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RE: Cees Nooteboom
in Die schöne Welt der Bücher 25.08.2007 22:25von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Oh... Danke.
Ja, vom Bild in der Entstehung wie auch dem Gedicht in der Entstehung.
Für mich ist Malerei eben Poesie und Poesie Malerei.
Ich male meine Wörter
und fasse den Gedanken ins Bild.
Art & Vibration
Cees Nooteboom: Die folgende Geschichte
Hermann Mussert hat vor vielen Jahren als Altphilologe in einer Schule gelehrt. Ein etwas seltsamer Mann, der zu Hause zwischen Büchern sitzt und die „Charaktere“ des Theophrast liest. Wenn er so was in seiner Kneipe in Amsterdam erzählt, lassen sie ihn in Ruhe, denn mit diesen antiken Autoren können die da nichts anfangen. So wirkt er „wie ein englischer Stubengelehrter aus dem vorigen Jahrhundert.“ Dieser Altphilologe, der auch noch eine physiognomische Ähnlichkeit mit Sokrates hat und besonders gerne sich den Metamorphosen des Ovid hingibt, seine eigene Übersetzung des römischen Dichters er selbt,für gescheitert hält, weil in der Übersetzung das Versmaß nicht stimmt.
Zitat von Nooteboom
Nie wird es wieder eine Sprache wie Latein geben, nie mehr werden Präzision und Schönheit und Ausdruck eine solche Einheit bilden.
Er arbeitet längst nicht mehr als Lehrer und ist Autor der Buchreihe „Dr. Strabo's Reiseführer“. Cees Nooteboom, selber ein Weltreisender, er schrieb ein Buch über Spanien und über andere Gegenden dieser Erde. In Romanen hat er das Reisen oft thematisiert, doch was hier in seiner Amsterdamer Wohnung passiert ist fantastisch. Mussert legt sich schlafen und wacht in einem Zimmer in Lissabon wieder auf. Als Leser wird man unweigerlich zum Nachdenken aufgefordert, wieso Nooteboom solch Fantastereien mit seinem Protagonisten durchspielt. So stoße ich in dieser Novelle auf Zeittheorien, und versuche darin eine Lösung zu finden. Zeit ist, so lesen wir,
Zitat von Nooteboom
ein Rätsel, ein zügelloses maßloses Phänomen, das sich dem Verständnis entzieht und dem wir, mangels besserer Möglichkeiten, den Schein einer Ordnung gegeben haben.
Doch wir lesen weiter und stellen fest, die Zeit ist nicht das Hauptthema des Buches, vielmehr ist das zentrale Thema dieser Novelle der Tod. Als Hermann Mussert in Lissabon aufwacht, lag er totenstill da, er hatte tödliche Angst, denn er wusste nicht, ob er er selbst war oder ein anderer. Er kannte das Zimmer, in dem er aufgewacht war. In diesem Zimmer hatte er vor zwanzig Jahren mit der Biologielehrerin Maria Zeinstra geschlafen. Erinnert er sich, oder erlebt er es noch einmal, sie sahen damals einen Film über einen Käfer, den sog. Totengräber, an, dessen Lebensweise den Zusammenhang zwischen Töten, Paaren, Fressen, Sichverwandeln aufgezeigt, damit auch ein Bogen zu den Metamorphosen des Ovid geschlagen wird, gleichzeitig ein Übergang von Naturwissenschaft zur Geisteswissenschaft, aus dem Werk Ovids Mussert den Schülern den Mythos um Phaeton näher bringen will.
Zitat von Nooteboom
Was hatte mein Vater der Sonnengott gesagt? Nicht zu hoch, sonst verbrennst du den Himmel, nicht zu tief, sonst zerstörst du die Erde.
Phaeton in Phoibos' Wagen in der Schwebe zwischen Leben und Tod, doch er scheitert, und „die Erde steht in Flammen“ - es findet eine Metamorphose statt. Was das alles mit Hermann Mussert selbst zu tun hat, darauf bin ich erst nach Beendigung der Lektüre gekommen. Es ist großartig, wie lange Nooteboom mich im Dunklen tappen ließ.
Es wäre schade drum, noch mehr zu verraten, und ich mag noch soviel schreiben, erklären kann ich nicht, warum ich Nootebooms Sprache so toll finde. Hier sitzt einfach jedes Wort am richtigen Platz. Ein herausfordernder unterhaltsamer Text über Mythen, Philosophie, Liebe und Tod. Übrigens ein sehr bunter Text. Auf knapp 150 Seiten wird viel erzählt aber nichts geschwafelt. Ein sprachliches Meisterstück eben.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)