HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Rainer Buck
"Aljoscha"
"Ja, Menschen, die sich als bewusste Christen verstehen, haben meinen Weg auch gekreuzt. Aber bei denen hab ich mich seltsamerweise gar nicht gefragt, ob sie für meinen Aljoscha Modell stehen können. An ihnen stört mich mitunter gerade, dass sie sich ihrer Beziehung zu Gott bewusst sind. (…) Aljoscha stelle ich mir aber als jemanden vor, der sich im Wesentlichen auf sein Herz verlassen kann …"
Bei „Aljoscha“ handelt es sich um einen Roman, der sich ganz und gar in die Welt und Denkweise eines Christen begibt, dabei sichtbar auch von einem überzeugten Christen geschrieben wurde. Dass das natürlich auf seine Weise Menschen ansprechen kann wie auch auf Ablehnung trifft, ist vorhersehbar und deutlich auch dem Autor bewusst, der einige Bezüge darauf in seinem Werk selbst nimmt. Dort entsteht vor allen Dingen eine Welt, in der die Kirche und ihre Anhänger, Atheisten und Kritiker, das Leben in seiner modernen Alltagsversion eine wichtige Rolle spielen und das Gesamtbild des Romans sehr authentisch werden lassen. Die Verbindung zu Dostojewski und besonders dem Werk „Die Brüder Karamasow“ ist immer wieder zu spüren, da sich ausführlich damit auseinandergesetzt wird.
Dass es mir ab und an etwas zu viel an christlichen Ansichten und Tendenzen wurde, insbesondere gegen Ende des Buches, ist sicherlich mein eigenes Problem, denn der Roman ist wirklich gut geschrieben.
Zum Inhalt:
Karel Puto verbringt viel Zeit in Bibliotheken, lebt von Sozialhilfe, ist ein eingefleischter Dostojewskibewunderer und spricht (zu jedem, der es hören und auch nicht hören will) von seiner Leidenschaft, sagt von den „Brüdern Karamasow“, das er dieses für das größte Werk des russischen Schriftstellers hält. In dessen Zeilen erkennt er, dass die Geschichte, die dort erzählt wird, nicht nur religiös geprägt, sondern vor allen Dingen das Leben widerspiegelt, wobei Dostojewski hier sein „Wissen weitergibt, unbeeindruckt von irgendwelchen Dogmen und Ideologien“ (S. 11). Er sieht, dass Iwans Atheismus enttäuschte Liebe ist, Dimitri den scheiternden und dennoch sich beständig auch hinterfragenden Menschen repräsentiert, dass Aljoscha aber die Herzensfrömmigkeit verkörpert, damit eine Idealfigur ist, die zwischen Lächerlichkeit und Bewunderung wandelt, denn Aljoscha ist bei Dostojewski ein Mensch, der trotz der vielen weltlichen Begegnungen und Enttäuschungen dennoch seinem Glauben treu ist. Diese Figur lässt den Protagonisten Puto so schnell nicht mehr los, denn er möchte schreibend herausfinden, ob Aljoscha in einer heutigen Welt möglich ist oder doch vielmehr nur ein Ideal verkörpert.
In Dostojewskis Vorwort für die „Brüder Karamasow“ erwähnt er einen zweiten Teil, der sich mit Aljoschas Weg in die Welt befassen soll, zu dem ihn der Starez Sossima angeleitet hat, bevor er starb, fast gegen Aljoschas Willen, der sich im Kloster viel besser aufgehoben glaubte, bevor er am Ende des Buches dann den Kindern begegnet und seine Meinung nicht nur im Sinne seines geliebten Starez und Vorbild, sondern auch im eigenen ändert. Bei diesem Ereignis, seiner Wirkung und Liebe zu diesen Kindern, enden „Die Brüder Karamasow“, bevor Aljoscha diesen Weg dann schließlich beschreitet, während Puto in Dostojewskis letztem Werk keinesfalls einen „Torso“ sehen möchte (eine für mich sehr schöne Erwähnung). So beschließt er, ein eigenes Werk (damit auch sein Erstlingswerk als angehender Schriftsteller) über eine so außergewöhnliche Figur wie Aljoscha zu schreiben, zu zeigen, wie dieser "Weg in die Welt" (und zwar der jetzigen modernen Welt) aussehen könnte, ob so eine Figur nun glaubwürdig wäre, als Vorbild für einen Christen oder Spottbild für einen Nichtgläubigen und wie ein Mensch aus Fleisch und Blut sein müsste, um diese Bedingungen zu erfüllen.
Puto entstammt einer zwar katholischen, aber nicht unbedingt gläubigen Familie. Sein Vater starb ohne priesterlichen Beistand und als einige Familienmitglieder darüber die Nase rümpften, gab seine Mutter an, dass sie, wenn für den letzten Gang Formalitäten wie die letzte Ölung notwendig wären, dankend auf den Eintritt in einen eventuellen Himmel verzichten würde. All diese Erfahrungen - einerseits die üblichen, eher aus Gewohnheit betriebenen Kirchengänge, andererseits der fehlende gelebte Glaube - haben Puto geprägt. Als er dann auf Dostojewskis Werk traf, änderte sich seine Überzeugung.
Durch seine Bekanntschaft mit dem Karl-May-Experten Hiller wird der menschenscheue Einzelgänger Puto, der als Untermieter bei einer sympathischen, stillen Russin aus der Ukraine lebt, Nadja Tesslowski, die nun in Deutschland, obwohl gebildet, als Putzfrau schuftet, in die literarische Welt eingeführt, besser gesagt, in einen von interessanten Literaturbegeisterten betriebenen Lesezirkel. Dort ist das Gespräch über die Literatur vordergründig, jeder verteidigt seine Interessen oder liest aus dem eigenen Werk, doch bald zeichnet sich auch eine andere Diskussion ab, die durch die verschiedenen Ansichten immer wieder zutage tritt: die Frage, ob es einen Gott gibt oder nicht, für was er steht und welche Überzeugung sowohl der Gläubige als auch Atheist vertritt.
Der Journalist Leverus und führende Kopf der Diskussionsrunde verachtet die für ihn kleinliche Vorstellung, dass Gott in einer Blume zu spüren ist, erst recht, dass Puto Gott in einem Menschen aus Fleisch und Blut finden will. Er hat weder Verständnis für den religiösen Aspekt in den Werken Karl Mays noch Dostojewskis. Für ihn spielt alleine das weltliche Leben eine Rolle, ist geprägt von Alltag, Menschsein und Eigenverantwortung. Alles andere enthält etwas Triviales, ohne dass er erkennt, dass das Einfache ganz neue Auswege parat hält. Diese Ansicht verteidigt er gegen die wenigen Menschen, die nicht einmal religiös sind, aber dennoch Gott nicht ganz und gar ablehnen.
Bei diesen Literaturdiskussionen lernt Puto auch Guido Kronenburg kennen, ein junger Mensch, dessen Gedichte ihn beeindrucken, der sich Gott gegenüber offen zeigt, ohne von sich selbst zu behaupten, er würde gläubig sein. Genau das macht Puto neugierig auf ihn, da er einem Menschen zu entsprechen scheint, der Gott nicht auf der Zunge, sondern im Herzen trägt.
Gerade als Puto dann selbst an der Reihe ist, sein eigenes Werk über Aljoscha vorzustellen, zeigt sich, dass die Missverständnisse der Diskussion über Gott grundsätzlich auch darum auftreten, weil mit dem Begriff „Gott“ so vieles verbunden und vermengt wird, darunter verschiedene Religionen und ihre Ansichten, Vorurteile, Fundamentalismus und das gefürchtete Missionieren. Ausgerechnet der kritische Leverus zeigt sich nicht ganz so angriffslustig wie sonst, sondern wirft den nicht unberechtigten Einwand ein, dass ihm alleine jene besonders toleranten Christen abstoßen, die behaupten, auch Atheisten könnten lieben, da sie unbewusst mit der Liebe Gottes erfüllt seien.
All diese verschiedenen Sichtweisen und Standpunkte werfen natürlich immer wieder ihren eigenen Bezug auf Dostojewskis Werk selbst. Es ist ja gerade die Aussage in den „Brüdern Karamasow“ durch die Forderung des Starez Sossima, Aljoscha solle in der Welt hinaus und dort nach seinem Ermessen wirken, nicht sich im Kloster zurückziehen. Er soll damit durch seinen Glauben etwas geben, statt diesen als das gute Wesen, das ihm gegeben ist, abstrakt werden zu lassen. Damit vermittelt Dostojewski, dass derjenige, dem die Gabe zu glauben gegeben ist und der versteht, diese Voraussetzung umzusetzen, kein Anrecht hat, sich alleine einer inneren Reinigung und damit eines Zurückziehens vor der Welt zu überlassen. Für Dostojewski soll der gläubige Mensch ins Leben treten und unter Menschen sein, statt alleine für das eigene geistige Heil zu sorgen und das einer klösterlichen Gemeinschaft zu beten, denn in der hektischen Betriebsamkeit der Welt ist es weitaus schwieriger, sich zu bewähren, als im Schutz der Klostermauern, die den Gläubigen in seinem Glauben kaum erschüttern können.
Genau das hinterfragt auch der Autor dieses Buches. Verschiedene Richtungen, katholisch, evangelisch oder die Zeugen Jehovas, die Kirchengemeinde, die Größen und Schwächen der Menschen, der freie Mensch, der seinen Glauben für sich lebt und praktiziert, ohne einer Kirche zu bedürfen, das Leben der Obdachlosen oder der Mönche in einem Kloster durchwandern das Buch. Absturz und Neubekehrung, Zweifel, Verzweiflung, Bitterkeit oder das Gegenteil, die Hoffnung, die in Veränderungen und Weiterentwicklungen anklingt, schaffen verschiedene Ansichten und gestalten mithin das Leben eines jeden Menschen. Jeder muss für sich den geeigneten Weg finden, sich im Leben und im Miteinander zurechtzufinden.
Die Geschichte spitzt sich zu, als Karel durch die Beziehung, die er mit seiner Untervermieterin Nadja eingeht, auf einmal Ärger mit dem Sozialamt bekommt, das davon ausgeht, er würde das erhaltene Geld erschleichen, obwohl Nadja als angebliche Lebensgefährtin für ihn aufkommen könnte. Sofort packt Puto seine Sachen und zieht aus, ohne auch nur eine andere Möglichkeit in Betracht zu ziehen, redet sich damit heraus, nicht für die Liebe zu einer Frau, sondern weiter für sein Ideal eines Buches über Aljoscha zu leben. Damit wiederspricht er seinen eigenen Argumenten, die er bei seinen Freunden anbrachte, als diese Religion über Liebe stellen wollten, und steht nun erst einmal hilflos auf der Straße. Wie sich dann alles weiterentwickelt, soll natürlich nicht verraten werden.
Dieses Buch ist, wie sich zeigt, nicht alleine eine Hommage an Dostojewski, wie der Titel zunächst vermuten ließ, sondern vielmehr die aus dessen Werken gewonnene Einsicht, was der Mensch ist, was Glaube ist und wie er sich in der heutigen Zeit ausdrückt und umsetzen lässt. Dazwischen sind etliche Begegnungen und Erlebnisse gezeichnet, die nicht nur schön erzählt sind, sondern das Buch auch durch ihre Menschlichkeit bereichern. Der feine Übergang zwischen der Suche des Protagonisten nach seiner Aljoscha-Figur mit dem Thema des Romans überhaupt, so dass der Protagonist in seinen Handlungen selbst zu einer solchen Figur gerät, die versucht, trotz der Schwierigkeiten verschiedener Lebensumstände dennoch gut zu handeln, auszuhelfen, wann es notwendig ist und sich in Nächstenliebe zu üben, ermöglicht dem Leser ein sichtbar ineinander gesponnenes Gewebe an fiktiver literarischer Welt wahrzunehmen, die samt realer Romanwelt auch über diese hinausgleitet (so dass ein Verweis auf diesen Zusammenhang nicht nötig ist). Die Erlebnisse Putos, seine Freundschaft mit Heller oder Nadja, sein Befassen mit dem Schreiben, dem Glauben und der Literatur sind reizvoll zu lesen, gefallen haben mir auch die literarischen Gespräche und Dialoge, die häufig Bezüge zu den jeweiligen Romanen enthielten, ohne plakativ zu sein oder einfach nur zitiert. Genauso habe ich die russischen Eindrücke Nadjas genossen, ihre Schwierigkeiten in Deutschland und die Erinnerungen an ihre ukrainische Kindheit, oder die Erfahrungen Putos im Obdachlosenheim.
Natürlich spürt man, vielleicht auch hin und wieder ein wenig zu vordergründig, die Intention des Autors und seine eigene Einstellung zu Glauben und Welt. Obwohl viele Möglichkeiten verschiedener Auseinandersetzungen mit Glaube und Gott aufgezeigt werden, stehen sie dennoch hinter der einen des Protagonisten zurück, was an sich nicht schlimm ist, wird immerhin aus dessen Perspektive berichtet. Trotzdem erschien mir vielleicht gerade darum jene Toleranz für gewisse Momente des Lesens als eine Art Scheingebilde, unter der sich eine andere Tendenz bemerkbar machte, nämlich eine leicht überhebliche Großzügigkeit anderen Menschen gegenüber, die nicht den Ansichten des Protagonisten entsprechen. Mir persönlich ging der Samariter-Instinkt ab und an etwas auf die Nerven, wenn ich auch gleichzeitig Parallelen zu Dostojewskis „schönen Menschen“ ziehen konnte, andererseits der Autor auch durch die Geschichten und die Spannung verschiedener Ereignisse wieder gut ausgleicht, was manchmal zu sehr in ein Zwiegespräch mit Gott ausartet oder so manche Situation über diesen erklärt.
Hätte ich den Roman noch vor einigen Jahren gelesen, hätte er mich nicht angesprochen, nun aber, da ich den Begriff „Gott“ für mich selbst neu und offener entschlüsseln konnte, kann ich durchaus sagen, darin etwas gefunden zu haben, so dass mir die verschiedenen Aspekte, auch wenn ich sie nicht in aller Form teile, dennoch einleuchten und diese mir darum nicht aufdringlich erscheinen, sondern ihren Sinn erfüllen.
Man wiegt sich, oder zumindest ich, auch in anderen, ruhigeren Zeiten, obwohl der Roman ganz im Heute spielt, was mitunter auch an dem guten Schreibstil des Autors liegt, und die Worte des Kritikers Leverus haben es mir besonders angetan, der im Roman zu Puto sagt: „Geben Sie nicht vor, über jemanden mehr zu wissen als dieser Mensch selbst von sich weiß! Das scheint mir ein Grundübel der Christen zu sein.“ – denn diese teile ich, selbst wenn Karel Puto dem sogleich in seiner liebenswerten Art und Weise widerspricht.
Kurz, mein Resümee fällt positiv aus, die ganze Stimmung des Buches hat mir gefallen, die Gedanken zu Dostojewski, die Betrachtung der Menschen und ihrer so unterschiedlicher Leben, denen sich der Autor feinfühlig widmet und damit im Grunde bei mir genau das erreicht, was seiner Figur am Herzen lag: sich bewusst zu machen, was das Wort „Liebe“ in seiner Wirkung tatsächlich alles bedeutet, welche Sichtweisen ich persönlich teile und welche mir nicht gefallen.
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
Mal wieder Taxine in Höchstform.
Eine akkurate Rezension, die meinem Eindruck von diesem Buch zu großen Teilen entspricht. Nur bin ich nicht in der Lage es derart in Buchstaben zu fassen. Obwohl umfangreich war die Rezension nicht überbordend.
Das besonders Anzumerkende scheint mir deine Fähigkeit, sich in Diskussionen (mit Ausnahme in Sachen Cobain ) nicht so schnell in eine Tendenz zu legen und Störendes angemessen zu vernachlässigen.
Hier der Punkt, von dem meine Grundwahrnehmung sich beim Lesen des Buches hat beeinflussen lassen:
„Natürlich spürt man, vielleicht auch hin und wieder ein wenig zu vordergründig, die Intention des Autors und seine eigene Einstellung zu Glauben und Welt.“
Eben dieser Umstand hat mein Lesevergnügen etwas getrübt bzw. habe es mir trüben lassen. Denn die Grundidee der Protagonisten-Konstellation ist ja durchaus ansprechend.
Wer es wie Taxine schafft, am Kern zu bleiben und nicht irritieren lässt, bekommt bei Aljoscha durchaus das, was man bei Taxine lesen kann.
„zu jedem, der es hören und auch nicht hören will“
Eine schöne Parallele zum Idioten. Und das hat mich schon beim Idioten genervt: dieses gnadenlos „von der Situation nicht eingefärbte Reagieren“. Es mutet grotesk an. Und wieder gilt es diese Wahrnehmung etwas beiseite rücken und weiterlesen. Mir fiel es zunehmend schwerer.
„dabei sichtbar auch von einem überzeugten Christen geschrieben wurde“
Das war mir wiederum nicht zu vordergründig. So bekommen es auch schlichte Gemüter wie ich mit. Ohne Die ganze Sekundärliteratur, wär mir das bei Dostojewski maximal bei den Karamasows und dem Sonja-Teil bei Raskolnikow ins Auge gestoßen.
Vielleicht ist das auch ein Grund für Deine Einschätzung des Buches: Der Autor und Du konntet aus dem Karamasow eine Menge herauslesen. Die partielle „Deckungsgleichheit“ erleichtert es sicherlich, die tiefere Ambition des Buches Aljoscha aufzunehmen.
Du, Taxine, formulierst es so:
„Hätte ich den Roman noch vor einigen Jahren gelesen, hätte er mich nicht angesprochen, nun aber, da ich den Begriff „Gott“ für mich selbst neu und offener entschlüsseln konnte, kann ich durchaus sagen, darin etwas gefunden zu haben, so dass mir die verschiedenen Aspekte, auch wenn ich sie nicht in aller Form teile, dennoch einleuchten und diese mir darum nicht aufdringlich erscheinen, sondern ihren Sinn erfüllen.“
www.dostojewski.eu
Zitat von Taxine
sondern wirft den nicht unberechtigten Einwand ein, dass ihm alleine jene besonders toleranten Christen abstoßen, die behaupten, auch Atheisten könnten lieben, da sie unbewusst mit der Liebe Gottes erfüllt seien.
Da bin ich mit dem Leverus einverstanden. Finde ich schon tendenziell fanatisch, wenn Christen so was behaupten. Den Christen ist die Liebe Gottes (falls es ihn gibt) auch nicht bewusst. Sie glauben nur daran. Es ist ein GLAUBE. Wer kann schon von sich behaupten, er WISSE, dass es ihn gibt. Mehr Bescheidenheit bei Christen in diesem Punkt fände ich schon sympathisch.
Sehr schöne, interessante Buchvorstellung, werte Taxine.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Rainer Buck
in Die schöne Welt der Bücher 04.01.2013 19:26von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Hallo Jatman und Martinus,
freut mich, wenn euch die Rezension gefallen hat. Was sehr schön in "Aljoscha" zur Geltung kommt, ist eben auch die Vielfalt an Meinungen innerhalb der gläubigen Gemeinde. Da gibt es die gefürchteten Christen, die den Drang zu missionieren in sich spüren, es gibt den Pfarrer, der mit sich selbst hadert und manchmal nicht versteht, wann es angebracht ist, Gott aus dem Spiel zu lassen, es gibt Zeugen Jehovas, unter denen der Fanatismus über das Menschsein gestellt wird und dazwischen ist Karel Puto, der Protagonist, der eine Art freien Glauben lebt und keiner Kirche bedarf, der aber nach christlichen, man könnte fast sagen, urchristlichen Bedingungen (Dostojewskis Weltbild und Kritik) strebt. Durch ihn kommt auch sehr schön jener Drang zur Geltung, vor der Welt zu flüchten, z. B. hinter Klostermauern oder in die eigene Arbeit, während der Mensch sich der Welt wohl immer stellen sollte. Der Gegenpart des Kritikers Leverus, der mich teilweise auch an Iwan Karamasow erinnert hat, damit zwar Atheist ist, aber auch darum, weil er es nicht schafft, an etwas zu glauben, da er in seiner Vergangenheit Schlimmes erlebt hat, hat all meine Sympathien. Auch Nadja, die ihrerseits mit der Kirche nichts anfangen kann. Das ist ein vielschichtiger Haufen an Menschen, die alle möglichen Assoziationen auslösen, vom Autor fein gesponnen.
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
RE: Rainer Buck
in Die schöne Welt der Bücher 18.03.2013 16:08von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Rainer Buck
Fjodor M. Dostojewski – Sträfling, Spieler, Seelenforscher
Rainer Buck hat mit seiner Biografie eine schöne und übersichtliche Fassung über Leben, Charakter und Schreiben des russischen Schriftstellers geliefert. Auch wenn der Autor im Vorwort sagt, er gedenke mit seiner kleinen Studie insbesondere die Leser an Dostojewski heranzuführen, die sich in dessen Werk noch nicht auskennen, so ist seine Biografie durchaus auch für Kenner eine freudige Auffrischung vieler Begebenheiten, die der Autor kurz und bündig zusammengefasst hat, dabei spannend geschrieben, womit er vor allen Dingen das Herz des Lesers und noch viel mehr das Herz eines Dostojewski-Bewunderers anspricht. Das Buch ist damit eine sympathische Erweiterung im Dostojewski-Sekundärliteratur-Regal, macht sich aber auch gut zur Einführung.
Der Prolog beginnt wie ein Roman, soll den Leser neugierig machen. Die Szene vor der Hinrichtung wird ins Bild gesetzt, das Erschießungskommando erfolgt, bis die Verurteilten, unter ihnen der junge Dostojewski, dann doch noch vom Zaren begnadigt werden, um nach Sibirien verbannt zu werden. Was im „Idioten“ von Dostojewski ein ausführliches Thema an Ängsten und Betrachtungen ist, geäußert durch den Fürsten Myschkin, wird hier als spekulatives Geschehen vertieft, als ein Moment gestaltet, in dem sich Rainer Buck ausmalt, was Dostojewski erlebt, wie sich diese auf ihn zukommende Hinrichtung möglicherweise auf ihn ausgewirkt haben könnte. Dass sogar sein Blick über dir Kirchtürme schweift oder einige tiefe innere Gedanken von Dostojewski geäußert werden, mutet ein bisschen gewagt an, dennoch ist vielleicht gerade dieser sehr persönliche Beginn das, was das Buch auf seine ganz eigene Art und Weise charmant eröffnet.
Danach wird die Biografie das, was sie sein soll. Dostojewski wird lebendig, sowohl in seinem Werdegang als auch Charakter. Buck zeichnet den Schriftsteller ganz nach dem Erscheinungsbild, das auch aus seinen Briefen anklingt, lässt dabei das Spekulative der Dostojewski-Forschung weg, beschränkt sich auf die Tatsachen und auf das Wesentliche. Da Dostojewskis Leben von etlichen Höhen und Tiefen geprägt war, also selbst einen ganzen Roman füllen könnte, ist es gar nicht so einfach zu entscheiden, was erwähnt und was eben weggelassen wird. Buck hat das gut gelöst.
Auch sein Blick auf dessen Romane bleibt angenehm, verirrt sich nicht in unendlich lange Auseinandersetzungen, was in Biografien, die ein Leben zeigen sollen, häufig störend wirkt, insofern gerade der Biograf dem Leser seine eigene Textdeutung vermitteln will. Ganz anders gelingt es Rainer Buck, der hier liebevoll zusammenfasst.
Bei dem Erstling „Arme Leute“ erwähnt er u. a., dass Dostojewskis Blick sehr häufig auf all jene fällt, die unbemerkt sind und bei denen man tiefe Gedanken gar nicht voraussetzt. Gerade sie sollen Dostojewski sein Leben lang als Figuren und Metaphern dienen, um die menschliche Seele zu erforschen. Buck sagt dazu:
Zitat von Buck
„Wo andere Autoren gerne zu satirischen Mitteln greifen und Menschentypen karikieren, sind bei Dostojewski selbst lächerliche Figuren ernst zu nehmen.“
Und das trifft es wohl auf den Punkt. Gerade die lächerlichen Menschen zeigt Dostojewski in ihren Kümmernissen, Ängsten und Gedanken, bis sie sich dem Leser auf ganz neue Art und Weise öffnen, oftmals bis an die schmerzliche Grenze des Erträglichen, so dass er dennoch nachvollziehen kann, weshalb sie lächerlich wirken müssen, was in ihnen vorgeht, wieso sie scheitern.
Auch ist Dostojewski in seinen Werken immer auf der Suche, …
„… begnügt sich nicht mit oberflächlichen Thesen, wenn es um die Frage nach dem Sinn des Lebens geht (und mit weniger beschäftigt er sich selten). Er seziert geradezu die Menschenseele, um seine Leser nicht mit zu einfachen Wahrheiten abzuspeisen.“
Das zynisch anmutende, statuierte Exempel der Hinrichtung, die dann in Zwangsarbeit umgewandelt wird, kommt bei Buck gut zur Geltung. Er zeigt, wie Dostojewski sich auf den Tod vorbereitet und mit dem Leben abschließt. In einem Brief an seinen Bruder spricht Fjodor von der Liebe zu allen Menschen, von einem erlösenden Gefühl, bis er durch die Begnadigung wieder ins Leben zurückgestoßen wird, sich erneut mit den nun auf ihn zukommenden schrecklichen Bedingungen auseinandersetzen muss, was durch das Akzeptieren des eigenen Sterbens dann umso schwieriger anmuten musste. Aber Dostojewski schrieb in einem seiner Briefe:
„Leben bedeutet überall Leben. Das Leben hängt von uns selbst ab und nicht von Äußerlichkeiten.“
Und all das, was er von da an erleben sollte, würde nicht nur ihn in einen neuen Menschen verwandeln, sondern auch sein kommendes Werk um einiges an Tiefe bereichern.
Für mich persönlich ist „Schuld und Sühne“ wohl das populärste Werk Dostojewskis, aber keinesfalls das beste. Gerade der Kellerlochmensch, der „Idiot“, die „Dämonen“ und schließlich die „Brüder Karamasow“ ergänzen einander in der Hinterfragung des Menschen in der Welt, wie er dort sowohl in seinen Tendenzen zum Guten wie auch Schlechten wirkt, samt seinen Hoffnungen und seinem Zynismus, und sind in dieser Reihenfolge die Steigerung Dostojewskis in Gedanken, Philosophie und Werk.
Der „schöne Mensch“, wie ihn Dostojewski in Christus fand, den er auf neue Weise selbst kreieren wollte, um ihn in einer moderneren Variante seiner Zeit agieren zu lassen, damit einem Volk zu präsentieren, das die Anwesenheit des „Guten“ gar nicht mehr erträgt, in dieser Form ein Russland verkörpert, das immer mehr durch den Atheismus bestimmt wird und sich in seinen Anfängen revolutionär umorientiert, dieser „schöne Mensch“ wird in Fürst Myschkin zum Ideal und soll auch nur Ideal sein. In ihm sieht Buck keine Jesus-Inkarnation, sondern spricht von einem unvollkommenen Spiegel, dessen Scherben „immer nur einen Teil des Bildes zeigen“.
Ich selbst sehe Myschkin keinesfalls als Bruchstück, dagegen ist er für mich eine (durch Erfahrungen geprägt und damit gewollt) reine Fläche, in der sich lediglich die anderen in ihren Reaktionen spiegeln, während er keinerlei Stellung bezieht, sich, ganz wie die Buddhisten, den Dingen urteilsfrei und in Schweigen widmet. Myschkin ist teilweise fast wie Diderots Narr in „Rameaus Neffe“ oder in der Version von Brant, wenn auch wesentlich liebenswerter und herzlicher. Er ist auch noch mehr, trägt das Leid (Todesurteil und Begnadigung) in sich, das ihn gelehrt hat, die Welt anders zu sehen und das, was der Mensch als Leben anerkennt, durch seine Präsenz in Frage zu stellen. Auch verkörpert er die Krankheit Dostojewskis, die Epilepsie, in der höhere Dimensionen während des Anfalls erreicht werden, ein klares Empfinden, die höchste Stufe der Harmonie, wie es Myschkin selbst beschreibt, und aus dem die Figur wie auch der Schriftsteller grundsätzlich erschöpft und tagelang mürrisch hervorgehen.
Der Charakter Dostojewskis wird von Buck als schwierig und widersprüchlich gezeichnet. Nach der Heirat mit Anna Grigojewna beginnt das Leben im Ausland und die Spielsucht, die dem Russen immer wieder neue Probleme verursacht. Seine junge Frau geht mit dem Charakter ihres Mannes erstaunlich stark und bewunderungswürdig um. Immer wieder fällt er ihr vor die Füße und bittet um Vergebung, immer wieder verzeiht sie ihm. Ihr Leben unter Fremden, z. B. in Dresden, schweißt das Ehepaar zusammen.
Durch den Tod des ersten Kindes und die Geburt der Tochter Ljubow wird auch Dostojewskis Familiensinn sichtbar, in dem er „drei Viertel des menschlichen Glücks“ findet, „und für alles andere bleibt höchstens ein Viertel übrig …“. Auch im Dostojewski-Museum in St. Petersburg wurde mir bestätigt, wie sehr Dostojewski an der Familienatmosphäre hing, ganz im Gegensatz zu z. B. Tolstoi, der sich gerne den für ihn notwendigen Freiraum verschaffte. Dostojewski schrieb nachts und schlief bis mittags, aber wenn er nach Hause kam, war seine erste Frage: „Was machen die Kinder?“
Die letzten Jahre kam Dostojewski allmählich zur Ruhe, schaffte es, seine Schulden zu bezahlen und schrieb die „Brüder Karamasow“ ohne den üblichen Druck im Rücken. Dieses Werk ist in meinen Augen sein gewaltigstes und religiösestes Werk. Buck fasst in seinem Epilog zusammen:
Zitat von Buck
„Dostojewski hat in seinen Werken wie kaum ein anderer Autor die Tücken des menschlichen Wesen ausgeleuchtet und unbequeme Wahrheiten nicht ausgeblendet. Deshalb können wir ihn als Leser an manchen Stellen nur verstehen, wenn wir unser eigenes Innerstes hinterfragen.“
Immer wieder stößt Dostojewski den Leser auf Fragen, die er nicht eindeutig beantwortet, von denen es genügt, sie aufzuwerfen, um auf sich selbst zurückgeworfen zu werden und immer wieder neu für sich herauszufinden, wie die eigene Einstellung zum Leben, Sein, zum Menschen und eigenen Glauben ist. Ich finde, man muss noch nicht einmal mit gleichen Problemen ringen, wie es die zahlreichen Gestalten und Antifiguren bei Dostojewski tun, der in so verzweigt viele düstere Höhlen steigt, um den Menschen in seinem ganzen Wesen zu zeigen, wie nur er es konnte. Alleine sein Blick auf den einfachen Menschen, der mit der Welt hadert, der sich jeder Zeit dafür entscheiden muss, wie er handelt, der bewusst wählt, ob er ehrlich ist oder betrügt, mitunter auch sich selbst, ob er liebt oder verachtet, hofft oder fürchtet, optimistisch oder pessimistisch blickt, zeigt, wie wichtig es ist, Fragen zu stellen, jene großen Fragen, die niemals zuviel, niemals beantwortet und schon gar nicht veraltet sind.
Bucks Biografie zeigt das alles auf erstaunlich wenig Seiten und macht Lust, diesen großen Schriftsteller erneut näher zu betrachten, sich in dessen Leben, in dessen Werk und Denken zu vertiefen.
(Zitate stammen aus dem Buch - Rainer Buck "Fjodor M. Dostojewski – Sträfling, Spieler, Seelenforscher", Brendow Verlag.)
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
Recht amüsant, hier anzusehen, wie Dich das Lesen des Buches gleich massiv dazu veranlasst, selbst wieder sich der Sache Dostojewski anzunehmen und über ihn zu schreiben.
Da sollte das Buch es wohl geschafft haben, dich anzuregen. Den Autor wird`s freuen.
www.dostojewski.eu
Zitat von Taxine im Beitrag #1
„Geben Sie nicht vor, über jemanden mehr zu wissen als dieser Mensch selbst von sich weiß! Das scheint mir ein Grundübel der Christen zu sein.“
Aus diesem Grunde lese ich diese im jeweiligen konfessionellen Selbstverständnis des "Glaubenden" liegende und irgendwie doch immer leicht frömmelnde Erbauungsliteratur schon lange nicht mehr.
Christen schreiben über ihren Glauben, gut, sollen sie, aber an diese Art von Literatur komme ich einfach nicht mehr heran.
Und je länger je mehr stößt mich diese religiöse Innenschau einfach nur noch ab, darüber sind ein paar Freundschaften zerbrochen, aber wenn das Dogma, das Lehramt, der Bibelvers, oder der Buddha mehr gilt als Menschlichkeit, wenn der Glaube und welcher auch da auch immer, sich langsam religiös vorgegebener Misanthrophie annähert, dann wurde es für diese Art von Brüchen auch allerhöchste Zeit.