zimmer schon abgegrast und sind auf dem Weg hierher. Als ich am späten Nachmittag den Boerne zum Tatort kommen sah, verließ ich unauffällig den Ort des Verbrechens, überließ ihm die Drecksarbeit und schaltete mein Handy aus.

Ich wartete. Der Klöbel, das ist der Hausmeister, wollte ausgerechnet an diesem Sonntag mit mir sprechen. Wahrscheinlich ging es um die eine Wand, die morgen in meiner Wohnung herausgerissen werden sollte. Bin mir aber nicht sicher. Ich wartete also. Den Wassereimer hatte ich bereitgestellt. Es klingelte. Ich öffnete und sah in ein breites Grinsen. - Guten Tag, Herr Gruber, darf ich..? und trat einen Schritt nach vorn. Ich halt es nicht mehr aus, diese scheiß Freundlichkeit. Diese Drecksau. - Ja, bitte.

Herr Klöbel trat ein und bekam eine Ladung kochend heißes Wasser über den Kopf. Er stürzte, der Strick zog sich immer fester in seinem Hals. Ein letztes Mal sah ich in die widerliche rote Fratze, zerrte ihn über den Fußboden, stolperte über irgendetwas, riss ihn wütend über die Fensterbank, er fiel schon runter, es ruckte, weil ich den Strick mit beiden Händen hielt. Einen kurzen Moment baumelte er, dann ließ ich ihn fallen, gierte den Sturz des Abschaums nach. Ich fieberte ekstatisch und zappelte herum. Ich war so glücklich, als ob ich in der Lotterie gewonnen hätte.

Eine frisch angezündete Zigarette zitterte. Da tut man also seine Arbeit, ist freundlich und hilfsbereit, und dann bringt man jemanden um. Boerne oder irgendwelche Scheißbullen werden hier gleich auftauchen. Sollen sie doch. Er nahm seinen Mantel und verließ das Revier. Da war ein Fenster mit blinkenden Sternen. Er schlug mit der Faust ins Glas. Hey, was machst du da? hörte er hinter sich, drehte sich um und schoss ihn über den Haufen, stieg in seinen Wagen und drückte mit Wucht aufs Gaspedal. Die Ampel war rot, die widerliche rote Fratze, eiskalt die Stirn, die Fratze blendete weißglühend auf, prallte gegen das Lenkrad, sein Gesicht zertrümmert, blutrot, der Schmerz verblich.

Die Polizei hatte der Frau Lohse gesagt, es sei wirklich nicht nötig, dass sie ihre Aussage zu Protokoll gebe, schließlich sei der Herr Gruber aufgrund der DNA – Spuren eindeutig überführt. Das versuchten die Beamten ihr klar zu machen. Doch die ältere Dame, sah das nicht ein, erschien einige Tage später auf dem Kommissariat , und bestand darauf, dass sie ernst genommen werde, schließlich waren ihre Ohren Zeuge eines Mordes gewesen, und Herrn Gruber, der so unfreundlich zu ihr gewesen war, dem wollte sie noch eins auswischen. Aufgrund ihrer Hartnäckigkeit ist es der Frau Lohse gelungen, doch noch in die Polizeiakten zu gelangen. Der ungefähre Todeszeitpunkt, den der Rechtsmediziner Boerne festgestellt hatte, wurde durch ihre die Aussage bestätigt, worauf sie sehr stolz gewesen war.

Nachdem an jenem Nachmittag, als das Verbrechen geschah, Frau Lohse wegen lautem Gerumpel aus der Wohnung über ihr aus dem Mittagsschlaf gerissen worden war, der sich schon bis in die späten Nachmittagsstunden hingezogen hatte - denn es dämmerte schon - , dachte Frau Lohse, das sind wieder Handwerker. "Da kann man doch kein Auge zumachen!“ schimpfte sie "aber die machen Krach wann se Lust haben.“ Sie ging zum Spiegel und fuhr mit der Bürste durchs Haar. Im Spiegel das schmutzige Geschirr, der Tisch mit den Gemüsekonserven. Nach dem Kämmen bemerkte sie, dass ihr Mülleimer schon wieder überquoll, beugte sich und zog den Müllbeutel heraus. Gerade in diesem Moment, als Frau Lohse mit dem Müllbeutel beschäftigt war, so vermutete die Polizei, riss dem Herrn Klöbel sein Genick auseinander und baumelte vor Frau Lohses Fenster, dieser Anblick der guten Frau erspart geblieben war. Mit dem Müllbeutel in der Hand, öffnete Frau Lohse die Tür und ging die Treppe hinunter.

Jahrelang noch kursierten die Geschehnisse um Frau Lohses Zusammenarbeit mit der Polizei in dem Stadtviertel herum, auch als sie schon längst verstorben war. Irgendwann wusste man nicht mehr, ob die Frau Lohse nun den Klöbel habe baumeln sehen oder nicht. Nur darin war man sich einig, es geschah an einem zweiten Advent.

mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 04.12.2011 19:56 | nach oben springen

#2

RE: Ein Kommissar tritt ab

in Prosa 06.12.2011 15:30
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Ein überaus lustig melodramatisches Werk von dir, das mir gefallen hat. Zwischennuancen wie das Kerzenlicht, das einsam macht, oder das gepflegte Erscheinungsbild des Toten in der Mülltonne, setzen gute Akzente. Vor allen Dingen wird man durch die Schnoddrigkeit deines Protagonisten immer weiter vorangetrieben und möchte wissen, was ihm nun wieder einfällt oder was er erlebt. Daraus könnte fast ein ganzer Roman werden, in diesem Stil.

Nur auf Kleinigkeiten musst du noch achten, einige Flüchtigkeitsfehler. Darunter z. B.:

Im grellen Neolicht - Neonlicht

Dazu muss ich noch vermerken, meine Mutter redet am Telefon sehr lange und findet kein Schluss - keinen Schluss

vielleicht sollte ich mal Lüften - lüften

Einmal werde auch irgendwo rumliegen, besoffen unter dem Weihnachtsbaum oder so. - da muss ein "ich" dazwischen

Die alte Frau Lohse wurde nun giftig, weiß nicht warum, schließlich machte ich nur nur Routinearbeit - ein "nur" weniger am Ende

...und reißen sie sich bitte zusammen, damit sie sich nicht in Versuchung geraten - das "sich" am Ende weg

...dass seine Nase rümpfte - dass er die Nase rümpfte

...selbst ich hatte Mühen - Mühe?

...der Strick zog sich immer fester in seinem Hals. - besser: um seinen Hals oder "... der Strick schnitt immer tiefer in seinen Hals..."

schließlich waren ihre Ohren Zeuge eines Mordes gewesen - die Ohren als Zeuge? (Du nutzt ansonsten nicht solche Bilder, daher würde ich auch hier den Zeugen einfach sie selbst sein lassen... )

... als Frau Lohse mit dem Müllbeutel beschäftigt war, so vermutete die Polizei, riss dem Herrn Klöbel sein Genick auseinander und baumelte vor Frau Lohses Fenster, dieser Anblick der guten Frau erspart geblieben war. - Hier würde ich lieber zwei Sätze formulieren. Der Anblick blieb der guten Frau wohl doch erspart. - oder so ähnlich.


Ich würde an deiner Stelle die ganze Erzählung noch einmal genau durchsehen, überarbeiten und auch einige Kommas überprüfen. Der Ton aber ist herrlich. Von der Art "Text" würde ich gerne mehr lesen.

Liebe Grüße
Taxine




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 06.12.2011 15:33 | nach oben springen

#3

RE: Ein Kommissar tritt ab

in Prosa 06.12.2011 16:05
von Martinus • 3.195 Beiträge

Hallo Taxine,

das ist echt meine Krankheit, die Angelegenheit mit den Flüchtigkeitsfehlern, und ich weiß nicht recht, was ich machen soll. Offiziell gelte ich nicht als Analphabetiker. Warscheinlich ist eher meine Konzentration defektiös. Da lese ich das fünf und sechsmal durch, und dann findet man immer noch was. Schlimm. Das ist eine Katastrophe. Danke für den Hirnstupser. Heute habe ich angefangen, einen neuen Text zu korrigieren. ich denke, bis zum Wochenende nehme ich mir Zeit dafür. Korrekturen dauern sowieso länger, als so eine Geschichte zu erfinden.
Freut mich, dadd uihnen die Schnoddrigkeit des Protagonisten gefallen hat, obwohl so ein Krimi im Forum ja ein Risiko war, weil Sui keine Krimis angucken, warscheinlich auch nicht lesen. Die Urversion der story stammt aus dem Jahr 1993. Ich habe sie quasi aufgepeppelt (mit immer noch doofen Fehlern).

Liebe Grüße
mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
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#4

RE: Ein Kommissar tritt ab

in Prosa 11.12.2011 18:16
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Ach was, werter Martinus. Keine Krankheit, eher ganz normal. Bei anderen sieht man die Fehler, bei sich selbst überfliegt man sie, da man den Text ja schon kennt und eigentlich, selbst wenn man will, gar nicht richtig liest. Das kenne ich irgendwoher. Bin auch immer dankbar, wenn andere da bessere Augen haben...




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 11.12.2011 18:17 | nach oben springen


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