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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Die Legende von der Äbtissin Anja

in Prosa 25.09.2012 17:54
von Martinus • 3.195 Beiträge

Die Legende von der Äbtissin Anja
Teil I. Die jungen Jahre


Dein Hintern erhitzt den Barhocker. Der Lack ist locker aufgeplatzt. Die Jeansnaht am Gesäß angesengt, als ob jemand dort Zigarettenkippen ausgedrückt hätte. Der Reißverschluss glüht. Du brauchst nur aufstehen, und der angekokelte Slip fällt in hundert Teilen zerbröselt an der Innenseite des Hosenbeins hinunter. Die Reinemachefrau wird erst vormittags fegen. Du bleibst aber sitzen bis der Barhocker durchgebrannt ist, wärmst deine Brüste unter dem Pulli und trinkst noch einen Tequila. Männer labern dich an, kommen ins Schwitzen. Du lässt sie abblitzen. Deine Hitze vertragen sie sowieso nicht. Eine Salmonelle ist schon mal draufgegangen, weil in deinem Magen Schnaps schwappte. Weil du dir verrückterweise einbildest, alle Männer sind gleich, würdest du ihnen gerne Feuer unter ihren Hintern bereiten, doch bist du keine Pyromanin. Du verstehst nicht, warum du nicht in Ruhe gelassen wirst. Andere werden doch in Ruhe gelassen. Der Wirt allerdings pflegt seine Unruhe, denn jeden Abend geht ein Bierhocker in Flammen auf. Dein Po brennt schlimmer als Weinbrand. Du willst nur den Durst löschen, schon kommt einer angedackelt. Siedendheiß fahren sie auf dich ab, weil sie sagen, du bist siedendheiß. In der Hitze verkohlt ihr Machohirn. Bisher hast du jedem eine Abfuhr erteilt, so dass sie, falls ihr Verstand funktioniert hätte, selbst darauf gekommen wären, dass ihnen eine Abfuhr an die Brust fegen wird. Sie sind mit einen engstirnigen Tunnelblick beschlagen, der jede Weitsichtigkeit ist niederknebelt. So sind Machos gestrickt, aber keine Männer. Halbe Machos, würden gerne so gestrickt sein, weil sie von der TV-Werbung beeinflusst werden, sind aber viel zu schüchtern oder wollen nicht unangenehm auffallen oder haben eine Eifersüchtige im Nacken. Bei den meisten Männern wird das Problem sowieso vom Über-Ich geregelt.

Anja, ich bin besorgt, weil du alle Männer abweist, wenn sie nur den Mund aufmachen. Woher willst du wissen, ob nicht vielleicht einer darunter ist, der nur reden will, weil er einen scheiß Tag gehabt hat, oder der mehr will als einen Schnelldurchlauf? Vielleicht ist er nur verknallt und springt wegen deiner Grobheit aus dem Fenster. Niemals wirst du einen Mann finden, wenn du sie mit engstirnigem Tunnelblick nur auf ihre kurzweiligen Nöte plattstampfst. Dein Vater aber will doch Enkelkinder. Bisher habe ich mich dir niemals zeigen wollen, weil du mich in deiner Schmalsichtigkeit in diese „Männer-sind-halt-so“-Schublade stecken würdest, obwohl ich kein Mann bin. Eine Frau auch nicht. Aber das verstehst du nicht. Es wird Zeit, dass ich mit dem Monologisieren pausiere, und du meine Bekanntschaft machst.

Ich betrete die Kneipe und setze mich neben ihr. Die Temperatur steigt, ich aber bleibe cool.

„Hallo Anja.“ Entsetzt dreht sie sich zur Seite. „Woher kennen sie meinen Namen?“ - „Ich bin dein Schutzengel.“ Anjas Mund klappt verwundert auf. „Verschwinden sie bloß, dumme Anmache, was?“ Geringfügiges Zucken meiner Wenigkeit. „Ich bin ein neutralgeschlechtlicher Engel und dir zum Schutz befohlen, seitdem du kamst aus Mutters Schoß und erblicktest diese Welt. Ich bin gekommen, dir mitzuteilen, du hast einen Wunsch frei. Du kannst dir wünschen, was du willst. Allerdings habe ich nicht die Hoffnung aufgegeben, dass du dir einen anständigen Mann wünschst, der nicht nur an das eine denkt, der deinen Vater viele Enkelkinder schenkt und mit dir gemeinsam verrenkt durchs Leben zieht. Ich meine, so wohlgelenkig ist das Leben ja nicht immer, aber du sollst überdurchschnittlich glücklich an der Seite deines Mannes leben können.“ - „Ha,ha,“, lacht Anja, „ rede nicht so geschwollen rum, Mann. “ - „Anja, ich bin kein...“ aber sie selbstbewusst ihren Gedanken zu Ende bringt „...Ich wünsche mir gar nichts.“ Die Lage meiner Gesichtsfalten passen sich dem Verblüffungsmoment an: „Aber jeder Mensch wünscht sich doch was! Ich glaube nicht, dass du wunschlos bist.“ - „Das musst ausgerechnet du sagen,“ neckt Anja, „wenn du ein Engel bist, dürfte dir Petrus bekannt vorkommen. Der hat, nachdem er Jesus zum ersten Mal getroffen hat, seine Angelrute für immer über Bord geschmissen und ist nur ihm gefolgt, wünschte sich keine vollen Fischernetze mehr und machte es den Vögeln gleich, die sich nicht Sorgen machen um das, was sie morgen essen sollen, auch keine Regenwurmvorräte bunkern, trotzdem niemals verhungern und ohne besonderen Grund am Himmel glücklich ihre Kreise ziehen.“ - „Du bist sehr klug, Anja.“ - Übrigens“, fährt sie fort, „bin ich froh, weil du nicht das Übliche von mir willst.“ - „Ich bin kein Mann. Das musst du doch endlich verstanden haben. Allerdings, du bist sowieso sonderbar. Niemals bin ich einem Menschen begegnet, der wunschlos glücklich ist, darum bleibt mein Angebot bestehen. Einen Wunsch hast du frei.“ - „Ich wünsche mir wirklich nichts. Das habe ich doch schon mal gesagt“, betont Anja, „ich möchte nur von jedem in Ruhe gelassen werden, besonders von eingleisigen Langweilern.“ - „Der Wunsch sei dir erfüllt, Anja“, sage ich und verschwinde mit dem Gedanken, mich nicht mehr in ihr Leben einzumischen.

Weil ich zum Schutz eines anderen Menschenwesens berufen wurde, habe ich ihr Leben nur noch für eine kurze Zeit verfolgen können. Aufgrund ihres Wunsches, von jedem in Ruhe gelassen zu werden, wurde sie niemals mehr unangenehm belästigt, bekam nicht mal höfliche Komplimente. Von allen Menschen ignoriert, vereinsamte sie, mochte sich nicht mehr im Spiegel anschauen, wollte fliehen vor sich selbst. Schließlich wanderte sie aus. Auf Umwegen erreichte sie den indischen Ozean. Ein letztes Mal sah ich Anja an der Hafenmole von Port Louis.

Inzwischen sind viele Menschenjahre vergangen. Eines Tages kam Engel Reinhardt zu mir und sprach über eine mir unbekannte Nonne, deren Schutzengel er gewesen war, die sich mit aller Zuversicht dem Lebensende hingegeben hatte. Unter ihrem Kopfkissen fand Äbtissin Clarissa handschriftliche Aufzeichnungen, die von der Klostergründerin erzählen, darin geschrieben steht, Äbtissin Anja habe erst auf einer abgelegenen Insel der Maskarenen Einsicht über ihren damals vor dem Engel eingestandenen Wunsch nach Ruhe bekommen. Am Strand von Saint François verweilte sie still sitzend unter einer Kasuarine. Nach sieben Tagen erkannte sie sich als Welle im Ozean und stand auf. Ihr Atem tanzte über die Brandung. Frohen Herzens kehrte sie in die Heimat zurück. Ich war mir sicher, das ist meine Anja gewesen. Auch ohne Mann hatte sie ihren inneren Frieden gefunden.

Liebe Grüße
mArtinus

PS: Vielleicht schreibe ich auch mal den zweiten Teil




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
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