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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst


#1

Delphi etc.

in Gedanken vom Tag 20.07.2010 19:08
von Roquairol • 1.072 Beiträge

Montag\Dienstag

Eigentlich haette ich daran denken muessen, dass ich frueher immer Schwierigkeiten hatte, wenn ich ein Apollon-Heiligtum besuchen wollte. Es gab da offenbar Kraefte, dich mich massiv an dem Besuch hindern wollten und dies auch oft schafften. Nun waren diese Vorfaelle fast 20 Jahre her, und ich dachte einfach, das haette sich inzwischen von selbst erledigt. Hatte es aber nicht. Und immerhin wollte ich nach Griechnald reisen, um in Delphi das bedeutendste Apollon-Heiligtum ueberhaupt zu besuchen.

Am Montag Mittag gab es einen heftigen Orkan in NRW, unsere Katzen verkrochen sich vor Angst unter der Couch, und als das schlimmste vorbei war, konnte ich erstmal auf dem Balkon einen Blumenkasten vor dem Absturz retten, der sich voellig verdreht hatte.
Es dauerte bis zum Nachmittag, als ich endlich mitbekam, dass als Folge des Orkans in halb NRW der Zugverkehr zusammengebrochen war. Und ich musste am naechsten morgen um 6.30 zum Flughafen in Berlin ...
Die Telefon-Hotline der Bahn verraet mir, dass in unserer Region gar nichts mehr geht, die Zuege nach Berlin fahren angeblich erst ab Hamm. Also besteht die einzige Moeglichkeit darin, mich erstmal mit dem Auto nach Hamm bringen zu lassen ...

Dort steht erstmal beim naechsten Zug nach Berlin <<unbestimmte Zeit verspaetet>> ... Ein anderer Zug soll 2 Stunden Verspaetung haben, was bedeutet, dass er jetzt bald kommem sollte. Es kommt aber nix. Nach einer halben Stunde springe ich in einen Zug nach Hannover, das ist immerhin die richtige Richtung.

In Hannover widersprechen sich die Geruechte - einerseits heisst es, es wuerden heute ueberhaupt keine Zuege mehr nach Berlin fahren. Das waere natuerlich da Katastrophe, dann waere mein Flug weg. Andererseits heisst es, es gaebe jede Menge Zuege nach Berlin, weil die alle noch hinter uns seien ....
Die Wahrheit lag quasi in der Mitte, denn es gab einen, einen einzigen Zug nach Berlin, der gegen Mitternacht eintraf und kurz nach Zwei in Berlin war. Nach einer unbequemen Nacht ohne Schlaf auf dem Berliner Hauptbahnhof kam ich dann tatsaechlich am naechsten Morgen rechtzeitig zum Flugzeug.


Die Gegend in der Naehe des Athener Hauptbahnhofs ist noch genauso haesslich, wie ich sie in Erinnerung habe, und ich war ganz schoen lange nicht mehr hier. Beton, Asphalt, breite Strassen, auf denen die Autos rasen, darueber immer wieder grosse Reklametafeln. Ich erinnere mich, wie dort vor Jahren Werbung fuer Versicherungen oder Johnnie Walker prangte. Jetzt prangt dort - einfach nichts, die Tafeln sind leer, nur noch verwitterte Holzlatten und Metallstreben. So sieht Krise aus.
In diesen langweiligen Aussenbezirken von Athen gibt es an den Strassenraendern nichts als Autohaendler und Einrichtungshaeuser. Auch Ikea ist hier vertreten - ja, glaubt nicht, die typische griechische Wohnung sei anders eingerichtet als eure ...
Ich sehe einen grossen Slum aus Wellblech-Huetten auf einer Muellkippe, auffaellig auch die grosse Zahl von Leuten, die sich auf der Strasse verdingen, Wasser oder Obst an Autofahrer verkaufen oder Scheiben reinigen.
Sehr erstaunt haben mich die Huegel rund um Athen - bis vor ca. 10 Jahren war hier alles seit der Antike abgeholzt und glaenzte weisse in der prallen Sonne. Und jetzt sind alle Huegel - gruen! Mit Baeumen bestanden! Wirklich erstaunlich, was die Griechen hier geschafft haben, das war wirklich eine ausserordentliche Leistung!

Irgendwann kommt mir die Fahrt etwas zu lang vor, und ich merke, dass ich in meinem Muedigkeits-Tran auf die aelteste Touristenfalle in Athen reingefallen war - ich war in einen Bus zum Kifissou gestiegen, obwohl ich zum Liossion musste ... Es gibt in Athen zwei verschiedene Busbahnhoefe fuer den Ueberlandverkehr, einen fuer den Westen und einen fuer den Norden, Kifissou und Liossion. Die beiden Stationen sind ziemlich weit voneinander entfernt, und schlauerweise gibt es keinerlei Busverbindung zwischen diesen Stationen, wahrscheinlich verhindert das die Taxifahrer-Gewerkschaft. Auf diese Weise werde ich also auch n och 8 Euro fuer ein Taxi los, naja, irgendwie muss man die griechische Wirtschaft ja wieder flott machen ...

Endlich im Bus nach Delphi. Draussen zieht eine traumhafte Gebirgslandschaft vorbei, aber ich bekomme nach der durchwachten Nacht kaum was davon mit, schlummere so vor mich hin. Wach werde ich wieder, als im Radio >>When a blind man cries<< von Deep Purple laeuft - auch bemerkenswert, es war in den 80ern, als ich diesen Song zuletzt im Radio hoerte, und zwar auch hier in Griechenland. Die Griechen haben Bands wie Deep Purple, Rainbow, Whitesnake etc. in eine Rock-Kultur aufgesogen und den Modetrends entrissen. Was bei uns laengst out und vergessen ist, ist hier zu Klassikern verwandelt worden, die immer noch taeglich im Radio gespielt werden. Das gefaellt mir.

Auf dem Campingplatz in Delphi. Der Platz liegt direkt neben einem Hang, auf dem etliche Mauerreste und auch Marmorbocken zu sehen sind. In meinem Reisefuehrer steht, der Platz darf nicht erweitert werden, weil das angrenzende Gelaende archaeologisch noch nicht erkundet ist. Irgendwas muss hier jedenfalls in der Antike gewesen sein. Jetzt tummelt sich dort eine Ziegenherde mit lautem Gloeckchengebimmel. Und ich schlage direkt daneben mein Zelt auf. Versuche zu schlafen, was mir aber kaum gelingt, weil eine Horde pubertierender Franzosen am Swimmingpool rumkrakehlt.

Abends gehe ich ins Campingplatz-Restaurant, wo einem orangene Pastellfarbe ins Auge schlaegt. Nicht nur die Tischdecken sind orange, sondern auch alle Stuehle sind mit entsprechenden Schonbezuegen verhuellt. Widerlich. Ich liebe die schlichten, rustikalen griechischen Holzstuehle, auf denen ich mich schon durch herrlichste lukullische Genuesse geschlemmt habe. Dieses ehrliche Holz hier so kitschig zu verhuellen kann nur ein Versuch sein, Vornehmheit vorzutaeuschen, genauso wie der riesige Fluegel, der hier im Saal steht, und auf dem vermutlich noch nie jemand gespielt hat. Und auch nie jemand spielen wird.
Aber irgendwie scheinen sie es damit rechtfertigen zu wollen, dass ein kleines Heinecken (0,33 l) hier 3,50 kostet. Reichlich unverschaemt. (Normal ware dieser Preis fuer eine 0,5-Flasche) Ist das die Krise? Aber ich vermute eher, die haben hier schon in der Antike die Leute abgezockt ...

Was den Abend aber rettet ist der fantastische Blick weit ueber das Tal hinweg bis zum Meer bei Itea. Dahinter, weit am Horizont, zeichnen sich schemenhaft die Berge der Peloponnes ab. Zur linken Hand enden hier die letzten Auslaeufer des Helikon, rechts erheben sich die Gebirge Zentralgriechenlands bis ueber 2000 Meter, und dazwischen, im Tal, sieht man hier den groessten Olivenhain Griechenlands bis zum Meer. Es ist Abend, die Berge in sanften, milchigen Dunst gehuellt, einzelne Wolken bedecken auf verschiedene Weise die Sonne, wodurch diese herrliche Szenerie alle paar Minuten in einem voellig neuen Licht erscheint. Ich kann mich gar nicht sattsehen. Leider habe ich meine Kamera an diesem ersten Abend noch nicht startklar, aber vermutlich waere es mir auch so nicht gelungen, den Zauber festzuhalten. Unvergessliche Landschaft in diesem gedaempften, mystischen Licht!




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zuletzt bearbeitet 22.07.2010 18:15 | nach oben springen

#2

RE: Delphi etc.

in Gedanken vom Tag 20.07.2010 21:13
von Lennie • 829 Beiträge

Schön das, Roq! - Immerhin: Du bist angekommen, da wo du hinwolltest (Scheinst ja recht hartnäckig zu sein...der Weg ist das Ziel, war das nicht so?)
Jaha, staubiges Athen, daran erinnere ich mich auch noch. Allerdings nicht im Hochsommer. Gott behüte, keinesfalls im Hochsommer! Aber du lebst ja offenbar bisher noch, also sind Naturen glücklicherweise doch unterschiedlich konzipiert. Ich war zu Ostern da. Vor langer, langer Zeit. War schön. Delphi. Olympia. Und alles andere - alle 5 Finger haben wir damals abgegrast.
Weiterhin schöne Ferien - falls du noch dorten weilen solltest....

PS. Äh.... die Bierpreise.... Also: die sind normal. Für Touristengegenden. Das können wir hier noch viel besser. Manche zahlen es trotzdem, jaja. Aber das ist eine andere Geschichte.....

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#3

RE: Delphi etc.

in Gedanken vom Tag 21.07.2010 21:44
von Roquairol • 1.072 Beiträge

Hi Lennie,
ja, ich bin noch hier, also auf Samos, noch zwei Wochen. Bericht wird demnaechst fortgesetzt, nur heute komme ich zu nix mehr, muss jetzt noch Ouzo trinken ...

Nur noch ein Nachtrag:




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#4

RE: Delphi etc.

in Gedanken vom Tag 22.07.2010 09:20
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Zitat von Roquairol
muss jetzt noch Ouzo trinken



Ich habe mich durch (fast) alle mittelmeerischen Ouzo - Fronten tapfer durchge..., ja, sagen wir - gekämpft, aber an den Ouzo aus dem Aldi kommt keiner ran!

zuletzt bearbeitet 22.07.2010 09:45 | nach oben springen

#5

RE: Delphi etc.

in Gedanken vom Tag 22.07.2010 18:35
von Martinus • 3.195 Beiträge

Zitat von Roquairol
Es gibt in Athen zwei verschiedene Busbahnhoefe fuer den Ueberlandverkehr, einen fuer den Westen und einen fuer den Norden, Kifissou und Liossion.



Es gab in Athen früher zwei Flughäfen. Damals bin ich von Piräus aus mit dem Bus zum Flughafen, natürlich bin ich am falschen Flughafen gelandet und musste mit dem Taxi zum anderen.




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
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#6

RE: Delphi etc.

in Gedanken vom Tag 22.07.2010 18:42
von Roquairol • 1.072 Beiträge

Mittwoch

Morgens um 8.30 geht es zum Ausgrabungsgelaende von Delphi mit einem laecherlichen Campingplatz-Shuttle, das aussieht wie eine weisse Kirmes-Bimmelbahn fuer Kinder. Peinlich ...

Delphi - ich weiss gar nicht, was ich schreiben soll, weil ich eigentlich nur genervt war von den Menschenmassen, die sich hier draengen. Im Museum ist es so eng wie in der Berliner U-Bahn kurz nach Buero-Schluss, gleichzeitig redet links der spanische und rechts der russische Reisefuehrer auf seine Klientel ein. Dann zum Tempel, Saeulen, Steine, Menschen und nochmals Menschen ... Aber die Landschaft ist herrlich, es ist die Landschaft, die mir im Gedaechtnis bleiben wird.
Im Museumsshop muss ich lachen, denn sie verlangen ernsthaft hier fuer eine kleine Flasche Wasser drei Euro! Das ist voellig grotesk, und es gibt tatsaechlich Leute, die das bezahlen. Irre. Ein paar hundert Meter weiter kann man sich an der Kastalischen Quelle selbst bedienen. Leider nicht an dem antiken Quellort, der ist momentan wegen Steinschlag-Gefahr abgesperrt. Aber direkt daneben gibt es an der Strasse einen Brunnen, dessen Wasser mir auch zweifellos kastalisch schmeckt.

Nachmittags zurueck zum Campingplatz, wo weiterhin franzoesisches Jungvolk den Pool in Beschlag nimmt und dort lautstarkes Balzgehabe vorfuehrt. In den naechsten Tagen wird sich zeigen, dass der Campingplatzbesitzer offfenbar irgendwelche Vertraege mit den Veranstaltern franzoesischer Jugendreisen hat: Die werden da Busweise angekarrt, an einem Tag waren ueber 200 franzoesische Jugendliche da. Schlimm ... Vor allem: Was wollen die in Delphi? Sie machten nicht den Eindruck, als seien sie besonders an der Antike interessiert, und an einem Pool rumlungern koennen sie eigentlich auch woanders.

Dies bestaerkt meine alte Idee, den Zutritt zu Museen und anderen Kulturstaetten fuer Menschen unter 18 zu verbieten, oder besser noch: unter 25 ... Man koennte ja ein Initiationsritual damit verbinden: An seinem 25. Geburtstag wird der junge Mensch in ein Museum gefuehrt und weiss: Jetzt gehoert er auch endlich zu der Welt der Menschen, mit denen man eventuell ein ernsthaftes Gespraech fuehren kann ...

Dies regt in mir aber auch zahlreiche Gedanken an zu der Frage, was ich eigentlich hier will. Warum meine ich, ich haette ein Recht, in Delphi zu sein, und die Jugendlichen nicht? Vielleicht sind sie ja hier in Wirklichkeit richtig, und ich bin falsch?

Ich weiss es nicht ...

PS: Ich habe das Ende des vorherigen Beitrags noch leicht erweitert.




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#7

RE: Delphi etc.

in Gedanken vom Tag 23.07.2010 21:30
von Roquairol • 1.072 Beiträge

Donnerstag

Morgens frueh zur Bushaltestelle in Delphi. Erst jetzt sehe ich, dass auf dieser albernen Touristen-Bimmelbahn vom Campingplatz in den Ort der Satz steht >>Reviving the Delphic Ideal<< - also laecherlicher geht's wohl wirklich nimmer. Was soll denn dieses Delphische Ideal ueberhaupt sein?!

Einige aeltere Herrschaften versammeln sich an einer Mauer und schauen angeregt darueber hinweg den Hang hinunter - die Ziegenherde, die hier ueberall gloeckchenklingelnd in der Gegend herumzieht, hat die Vorgaerten von Delphi erreicht und gibt nun reichlich Gespraechsstoff: "Was machen diese Ziegen hier?" - "Passt niemand auf die auf?" - "In einem Garten sollten keine Ziegen sein!" - "Nein, Ziegen im Garten sind nicht gut." - "Man sollte sie vertreiben." - "Vielleicht sollte man mit Steinen werfen." ... So geht das mindestens fuenf Minuten lang, bis sich endlich eine Frau aufrafft und haendeklatschend den Hang hinunterrennt, unter den Anfeuerungsrufen der aelteren Herren oben an der Strasse ("Steine, wirf Steine!"), und die Ziegen mit verschrecktem Klingeln das Weite suchen ...

Mein Bus kommt, und ich fahre zum Meer nach Itea. Der Bus schraubt sich die Serpentinen hinunter durchs Gebirge, nur an einzelnen Stellen weist die Strasse hier sowas wie Leitplanken auf, man muss hier ganz dem Gefuehl vertrauen, dass der Busfahrer das schon oefters gemacht hat. Dies ist manchmal gar nicht so einfach, wenn man aus der Fensterperspektive keine Strasse mehr sieht, sondern nichts als Abgrund ... Zumindest ist das eine hervorragende Therapie gegen Flugangst, denn wer hier eine Busfahrt durch's Gebirge ueberlebt hat, den kann nichts mehr erschuettern.

In Itea spaziere ich am Meer entlang bis Kirrha, dem antiken Hafen von Delphi. Viel zu sehen ist nicht mehr, nur ein paar alte Kai-Anlagen. Interessanter ist eigentlich eine Katze, die am Ufer Fisch-Innereien verzehrt, offenbar hatte hier kurz zuvor jemand geangelt. Auch im Wasser scheint noch was zu liegen, was die Katze mit langen Pfoten herausangelt ...

Wieder zum Busbahnhof fuer den naechsten Trip des Tages, nach Galaxidi. Es ist 11 Uhr morgens, und einige Leute essen hier schon gegrillte Fische. Mein Geschmack waere das nicht, oder? Na, sieht doch lecker aus.

Wieder im Bus von Itea nach Galaxidi - die blutroten Loecher in den Berghaengen sind Bauxitgruben, das Zeug wird hier abgebaut und am Hafen in grosse Frachter verladen. Ich erinnere mich noch, dass sie vor etwa 20 Jahren eine riesige Aluminiumfabrik in der Naehe von Delphi errichten wollten, es gab internationale Proteste dagegen. Offenbar mit Erfolg, denn von diesem Werk ist nichts zu sehen, dagegen sah ich auf der Hinfahrt eine Aluminiumfabrik bei Theben, offenbar haben sie das Ding dort aufgezogen.

Auf der Landstrasse kurz vor Galaxidi liegt die vordere Haelfte eines grossen Hundes. Kein schoener Anblick.

Galaxidi, in der Antike eine fuer ihre Schoenheit beruehmte Stadt, und die hat sie bis heute bewahrt. Ich spaziere fotografierend durch die kleinen Strassen, esse dann am Hafen Kalamaria mit Salat, bekomme danach noch unaufgefordert Wassermelone, und fuehle mich endlich im richtigen Griechenland angekommen ...




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#8

RE: Delphi etc.

in Gedanken vom Tag 24.07.2010 20:33
von Roquairol • 1.072 Beiträge

Freitag

Heute will ich zum Kloster Ossios Lukas, fahre deshalb erstmal mit dem Bus ins Bergdorf Arahova, 890 Meter hoch auf dem Parnass, in der Hoffnung, dass es dort eine weitere Busverbindung zumindest bis Distomo gibt.
Erstmal schaue ich mir Arachova an - die Aussicht ist mal wieder fantastisch! Dies ist ein Wintersportort, es gibt Geschaefte fuer Ski- und Snowboard-Bedarf (jetzt allerdings geschlossen), das wirkt in Griechenland schon einigermassen skurril. Daneben gibt es jede Menge Geschaefte fuer Holzschnitzereien und Pelze. Sogar eine Wolfsfell-Muetze wird angeboten, sollte es hier wirklich Woelfe geben? Zweifelhaft. Vermutlich war es eher die andere Haelfte des Hundes von der Strasse nach Galaxidi ...

Ernuechternde Erkenntniss: Es gibt keine Busse in Richtung Kloster. Die einzige Moeglichkeit, dorthinzukommen, ist das Taxi. Also spreche ich einen Taxifahrer an und handle mit ihm einen Preis von 35 Euro hin und zurueck aus, das ist guenstig, denn es ist eine ganz respektable Entfernung. Also los! Der Taxifahrer ist ein sehr netter Mensch, der sich bei jeder Kirche und christlichem Symbol am Strassenrand bekreuzigt und der fuer einen vor uns auf der Strasse hockenden Spatz hupt.

Wer zum Kloster Ossios Lukas will, der muss durch das Dorf Distomo. Am 10.6.1944 haben deutsche Soldaten hier 268 Menschen bestialisch gefoltert und ermordet, weil sie in dem Dorf Partisanen vermuteten. Zu den Toten gehoerten Saeuglinge wie auch ueber 80jaehrige Greise. Heute gibt es hier ein Mahnmal: Eine Steinplatte mit ausgestanzten menschlichen Umrissen, fuer die Menschen, die damals so grausam aus dem Leben gestanzt wurden, die seitdem fehlen, eine Leerstelle bilden, wie die Leere im Stein.
Ich fahre mit grosser Beklemmung durch Distomo, obwohl es heute natuerlich aussieht wie jedes normale Dorf.

Schliesslich das Kloster Ossios Lukas, eines der bedeutendsten Kloester Griechenlands, sehr abgelegen im Helikon-Gebirge. Kaum andere Besucher sind hier, obwohl mein Reisefuehrer schreibt, alle paar Minuten wuerde ein Reisebus hier seine Touristenfracht ausspucken - keine Spur davon. Im Jahre 946 hat der Moench Ossios Lukas dieses Kloster gegruendet, und ich stelle mir vor, wie einsam und menschenfern es damals hier war, wenn man jetzt schon den Blick ueber Berg und Tal schweifen lassen kann und nirgends eine Ansiedlung entdeckt.




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#9

RE: Delphi etc.

in Gedanken vom Tag 24.07.2010 21:19
von Lennie • 829 Beiträge

Habe grade die Geschichte von Distomo gegoogelt. Das wusste ich gar nicht. Genauso grässlich offenbar wie hier die Geschichte in Oradour sur Glane. Da wohnt allerdings niemand mehr, sind nur noch Ruinen.
Ossios Lukas kenne ich noch nicht, ich war damals in Meteora: auf allen Klöstern, die man erklimmen konnte. Eine kleine Ikone hängt hier immer noch neben der Tür zur Erinnerung .
Ich hoffe, du bist das nervige französische Jungvolk inzwischen wieder los...?? (Sei froh, dass es keine Italiener sind, die können das noch besser.... )

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#10

RE: Delphi etc.

in Gedanken vom Tag 26.07.2010 18:50
von Roquairol • 1.072 Beiträge

Zitat von Lennie

Ich hoffe, du bist das nervige französische Jungvolk inzwischen wieder los...?? (Sei froh, dass es keine Italiener sind, die können das noch besser.... )



Jaja, ich bin jetzt auf Samos und geniesse die Ruhe ... Aber noch "besser" als diese pubertierenden Franzosen, die den ganzen Tag lang irgendwelche auf- und absteigenden Terzreihen groehlen, bevor sie mit einer Arschbombe in den Pool klatschen, das ist schwer vorstellbar ...

Fortsetzung:

Zurueck in Arachova, sitze in einem Kafenion, trinke Frappe und schaue mir den Verkehr auf der schmalen Hauptstrasse an. Es gibt hier eigentlich nur eine Strasse, die wichtige Hauptverbindungsstrasse zwischen Zentralgriechenland und Athen, und die fuehrt mitten durch dieses Bergdorf ... Was natuerlich dazu fuehrt, dass staendig irgendwelche LKWs aus entgegengesetzten Richtungen sich gegenseitig blockieren und dann umstaendlich vor und zurueck rangieren muessen, bis es endlich weitergeht. Die nehmen das hier gelassen hin, ist halt normal ...

Ich habe immer noch Distomo im Kopf, als ich auf eine interessante Stelle bei C. G. Jung stosse:

"Man hat sogar den Teufel beinahe oder sogar ganz abgeschafft, wodurch diese metaphysische Gestalt, die frueher einen integralen Teil der Gottheit bildete, im Menschen introjiziert wurde (...) Diese Entwicklung kehrt sich in neurer Zeit infernalisch um, indem der Wolf im Schafsgewand herumgehend ueberall in die Ohren fluestert, das Boese sei eigentlich nichts als ein Missverstaendnis des Guten und ein taugliches Instrument des Fortschritts. Man glaubt, damit der Dunkelwelt endgueltig den Garaus gemacht zu haben, und denkt nicht daran, was fuer eine seelische Vergiftung des Menschen damit in die Wege geleitet ist. Er macht sich damit selber zum Teufel, denn dieser ist die Haelfte eines Archetypus, dessen unwiderstehliche Macht auch dem unglaeubigen Europaeer bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit den Ausruf "o Gott!" entlockt. Wenn man ueberhaupt anders kann, so sollte man sich nie mit einem Archetypus identifizieren, denn die Folgen sind, wie die Psychopathologie und gewisse Zeitereignisse zeigen, erschreckend."

Also Distomo waere nicht moeglich gewesen, wenn man dem Teufel weiterhin als archetypische Kraft Respekt erwiesen haette? Interessanter Gedanke, der weiter verfolgt werden sollte.

Zwischendurch, o Wunder, regnet es! Ein kurzer Schauer, keine 5 Minuten, aber immerhin (wir sind hier ja sehr hoch in den Bergen).

Am spaeten Nachmittag warte ich wieder auf den Bus nach Delphi. Fuer die Kommunikation in fremden Laendern ist es ungemein hilfreich, sich vorzugsweise Vokabeln anzueignen, die sich a) auf den Busverkehr und b) aufs Wetter beziehen. Damit kommt man sehr weit: "Wo bleibt denn der Bus? Hat er schon wieder Verspaetung? Ganz schoen heiss heute. Obwohl es ja gerade geregnet hat. Ein bisschen Wind waere auch nicht schlecht ..." So kann man Stunde um Stunde verplaudern ...

Ich liebe ja die griechische Sprache, weil sie so vielschichtig ist. Sie ist wie in grosses altes Haus, mit schlichten Raeumen, in denen sich die meisten Menschen aufhalten, aber daran schliessen sich andere Raeume mit reicherer Ausstattung an, und man kann herumwandern bis in den antiken Keller ... Die Lieder von Mikis Theodorakis, bei denen es sich oft um Vertonungen grosser Dichter handelt, sind sehr populaer, obwohl sich die Texte von der Volkssprache so unterscheiden wie die Sprache Paul Celans vom Berliner Strassenslang. Immer wieder mal frage ich griechische Freunde nach der Uebersetzung eines Wortes, und sie verstehen es auch nicht. Ein echtes Wunder, diese Sprache, die bis in die Antike zurueckreicht, und doch immer noch lebendig ist. Ich bin mal wieder voellig darin eingetaucht, lerne immer mehr, und habe doch noch laengst nicht das Gefuehl, einen Hauch von all dem zu verstehen.




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zuletzt bearbeitet 26.07.2010 18:50 | nach oben springen

#11

RE: Delphi etc.

in Gedanken vom Tag 27.07.2010 13:55
von Martinus • 3.195 Beiträge

Zitat von Roquairol


Nachmittags zurueck zum Campingplatz, wo weiterhin franzoesisches Jungvolk den Pool in Beschlag nimmt und dort lautstarkes Balzgehabe vorfuehrt. In den naechsten Tagen wird sich zeigen, dass der Campingplatzbesitzer offfenbar irgendwelche Vertraege mit den Veranstaltern franzoesischer Jugendreisen hat: Die werden da Busweise angekarrt, an einem Tag waren ueber 200 franzoesische Jugendliche da. Schlimm ... Vor allem: Was wollen die in Delphi? Sie machten nicht den Eindruck, als seien sie besonders an der Antike interessiert, und an einem Pool rumlungern koennen sie eigentlich auch woanders.

Dies bestaerkt meine alte Idee, den Zutritt zu Museen und anderen Kulturstaetten fuer Menschen unter 18 zu verbieten, oder besser noch: unter 25 ... Man koennte ja ein Initiationsritual damit verbinden: An seinem 25. Geburtstag wird der junge Mensch in ein Museum gefuehrt und weiss: Jetzt gehoert er auch endlich zu der Welt der Menschen, mit denen man eventuell ein ernsthaftes Gespraech fuehren kann ...



Tja, ich bin auch schockiert, über diesen oberflächlichen Antikenkonsum, angekarrter Touristenkonsum. Später steht in ihren Memoiren "Auch ich bin mal in Delphoi gewesen." Schlimm, schlimm.


Zitat von Roquairol
Dies regt in mir aber auch zahlreiche Gedanken an zu der Frage, was ich eigentlich hier will. Warum meine ich, ich haette ein Recht, in Delphi zu sein, und die Jugendlichen nicht? Vielleicht sind sie ja hier in Wirklichkeit richtig, und ich bin falsch?

Ich weiss es nicht ...



Das ist eine interessane Fragestellung, die ich mir in ähnlicher Weise auch gestellt habe. Einige Jahre lang habe ich in Griechenland und in Kleinasien jeden (natürlich übertrieben) antiken Stein abfotographiert und umgedreht. Warum denn? So etwas macht man doch nur, wenn man etwas sucht. Bloß was? Das Geheimnis von Eleusis? Was soll denn das schon sein? War das Geheimnis so groß, weil sie einen Weg zur Transzendenz gefunden haben, was das größte Geheimnis wäre, oder hatten sie besondere Riten? Na ja, Delphi ernüchert doch sehr: Die Pythia haben die Besucher nie gesehen (was für ein Geheimnis). Der oder die Priester werden die Macht gehabt und Orakelsprüche verkündet haben, natürlich möglichst doppeldeutig, bzw. lasse man sich einen Orakelspruch doch noch korrigieren, was vorgekommen ist. So ähnlich wie heutige Horoskopdeuteleien: Möglichst nur allgemeinere Aussagen, irgendwas wird schon zutreffen. Delphi war warscheinlich ein Produkt von Volksgläubigkeit (na, ja, und Sokrates, auch er ein Apollonanhänger).

Aber was habe ich den in den Steinen von Delphi und Mykene gesucht? In Mykene habe ich anhand eines unübersichtlichen Planes das Bad gesucht, in dem Klytaimnestra gemordet hat. Ich war und bin schon ein wenig ver-rückt, ja.

Aber was ist denn sie Essenz, was Griechenland so besonders macht:

Es ist die Kombination von kaputten Ruinen und der großartigen Landschaft. Kap Sunion ohne einen schönen Sonnenuntergang ist eben nicht Kap Sunion (natürlich ist auch die Polis und die grich. Philosophie wadd besonderes,ha,ha).

Auf jedenfall war es immer schön in Griechenland. Beim Abschied sind mir immer Tränen gekommen.

Ich wollte mal einen Essay schreiben "Archäologie und der Tod", habe das aber nicht verwirklicht, darin natürlich auch die Überlegung hätte vorkommen müssen, was der Reiz an griechischen Säulen sei. Das ist eben das große Geheimnis Griechenlands.

Warscheinlich war Griechenland mein "Atman-Projek". Wegen Gottlosigkeit wurde man in Athen zum Tode verurteilt.

Liebe Grüße
mArtinus




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zuletzt bearbeitet 27.07.2010 14:24 | nach oben springen

#12

RE: Delphi etc.

in Gedanken vom Tag 29.07.2010 18:02
von Roquairol • 1.072 Beiträge

Samstag

Heute geht es mit dem Bus nach Lebadeia (oder Livadia, je nach Schreibweise). Wieder mal eine rasante Fahrt am Rande der Bergschluchten. Der Fahrer oeffnet eine Tuete mit Erdnuessen mit den Zaehnen und einer Hand, etliche Nuesse fallen zu Boden - haette mich nicht gewundert, wenn er sich auch noch danach gebueckt haette! Hat er dann aber doch nicht ...
Vor mir sitzt eine schoene Griechin, die waehrend der Fahrt am Laptop ihre Facebook-Seite pflegt, recht erotische Fotos hat sie da von sich.

Lebadeia - ein lebhafter Handelsort im Binnenland. In der Antike war hier das bekannte Orakel des Trophonios, deshalb wollte ich mich hier unbedingt mal umsehen, obwohl es eigentlich nichts zu sehen gibt. Dieses Orakel war sehr skurril: Wer es besuchen wollte, musste erstmal eine Woche lang strenge Reinigungsrituale, Waschungen etc. vollziehen. Dann betrat man eine Hoehle, steckte dort die Fuesse in ein Erdloch, woraufhin man nach unten gezogen wurde und mit einem Knueppel einen kraeftigen Schlag auf die Birne bekam ... In derart benebeltem Zustand hatte man dann ganz tolle Visionen ....
Heute gibt es offenbar keinerlei antiken Reste, auch die Lage jener Hoehle ist unbekannt. Eigentlich seltsam, hat denn noch kein Archaeologe nach gesucht?
Dafuer gibt es hier eine echte Fussgaengerzone, wie ich sie noch in keiner griechischen Stadt gesehen habe, und, noch seltsamer, es gibt neben Geschaeften fuer alles moegliche tatsaechlich ein Buero fuer Faehren-Tickets, obwohl wir hier mindestens 100 Kilometer vom Meer entfernt sind! Das kommt mir gelegen, so kann ich hier schon mal mein Ticket nach Samos kaufen.
Bemerkenswert uebrigens, dass ich in Lebadeia weit und breit nur Griechen sehe, keinen einzigen Auslaender, abgesehen von einem Asiaten, der in der Fussgaengerzone gefaelschte Rolex-Uhren verkauft.

Weiter geht der heutige Tagestrip, ich will noch nach Orchomenos, und zu meiner Freude sind die Busverbindungen hier ziemlich gut. Nach meinen schlechten Erfahrungen in Arachova hatte ich schon damit gerechnet, wieder ein Taxi nehmen zu muessen, aber nein - es gibt einen Bus nach Orchomenos.

Orchomenos war in der Antike eine bedeutende Stadt am Kopias-See, der heute laengst ausgetrocknet ist. Es soll die Hauptstadt des vorgriechischen Volkes der Minyer gewesen sein, und dem Mythos zufolge wurde Dionysos nach seiner Geburt hier versteckt, da er von Hera verfolgt wurde - er ist dann hier als Maedchen verkleidet aufgewachsen. Es gibt hier auch sehenswerte antike Ruinen, ein Kuppelgrab, aehnlich wie das in Mykene, sowie ein kleines Theater. Von Touristen ist trotzdem auch hier ausser einem italienischen Paar nichts zu sehen.

Waehrend ich noch vor dem Ausgrabungsgelaende unter einer Kiefer auf einer Bank sitze und mir Notizen mache, naehert sich mir ein Mann mit schulterlangem grauen Haar und Vollbart. Er spricht mich auf Englisch an, fragt nach meinem Interesse an der Antike, dann erzaehlt er mir von seiner Theorie, wonach die Minyer mit den Minoern auf Kreta identisch seien, wie der Name ja schon andeute. In einem atemberaubenden Redefluss kommt er dann irgendwie auf die christliche Dreifaltigkeitslehre, die er aus der griechischen Goetterwelt ableitet, dann kommt er auf die Etymologie, die wohl seine besondere Leidenschaft ist, er leitet den Namen Piraeus vom Polarstern ab, kommt von da auf den Kosmos im Allgemeinen und dann wieder irgendwie auf das dreistufige menschliche Gehirn, womit er wieder bei der christlichen Dreifaltigkeit ist und der Kreis sich schliesst. Irgendwo dazwischen hat er mir auch erzaehlt, wie er 1974 gegen das Obristen-Regime gekaempft hat, hat mir seine Ansichten zu Marx, Platon und Heidegger dargelegt ... Zu schade, dass ich das nicht aufnehmen konnte! Ueber eine Stunde lang haben wir da gestanden, und ich bin beim besten Willen nicht zu Wort gekommen, konnte nur gelegentlich kurze Bemerkungen einflechten. Ich stand nur da und dachte: Genau so muss es frueher gewesen sein, wenn man z. B. Aristoteles begegnet ist. Unglaublich, ich stehe hier in Orchomenos unter einer Kiefer und rede mit Aristoteles! Oder besser gesagt: Er mit mir ...
Frueher hatte ich schon aehnliche Begegnungen gehabt, in Griechenland - in Deutschland waere so etwas wohl undenkbar, da kann man bestenfalls in der Strassenbahn zwei Philosophiestudenten belauschen, wie sie ihr angelesenes Wissen breittreten. Aber hier in Griechenland laufen tatsaechlich noch echte Philosophen auf den Strassen herum, und wenn ihre Theorien im Einzelnen auch anfechtbar und allzu phantasievoll sein moegen, ist eine solche Begegnung doch unglaublich faszinierend!

Zurueck in Lebadeia an der Bushaltestelle: Hier leben drei Hunde an der Strassenkreuzung, die meistens schlaefrig auf dem Asphalt herumlungern, eigentlich ein Wunder, dass sie noch nicht ueberfahren wurden. Aber dann, in Abstanden von vielleicht zehn Minuten oder mehr, springen sie ploetzlich auf und rennen wie verrueckt bellend hinter einem Auto her. Dann legen sie sich wieder hin und ignorieren alle Autos, bis dann urploetzlich wieder eines kommt, das sie verfolgen ... Sehr seltsam, ich habe die Hunde lange beobachtet, da der Bus auf sich warten liess, aber ich konnte beim besten Willen nicht herausfinden, nach welchen Kriterien sie die Autos auswaehlen, hinter denen sie herrennen, es waren immer ganz unterschiedliche ...

Jorge Luis Borges zitiert in "Die analytische Sprache John Wilkins" eine "gewisse chinesische Enzyklopaedie", in der es heisst, dass "die Tiere sich wie folgt gruppieren:
a) Tiere, die dem Kaiser gehoeren
b) einbalsamierte Tiere
c) gezaehmte
d) Milchschweine
e) Sirenen
f) Fabeltiere
g) herrenlose Hunde
h) in diese Gruppierung gehoerige
i) die sich wie Tolle gebaerden
k) die mit einem ganz feinen Kamelhaar gezeichnet sind
l) und so weiter
m) die den Wasserkrug zerbrochen haben
n) die von weitem wie Fliegen aussehen"

Im Bus komme ich dann mit einem 17jaehrigen Schueler ins Gespraech, bestimmt schwul wie Winnetou, obwohl er sagt, er komme gerade von seiner "Freundin", aber vielleicht ist das nicht so woertlich zu verstehen. Er ist sehr nett, will nach der Schule Philosophie und Geschichte studieren (wie ich), er kann gut Englisch und auch ein bisschen Deutsch. Wir reden ueber die Wirtschaftskrise, er meint, dass Griechenland keine Chance habe, weil hier die grosse Industrie fehle. Ich sage, dass man das Vorhandene auch besser und klueger nutzen koenne - erzaehle von dem alten Mann auf Samos, der ein gutgehendes Restaurant hoch oben auf einem Berg betreibt, wozu es nur zwei Besonderheiten braucht: Die herrliche Aussicht und die griechische Linsensuppe, die er anbietet. Dafuer kommen die Touristen extra den Berg hoch, denn er steht in allen Reisefuehrern, die Linsensuppe ist wirklich sehr lecker und in den meisten anderen Restaurants nicht zu finden. - Ueblicherweise steht in den Touristengebieten ein Restaurant neben dem anderen, und alle bieten mehr oder weniger dasselbe an. Warum denkt der Restaurantbesitzer: Wenn mein Nachbar Chicken-Souvlaki auf der Karte hat, muss ich das unbedingt auch haben? Alle haben Angst, der Tourist wuerde unbedingt Chicken-Souvlaki wollen und dann zum Nachbarn gehen, wenn es es nicht auch hat ... Aber das ist natuerlich einfach Unfug - er muesste es genau umgekehrt machen und etwas anbieten, das der Nachbar gerade nicht auf der Karte hat.
So unterhalten wir uns sehr angeregt, bis wir in Delphi ankommen, er muss noch weiter nach Amphissa, da will ich morgen hin. Wir vereinbaren, ueber Facebook miteinander in Kontakt zu bleiben.




Homepage: http://www.noctivagus.net/mendler
Facebook: http://www.facebook.com/people/Klaus-Mendler/1414151458
zuletzt bearbeitet 30.07.2010 18:47 | nach oben springen

#13

RE: Delphi etc.

in Gedanken vom Tag 29.07.2010 19:48
von Zypresserich (gelöscht)
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#14

RE: Delphi etc.

in Gedanken vom Tag 30.07.2010 18:39
von Roquairol • 1.072 Beiträge

Zitat von Zypresserich
Pass auf Dich auf: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziale...,709207,00.html



Ja, kein Problem, wir waren vorgewarnt und haben nochmal vollgetankt ....




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#15

RE: Delphi etc.

in Gedanken vom Tag 30.07.2010 19:09
von Roquairol • 1.072 Beiträge

Sonntag

Heute nach Amphissa, wo mein neuer Freund wohnt (aber ohne ihn zu besuchen).

Im Bus ist eine zwanzigkoepfige Gruppe Franzosen auf dem Weg nach Lamia, die den Preis von 8,50 Euro pro Kopf fuer diese Strecke zu hoch finden und unbedingt einen Gruppenrabatt haben wollen, den sie aber nicht bekommen. Sie hoeren gar nicht auf, mit dem Schaffner zu diskutieren, und sind merklich angepisst. Ich wusste gar nicht, dass Franzosen so geizig sind ... (Fuer 8,50 kommt man in Deutschland noch nicht mal von Krefeld nach Bottrop!)

Amphissa ist sehr verschlafen, am Sonntag sind hier alle Geschaefte zu, wie es sich gehoert ... Ich setze mich erstmal auf die Platia und trinke einen Frappe. Es stimmt immer noch, dass man in Griechenland ewig irgendwo sitzen kann, wenn man nur ein einziges Getraenk bestellt hat. In Deutschland kaeme alle naslang ein Kellner an und wuerde fragen, ob man noch einen Wunsch habe (soll heissen "bestell noch was, oder hau ab!"). Aber hier herrschen noch humanere Sitten. Wer zahlen oder was neues ordern will, muss in das Lokal reingehen, und das mache ich nach zwei Stunden oder so.

Dann suche ich das archaeologische Museum, gar nicht leicht zu finden, ich frage schliesslich zwei aeltere Herren, die meinten, es sie die Strasse rechts runter, aber "makria" (=noch weit). In zwei Minuten bin ich da - Entfernung ist relativ. Das Museum ist klein, aber sehr schoen gestaltet. (Tipp fuer Griechenland-Reisende mit archaeologischem Interesse: Immer die jeweilige Bezirkshauptstadt (wie Amphissa) aufsuchen, auch wenn es da ansonsten keine Sehenswuerdigkeiten gibt, denn hier befindet sich immer ein Museum, in dem die archaeologischen Funde aus dem jeweiligen Bezirk gesammelt sind.)


Montag

Abreise aus Delphi.
Wieder mal bin ich im Piraeus und warte wie Kazanzakis am Anfang von "Alexis Sorbas" auf ein Schiff, allerdings gibt es hier jetzt keinen Salbeitee.
Es ist schweineheiss - genau so, wie wenn man im Sommer in ein Auto steigt, das ein paar Stunden lang in der Sonne gestanden hat. Nur ohne Auto.

Abends besteige ich die Faehre nach Samos, wo friends & family schon warten, same procedure as every year. Zwei Wochen am Strand - ich habe Thomas Manns Joseph-Roman mit, alle vier Baende, die kriege ich durch!




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