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RE: Jacques Chessex
in Die schöne Welt der Bücher 22.05.2017 20:37von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Jacques Chessex
„Mona“
Das Thema scheint im Umriss fast banal, wenn das Buch zugeschlagen wird. Der fünfundfünfzigjährige, gut verdienender Anwalt, Freimaurer und Erfolgsmann Raymond Mange lebt mit einer müden, sexuell lustlosen und ihm und dem Leben gleichgültig gegenüberstehenden Frau zusammen. Er hat zwei Kinder, einen Sohn, den er nie sieht, und eine Tochter, die er verehrt. Er hat alles erreicht, was er angestrebt hat und sieht sich nun der eigenen Langweile ausgesetzt.
So dauert es nicht lange, bis er sich auf der Suche nach sexuellen Abenteuern macht, wozu zunächst Prostituierte und flüchtige Abenteuer dienen, die ihn nicht befriedigen. Daher gibt er eine dezente Annonce auf, in der er andeutet, dass er "Modelle" sucht. Melden tut sich Mona, eine feurige Frau, die ungefähr im Alter seiner Tochter Beatrice ist.
Soweit, so gut. Chessex schreibt oder vielmehr schrieb (denn er ist ja schon gestorben) gerne über psychologisch geprägte Tabuthemen. Bekannt wurde er durch sein Werk „Der Kinderfresser“, für das er auch den „Prix Goncourt“ erhielt, in dem sich ein übermächtiger Vater in der Erinnerung des Sohnes zum Tyrannen ausdehnt.
Was Chessex in „Mona“ gelingt, ist ein nicht ganz so intensiver, aber doch tiefgreifender Sog, der den Leser mit den vielschichtigen Begierden beider Hauptpersonen konfrontiert, die sich an ihren dunklen Geheimnissen erregen und sich, trotz des Altersunterschieds und des unterschiedlichen Gesellschaftsstatus', ineinander verlieben.
Das, was Mona in Raymond Mange findet, ist ein Mensch, der nicht nur ihren Körper liebt, sondern versucht, ihr Wesen ganz und gar zu erfassen. Das, was Mange in Mona findet, ist das gelobte Land, … eine Frau, die sich ihm ganz und gar öffnet, die die gleichen sexuellen Begierden teilt und ihn noch zu weiteren anregt.
Häufig vergleicht er die junge Frau mit der eigenen Tochter, wobei Chessex die feine Linie der Erotik und Liebe auf interessante Art zieht, ohne Abneigung oder Empörung auszulösen. Das, was er für sein Kind empfindet, ist Liebe, und das wird auch unmißverständlich herübergebracht. Mit dem Erwachsenwerden der Tochter entstehen die Verwirrungen des Vaters, das Kind als Frau anzuerkennen. Zudem muss der Vergleich notgedrungen folgen, da seine Geliebte, für die er Frau und Kinder verlässt, das Alter der Tochter hat, so fragwürdig das auch ist. Selbst Beatrice begreift die Beziehung ihres Vaters besser, als er selbst, was auch einen tieferen Hintergrund hat. Sie selbst hat ihr Herz an einen älteren Mann verloren, bis sich alles verkompliziert.
Was Chessex gelingt, ist die innere Landschaft des Protagonisten zu zeichnen. Wunderbar waren die Reflexionen über den schönen und jungen Körper und die Traurigkeit, in dieser Schönheit den Verfall und Tod zu erahnen, so dass der Genuss immer auch mit dieser Kehrseite einhergeht. Poetisch verliert sich die Affäre nie in Klischees, sondern offenbart eine tiefere Ebene.
Was dem Menschen bleibt, ist das Begreifen bzw. Akzeptieren seiner Begierden und inneren Abgründe, die er nur zu gerne leugnet und verneint. Sobald die Bedürfnisse klarer erkannt werden, ist auch eine Art Befreiung möglich. Die Selbstlüge dagegen verkleinert den Menschen, macht ihn machtlos gegen sich selbst.
Chessex aber möchte auf etwas anderes verweisen und zeigt darum auch beide Seiten der Medaille. Obwohl Mange seine Wünsche erfüllt findet, zahlt er einen hohen Preis dafür. Der Genuss geht nicht ohne Zweifel einher. Da stehen die eigenen Bedürfnisse immer der Verantwortung für seine Familie gegenüber, während die Waage nicht immer ausbalanciert ist. Das, was ihn aus dem tristen Leben heraushebt, nimmt ihm auch gleichzeitig den Boden unter den Füßen weg.
Im Großen und Ganzen bleibt das Buch eine Empfehlung für diejenigen, die Chessex‘ Stil mögen. Die Geschichte ist nicht neu, aber gut geschrieben. Sie erreicht dennoch nicht die Größe seiner anderen Werke.
Art & Vibration