HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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#1
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Raymond Radiguet
in Die schöne Welt der Bücher 18.11.2008 17:08von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Wenn das Herz seine Gründe hat, die die Vernunft nicht kennt, so mag dies daher rühren, dass unsere Vernunft weniger vernünftig ist als unser Herz. (Radiguet)
Eine kleine Perle der Literatur ist "Der Teufel im Leib", denn wenn schon über die Liebe lesen, dann vielleicht in dieser Form, voller Wortkraft, Bilder, Dramatik.
Raymond Radiguet war eines dieser Wunderkinder der französischen Literatur, wird oft im Zug mit Réne Crevel genannt, während dieser sich mit 35 Jahren umbrachte, ein Surrealist durch und durch, der Bücher wie "Der schwierige Tod" oder "Seid ihr verrückt" geschrieben hat, starb Radiguet mit zwanzig Jahren an Typhus, ein großer Verlust für die Literatur. Wie man an dem Todesalter schon erkennen kann, war der Raum seiner Schreibmöglichkeiten sehr begrenzt. Mit fünfzehn Jahren schmiss er die Schule, betrieb unregelmäßige Studien, arbeitete als Journalist (irgendwie musste ich bei diesem Werdegang direkt an Balzacs "Verlorene Illusionen" denken ) und schloss sich 1918 dem avantgardistischen Kreis um Cocteau an, der ihn in die Pariser literarischen Kreise einführte und begeistert von seinem Talent war. "Der Teufel im Leib" - diesen Roman schrieb Radiguet mit siebzehn Jahren, ein Werk, das dermaßen reif wirkt, als ob uns ein erfahrener Lebemann manchmal tragisch, manchmal gewitzt von seiner Jugend berichtet. Nicht umsonst brachte ihm sein Erstlingswerk auch die große Bewunderung seiner Zeitgenossen ein, während der Roman dann nach seinem Tod direkt zum kleinen Skandal geriet, weil er von der Kritik als Geschmacklosigkeit gewertet wurde und spöttische sowie feindliche Bemerkungen auslöste.
Es geht um einen sechzehnjährigen Jungen, der sich leidenschaftlich in eine achtzehnjährige Frau namens Marthe verliebt, und zwar in eine, die zuerst verlobt und dann auch verheiratet ist. Man schreibt das Jahr 1918, ihr Mann ist Soldat und an der Front, was den beiden Liebenden viele Möglichkeiten verschafft, ihre Liebe zu nähren. Der Krieg gerät somit zur Bedingung und wird als Geschenk betrachtet, denn aus der Perspektive der Liebenden bewahrt er sie vor der Trennung. Radiguet erzählt in der Ich-Perspektive, es heißt, es wäre teilweise autobiographisch, aber ich denke, seine Absicht ist doch eher das Erzählen, denn die Geschichte ist in ihrem Gesamtkonzept wunderbar angeordnet und abgerundet. Das Ende begeistert ebenso wie der Anfang, dazwischen sind schöne Überlegungen und Feststellungen gestreut.
Der Charakter des Jungen ist eindeutig ein frühreifer, man nimmt ihm manchmal den „weisen Ton“ nicht ab, dann aber besinnt man sich darauf, dass Radiguet selbst erst siebzehn ist. Die Gefühle des Jungen dagegen sind hinreißend, wenn er glücklich ist, seine Spiele spielt, leidet.
Das Drama um die Liebenden, wobei der Junge ständig mit seinen Ängsten, seiner Zuneigung, der Abkühlung seiner Gefühle, seinen Ausflüchten und seinen Leidenschaften kämpft, die Konfrontation mit einer plötzlichen Verantwortung und der Kampf der Jugend für diese erste, große Liebe gegen die Welt, die Meinungen und Abwendungen der anderen Menschen, die sie nicht begreifen, ist hervorragend ins Bild gesetzt.
Selbst der „skeptische Leser“ wird hier besänftigt, da die Geschichte einfach gut erzählt ist.
Und zum Abschluss noch diesen Auszug, der mich lächeln ließ:
Lese jetzt noch "Der Ball des Comte d'Orgel", der zweite und letzte Roman von ihm, der posthum veröffentlicht wurde und zu dem Cocteau ein Vorwort schrieb (nicht überall in der deutschen Übersetzung enthalten!)
Eine kleine Perle der Literatur ist "Der Teufel im Leib", denn wenn schon über die Liebe lesen, dann vielleicht in dieser Form, voller Wortkraft, Bilder, Dramatik.
Raymond Radiguet war eines dieser Wunderkinder der französischen Literatur, wird oft im Zug mit Réne Crevel genannt, während dieser sich mit 35 Jahren umbrachte, ein Surrealist durch und durch, der Bücher wie "Der schwierige Tod" oder "Seid ihr verrückt" geschrieben hat, starb Radiguet mit zwanzig Jahren an Typhus, ein großer Verlust für die Literatur. Wie man an dem Todesalter schon erkennen kann, war der Raum seiner Schreibmöglichkeiten sehr begrenzt. Mit fünfzehn Jahren schmiss er die Schule, betrieb unregelmäßige Studien, arbeitete als Journalist (irgendwie musste ich bei diesem Werdegang direkt an Balzacs "Verlorene Illusionen" denken ) und schloss sich 1918 dem avantgardistischen Kreis um Cocteau an, der ihn in die Pariser literarischen Kreise einführte und begeistert von seinem Talent war. "Der Teufel im Leib" - diesen Roman schrieb Radiguet mit siebzehn Jahren, ein Werk, das dermaßen reif wirkt, als ob uns ein erfahrener Lebemann manchmal tragisch, manchmal gewitzt von seiner Jugend berichtet. Nicht umsonst brachte ihm sein Erstlingswerk auch die große Bewunderung seiner Zeitgenossen ein, während der Roman dann nach seinem Tod direkt zum kleinen Skandal geriet, weil er von der Kritik als Geschmacklosigkeit gewertet wurde und spöttische sowie feindliche Bemerkungen auslöste.
Es geht um einen sechzehnjährigen Jungen, der sich leidenschaftlich in eine achtzehnjährige Frau namens Marthe verliebt, und zwar in eine, die zuerst verlobt und dann auch verheiratet ist. Man schreibt das Jahr 1918, ihr Mann ist Soldat und an der Front, was den beiden Liebenden viele Möglichkeiten verschafft, ihre Liebe zu nähren. Der Krieg gerät somit zur Bedingung und wird als Geschenk betrachtet, denn aus der Perspektive der Liebenden bewahrt er sie vor der Trennung. Radiguet erzählt in der Ich-Perspektive, es heißt, es wäre teilweise autobiographisch, aber ich denke, seine Absicht ist doch eher das Erzählen, denn die Geschichte ist in ihrem Gesamtkonzept wunderbar angeordnet und abgerundet. Das Ende begeistert ebenso wie der Anfang, dazwischen sind schöne Überlegungen und Feststellungen gestreut.
Zitat von Radiguet
Wir meinen immer die ersten zu sein, die diesen Aufruhr empfinden, und wissen nicht, dass die Liebe wie die Poesie ist, und dass alle Liebenden, selbst die durchschnittlichsten, überzeugt sind, Neues zu erfinden.
Der Charakter des Jungen ist eindeutig ein frühreifer, man nimmt ihm manchmal den „weisen Ton“ nicht ab, dann aber besinnt man sich darauf, dass Radiguet selbst erst siebzehn ist. Die Gefühle des Jungen dagegen sind hinreißend, wenn er glücklich ist, seine Spiele spielt, leidet.
Zitat von Radiguet
Ausgestreckt im Kahn wünschte ich mir zum erstenmal den Tod. Aber zum Sterben so unfähig wie zum Leben, hoffte ich auf einen mitleidigen Mörder. Ich bedauerte, dass man nicht vor Sehnsucht, nicht vor Kummer sterben kann.
Das Drama um die Liebenden, wobei der Junge ständig mit seinen Ängsten, seiner Zuneigung, der Abkühlung seiner Gefühle, seinen Ausflüchten und seinen Leidenschaften kämpft, die Konfrontation mit einer plötzlichen Verantwortung und der Kampf der Jugend für diese erste, große Liebe gegen die Welt, die Meinungen und Abwendungen der anderen Menschen, die sie nicht begreifen, ist hervorragend ins Bild gesetzt.
Selbst der „skeptische Leser“ wird hier besänftigt, da die Geschichte einfach gut erzählt ist.
Zitat von Radiguet
Ein Mann, der dem Tod knapp entronnen ist, glaubt ihn zu kennen. Stellte er sich aber endlich ein, erkennt er ihn nicht wieder. „Das ist er nicht“, sagt er sterbend.
Und zum Abschluss noch diesen Auszug, der mich lächeln ließ:
Zitat von Radiguet
Dieses dauernde Geplänkel verletzte Marthe; klug genug und liebend genug, um einzusehen, dass das Glück nicht in der Achtung der Nachbarn besteht, erging es ihr wie jenen Dichtern, die wissen, dass die wahre Poesie "verflucht" ist, die aber trotz dieser Gewissheit manchmal darunter leiden, dass ihnen die Anerkennung versagt wird, die sie verachten.
Lese jetzt noch "Der Ball des Comte d'Orgel", der zweite und letzte Roman von ihm, der posthum veröffentlicht wurde und zu dem Cocteau ein Vorwort schrieb (nicht überall in der deutschen Übersetzung enthalten!)
Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 18.11.2008 17:18 |
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#3
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
RE: Raymond Radiguet
in Die schöne Welt der Bücher 22.11.2008 16:42von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Das freut mich, wertester Martinus. Radiguet geriet mir in die Hände, während ich in leichtem Erinnerungsaufblitzen das Buch"Material" durchforstete, das sich im Moment um mich türmt, und der aufgrund seines frühen Todes in mein momentanes Thema passt.
Es ist bewunderungswürdig, was er verfasst hat, während er noch so jung war. Mensch, man verflucht in solchen Dingen die Plötzlichkeit, die Krankheit, den Tod, der keine Rücksicht auf das Genie nimmt. Es soll auch Gedichte von ihm geben, bin aber noch nicht auf sie gestoßen.
Bald auch ein Wort zum zweiten Roman!
Liebe Grüße
tAxine
P.S. In Deutschland schneit es, hab ich gehört?
Es ist bewunderungswürdig, was er verfasst hat, während er noch so jung war. Mensch, man verflucht in solchen Dingen die Plötzlichkeit, die Krankheit, den Tod, der keine Rücksicht auf das Genie nimmt. Es soll auch Gedichte von ihm geben, bin aber noch nicht auf sie gestoßen.
Bald auch ein Wort zum zweiten Roman!
Liebe Grüße
tAxine
P.S. In Deutschland schneit es, hab ich gehört?
Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 22.11.2008 16:44 |
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#4
von Martinus • 3.195 Beiträge
RE: Raymond Radiguet
in Die schöne Welt der Bücher 27.03.2009 13:41von Martinus • 3.195 Beiträge
Hallo Taxine,
endlich habe auch ich den Roman gelesen.
Zitat von Taxine
Der Charakter des Jungen ist eindeutig ein frühreifer
Allerdings hat er auch diese pubertäre Schüchternheit:
Zitat von Radiguet
Welch ein Glück, daß ich nicht mit ihr allein bin! Ich fände ja doch nicht den Mut, sie zu küssen, und meine Unterlassung wäre unentschuldbar.
Ich denke, er hat zwei Seiten. Diese Klugheit und Weisheit, und dann wird er von Gefühlen durchgeschüttelt, wie es in der Pubertät durchaus normal ist: z.B. sein Herzklopfen, wenn er um das Haus seiner Geliebten schleicht, und dann diese Angst, er könne sie ja beim Essen stören. Auf der anderen Seite gibt er sich frech und Selbstbewusst, wenn er sich des Nachts von zu Hause wegstiehlt, um bei Marthe zu weilen. Es ist so, als wenn er im Laufe der Monate seine Schüchternheit überwindet. Einmal heißt es „mein gefährlicher Hochmut wie Schnee an der Sonne geschmolzen“; diese Selbstreflexion zeigt Reife. Seine Reife stößt aber auf Grenzen, als Marthe schwanger wird:
Zitat von Radiguet
Ich glaubte, Marthas Schwangerschaft wirke lächerlich und ging mit gesenkten Blicken neben ihr her. Ich war weit entfernt von jedem väterlichen Stolz.
Bemerkenswert finde ich das Thema Tod in dem Roman. Die Liebesgeschichte spielt in den Zeiten des mörderischen Krieges, ja, der Krieg macht diese Liebesbeziehung erst möglich (und der Liebende hofft auf den Tod von Marhes Ehemann, der ja im Krieg kämpft. Der Liebende ist selbstverständlich eifersüchtig. Die Erwähnung des Gedichtes von Baudelaire ist sicher ganz bewusst gewählt. Denn, so befürchtet der Ich-Erzähler, wie im Gedicht „Der Tod der Liebenden“, werde ihre Wohnung einmal ausschauen:
Zitat von Baudelaire, Beginn von "Der Tod der Liebenden"
Wir werden Betten haben voll leichter Düfte, Diwane grabes-
tief; auf Staffeln werden seltsame Blumen um uns stehn, die un-
ter schöneren Himmeln für uns erblühten.
.......
Übrigens habe ich den Roman in der älteren Übersetzung von Friedhelm Kemp (Kurt Desch Verlag mit Nachwort von Jean Cocteau und Portraits des Dichters von Picasso und eben auch von Cocteau). Die neue Übersetzung des Celine-Übersetzers Hinrich Schmidt-Henkel wäre ja auch interessant gewesen.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
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#5
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
RE: Raymond Radiguet
in Die schöne Welt der Bücher 02.04.2009 17:38von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
In vielen Gedanken von Cocteau tritt der junge Radiguet auf. Er war von ihm mehr als begeistert und sehr schockiert und traurig, als er dann starb. Sein Tod hinterließ bei Cocteau das gleiche, abgrundtiefe Loch, wie der Tod von Apollinaire.
Zitat von Martinus
Übrigens habe ich den Roman in der älteren Übersetzung von Friedhelm Kemp (Kurt Desch Verlag mit Nachwort von Jean Cocteau und Portraits des Dichters von Picasso und eben auch von Cocteau).
Toll, Martinus. Da hast du eine schöne Ausgabe erwischt. Ich hatte nur so ein Heft-Buch.
Art & Vibration
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