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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Von der Moral

in Prosa 09.12.2012 18:47
von Wägnerlein • 6 Beiträge

Von der Moral

Liebe Freunde der Polemik und des Denkens, liebe Feinde der Selbstverliebtheit und des Egoismus!
Obgleich die Moral eine äußerst subjektiv empfundene Größe beziehungsweise Haltung ist, wird sie unvorstellbar oft diskutiert. Während sie für den Einen erst nach „dem Fressen“ („Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“ Bertolt Brecht) Beachtung findet, schenken manche ihr vielmehr Aufmerksamkeit.
Oft wird es auch als äußerst schwierig empfunden, moralisch zu sein:
„Moral ist ständiger Kampf gegen die Rebellion der Hormone.“
(Federico Fellini)
„Man wird moralisch, sobald man unglücklich ist.“
(Marcel Proust)
Insofern erscheint es mir leichter, das Verhalten Anderer als unmoralisch zu bewerten, als selbst moralisch zu handeln.
Sehr treffend formuliert Samuel Beckett dieses Gedankenexpreriment in einem Satz:
„Moralisten sind Menschen, die sich dort kratzen, wo es andere juckt.“
Sehr interessant finde ich dieses Zitat auch in von mir verdrehter Form.

Moralisten sind Menschen, die andere dort kratzen, wo es sie (selbst) juckt.

Doch scheint mir dies eine falsche Art der Moral zu sein, womit wir wieder bei subjektiver Wahrnehmung angelangt wären und der Kreis sich wunderbar geschlossen hat…
Moral ist für mich persönlich etwas golden Schimmerndes, wie Tau auf einer grünen Wiese im Sonnenaufgang, wie glitzernde Perlen, deren Schönheit einen Menschen tief zu berühren vermag. Für manch Anderen ist sie vielmehr mehr Erinnerung an einen stinkenden Fisch in der Sonne oder ein faulendes Ei, beziehungsweise Rückbesinnung auf einst Dagewesenes...
Letzteres scheint mir aber mit unserem Zeitgeist verknüpft zu sein.

Um dies treffend erklären zu können, muss ich weiter ausholen.

Ich musste schon vor längerer Zeit immer wieder feststellen, dass meine Moralvorstellungen nicht gesellschaftskonform sind bzw. nicht der Norm entsprechen. Gut. Zunächst einmal ist dies nicht verwerflich oder in irgendeiner Weise unangenehm gewesen. Doch dann musste ich feststellen, dass ich mit meiner Moral recht alleine dastehe. Meine Moral- eine veraltete Moral? Ein archaisches Irrlicht?
Das scheint recht schwer zu greifen, weshalb ich nun einige Beispiele anbringen möchte.

- Für mich ist es ein ungeschriebenes Gesetz, Versprechen einzuhalten, die ich jemandem gebe. Daher gebe ich auch nur Versprechen, wenn ich mir sicher bin, sie einhalten zu können.
- Gebe ich einem Freund ein Versprechen, so halte ich selbiges auch nach dem Zerfall der Freundschaft.
- Bekomme ich ein Geheimnis anvertraut, so hüte ich es und verwende es nicht im Streit, um die mir vertrauende Person auszuspielen.
- Vertraut mir jemand, so versuche ich, sein Vertrauen nicht zu missbrauchen.

Das erscheint mir moralisch.
Später durfte ich feststellen, dass ich mit meinen veralteten Vorstellungen doch nicht gänzlich alleine bin. Meine mittlerweile beste Freundin teilt meine Meinung in diesen Punkten, doch habe ich außer ihr nur wenige Bekannte/ Freunde, die auch nur ansatzweise begreifen, worum es mir geht.
Der Moral- Trend geht vielmehr in folgende Richtung:

Die Freundschaft ist als Mittel zum Zweck zu werten und keineswegs als wahre Beziehung zu sehen, während wahre Beziehungen ferner sehr spärlich vorhanden sind. Indes sind Freundschaften eine Art Image- Pflege, eine Möglichkeit sein Ansehen zu steigern.
Dazu gelten scheinbar folgende Grundsätze:
- Ein Geheimnis, das mir ein „Freund“ anvertraut kann und wird als Waffe verwendet werden, wenn dieser sich wider meine Wünsche verhält.
 Einst gegebene Versprechen stehen mir frei, einzuhalten.
 Vertraut mir jemand, so versuche ich, mich so zu verhalten, dass dieser jemand nicht merkt, wie sehr ich ihn hintergehe.
Das ich mit meinen Vorstellungen eventuell nicht gesellschaftskonform bin, ist mir ebenso bewusst wie egal. Aber ich finde es schon erschreckend, wie sehr die Werte sich wandeln, die Normen verschwimmen und der Respekt voreinander schwindet.
Zum Schluss möchte ich Bertrand Russel zitieren, der diesen Trend recht gut erläutert: „Die moderne Menschheit hat zwei Arten von Moral: eine, die sie predigt, aber nicht anwendet, und eine andere, die sie anwendet, aber nicht predigt.“
Insofern scheint mir die Moral für einige „moderne“ Menschen lediglich eine Hintertür zu sein, um aus der Kammer des schlechten Gewissens heraus schleichen zu können.

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#2

RE: Von der Moral

in Prosa 10.12.2012 17:20
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Hallo Wägnerlein.

Erst einmal herzlich willkommen in diesem Forum.
Du hast ja mit einigen Texten schon etwas Leben in die Bude gebracht und gezeigt, wie du so schreibst. Das finde ich toll.


Meine Wahl fiel auf diesen Text, um dir meine Ansicht dazu zu sagen. Ich hoffe, du verstehst die Kritik richtig, sie soll nur konstruktiv sein.

Für mich ist "Von der Moral" ein äußerst moralisierender Text , also im Grunde dann das, wogegen du inhaltlich angehst oder vorauf du deuten willst. Das Erzähler-Ich stellt sich höher als all die, die es verurteilt. Damit trifft dann automatisch der von dir zitierte Satz zu: „Moralisten sind Menschen, die sich dort kratzen, wo es andere juckt.“ Auch wirkt der Text auf mich eher wie ein Essay als tatsächlich Prosa mit einer interessanten Grundidee, die aber ein bisschen ausartet.

Entweder gibt es hier ein Erzähler-Ich, das tief enttäuscht auf etwas verweisen möchte (auf die in der Welt fehlende Moral und die falsche Vorstellung einer Moral (darunter dann: die Moral als Ausrede oder Ablenkung vom eigenen Ich)) und dabei den falschen Ton gewählt hat (da es selbst zum Moralapostel wird… Zitat: „Der Moral- Trend geht vielmehr in folgende Richtung …“ usw. ( - dazu dann meine Frage: woher willst du wissen, was gesellschaftlich der Trend einer Moral ist, wenn du nur Schwarz und Weiß aufzeigst? Wenn alleine du dein Bild und deine Vorstellung festsetzt, wie andere moralisch empfinden?) das also den falschen Ton wählt, um zu zeigen, wie richtig das Ich liegt, während alle anderen falsch liegen und pauschalisiert als Masse in die falsche Richtung laufen, … für mich dann etwas zu pauschalisiert)
... oder der Hintergedanke des Autors liegt in dem Verweis auf jene Doppelmoral, indem er sein Erzähler-Ich so reden lässt, die sofort zutage tritt, wenn statt auf etwas zu verweisen, selbst der Vorwurf gegen den „Rest“ erhoben wird, sich das Gesagte somit gegen den Willen des Erzählenden oder Verweisenden kehrt und damit dann kein bisschen besser ist.
Wenn Letzteres gemeint war, dann würde ich den Text noch etwas neutraler halten, nicht so sehr die Fehler der anderen in den Vordergrund stellen, sondern lieber noch intensiver die Enttäuschung beschreiben, mit der das Ich zu kämpfen hat. Denn so steht es auf seinem Podest und vermittelt mir nur, aus einem eigenen Umkreis auf die Allgemeinheit zu schließen.

Der Text für sich ist sicherlich eine Möglichkeit, auf etwas hinzuweisen und die Gedanken, die er enthält, gefallen mir. Wie er herüberkommt oder wie sich das lyrische oder prosaische Ich ausdrückt, erscheint mir aber doch noch überarbeitungswert.

Liebe Grüße
Taxine




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zuletzt bearbeitet 10.12.2012 17:43 | nach oben springen


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