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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Das offene Kunstwerk

in An der Kunst orientierte Gedanken 16.08.2007 15:36
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Ja, wie denn nun, soll man ihm eine Richtung geben, den Betrachter/Leser anstoßen, um die Kugel des Verständnisses rollen zu lassen, oder muss man offen lassen, gar nicht erst voraussetzen, dass ein Verständnis möglich ist?


Zitat von
Schreiben, das heißt, den Sinn der Welt erschüttern, eine indirekte Frage stellen, auf die zu antworten der Schriftsteller sich in einer letzten Unentschiedenheit versagt.

(Eco - Das offene Kunstwerk)

Das Gleiche gilt sicherlich für den Künstler/Musiker/Komponisten.

Offen lassen, was den Unbedarften in die Diskussion treibt, dass hier dann auch kein Sinn hinter allem Schaffen liegt.
Doch, wo kein Sinn für Abstraktionen herrscht, findet sich auch kein Verständnis für das Kunstwerk selbst.
Wer will denn schon immer geführt werden?
Sich selbst und sein eigenes Wissen wiedererkennen, wo es doch sinnvoller wäre, auf Widersprüche zu stoßen?

Das Werk darf andeuten, jedoch nicht in Formen pressen.


Wer darauf besteht, dem Werk eine eigene Aussage zu vermitteln, sollte sich immer bewusst machen, dass es unmöglich ist, ein Kunstwerk in der "einzig richtigen Weise" zu sehen, denn jeder Betrachter, auch wenn er noch so sehr gelenkt wird, sieht mit seinem eigenen Gedankengut.
Nur bleibt dann natürlich nicht viel Spielraum. Und das ist schade.




Art & Vibration
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#2

RE: Das offene Kunstwerk

in An der Kunst orientierte Gedanken 16.08.2007 15:50
von Ferro
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Jetzt vertiefen wir wohl, was TaxinA?

Beinhaltet denn nicht schon alleine das Erschaffen eines Kunstwerkes die indirekte Frage?

Wer mit einer Idee an ein Werk geht, stellt sie sich zuerst selbst und baut sie dann aus. Am Ende überreicht er eine in sich geschlossene Ansicht seiner selbst.
Ein aufdringliches Werk ist dann also eines, in welchem eine direkte Frage gestellt wird. Nur, ist das so verkehrt?
Schlimm finde ich es nur, wenn die Frage auch noch eigenständig beantwortet wird.



Grüße mit Begeisterung
Ferro

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#3

RE: Das offene Kunstwerk

in An der Kunst orientierte Gedanken 16.08.2007 15:50
von Taxine
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Werter Ferro, ja wir vertiefen, denn dieser Gedanke spukt schon eine ganze Weile in meinen Gehirnwindungen.

Ich würde mich nicht so auf dieses Fragespiel festlegen wollen, denn die Frage sollte für mich nicht offensichtlich gestellt werden. Nur eine indirekte bewegt mich auch zu einer längeren Überlegung und ermöglicht ebenso viele Antworten mit mehr Zeitspielraum.
Eine direkt gestellte Frage erfordert meistens eine direkte Antwort, was den ganzen Denkrhythmus irgendwie zunichte macht. Man überlegt, antwortet und vergisst wieder.


Begeisterte Grüße zurück
Taxine

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#4

RE: Das offene Kunstwerk

in An der Kunst orientierte Gedanken 16.08.2007 15:51
von Jo
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Hallo miteinand...

ich finde, die Reaktion des Betrachters muss in der Hand des Künstlers liegen, er sollte also nicht den Faden verlieren. Vielleicht nicht offensichtlich gesteuert, aber unbedingt gesteuert. Er sollte also niemals alleine dem Betrachter die Kontrolle überlassen, sondern sachte lenken.

Es grüßt
Jo

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#5

RE: Das offene Kunstwerk

in An der Kunst orientierte Gedanken 16.08.2007 15:53
von Taxine
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So oder so, egal wie "offen" ein Kunstwerk sein mag, bleibt der "Ursprung" immer in der Hand des Künstlers. Der Betrachter fasst ja selbst alleine auf, wenn er gelenkt wird. Das Kunstwerk muss am besten so viele Möglichkeiten bieten, dass es nicht sofort erfassbar ist in seiner ganzen Atmosphäre und Vieldeutigkeit.

Offenes Werk - immer wieder die Überlegung.
Ovid schrieb, Kunst bestehe darin, dass man sie nicht bemerke, Engels meinte: Je verborgener die Ansichten eines Autors, um so besser ist es für die Kunst., und Goehte sagte dazu, dass ein Kunstwerk um so höher stehe, je weniger es einer Beurteilung zugänglich sei.
Das ist wohl das, was der Künstler anstreben muss.
Der Wert des Kunstwerkes liegt nicht darin, ob es gerade in seiner Zeit ankommt, denn es ist immer nur Umstand und Laune, warum Menschen auf einmal bestimmten Richtungen in Kunst und Literatur zugeneigt sind (Zeitgeist). Auch hier bestätigt sich wieder:
Der Erkennende bevorzugt das Erkennende.
Das wahre Werk aber überdauert seine Zeit oder verschwindet ungesehen. Die Schnelligkeit des menschlichen Denkens, dieses "immer mehr Abstumpfen" verhindert wohl so manche Geburt schöner Werke. Das ist sehr schade.

Auch für mein Werk gilt:
Ich setze beim Leser genügend Phantasie voraus, um sich frei zu entfalten. Wer geleitet werden will, wird in meinem Texten nichts finden.
Ich selbst bevorzuge in der Literatur nicht das, was mich bestätigt, sondern das, was mich überrascht, mich in Widersprüche treibt.
Genauer:
Meine Texte sind vielschichtig, vielleicht erst erfassbar, wenn man sich richtig damit auseinander gesetzt hat.

Ich weiß, dass der Anspruch an den Leser sehr gewagt ist. Für mich war es ein Puzzle, das ich mir langsam zusammengesetzt habe, um dieses "offene Werk" zu verdeutlichen, ohne die "Zügel" völlig aus der Hand zu geben.
Wenn der Leser hier nicht erfassen kann, mag der jeweilige Text schlecht sein, doch trotzdem schreibe ich in erster Linie, um etwas auszusagen, ohne es "schwarz auf weiß" vor Augen zu führen.

Ich kann nur immer wieder darauf hinweisen, wie ich lese und was ich gerne lese. Nichts, was mich bestätigt oder in eine Richtung führt, sondern das freie, offene, dass, wenn ich ein Buch zuschlage, mich immernoch zum Denken bewegt, nach Lösungen suchen lässt, so irritert hat, dass ich erst einmal nicht loslassen kann, bis ich einen Weg zu einer Erklärung gefunden habe.

So möchte ich schreiben. So schreibe ich. Anpassung an irgendwelche Normen und Riten ist mir kein Anspruch.


Thoreau hat es mal so formuliert:

Zitat von
Die Werke der großen Dichter wurden noch nicht von der Menschheit gelesen – nur die großen Dichter vermögen sie zu lesen. Die Massen jedoch lesen sie, als würden sie aus den Sternen lesen – im besten Falle wie Astrologen und nicht wie Astronomen. Der Mehrzahl der Leute bringt man das Lesen nur zu ihrer Bequemlichkeit bei, als würde man ihnen das Rechnen beibringen, damit sie ihre Ausgabe überprüfen können, um so nicht übervorteilt zu werden. Aber vom Lesen als edle geistige Übung haben sie fast keine Ahnung, und außerdem ist nur eines Lesen im höchsten Sinne des Wortes – nämlich nicht das, was uns süß in den Schlaf wiegt, indem es unsere erhabensten Gefühle einschläfert, sondern das, dem man sich auf Zehenspitzen nähern muss, das, dem wir unsere besten Stunden des Wachseins widmen.

Ich finde, darin spiegelt sich einiges über das Lesen und vor allen Dingen die Auffassung des Lesers. Der Künstler darf und kann also während er schafft keine Rücksicht auf die Auffassungsgabe anderer Menschen nehmen, denn dann würde er sich selbst einschränken und behindern und sein Werk nicht aufrichtig in die Welt lassen. Aber, man darf die Menschen auch nicht für so stumpfsinnig halten, dass man sie bis in die kleinsten Ecken führen muss. Nur das eigene Verstehenwollen birgt auch ein Verständnis. Und, wo niemand völlig begreifen kann, sich nur selbst wiedererkennt und vielleicht noch ein bisschen Sicht des Künstlers, ist damit schon einiges erreicht.

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#6

RE: Das offene Kunstwerk

in An der Kunst orientierte Gedanken 16.08.2007 15:55
von Taxine
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Absolut genial hier auch wieder Tarkowskij, der das offene Kunstwerk, das nicht belehren darf, mit den Worten Gogols eröffnet:
... predigend zu belehren ist nicht meine Sache. Kunst ist ohnedies schon Belehrung. Meine Sache ist es, in lebendigen Bildern zu sprechen, nicht etwa in Urteilen. Ich muss das Leben als solches gestalten und darf das Leben nicht etwa abhandeln.

Und Tarkowsikj dazu:
Zitat von
Wer aber sagt eigentlich, der Künstler sei klüger als derjenige, der da im Saal sitzt oder ein aufgeschlagendes Buch in den Händen hält? Nur denkt der Dichter eben in Bildern und kann im Unterschied zu seinem Leser seine Weltsicht mit Hilfe dieser Bilder organisieren. Sollte es denn immer noch nicht klar sein, dass die Kunst niemanden etwas beizubringen vermag, wo der Menschheit doch in viertausend Jahren nichts beizubringen war?
zuletzt bearbeitet 08.12.2007 00:50 | nach oben springen


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