HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Christine Brückner: "Ehe die Spuren verwehen"
Ein Sparkassendirektor überfährt mit seinem Auto eine Frau. Aus der Perspektive des Mannes wird erzählt, wie er diesen Unfall innerlich verarbeitet, und wie er sich selbst verändert. Beeindruckend erzählt.
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
Begeisterung pur mit dem Prix Goncourt-Gewinner 2011: Alexis Jenni "Die französische Kunst des Krieges"
Über den Golfkrieg:
"Die Toten auf Seiten der westlichen Koalition waren nicht sehr zahlreich, man kennt ihre Namen und Umstände, die zu ihrem Tod geführt haben, in den meisten Fällen handelte es sich um einen Unfall oder um irrtümlichen Beschuss. Die Anzahl der irakischen Todesopfer wird man nie erfahren, und auch nicht, wie die einzelnen Menschen gestorben sind. Wie sollte man das schon erfahren? Es ist ein armes Land, sie haben dort kein Anrecht auf einen persönlichen Tod, sie wurden in Massen getötet."
„Dieser Krieg bringt Tod, wie die Wolken Regen bringen; gemeint damit ist ein Zustand der Dinge, ein natürlicher Prozess, der sich ohne unser Zutun abspielt; und dieser Prozess tötet auch, denn kein Akteur dieses Gemetzels sah, wen er getötet oder wie er jemanden getötet hatte. Die Leichen befanden sich in der Ferne, ganz am Ende der Flugbahn von Marschflugkörpern, tief unter den Flügeln der sich schon wieder auf dem Rückflug befindlichen Flugzeuge. Es war ein sauberer Krieg, der keine Blutflecke auf den Händen der Mörder zurückließ. Es gab keine wirklichen Gräueltaten, nur das von Forschung und Industrie perfektionierte große Unglück des Krieges.“
"Erst im Kino habe ich begriffen, dass die Vernichtung von Menschen mithilfe moderner Technik von einem unbemerkten Auslöschen ihrer Seelen begleitet wird. Wenn der Mord keine Spur hinterlässt, verschwindet auch der Mörder, und dann häufen sich die Gespenster, die man nicht identifizieren kann."
(Alexis Jenni "Die französische Kunst des Krieges", Luchterhand, München 2012)
usw. Und nicht nur der Ernst und das Wahre in diesen Zeilen spricht mich an, sondern Jennis Art, zu erzählen.
Art & Vibration
Richtung Ende des Jahres kann ich wieder wie gewohnt feststellen, dass ich kaum die vorgenommenen Bücher geschafft, stattdessen etliche andere gelesen habe.
Damit es noch in dieses Jahr fällt, lese ich jetzt Haruki Murakamis drittes Buch "1Q84". Die deutsche Ausgabe ist schon eine kleine Schweinerei, wenn man bedenkt, dass die englische Ausgabe alle drei Bücher in einem Band herausbrachte. Bin natürlich direkt wieder ganz in der Geschichte von Tengo und Aomame. Auch fällt mir erneut auf, wie gut mir die Idee der Frage ohne Frage gefällt, ein Merkmal, das der jungen Fukaeri so wunderschön anhaftet und mich immer zum Schmunzeln bringt.
Art & Vibration
Ein literarisches Highlight zum Jahresende: Annegret Held: Die Baumfresserin
Das Leben auf dem Dorf. Zum Arbeiten treffen sich die Leute in der Kistenfabrik, in der Freizeit in ihrer Kneipe. Der Roman zeichnet sich insbesondere durch skurrile Typen aus, urkomischen Humor mit tragödischem Flair. Für die zeitgenössische deutsche Literatur ist der Roman ein Segen. Ganz scheinbar so nebenei ist es auch ein Roman aus der Arbeitswelt. Eine köstliche Mischung.
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
Jetzt habe ich allerlei Geburtstags- und Weihnachtsbücher vor mir:
George Orwell, Tage in Burma
Olof Gigon, Die antike Philosophie als Maßstab und Realität
John Holloway, Kapitalismus aufbrechen
Kenneth Galbraigth, Gesellschaft im Überfluß
Homepage: http://www.noctivagus.net/mendler
Facebook: http://www.facebook.com/people/Klaus-Mendler/1414151458
Zitat von LX.C im Beitrag #10
Ich beginne demnächst T.M.Wolf - Sound
Stilistisch mal was ganz anderes, ob gut oder schlecht, das wird sich zeigen
Wolfs Technik ist, denke ich, eine bisher einzigartige. Eine Anlehnung an den Tonträger Schallplatte. Dialoge in Rillen und Loops, mit Sprüngen, mit leisen Zwischentönen, die man von Vinyl beispielsweise vernimmt, wenn man die Stereoanlage ausmacht, auch mit Vorwegnahmen, die man ebenfalls aus der Abtastnadel hören kann, noch bevor sie den Verstärker erreichen, auch Ton- und Lautstärkenunterschiede weiß Wolf darzustellen. Das hält wach und in Konzentration.
Die Handlung selbst ist ziemlich gewöhnlich, die klassische Lebensbruchgeschichte eines späten Zwanzigers, der sein Studium abbricht und zur Basis des Lebens zurückkehrt, sich dabei verliebt und so weiter (mehr weiß ich bisher auch noch nicht zu berichten). Wolf, der laut Klappentext 29 Jahre alt ist, präsentiert seinen Ich-Erzähler auf eine solide und natürliche Art, eben einem Philosophie-Studenten gerecht. Das Buch gewinnt damit sehr an Authentizität. Die typisch coolen oder pseudocoolen Gebärden der Amerikaner, oder lässige Lebensart nimmt der Erzähler eher an seinen Mitmenschen wahr. Dabei beschreibt er beobachtend oder tritt in Auseinandersetzung mit ihnen, ohne zu werten - das überlässt der Autor dem Leser selbst. Die Sprache Wolfs (in der Übersetzung) ist teilweise poetisch, auf jeden Fall melodisch und wie gesagt, ohne durch übertriebene Coolness irgendetwas "reißen" zu wollen, wie das in Gegenwartsromanen der jüngeren Generation doch häufig der Fall ist. Wer also mal etwas Abwechslung möchte und Lust hat, sich auf ein literarisches Experiment einzulassen, dem sei das Buch wärmstens empfohlen.
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[i]Poka![/i]
Ist schon vorgemerkt, der Wolf. Alleine vom Konzept her äußerst interessant für mich. Vielen Dank für deine Eindrücke, LX.C.
Art & Vibration