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RE: Jean-Marie Gustave Le Clézio
in Die schöne Welt der Bücher 02.05.2013 11:59von Martinus • 3.195 Beiträge
Jean Marie Gustave Le Clézio: Fliehender Stern
Der Roman beginnt im Sommer 1943. Esther lebt mit ihren Eltern in St. Martin, einem Dorf in Südfrankreich nicht weit von der Italienischen Grenze. Die Nazis sind im Anmarsch, kurz vor der Besetzung Frankreichs. Eine bedrohliche Atmosphäre liegt in der Luft. Die dreizehnjährige Esther erfährt von dem Jungen Gasparini, „wenn die Deutschen kommen, bringen sie alle Juden um“. Wenn der Vater morgens weggeht, sieht Esther sein „gespanntes und düsteres Gesicht.“ Esther darf keine Fragen stellen. Sie darf nicht wissen, mit welchen Leuten sich Vater trifft. Er arbeitet im Widerstand und hilft Juden die Flucht über die Alpen. Esther beoabachte wie italienische Polizisten und Soldaten das Klavier des alternden jüdischen Pianisten Fernes in ihr Hotel schaffen. Das ist Krieg, stellt Esther fest; im Krieg können sie ihm das Klavier stehlen.
Ausgangssperre. Unruhe breitet sich aus.„Wenn die Deutschen kommen, verstecke ich dich in eine Scheune“, sagt der Junge Gasparini zu Esther. Ein Widerstandskämpfer kommt ums Leben und im Dorf verschwindet Rachel, die Hure, die bei den Italienern ein und ausging. Wie vom Erdboden verschluckt. Von den Italienern mit über die Grenze genommen, „oder nach Norden, wo die Deutschen die Juden ins Gefängnis steckten.
Die Atmosphäre vor der Einmarsch der Nazis wird aus der Perspektive des Mädchens geschildert. Ihre Vater nennt sie Estrellita, was kleiner Stern heißt. Estrellita wird zum fliehenden Stern. Mit ihrer Mutter Elisabeth flieht sie nach Jerusalem. Schon bevor die Nazis ins Dorf kamen, hat sie ihrer Tochter von Israel. erzählt. „...die Stadt des Lichts, die Brunnen, den Ort, auf dem alle Wege der Welt zusammentrafen, Eretzrael, Eretzrael.
Als Elisabeth und Esther in Israel ankommen, erfahren sie, dass dort nicht der ersehnte Frieden herrscht. Auf dem Weg nach Jerusalem begegnen sie einen Flüchtlingsstrom, hundert Frauen und Kinder, Palästinenser, die aus Jerusalem fliehen mussten, wo Esther und Elisabeth hin wollen.
„Es liegt eine drückende Stille auf diesen Gesichtern, die Masken aus Staub und Stein gleichen.“ Aus dem Flüchtlingsstrom lösst sich eine Frau heraus und geht auf Esther zu. Sie hält ihr ein Heft hin. Auf der ersten Seite steht „NEJMA“ geschrieben. Nejma hält Esther einenBleistift hin, damit sie ihren Namen hineinschreibt. Dann drückt sie ihr Heft an Esthers Brust. Zwei flüchtende Frauen sind sich begegnet. Der Leser des Romans bekommt dieses Tagebuch im dritten Teil des Romans selbst in die Hand.
Viele Jahre nach dieser Begegnung erzählt Esther über Njema: „ Sie ist aus einer Staubwolke aufgetaucht und in einer anderen Staubwolke verschwunden.“ Sie kauft sich ein schwarzes Heft. Auf der ersten Seite schreibt sie „Njema“, und hält ihr eigenes Leben darin fest.
Wie auch in seinem Roman „Der Goldsucher“ erweist sich Jean Marie Gustave Le Clézio auch in diesem Roman als Meister von Naturbeschreibungen, die im Handlungsgeflecht wunderbar eingeflochten werden. Die Beschreibung von Esters Kindheit in Südfrankreich wird auf diese Weise literarisch erhöht.
„Je weiter sie den Bachlauf hinaufkamen, desto schmaler wurde die Schlucht. Die Felsblöcke waren riesig, dunkel, vom Wasser glattgeschliffen. Es war, als würde das Sonnenlicht von ihnen verschluckt. Sie wirkten wie riesige, versteinerte Tiere, die vom Wasser des Baches umspült wurden. Die Wände der Schlucht über Tristans und Esthers Kopf waren von dichtem, dunklen Wald bedeckt. Alles war wild. Alles verschwand, wurde fortgerissen, vom Wasser des Baches überspült. Nur diese Steine, das Rauschen des Wassers und der gnadenlose Himmel geblieben.“
Die Figuren des Romans werden lebendig, reines Kopfkino. Das Leben in dem Flüchtlingslager ist auch auch sehr beeindruckend erzählt. Ohne Zweifel, eines der guten Romane des Autors.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)