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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst


#1

Juli/August/September/Oktober 2020

in Lektüreliste 04.07.2020 20:33
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

Kürzlich genossene Lektüren, die ich irgendwann sicherlich noch einmal lesen werde, sind "Gezeichnet" von Osamu Dazai und "Alles zerfällt" von Chinua Achebe.
Der Japaner hat sich nicht nur mit seiner Geliebten aufgrund tiefer Depressionen und Sucht mit 39 Jahren selbst ertränkt (seine Leiche wurde genau an seinem Geburtstag gefunden) und ist damit zum Kult geworden, er hat den Suizid auch in jüngeren Jahren mit einer Leidensgenossin versucht, wobei sie starb und er überlebte. Viele dieser Erfahrungen sind in seinen Roman eingeflossen, darunter auch sein Aufenthalt in einer Nervenheilanstalt. Erst hinterher erfuhr ich, wieviel davon auf wahren Begebenheiten beruhte, während die Geschichte eher fantastisch anmutet und durch einen eigenen Charme besticht. Er erzählt aus dem Inneren, fast surreal, in der Figur eines drittklassigen Comiczeichners, der nicht in der Lage ist, seine Angst vor Welt und Mensch zu überwinden und so auch zur wahren Kunst nicht fähig wird, dafür jedoch die Kunst des Leidens perfektioniert und sich dadurch von vielen Frauen aushalten lässt. Das Buch lohnt sowohl auf Englisch als auch in der deutschen Übersetzung, dessen Veröffentlichung Dazai gar nicht mehr abwartete, um sich zu töten. Die Angst und tiefe Verzweiflung wird ebenso sichtbar wie die Kritik an der eigenen Gefühlsunfähigkeit. In Japan gehört das Buch zu den meistgelesenen Romanen des 20. Jahrhundert.

Achebe wiederum zeigt als Afrikaner, wie genial man Stammesriten und Eigenheiten in eine packende und bunte Geschichte fassen kann, die auch die Fantasie als eigenes Stilelement hervorhebt. Das erlaubt den tieferen Einblick auf Rituale und Aberglaube, bei denen das tierische Opfer genauso wie das menschliche eine Rolle spielen. Es gibt auf Youtube ein schönes Interview mit ihm und Wole Soyinka aus den 60er Jahren.




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 03.10.2020 14:56 | nach oben springen

#2

RE: Juli/August 2020

in Lektüreliste 07.07.2020 21:20
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

Ich will wieder etwas Bulgakow lesen, daher noch einmal "Manuskripte brennen nicht" als Biografie aus Briefen und Tagebüchern, herausgegeben von Julie Curtis, um mich einzustimmen. Auch von Jelena Bulgakowa, seiner dritten Frau, gibt es Tagebücher, die zwar gekürzt sind, aber, wie auch Bulgakows Briefe, viel über die Aufführverbote seiner Stücke unter Stalin berichten und von seinem Kampf mit den Depressionen und dem Durchhaltevermögen. Wie oft hat er Manuskripte verbrannt und doch gilt das Sprichwort in Russland "Manuskripte brennen nicht". Das bewahrheitet sich gerade bei Bulgakow, wenn später einiges als Kopie wieder auftaucht, und sei es als gelagerter Text beim Geheimdienst. Bulgakowas Erinnerungen heißen "Margarita und der Meister". Da werfe ich dann ebenfalls einen Blick hinein, bevor ich mich für einen seiner Romane oder für die Erzählungen entscheide.
Inspiriert wurde das Ganze witzigerweise von "Familienglück" von Tolstoi, ein Kurzroman, den ich noch gar nicht kannte und der deutlich darauf verweist, dass Tolstoi die Leidenschaften der Liebe schmerzhaft durchlebt hat, hier dann sogar aus der Sicht der Frau geschrieben, mit erstaunlichem Einfühlungsvermögen. Der Roman entstand noch vor seiner Hochzeit mit Sofja Andrejewna und war trotzdem aus dem Leben gegriffen. Inspiriert war er durch seine Liebe zu Valerija Arsenewa, die seine Bedingungen für ein gemeinsames Leben wohl nicht akzeptierte.
Und Nabokovs "Gogol" trug gleichfalls dazu bei, vielleicht eine der besten Biografien über den Russen, wobei Nabokov überhaupt wunderschön erzählt und es allgemein wenig über Gogol gibt.

Von den Russen komme ich nicht los. Wieso sollte ich auch.




Art & Vibration
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#3

RE: Juli/August 2020

in Lektüreliste 19.08.2020 21:16
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

"Ist Ihnen schon einmal der Gedanke gekommen: "Ich, der ich Samenzelle und Ei war?" Stammt aus Stanislaw Lem "Das Hospital der Verklärung". Das ist sein erster Roman, geschrieben in den 40er Jahren, der jedoch den anderen Werken in nichts nachsteht, nur noch nicht so weit ins All hinausreicht. Oder vielleicht doch, nur mehr in den inneren Kosmos, denn es geht um eine Irrenanstalt, wo Patienten und Ärzte wohl gleichermaßen verrückt sind, in der Zeit des Zweiten Weltkriegs, bis die SS das Krankenhaus besetzt und die Irren liqudieren möchte.
Im Roman dann ein herrlicher Dichter, der häufiger ins Blickfeld gerät und sich philosphisch ergießt. Erinnert etwas an die beiden Streithähne aus Manns "Der Zauberberg". Als den Dichter einer der Ärzte fragt, ob die deutsche Politik eine Gefahr für Polen oder die Menschen bedeutet, sagt er, das könnte sein. Und auf die Frage, was dann zu tun sei, antwortet er, man solle Flöte spielen oder Schmetterlinge sammeln. „Wir können unsere Freiheit auf verschiedene Weise erlangen. Die einen tun es auf fremde Kosten (…), Die anderen – indem sie ein Loch suchen, durch das sie entschlüpfen können.“
Für ihn wäre das beispielsweise der Wahnsinn, und als er es demonstrieren soll, brüllt er wie eine Kuh. Darauf sagt er, das wäre nur ein Beispiel, weil er zu faul für Sinnfälligeres gewesen ist.
Sehr schöne Situationskomik und auch ansonsten ein gelungenes Werk. „Gewiss“, so der verrückte Dichter, „auch wenn ich für mich eine ganze Welt bedeute, bin ich nur ein Staubkörnchen in der Lawine der Ereignisse. Deshalb kann mich noch lange nichts veranlassen, wie ein Staubkorn zu argumentieren.“




Art & Vibration
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#4

RE: Juli/August 2020

in Lektüreliste 27.08.2020 21:10
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

Er übertreibt zwar mit seinen S und Z und C und Z im Namen , aber liest sich wunderbar und natürlich auch tragisch.
Andrzej Szczypiorski „Eine Messe für die Stadt Arras“ Pestalltag. Geißler, Judenverbrennung und eine Stadt, die glaubt, im Namen Gottes richten zu dürfen.




Art & Vibration
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#5

RE: Juli/August 2020

in Lektüreliste 29.09.2020 21:07
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Dieses Buch kenne ich gar nicht oder ist das gleiche wie „Das hohe Schloss“?
Das hohe Schloss habe ich nicht mal zur Hälfte gelesen. Wenn es identisch wäre, würde ich es nach Deinen Sätzen nochmal versuchen.


Deine Anmerkung zu Nabokov finde ich wunderbar. Da musste ich schmunzeln.
„wobei Nabokov überhaupt wunderschön erzählt und es allgemein wenig über Gogol gibt“
Das trifft meine Erleben, wenn ich was von Nabokov versucht habe. Er schreibt, um schön zu schreiben und ach ja, Inhalt hat er auch noch ein bisschen.
Ist vielleicht meinen Beschränkungen geschuldet, aber Deine Anmerkung betrachte ich als Hinweis, dass was dran sein könnte.


www.dostojewski.eu
zuletzt bearbeitet 29.09.2020 21:09 | nach oben springen

#6

RE: Juli/August 2020

in Lektüreliste 29.09.2020 23:12
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

"Das hohe Schloss" ist, wenn ich mich recht erinnere, autobiographisch. Auf jeden Fall nicht das gleiche Buch. "Das Hospital der Verklärung" ist sein erster Roman. Ich fand ihn gelungen. Ist noch eher bodenständig. Reicht aber natürlich auch nicht an Werke wie "Der futurologische Kongress" oder "Golem" heran. Von Lem kann ich zwischendurch immer einmal wieder etwas lesen. Der hat ja auch viel hinterlassen. Manches besser, anderes etwas ernüchternd. Aber auch nur, weil man die guten Werke kennt.

Nabokov war ein stylistischer Perfektionist. Seinen Werken kann man nicht einmal Tiefe absprechen, trotzdem war es mehr spielerisches Können auf hohem Niveau als das Vertiefen philosophischer Hinterfragungen. Darum war seine Kritik an Dostojewski für mich immer zweitrangig. Er sah und beurteilte die Oberfläche, nie die Schichten darunter, die zeitlos bleiben.
Trotzdem ist Nabokov für mich ein einzigartiger Schreiber, der mit Sätzen jongliert, in die er so manches Rätsel packt, oder der durch die Story überrascht. Das reizt mein Leserherz. Daneben die russischen ersten Werke, noch ganz anders und weit entfernt vom rein Stylistischen. Hätte ich die nicht zuerst gelesen, wären mir seine späteren kaum in Erinnerung. Er hat ja auch Puschkin übersetzt. In Prosa und mit tausend Seiten Anmerkungen. Das ist echt nur etwas für leicht fanatische Leser wie mich. Aber "Gogol" ist wirklich schön. Auch als Biografie.




Art & Vibration
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#7

RE: Juli/August 2020

in Lektüreliste 01.10.2020 21:40
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Jaja, ich weiß darum, dass Nabokov ein Perfektionist war. Über 1200 Seiten Biographie, geben einem da schon was mit auf den Weg. ;-)

Ich war bisher der Meinung, dass das hohe Schloss sein erstes Buch gewesen ist, vor seinem ganzen SF-Zeug. Nun ja.
Wo ich aber Totalausfall hatte, waren die zwei Bände Philosophie des Zufalls. Das war mehr als ein Nummer zu hoch für mich. Da habe ich nur Bahnhof verstanden.

Ich habe jetzt den Untertitel gefunden - vom Hospital. Das Buch habe ich auch mal versucht. Habe ich nicht weit gelesen. Ist aber ewig her, da war ich vermutlich irritiert, weil es kein SF war.

Ich bin vermutlich etwas überempfindlich oder allergisch, wenn sich Schreiber augenscheinlich offensichtlich in ihre eigene Sprache verliebt haben und das dick zum Vortrage bringen möchten. Deswegen hat mich Thomas Mann auch nach wenigen Seiten schon so abgeschreckt, dass ich von dem sicherlich nichts lesen werde. Kann man sicherlich als einfältig oder dumm benennen. Na und.


www.dostojewski.eu
zuletzt bearbeitet 01.10.2020 21:45 | nach oben springen

#8

RE: Juli/August 2020

in Lektüreliste 02.10.2020 15:35
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

Zitat von Jatman1 im Beitrag #7
Jaja, ich weiß darum, dass Nabokov ein Perfektionist war. Über 1200 Seiten Biographie, geben einem da schon was mit auf den Weg. ;-)

Meinst du etwa die von Boyd? Dann untertreibst du aber, die hatte mehr als 2.000 Seiten und ist mit Abstand die Beste. Turgenjew war übrigens auch mehr Ästhetiker. Dostojewski wiederum gar nicht. Apropos: was macht deine schöne Biografie? Nimmt sie schon die Veröffentlichungsphase an?




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#9

RE: Juli/August 2020

in Lektüreliste 02.10.2020 18:15
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Ja, ich meinte die von Boyd. Dann waren es über 2000. Ich hatte es nicht mehr im Kopf. Die Biographie fand ich auch hervorragend. Auch die (in meinem Fall) Versuche an sein Werk heranzuführen. Immerhin habe ich mir dann mal ein Buch von ihm gekauft.
Den zweiten Teil fand ich jedoch zunehmend zäh und die Lobpreisungen Boyds waren mir zunehmend zu oft zu fett aufgetragen. Scheint eine Art Jünger gwesen zu sein. Die zwei Klopper haben sich in jedem Fall gelohnt.

Die "Biographie" ist jetzt so ziemlich fertig. Bereit zum Hochladen und zum Drucken lassen von zwei Probeexemplaren. Aber eben nur fast. Mister Guski hat zugesagt ein paar Sätze für den Buchrücken zu schreiben. Das ist natürlich der Oberhammer! Jedenfalls für mich. Der war aber im Stress und ist immer recht kurz, aber dafür stringent, angebunden. So will ich erst mal nicht nerven und ihm auf die Nerven gehen. Ich warte. Dafür kann es sich auch etwas verzögern. Es ist ist ja so eine Art formaler Ritterschlag, son Text für ein Buch von dem er nur ein unfertiges Manuskript gelesen hat. Da schlägt mein Ego schon zu. Das cool abzutun, wäre einfach nur zu verlogen.

Was willst Du von Dir drin angeführt haben? Internet-Seite oder Mail-Adresse oder beides? Wie Du willst.


www.dostojewski.eu
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#10

RE: Juli/August 2020

in Lektüreliste 02.10.2020 18:39
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Walter Gropius - Der Architekt seines Ruhms _ Bernd Polster
Eine absolut lesenswerte Biographie. Fundiert ohne Ende. Unterhaltsam und trotzdem sachlich gehalten. Eine Biographie, die nicht auf dem letzten Drittel, wie nicht selten, schwächelt. Sie ist hoch informativ und spannend. Wirklich spannend, man will unentwegt wissen, wie es weiter gehen wird.

Vieles scheint auch unglaublich, insbesondere die Essenz. Pointiert doch in der Nähe von Wahrheit: Gropius war ein Hochstapler. Ein verdammt guter. Er war eloquent aber kein Sympathieträger. Viele erstaunliche bis unglaubliche Aspekte wirft das Buch auf.
Ich war erst neulich in Dessau und habe mir den ganzen Bauhaus-Kram reingezogen. Parallel dazu las ich das Buch. Einfach der Hammer. Der Typ war gnadenlos und hat selbst faktisch nichts auf die Reihe bekommen, „außer“ sich zu verkaufen und die Leistungen anderer zu usurpieren.
Zu weiten Teilen ein Quacksalber, mit unsäglichem Talent, alles geschickt laufen zu lassen und einzufädeln. Er war eiskalt und rücksichtslos. Und er war gescheit.

Keine von den 652 Seiten war zu viel.
So gut wie es war, legt es die Latte leider sehr hoch für alle weiteren Biographien.


www.dostojewski.eu
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#11

RE: Juli/August 2020

in Lektüreliste 03.10.2020 13:32
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

Das mit Guski freut mich sehr. Statt „Biografie“ hätte ich natürlich auch fragen können, wie es deinen „Dostojewski Frauen“ geht. Das allerdings hätte vielleicht etwas zweideutig geklungen.
Meine Website ist zwar immer noch von Google ins Aus katapultiert und ich weiß nicht, wie ich sie wieder Alarm-frei kriege, obwohl nichts davon zutrifft und schon gar keine „Daten unsicher sind“, trotzdem kannst du die Seite dazuschreiben, da ich wohl keine Energie habe, eine neue zu kreieren. Email muss nicht. Bin sehr gespannt, wie das Buch dann als Gesamtkonzept aussieht. Der Inhalt jedenfalls ist es wert, in die Riegen der Dostojewski-Kenner und Verehrer aufzusteigen. (Ja, ja… ich hör‘ schon auf .)

Danke auch für die Empfehlung von Polster über Gropius. Eine gute Biografie könnte ich auch einmal wieder lesen. Meine letzten Versuche waren eher ernüchternd, da zu akademisch, so die über Roland Barthes, oder zu abstrakt intim, wie Anne Atiks Gedanken über Beckett (bei denen man sein Leben und seine Briefe kennen muss). Am besten darin waren die Skizzen und Zeichnungen von Beckett, die ihr Mann Avigdor Arikha gemacht hat. Da ging es mir ähnlich wie bei dem Auster-Buch über seine Schreibmaschine mit den vielen Kunstwerken vom Sam Messer, der ins Haus kam und die Schreibmaschine in allen Phasen „porträtierte“. Das kleine Werk ist überhaupt fantastisch gestaltet und immer einmal wieder einen Blick hinein wert.

Ich habe in letzter Zeit wirklich schöne Literatur gelesen, vielleicht auch als eine Art kurzweilige Weltflucht. Die äußere Krise dringt ja langsam immer tiefer ins Innere. Während ich vorher immer entscheiden musste, ob ich lese oder künstlerisch herumexperimentiere, muss ich jetzt die Wahl treffen, ob ich lese, male oder vor der Welt erschrecke.
Aber zurück zum Thema. Zur gewinnbringenden Lektüre gehörten die wunderbaren Erzählungen der begabten Lucia Berlin, die beispielsweise mit Carver verglichen wird, der, wie ich finde, wiederum gar nicht an sie heranreicht, wenn auch seine Stories die Depressionen des Lesers schön zu wecken wissen. Von Berlin las ich „Was ich sonst noch verpasst habe“ und „Welcome home“, letzteres weniger Stories als Geschichten über die Orte, an denen sie gelebt und gelitten hat. Berlin selbst ist faszinierend, war mit Jazz-Musikern verheiratet und kannte auch den Alkohol- und Drogensumpf. (Da schreib ich noch einen Ordner voll.)
Ansonsten war da noch Robert Calassos „Baudelaire“, ein großartiges Werk über Baudelaire und Zeitgenossen wie Ingres und andere. Calasso schreibt einmalig „intensiv“ und man erfährt auch Unbekannteres.

Wer sich für den Holocaust interessiert, dem sei Gilles Rozier „Im Palast der Erinnerungen“ ans Herz gelegt. Es birgt allerdings auch die Gefahr, noch verzweifelter zu werden, ähnlich wie bei David Grossman „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“.

Viel entspannender ist Pavese, von dem ich wieder viel gelesen habe, so „Die Verbannung“, „Die Bauern“ und ähnliches. Letzteres gehört zu einem kunstvoll gestalteten Konvolut, das alle seine Erzählungen und Kurzgeschichten enthält, von „Volk und Welt“. Interessant und empfehlenswert war auch Jean Echenoz „14“ über die französische Mobilmachung oder Jean-Louis Fournier, der in vielen knappen Sätzen pro Seite aus der Sicht des Kindes über seinen Vater schreibt, der Arzt und Alkoholiker war. Das Buch heißt dann nicht umsonst „Umgebracht hat er keinen“.

Momentan eine Art Rückkehr zu den "jungen Wilden". Oskar Roehler "Mein Leben als Affenarsch". Da keucht ein Leben auf, das schrecklich spannend ins Bild gesetzt ist. Hat mich überrascht. Berlin. Achtziger Jahre. Ein Alkohol-Vater und eine tablettensüchtige Mutter. Ein Erzähler, der in der Theaterszene Fuß fassen will oder zumindest Dichter sein möchte und dann als Putzer in einer Peepshow landet. Koksende Schauspieler. Hässliche Liebeszenen (wieviel davon wohl echt ist?), Schreibblockaden, Speed-Nächte, Einsamkeit und Abstürze. Ein Buch für zwischendurch, das zumindest keine Zeitverschwendung ist. Es ist jedoch schon sehr "deftig" und nichts für zarte Gemüter, was vielleicht auch "vage" im Titel erkennbar ist. .




Art & Vibration
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#12

RE: Juli/August 2020

in Lektüreliste 05.10.2020 18:01
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

Da nun endlich zur Hand: Olga Tokarczuk "Die Jakobsbrüder". Hier ist die Erzählerin wirklich ganz in ihrem Element.

"Es kann geschehen, dass Gott sich erschöpft an seinem Glanz und seiner Stille, dass ihm unwohl wird von seiner Unendlichkeit. Und wie eine große, allempfindliche Auster, deren Körper, so nackt und zart, das feinste Beben eines winzigen Lichtsplitters wahrzunehmen vermag, zieht er sich zusammen, zieht sich in sich selbst zurück, und in dem Raum, den er freigibt, entsteht aus dem Nichts – ein Stückchen Welt."




Art & Vibration
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#13

RE: Juli/August 2020

in Lektüreliste 15.10.2020 20:59
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Fritz R. Glunk - Marcel Proust
Liest sich flüssig, aber neugierig auf Proust macht es nicht. Bin erst in der Zeit der Schulzeit, aber ich befürchte, es wird sich bei ihm auch um einen theatralischen Wortdrechsler handeln. Im Moment sehe ich mich die Biographie nicht zu Ende lesen.

Und zugleich Andrew Johnston - Talleyrand
Kann man lesen, aber empfiehlt sich nicht. Durch das, wie ich fand, grandiose Buch Stefan Zweigs über Fouche, war ich auf dessen Gegenspieler sehr neugierig geworden. Doch hier erfährt man keinesfalls mehr, als man schon bei Zweig erfahren hat. Ich glaube zu dem Buch passt: trivial. Das ist es glaube. Ich werde es nach zwei Drittel wohl aufgeben.

In dem Zuge sei noch mal auf Zweig - Fouche hingewiesen. Ohne jegliche Abstriche lesenswert und -würdig. Thema und Stil einfach wunderbar.

Zugleich sei "gewarnt" vor Zweigs Kampf mit den Dämonen - Hölderlin Kleist Nietzsche Überraschenderweise habe ich das recht schnell beiseite gelegt und benutze es derzeit als "Bastelunterlage".


www.dostojewski.eu
zuletzt bearbeitet 15.10.2020 21:04 | nach oben springen

#14

RE: Juli/August 2020

in Lektüreliste 16.10.2020 20:23
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Und mit Proust war es dann so wie vermutet. Einer der seltsamsten Biographien, die ich bisher gelesen habe. Wahrlich nicht die gehaltvollste. Aber Zu Ende gelesen.
Talleyrand habe ich nach zwei Dritteln beendet. Ich wusste nicht mehr auf was ich noch wartete.

Martin Walser - Ein sterbender Mann
Erst 17 Seiten gelesen, aber schon mehrfach geschmunzelt. Sehr eindrucksvoller Schreibstil. Da feilt und schleift auch einer am Wort. Doch das Ergebnis ist erfrischend, belebend, originell, nicht manieriert, nicht selbstverliebt. Kraftvoll und doch dezent. Ich freue mich richtig auf das Buch. Hoffentlich hält es. Wenn nicht ist dann halt die Biographie Eva Strittmatters in Interviewform dran.


www.dostojewski.eu
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#15

RE: Juli/August 2020

in Lektüreliste 17.10.2020 21:06
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Martin Walser - Ein sterbender Mann
Ich würde mal eine Empfehlung für Dich, Taxine, draus machen. Gefällt mir außerordentlich gut. Erinnert mich etwas an Diggelmanns Altern.
Nur das hier ist merklich besser - nun gut anders. Lebendig, einfallsreich, leicht abgehoben und doch bodenständig, amüsant, gekonnt, tiefgängig und doch leichtfüßig, aber eben auch morbide und bleiern.
Habe bisher die Hälfte durch, aber keine Sorge mehr, die zweite könnte mich enttäuschen. Mal wieder etwas, das keine Biographie ist und ich es lesen mag. Alle zwei Jahre gibt es das wohl. Andererseits versuche ich es ja auch kaum noch.
Dieser Versuch hat sich gelohnt.

Eins von den Büchern, wo ich mich verleitet fühle, diverse Zitate rauszuziehen. Konnte mich aber bisher gegen wehren. Keine Klebezettel in der Nähe und die Meinung, mir die Seitenzahl merken zu können. So ist bei mir Scheitern gewiss.


www.dostojewski.eu
zuletzt bearbeitet 17.10.2020 21:12 | nach oben springen


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