HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Hallo in die Runde,
ich beginne nun mit Flann O'Briens (eigentlich heißet er Brian O'Nolan) "Erstling" - Zwei Vögel beim schwimmen.
Und so wie es sich anliest, ist dieser O'Brian ähnlich "kalibriert" wie meine ewige Hassliebe James Joyce, nur anders, irgendwie, also unbraver wohl nicht, aber ebenso humorig und kauzig (wenn nicht genialisch), aber dieses wiederum wohl auf noch ganz anderen Ebenen. Also nicht normal, soll heißen - normale Menschen waren und sind mir immer, irgendwie, verdächtig. Und damit wäre dann O'Brien wieder einer mehr, aus Patmöserns sechster Kolonne.
Hat jemand Lust auf Diskussionen, Skandale und literarische Widergängerei, im Sinne des Vorgenannten?
Grüße,
Peter
(Übrigens - "Der dritte Polizist" ist auch schon geordert.)
RE: Flann O'Brien
in Die schöne Welt der Bücher 23.01.2010 12:14von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Hallo Peter,
ich habe (dank larifant) beide Bücher gelesen. Werde gerne mitreden, wenn´du dir ein erstes Bild gemacht hast.
Vorab: "Der dritte Polizist" hat mir besser gefallen - was für ein Buch!!!, "In Schwimmen zwei Vögel" ist ein Muss für jeden Schreibenden.
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
RE: Flann O'Brien
in Die schöne Welt der Bücher 31.05.2010 17:24von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Nun dann, ich fasse zusammen:
In „Im Schwimmen zwei Vögel“ treibt O’Brien jeden literarischen Effekt und Fauxpas ins Absurde. Die Gestalten wehren sich gegen den Autor, und verschiedene erproben sich selbst im Schreiben ihrer selbst, was in allen möglichen Varianten stattfindet, sowohl auch mit unnötig auftretenden Figuren, der Ausführlichkeit, Blumigkeit an Schreibstilen, tautologischen Fehlern oder aber literarisch immer wieder verwendeten Figuren (so wie er hinterher auch in einem Brief schreibt: Warum muss er Johnson so heißen, warum schreibt der Autor nicht einfach: dieser Herr war ein Hamlet. Das würde dem Leser viel Zeit ersparen, um herauszufinden, um welche Figur es sich handelt. Eigentlich gibt es immer nur einen Bösewicht, einen schönen Menschen… usw.)
Das ... grob gesehen ... ist es schon. Man kann natürlich auch ausführlicher...
"Der dritte Polizist" ist ausgeklügelter, zumindest in meinen Augen. Nicht ganz so verrückt und doch surreal genug, um den Leser tief zu bewegen.
Der Anfang haut einem schon wie der Spaten des Protagonisten den Kinnladen runter. Es ist, als ob O’Brien die Dinge einfach von innen nach außen schreibt oder umgekehrt, aber niemals vermischt. Betrachtet wird aus dem surrealen Auge des Erzählers, um den sich die Welt ohne Ordnung oder Wirklichkeit baut, je nachdem, wie sich seine Gedankenabläufe gerade entfaltet haben. Eine Überlegung baut die Welt. Hingeworfen, was die reine Empfindung ist oder eine äußere Situation, die erst durch das Umkreisen der Ereignisse ihren Sinn ergibt.
Wie er sich Zeit dabei lässt. Ein Fest des Lesens. Er wirft dem Leser die Worte wie Puzzleteile vor die Füße und fügt sie für ihn dann langsam ineinander, ohne jedoch das Motiv sichtbar zu machen. Es ist selten, dass man so tief „im Buch“ sitzt, an allem Anteil hat.
Ein Mord aus Habgier, doch was daraus gemacht ist, ist erstaunlich. Das Benennen der Seele, die den Namen Joe erhält, der auferstandene Tote, der sich angewöhnt hat, auf alles mit „Nein“ zu antworten, weil ihn diese Antwort vor unbedachten Handlungen bewahrt, so dass, stellt man ihm eine Frage, eine Antwort nur erfolgt, wenn man die Frage in die richtige Form setzt, die Farben des Windes und des Menschendaseins in seiner Länge, die Mäntel des Lebens, die Häuser und die bedrohliche Nacht als eine sich in einem krankhaften Zustand befindende Atmosphäre des de Selby's und diese Straßen, die nur in richtiger Richtung gut zu beschreiten sind, einen in diesem Sinne begleiten.
Aus dem Schuldbewusstsein erwacht eine zunächst innerlich wirkende Welt (die sich hinterher durchaus aufklärt, als das, was sie tatsächlich ist), eine Welt der Eigenartigkeiten und dann auch Anklagen, wobei die Anklagen so geschickt und in Form von Polizisten mit den außergewöhnlichsten Fähigkeiten ins Bild gefasst sind, als ob man den direkten Weg auf unzähligen Nebenstraßen, die alle ihre eigenen Gedanken und Geschichten bergen, umgeht. Das Verbrechen des zwei Mal getöteten Menschen, die Polizisten in ihren Eigenarten, während der Mörder immer der Gleiche bleibt. Dies scheint eine Art Fixpunkt aller Ereignisse, die unter all den Verrücktheiten ständig hervorleuchtende Wirklichkeit.
Mit der "Schöpfung" de Selbys und den als Fußnoten und Zwischenerzählungen verfassten Ansichten dessen, gibt der Autor für mich eindeutig einen Wink auf die Unnötigkeit zahlreicher Fußnoten oder die bis in das kleinste Detail dringende Nachforschung von Fragen, die alleine gestellt schon oftmals unnötig sind, und wenn nun nicht unnötig, so einer näheren Betrachtung nicht bedürfen.
Eine der ellenlangen „de Selby"-Fußnoten ist z. B. völlig belanglos an das Wort „Nacht“ geheftet, die in der Sicht und durch das Auge eines de Selbys schon zuvor erläutert wurde, gerät an dieser Stelle in eine Nebensache nach der nächsten, um zu verkomplizieren, was sich wohl auch in einem Satz sagen ließe, ähnlich, wie es dem Protagonisten ergeht, der in einer verschobenen, absurden Welt, in der gerade die Absurditäten ihren Reiz finden und damit normal erscheinen, durch das Nachfragen auf noch mehr Komplikation stößt.
Und doch gibt gerade de Selby und seine Theorien gleichzeitig immer Hinweis auf das Empfinden des Erzählers. Einerseits also geraten die Fußnoten zum Experiment und vertiefen gleichzeitig den Leser-Eindruck. Eine Kunst, die Flann O'Brien in jeglicher Hinsicht beherrscht.
Und der Ausgang? Ein verstärktes Bild alleine durch die Wiederholung des bereits Erzählten, nur jetzt mit dem Wissen, dass all das aus einem... na sagen wir... anderen Zustand erlebt wurde, sozusagen: zwischen den Wänden. Und auf einmal hat alles, was zuvor surreal oder fantastisch anmutete, Sinn, auf jeder noch einmal erfolgten Betrachtung lastet tonnenschwer der Zusammenhang aus anderem Blickwinkel.
Der Roman ist, ohne zu übertreiben, ein geniales Meisterstück.
Art & Vibration
RE: Flann O'Brien
in Die schöne Welt der Bücher 05.08.2010 14:55von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Der Herr Patmos streut wohl gerne ein Schriftstellerwerk in mehrere Ordner.
"Im Schwimmen zwei Vögel" also dann in der Rezension hier.
Art & Vibration
Habe den ersten Brian, "Das harte Leben" vor über 25 Jahren gelesen und war absolut begeistert. Habe mir dann in relativ kurzem Abstand Vögel und Polizist angetan. Lesen kann interessant sein und manchmal verbreitet es pure Freude, ja Begeisterung. O`Brien hat dies damals geschafft. 2006 bin ich dann wieder auf ihn gestoßen: "Golden Hours" - gesammelte Texte von 1940 bis 45. Auch ein unsäglicher Spaß obwohl nur mit einem sehr bescheidenem Restposten Surealismus.
www.dostojewski.eu
"Aus Dalkeys Archiven"
eine feine Sache. O´Brien in bewährter Manier. Man (ich) weiß nicht worum es wirklich geht. Aber es spielt keine Rolle. Der Text fließt genüsslich und sanft dahin. Wer wissen will, was lakonisch und/oder euphemistisch ist, der ist hier bestens aufgehoben. Nichts zum laut Loslachen, aber das Schmunzeln erhascht einen regelmäßig. Ich habe mit dem Büchlein das bekommen, was ich wollte: O`Brien.
www.dostojewski.eu