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Tour de France
in An der Gesellschaft/dem Alltag orientierte Gedanken 16.08.2007 17:30von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Nein, nein, nicht die Tour selbst soll hier zum Vorwurf werden, sondern dieser übertriebene Verweigerung von ARD und ZDF, die Tour aufgrund einer positiven A-Probe zu übertragen. Da möchte man fragen: Na, was habt ihr denn erwartet???
Im Radio verkündete eine Korrespondentin aus Dubai, wie mutig sie diesen Schritt findet. Da musste ich loslachen.
Mutig wäre es, wenn die Medien hier vor fünf, ja gar zehn Jahren die Übertragung verweigert hätten, wo schon im "Geheimen" bekannt war, dass wirklich jeder Fahrer der Tour de France immer und gezwungener Maßen voller Aufputschmittel ist, so dass ein normaler Sportbegeisterter hier unter dem schnaubenden Mop keine Chance hat. (Man lese dazu auch den erheiternden Roman gleichen Titels von Julian Barnes - noch einer, der schon viel früher reagiert hat!!!).
Es ist recht lang bekannt, dass niemand hier ohne "Drogen" in der Lage ist, die aktuellen Zeiten und Siege zu halten. Wer sich dem verweigert, hat von vorneherein keine Chance, nicht die Möglichkeit, den Anstrengungen und Voraussetzungen Parole zu bieten. Es ist doch bekannt, dass es einfach ein großes "Theater", ein "Schauspiel" der Unterhaltung ist. Da stelle ich mir immer das geifernde, Schaum vor dem Mund habende, keuchende Surren vor, dass blitzschnell vorbeizieht, während am Rande der Strasse die Begeisterten ganz kurz von ihren Campingstühlen aufspringen, um rein gar nichts zu sehen, außer bunte Farben und viel Wind, um sich danach wieder dem Grill, den Würstchen und den Gesprächen zu ergeben. Es ist ein französischer Trend, das ist keine Frage, und das ganze Doping ist eine bekannte und akzeptierte Tatsache, die sich erst durch alle Skandale jetzt in Empörung gewandelt hat.
Und, wo nun nichts anderes verkündet wird, als wer nun schon wieder "erwischt" wurde, da ist der Schritt zurück von den besagten Sendern nicht mutig, sondern einfach nur scheinheilig und armselig.
Sich hier weigern, wenn der Sturm längst vorübergezogen ist, enthält nur eine trübe, fade Möchtgern-Besinnung, die eine Form der Berechnung nicht ausschließen lässt.
Dann sieht man sich doch besser den ironisch-charmanten Zeichentrickfilm "Das große Rennen von Belleville" an, wo der Radfahrer gar wunderbar in seinem "Irrsinn" dargestellt wird, dünn und schlotternd, mit riesigen, über-muskulösen Beinen und einer Mutter, die alles Leben (ihres, wie auch das des Sohnes) auf diesen Sport fixiert, ein Film, der wesentlich mehr "Mut" birgt, als das schnöde Reagieren der öffentlich rechtlichen Sender.
Art & Vibration
RE: Tour de France
in An der Gesellschaft/dem Alltag orientierte Gedanken 16.08.2007 17:31von Moulin
Die Tour selbst hat mir persönlich nie wirklich viel mehr bedeutet als die schillernd leuchtenden Farben der Radfahrer im herrlichen Sonnenlicht französischer Landschaften.
Ich sah mir das auf dem Bildschirm an um zeitweise dabei zu entspannen.
Doch als Ullrich gegen Armstrong um den Sieg kämpfte, packte mich der Wettbewerbgeist und ich fand die Tour spannend, fieberte mit.
Sehr gut erinnere ich mich an die Geste, als Armstrong von einer Handtasche gebremst wurde und Jan Ullrich auf ihn wartete.
Sehr ehrlich, sportlich, sehr fair, hochgelobtes Vorbild für alle.
Im Nachhinein wirkt das auf mich wie ein Teil einer groß angelegten, traditionellen Show, der inzwischen jeglicher, sinnvoller Hintergrund fehlt.
RE: Tour de France
in An der Gesellschaft/dem Alltag orientierte Gedanken 16.08.2007 17:31von Martinus
Es ist ein Schlag für die wenigen, die vielleicht noch nicht dopen. In anderen Sportarten ist auch gedopt wurden und das Fernsehen hat life gesendet und nicht gedroht. Sportliche Leistungen haben irgendwo ihre Grenzen. Leistungssteigerung hält man für notwendig, ich nenne das Qual, denn die Radfahrer leiden unter Schmerzen. Für mich hört auch dort der Spaß auf, weil diese Einstellungen zum Sport zum Doping geführt haben. Der Radsport ist verbraucht.
Mit Sport hat die Tour de France sowieso nichts mehr zu tun. Mit der ZDF/ARD- Aktion wird ein Sommerloch ausgefüllt.
RE: Tour de France
in An der Gesellschaft/dem Alltag orientierte Gedanken 16.08.2007 17:32von Moulin
Dass es mit dem Radsport so weit gekommen ist lässt sich angesichts der fehlenden Möglichkeit, Doping bis in´s kleinste Detail zu überwachen, nicht mehr ändern.
Vielleicht bekommen in der Zukunft des Radsportes die grünen und gelben Trikots gleich die besten Mannschaftsärzte.
Ja, man muß es so nehmen, wie es ist. Kein ehrlicher Wettbewerb, eher ein Spektakel, eine Riesen - Party.
Das boykottieren der Fernsehsender bringt natürlich gar nichts, höchstens ein paar fehlende Werbeeinnahmen.
RE: Tour de France
in An der Gesellschaft/dem Alltag orientierte Gedanken 16.08.2007 17:42von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Aber Leut's, die einzelnen Fahrer haben ihre eigenen Ärzte, die schon mit den "Drogen" bereitstehen. Es gibt da so viele Tricks, die im Blut nicht nachweisbar sind.
Die Tour de France war 1907 noch ein ehrlicher Sport, danach ging es Jahr für Jahr den Bach runter.
1967 brach der erste Fahrer dann am Mont Ventoux zusammen, was verständlich ist, wenn man sich diese Strecke mal vor Augen hält.
Eine Tortur ohnegleichen, die 2000 als Strecke wieder aufgenommen wurde.
Barnes sagt es in seinem Buch so schön. In den zwanziger Jahren haben sich die Fahrer noch mit Alkohol aufgeputscht (unglaubliche Mengen, da möchte man sich fragen, wie hier noch gefahren werden konnte). Er spricht von diesen "herkuleischen Durchhaltevermögen", das die Fahrer aufbringen mussten, wobei bei so manchem Team pro Mann eine Flasche Schnaps und dazu noch ein paar Gläser Portwein, Weißwein und Champagner verbraucht wurden.
Es gab sogar fotografische Aufnahmen von Fahrern, die in den Bars und Cafés der jeweiligen Städte "auftankten".
Ebenso war bekannt, dass die Fahrer nach Strychnin, Kokain, Äther und Morphium griffen (das beliebte Aufputschmittel trug den harmlosen Namen "American Coffee"), es gab allerdings auch volkstümliche Stärkungsmittel wie etwa Stierblut und die zerstoßenen Hoden wilder Tiere.
Die Fahrer starben an Alkohol und Morphium, das muss man sich mal vorstellen, um die Schmerzen abzustellen. Meine Güte, da darf man wirklich nicht mehr von "Sport" reden.
Aber, das wurde wohl schon im Altertum bei den Olympischen Spielen so gehandhabt. Kontrollen verliefen da durch "Anhauchen".
Die Tour de France wird nicht umsonst als Masochismus bezeichnet, 3630 Kilometer mit nur zwei Ruhetagen.
Dann kamen die Amphetamine, damit man die Strapazen überhaupt durchstand. Diese wurden dann in den Sechzigern erst verboten.
Dann setzte eine Art Quantensprung ein, als alle Stimulanzien durch leistungssteigernde Mittel ersetzt wurden (und zwar kontrolliert), Wachstumshormone und EPO (Erythopoietin).
"Statt Schmerzen zu unterdrücken und die Illusion zu vermitteln, man sei stärker, als man eigentlich war, machten die neuen Drogen tatsächlich stärker." heißt es bei Barnes. Es gab sozusagen keine "schlechten Tage" mehr.
1998 verlor dann die Tour de France entgültig ihre "Unschuld". Willy Voet, ein "Pfleger", der für die Massagen und die Überwachung der Fahrer zuständig war, wurde mit Taschen voll "Aufputschmittel", Wachstumshormonen, Blutverdünnungsmittel auf Aspirinbasis usw. beim Zoll erwischt. Er brachte ein Buch heraus, in dem er aufzählt, welche Drogen er verabreicht hat.
Hier wird auch erwähnt, dass es unmöglich ist, für einen Radfahrer auf natürlichem Wege die Tour de France überhaupt zu überstehen (nicht einmal zu gewinnen).
Bei Barnes gibt es zwei ausführliche Kapitel darüber. Sehr interessant.
Art & Vibration