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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst


#1

Juni/Juli 2019

in Lektüreliste 03.06.2019 09:21
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Auf dem Lesetisch: Andrej Platonow - Die Baugrube in der Übersetzung von Gabriele Leupold. Und wieder einmal, Moby Dick, in der Übersetzung von Matthias Jendis.
Für mich ist der Moby ein Buch der Unsterblichkeit und Platonow könnte es auch werden.

Was wäre unser Leseleben, oder unser Dasein als bekennende Bibliomanen/innen ohne die Russen?

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#2

RE: Juni/Juli 2019

in Lektüreliste 03.06.2019 11:30
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Zitat von Patmöser
Wer weiß, ich könnte meine Hand nicht dafür in's Feuer legen, das ich unter dem totalitären Regime des blutigen Georgiers ein tapferer Held des Widerstands und des Widerspruchs gewesen wäre. Die Zeiten der Bestien und Völkerschlächter gehen wohl niemals vorbei, sind niemals nur Geschichte.



Das ist auch wieder wahr. Viel "Mut" konnte man unter diesem Mörderregime kaum beweisen. Und selbst die Stillen und Angepassten mussten dran glauben, wie dann auch der gute Babel.

Zitat von Patmöser
Was wäre unser Leseleben, oder unser Dasein als bekennende Bibliomanen/innen ohne die Russen?


Hehe, allerdings. Für mich stehen die Russen ganz oben. Sie sind Herz- und Menschlichkeitsschreiber, weniger intellektuell oder verspielt. Das ist das, was mir gefällt. Von Platanow kann ich allerdings irgendwie nicht alles lesen. "Die Baugrube" habe ich versucht, blieb aber dann doch als eine nicht zu Ende gelesene Erzählung liegen. (Vielleicht versuche ich es noch einmal, irgendwann.. Ist ja auch Stimmungssache.) Sachen, die ich von ihm liebe, sind "Tschewengur" und "Das Volk Dshan". Da ist viel philosophische Tiefe drin.




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#3

RE: Juni/Juli 2019

in Lektüreliste 03.06.2019 21:08
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Zitat von Patmöser
Die Zeiten der Bestien und Völkerschlächter gehen wohl niemals vorbei, sind niemals nur Geschichte.



Passend dazu Jewtuschenko:
"Er hat viele Erben auf der Erde hinterlassen.
Mir scheint es
Als sei in seinem Grab ein Telefon eingerichtet
Und er erteilt wieder irgendjemandem seine Befehle ...
Nein, er ist nicht gestorben.
Den Tod hält er für korrigierbar."





Art & Vibration
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#4

RE: Juni/Juli 2019

in Lektüreliste 04.06.2019 09:02
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Ich lese gerne einmal Biographien und nach der Wende war eines der ersten Bücher, die ich in einem Buchladen in Lübeck kaufte, Solschenizyns Archipel Gulag, alle drei Teile.
Es folgte Fassungs und Ratlosigkeit bis heute, man kriegt das nicht wirklich in seinen Kopf hinein (und auch nicht wieder heraus), diese bestialischen Dimensionen der Vernichtung und des Grauens.
Und es stellt sich dabei immer wieder die Frage, ist der Mensch nicht ein völlig irrationales Wesen, das über seinen primitiven tier status einfach nicht hinaus kommt?

Aus diesem Grund habe ich mich bis heute geweigert, eine Biographie des Irrsinnigen aus Braunau zu lesen, ich weigere mich, diesem braunen Auswurf aller Höllen diese Aufmerksamkeit zu geben. Der natürliche Ekel vor diesem Unmenschen sitzt zu tief und so soll es dann auch bleiben.
Und wenn man sich mit Zeit des Kommunismus/Stalinismus/Faschismus/Maoismus einmal eindringlich auseinander gesetzt hat, dann weiß man, das diese Führer wieder kommen, in irgendeiner Form und Gestalt. Und auch für die nächsten Völkermorde wird es eine Rechtfertigung, ein Parteiprogramm und einen begeistert verehrten Führer geben.

Seien wir froh, das es uns vergönnt ist, in einer wenn auch trügerischen Zeit des Friedens zwischen dem zweiten und dritten Weltkrieg zu leben.

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#5

RE: Juni/Juli 2019

in Lektüreliste 06.06.2019 10:40
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Zitat von Patmöser im Beitrag #4


Seien wir froh, das es uns vergönnt ist, in einer wenn auch trügerischen Zeit des Friedens zwischen dem zweiten und dritten Weltkrieg zu leben.


Ja. Seien wir froh, dass wir nicht in einem blutigen Gemetzel sind, in diesen so irrsinnig für irgendeinen absurden Zweck über unsere Köpfe festgelegten Entscheidungen und in unserer Machtlosigkeit, nicht mehr handeln oder etwas dagegen tun zu können, obwohl ich glaube, dass wir bereits durchaus in einer Art dritten Weltkrieg sind, er hat nur ein anderes Gesicht und hat ein anderes Ziel.

Solschenizyns drei Gulag-Bücher habe ich auch gelesen. Sehr gut sind auch "Die Flüsterer" von Orlando Figes. Hier wird der Durchschnittsrusse gezeigt, der mit den Verhaftungen und Denunziationen konfrontiert war. Teilweise haben Menschen andere angezeigt, weil sie deren Wohnungen wollten. Ständig in Gefahr zu leben, jederzeit verhaftet zu werden, muss grausam sein und weckt gleichzeitig auch ganz neue Monstren. Wie Dostojewski sagte, das Tier ist gegenüber dem Menschen harmlos und niemals so hinterhältig.

Ich finde es für mich wichtig, sich über die Vergangenheit zu informieren, da nur so die Gegenwart besser sichtbar wird. Daher bin ich dankbar für all die, die diese Zeiten festgehalten haben. Gerade in Russland waren so viele, die den Samisdat aufrechterhalten und trotz der Gefahr ihren Kopf hingehalten haben, damit wir heute wissen, was wirklich geschehen ist. Diese Menschen waren auch keine Helden, aber sie sind über ihren Schatten gesprungen, oft auch, ohne die Gefahr richtig einzuschätzen. Sie haben meine tiefe Bewunderung.




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#6

RE: Juni/Juli 2019

in Lektüreliste 07.06.2019 10:19
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Zitat von Taxine im Beitrag #5
Diese Menschen waren auch keine Helden, aber sie sind über ihren Schatten gesprungen, oft auch, ohne die Gefahr richtig einzuschätzen. Sie haben meine tiefe Bewunderung.




Das sind dann die stillen Helden, die weder Stimme noch Lobby haben. Aber genug von diesen finsteren Zeiten, sonst verfalle ich wieder in endlose Grübeleien und das endet dann oft in perspektivlosen Todeszonen.

Zum Thema, ich habe nun Safranskis: Romantik, Eine deutsche Affäre beendet und bin etwas derb enttäuscht, jedenfalls im Vergleich zu Ricarda Huchs Buch über die Romantik (Ricarda Huch, Die Romantik, R.Wunderlich Verlag, Tübingen). Warum schreibt der Mann über ein Thema, das er nicht wirklich ausschöpfen kann? Und warum handelt er nur die Romantik in Deutschland ab?
(Bleibt zu hoffen, das Safranski niemals eine Biographie über Jean Paul schreibt.)
Und ob nun Tieck, oder Novalis zum König der Romantik ausgerufen wird, so ist mir das nicht wirklich wichtig, für mich ist und bleibt der König (wenn es denn einen geben muss) der gute alte Eichendorff. Aber darüber kann man wohl geteilter Meinung sein und wird zu keinem Ende kommen.

Schläft ein Lied in allen Dingen….

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#7

RE: Juni/Juli 2019

in Lektüreliste 09.06.2019 19:33
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Das Safranski-Buch habe ich rumliegen, auch seine Goethe- und Schiller-Sachen. Kann aber leider nichts dazu sagen, da ich noch nicht hineingelesen habe. Ein schönes Buch über die schwarze Romantik gibt es von Mario Praz. Für den sind alle Sadisten. Aber das Gesamtbild ist spannend erzählt. Heißt "Liebe, Tod und Teufel" und klingt banaler als es ist.




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#8

RE: Juni/Juli 2019

in Lektüreliste 10.06.2019 11:39
von LX.C • 2.821 Beiträge

Lese nun endlich Zwölf Stühle. Aber irgendwie scheine ich an eine stark gekürzte Version aus den 50ern geraten zu sein. Da muss ich noch mal nachbessern.


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zuletzt bearbeitet 10.06.2019 11:40 | nach oben springen

#9

RE: Juni/Juli 2019

in Lektüreliste 11.06.2019 07:36
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Zitat von LX.C im Beitrag #8
Lese nun endlich Zwölf Stühle. Aber irgendwie scheine ich an eine stark gekürzte Version aus den 50ern geraten zu sein. Da muss ich noch mal nachbessern.


Ein Buch, das ich wohl auch endlich lesen sollte.

Dann wäre das die Ausgabe - Sammlung Luchterhand, mit rund 500 Seiten. Und diese ist dann eine von den "Zensureingriffen" befreite Fassung?

Oder man lernt russisch! Aber dann mit den dazugehörigen "Wodkarationen".... Und dann, dann machen wir alle eine Reise nach Petuschki.

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#10

RE: Juni/Juli 2019

in Lektüreliste 11.06.2019 11:13
von LX.C • 2.821 Beiträge

Zitat von Patmöser im Beitrag #9
Zitat von LX.C im Beitrag #8
Lese nun endlich Zwölf Stühle. Aber irgendwie scheine ich an eine stark gekürzte Version aus den 50ern geraten zu sein. Da muss ich noch mal nachbessern.


Ein Buch, das ich wohl auch endlich lesen sollte.

Dann wäre das die Ausgabe - Sammlung Luchterhand, mit rund 500 Seiten. Und diese ist dann eine von den "Zensureingriffen" befreite Fassung?


Ja richtig, z.B. die. Rowohlt hat in den 50ern 54 oder so eine Fassung mit 180 Seiten raus gebracht. Da kann natürlich was nicht hinhauen.


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#11

RE: Juni/Juli 2019

in Lektüreliste 12.06.2019 08:27
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Zitat von LX.C im Beitrag #10


Ja richtig, z.B. die. Rowohlt hat in den 50ern 54 oder so eine Fassung mit 180 Seiten raus gebracht. Da kann natürlich was nicht hinhauen.


Vielleicht gönne ich mir diese Ausgabe noch. Wenn nichts dazwischen kommt und eigentlich kommt immer etwas dazwischen. Ein „Dazwischenkommer“ ist zur Zeit eine schöne Dünndruck-Gesamtausgabe (in zwei Bänden) des Insel Verlages der Werke der Droste, samt Briefen ausführlichen Kommentaren und Registern, ich liebe das.
Eine schon etwas eigenwillige Dame, diese Droste, und sehr tiefen Sinnes sozusagen, viele kennen ihre Judenbuche aber ich glaube da gibt es noch viel mehr zu entdecken.

Und dann liegt da irgendwo noch Oblomow (den habe ich wirklich immer noch nicht gelesen) auf der Couch und eine schöne Ausgabe vom Ringelnatz harrt auch noch der näheren Betrachtung, und dann noch Lotis Islandfischer, und dann wünsche ich mir noch das Land der spitzen Tannen, und dann…

Kein leichtes Leben, so als bekennender Bibliomane.

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#12

RE: Juni/Juli 2019

in Lektüreliste 13.06.2019 17:39
von LX.C • 2.821 Beiträge

Zitat von LX.C im Beitrag #8
Lese nun endlich Zwölf Stühle. Aber irgendwie scheine ich an eine stark gekürzte Version aus den 50ern geraten zu sein. Da muss ich noch mal nachbessern.

Bin auf Volk und Welt umgestiegen. Immerhin von Reschke (Luchterhand Ausgabe) bearbeitet. Da wird dann schon klar, dass in der Rowohlt Ausgabe ganze Kapitel fehlen.

Zudem fange ich Saša Stanišić - Herkunft an. Das scheint mir ein sehr lohenswertes Stück Gegenwartsliteratur.

Ach ja, und von Babel habe ich nur die Reiterarmee gelesen. Ausgabe Friedenauer Presse Berlin.


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zuletzt bearbeitet 16.06.2019 21:49 | nach oben springen

#13

RE: Juni/Juli 2019

in Lektüreliste 16.06.2019 21:55
von LX.C • 2.821 Beiträge

Zitat von LX.C im Beitrag #12
Zitat von LX.C im Beitrag #8
Lese nun endlich Zwölf Stühle. Aber irgendwie scheine ich an eine stark gekürzte Version aus den 50ern geraten zu sein. Da muss ich noch mal nachbessern.

Bin auf Volk und Welt umgestiegen. Immerhin von Reschke (Luchterhand Ausgabe) bearbeitet. Da wird dann schon klar, dass in der Rowohlt Ausgabe ganze Kapitel fehlen.



Und was fehlt? Interessanterweise Kapitel die wie in Berlin Alexanderplatz das zeittendenziöse beschreiben. Beschreibungen über traditionelle aber und vor allem auch modernistische Eigenarten und Eigenheiten von Stadt und Land zur Entstehungszeit des Buches. Die Rowohlt Ausgabe ist folglich eine Reduktion auf die Schatzsuche, während die Gesamtausgabe mehr als das enthält. Es ist ein bisschen so, als würde man Hugos Notre-Dame wie in den Filmen auf die Glöckner-Geschichte reduzieren.


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[i]Poka![/i]

zuletzt bearbeitet 16.06.2019 21:57 | nach oben springen

#14

RE: Juni/Juli 2019

in Lektüreliste 16.06.2019 22:12
von LX.C • 2.821 Beiträge

Zitat von LX.C im Beitrag #12
[quote=LX.C|p23471]Zudem fange ich Saša Stanišić - Herkunft an. Das scheint mir ein sehr lohenswertes Stück Gegenwartsliteratur.


"Also doch, Herkunft, wie immer, dachte ich und legte los: Zuerst müsse geklärt werden, worauf das Wort ziele. Auf die geographische Lage des Hügels, auf dem der Kreißsaal sich befand? Auf die Landesgranze des Staates zum Zeitpunkt der letzten Wehe? Provenienz der Eltern? Gene, Ahnen, Dialekt? Wie man es dreht, Herkunft bleibt doch ein Konstrukt! Eine Art Kostüm, das man ewig tragen soll, nachdem es einem übergestülpt worden ist. Als solches ein Fluch! Oder mit etwas Glück, ein Vermögen, das keinem Talent sich verdankt, aber Vorurteile und Privilegien schafft" (München: Luchterhand, 2019, S. 32f).


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zuletzt bearbeitet 17.06.2019 11:23 | nach oben springen

#15

RE: Juni/Juli 2019

in Lektüreliste 17.06.2019 07:52
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Zitat von LX.C im Beitrag #12
Zitat von LX.C im Beitrag #8
Lese nun endlich Zwölf Stühle. Aber irgendwie scheine ich an eine stark gekürzte Version aus den 50ern geraten zu sein. Da muss ich noch mal nachbessern.



Zudem fange ich Saša Stanišić - Herkunft an. Das scheint mir ein sehr lohenswertes Stück Gegenwartsliteratur.




Würdest du Saša Stanišić empfehlen? Und wenn ja, mit welchem seiner Bücher sollte man beginnen?

Ehrlich gesagt habe ich mit den so genannten Gegenwarts-Schriftstellern so meine Probleme, große Probleme.

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