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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Luis Landero

in Die schöne Welt der Bücher 05.11.2013 20:57
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Luis Landero
"Späte Spiele"


„Wörter waren das einzige, was er besaß. Ein paar Worte für den persönlichen Gebrauch, ein paar Namen, die man geben und wieder nehmen konnte. Das war alles.“


„Dichtung ist Wahrheit!“ Dieses Motto macht sich der Protagonist dieses Buches zum Thema.
Die Aufgabe des Künstlers ist es, nicht verstanden zu werden. Nur was ein Künstler ist, das bedarf natürlich einer reichen Erfindungsgabe, insbesondere, wenn man doch eigentlich gar nicht so richtig dazu berufen ist.

Gregorio Olias, der in seiner Jugend einige Gedichte verfasst und sich dabei das Pseudonym "Faroni" zugelegt hat, so dass ein Freund ihm für die Zukunft große Anerkennung bescheinigte, landet letztendlich in einem tristen Büro für Oliven- und Weinverkauf, heiratet eine „graue Maus“, lebt mit ihr und ihrer Mutter in einer engen Wohnung und erinnert sich erst nach und nach an seine einstigen Träume, ein großer und bekannter Dichter werden zu wollen.

Als in seinem Büro eines Tages das Telefon klingelt und von da an täglich ein Kontakt zum Handelsreisenden Gil entsteht, der irgendwo in irgendeiner tristen Provinz – abgeschieden von der Welt - die Ware an den Mann bringt und um Kommunikation bettelt, ist in Gregorio schließlich die Lust geweckt, sein Leben für die Erzählung am Telefon neu zu erfinden. Nun macht er sich ganz einfach zu einem berühmten, jedoch im Verborgenen lebenden Dichter, vom Staat verfolgt, wahrscheinlich gar Kommunist, und Gil zerfließt vor Begeisterung, weil auch er sich durch diese eigenartige neue Bekanntschaft wertvoller fühlt.

Beide können durch die Telefongespräche einen neuen Sinn im Leben finden. Der eine, indem er sich tatsächlich an ein Buch setzt, der andere, der in seiner Bewunderung sein tristes Leben vergessen kann. Doch natürlich ist all das nur Trug, ein Scheingebilde, das irgendwann notgedrungen zerplatzen muss.

Was am Anfang dem reinen Vergnügen und der Ablenkung vom grauen Alltag dient, gerät auf einmal aus dem Ruder. Gregorios Lügengerüst wird dermaßen wacklig, dass er sich immer größere Elfenbeinmauersteine zurechtlegen muss, bis er schließlich, als der ebenso graugesichtige Gil seiner Bewunderung für den berühmten Dichter folgend, die Stadt bereist, um ihn zu treffen, alles hinwirft, um seine Lüge aufrechtzuerhalten, seinen Job, seine Familie, sein tatsächliches Leben. Mit der Flucht wird seine eigene Lüge für ihn lebensecht. Einzig die Realität wagt es immer wieder, störend dazwischenzufahren.


Das alles ist äußerst gemächlich erzählt. Landero versteht es, den Leser in schönen Gedanken zu führen.

"Man wird nur mit Mühe jemanden finden, der, wie Jesus mit dem Kreuz und Don Quijote mit seinen Waffen, gerade das ihm angemessene, wesentliche Gewicht trägt, welches das Schicksal ihm zugedacht hat."

„Was wir heute als Glück oder Zufall bezeichnen, ist schlicht Unordnung, um nicht zu sagen, Vergessen. Alles Unvorhergesehene ist schon viele Male zuvor dagewesen.“

Es bedarf mitunter einer ebenso gemächlichen Stimmung, um sich ganz auf den Roman einzulassen. Der Anfang ist etwas schleppend, doch die Spannung von Dichtung und Wahrheit wird über die Seiten hinweg gesteigert, und bis dahin kann der Leser in einer philosophisch geprägten Stimmung dahinblättern.

Es ist ein Roman über die Kunst und den Wahnsinn, ein Buch über die Suche nach der „Aufgabe“, jenes höhere Maß, das sich der Mensch nur allzu gerne setzen möchte, um im großen Nichts des Alltags eine eigene Bedeutung zu gewinnen. Wie Landero an dieses Thema herangeht, hat mir gut gefallen.

Der Protagonist, der seine eigenen Lügen glaubt, sein Leben nach diesen ausrichtet, ist umgeben von einer Welt, die mit seiner Lüge nicht so ganz übereinstimmen will, wenn er es auch dennoch immer wieder schafft, die Situation beeindruckend für sich zu meistern.
Genau das macht dann die Geschichte auch aus, dieser großartige Einfallsreichtum, der sowohl dem Protagonisten als auch dem Autor des Buches nie auszugehen scheint.

Im Grunde ist es also ein Werk über den Verlust der Träume, über die Suche nach dem Sinn des Lebens, über den zur Lösung notwendigen Mittelweg.


... "das Leben ist kurz", sagte er sich, "und was am Ende bleibt, ist ein grinsender Totenschädel.""



(Luis Landero "Späte Spiele", S.Fischer Verlag)



Liebe Grüße
Taxine




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 05.11.2013 21:08 | nach oben springen

#2

RE: Luis Landero

in Die schöne Welt der Bücher 10.11.2013 08:08
von E.Sinclair • 13 Beiträge

Das hast Du sehr schön geschrieben Annelies, ein Abriss bei dem man selbst die Hintergrundtöne der Geschichte spürt ... ein wenig darin blättern kann. Den Roman kenne ich nicht, aber ich habe den Eindruck, dass dieser Gregorio Olias in jedem Menschen steckt. In jedem irgendwie das triste Büro und der im verborgen lebende Dichter, der Olivenverkäufer und das außergewöhnliche Leben. Selbst wenn wir gut dabei wegkommen, so bleibt doch vieles Illusion, Fata Morgana, Schall und Rauch. Am Ende wandern selbst die größten Werke der Weltliteratur, wie Oliven über den Warentisch. Vielleicht ist der eigentliche Irrtum das einander gegenüberzustellen?

Gottfried Benn sagte sehr schön in seinem Interview 1956 mit Thilo Koch ( 2 Monate später starb er ): "wenn sie am Schluss ihres Lebens ihre Tätigkeit überblicken, als geistiger, als produktiver Mensch, glauben sie, sie haben auch nichts anderes gemacht, wie ... sagen wir ... ein Zigarretenhändler der sein ganzes Leben lang hinter dem Ladentisch Zigarreten verkauft hat. Dichten ist nämlich auch etwas ungeheuer Natürliches. Sonst würde es, glaube ich, gar nicht wirken. Es ist etwas, was mit dem Körper, mit den Genen einem mitgeboren ist. Und das entwickelt man, entwickelt sich bei einem Dichter eben sprachlich."

Hier die Quelle.

Servus,
Sinclair

zuletzt bearbeitet 14.01.2019 18:16 | nach oben springen


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