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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst


#16

RE: Vladimir Nabokov

in Die schöne Welt der Bücher 11.11.2011 16:34
von Martinus • 3.195 Beiträge

Zitat von Taxine

Zitat von Martinus
"Die Mutprobe" passt ganz gut, weil es auch um Exil geht. Den Roman kenne ich nicht.


Der Roman wäre auf jeden Fall auch etwas für dich, alleine schon darum, weil der Protagonist dein Namensvetter ist.




Ja, erst Martin Heidegger dann mArtinus eDelweiyss, nüch? Sicher was für mich, ja-haha Das Exilthema interessiert mich ja auch. Übrigens ist von den frühen Romanen "Lushins Verteidigung" sehr zu empfehlen. Ein Schachspieler, der sich mehr und mehr mit Schachfiguren identifiziert, schließlich verrückt wird.

Liebe Grüße
mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 11.11.2011 16:37 | nach oben springen

#17

RE: Vladimir Nabokov

in Die schöne Welt der Bücher 11.11.2011 17:34
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Na, diesen Roman habe ich natürlich längst gelesen, auch mit Freude, wie auch seine anderen bekannteren Werke ("Lolita", "Die Gabe", "Pnin", "Fahles Feuer" und co).
Was noch aussteht sind die kleineren Werke und der Klopper "Ada".




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 11.11.2011 17:57 | nach oben springen

#18

RE: Vladimir Nabokov

in Die schöne Welt der Bücher 11.11.2011 23:31
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Jatman-typischer Kontext-ferner Mini-Exkurs:

Nabokov über Dostojewskis Schuld und Sühne:
"Der `Killer und die Nutte` lesen gemeinsam das `Buch der Bücher`- welch ein Unsinn!"

Das macht ihn mir sympatisch.


www.dostojewski.eu
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#19

RE: Vladimir Nabokov

in Die schöne Welt der Bücher 14.11.2011 23:24
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Auch gut von ihm ist dieser Satz:

"... und ich möchte gleich sagen, dass ich die vulgäre, schäbige, durch und durch mittelalterliche Welt Freuds mit ihrer spinnerten Suche nach sexuellen Symbolen (vergleichbar etwa der Suche nach Baconschen Akrostichen in Shakespeares Werk) und ihren verbitterten kleinen Embryos, die von ihrem natürlichen Unterschlupf aus das Liebesleben ihrer Eltern bespitzeln, ganz und gar ablehne."

(Vladimir Nabokov: "Erinnerung, sprich")

Kommen wir nun zu

"Das Bastardzeichen"

… auf Karten sucht man ihn umsonst,
wie jeden wahren Ort…
*

Padukgrad heißt der Ort, der nirgendwo ist und dennoch existiert, als Teilaspekt in all dem, was in der Geschichte ausgeartet ist. In dieser Form wendet sich Nabokov dem Terrorregime nicht in allem Ernst zu, sondern karikiert seine Figur des Diktators bis ins kleinste Detail, als hätte er keine Lust, diesen ernst zu nehmen, sondern müsse in ihm stattdessen den kleinen Wicht aufzeigen, der sich hinter der dicken Schicht aus Terror und Macht tatsächlich verbirgt.
Das ist ihm wahrlich gut gelungen.
Tatsächlich kann ich sagen, dass mir der Roman „Das Bastardzeichen“ nicht nur wegen seines Inhalts, sondern auch aufgrund seines unverwechselbaren Stils gefallen hat, samt seiner Sprünge, den philosophischen Zwischeneinlagen, dem Labyrinth aus Traum- und Denkmomenten, als die genaue Nachzeichnung einer Diktatur, wie sie unter ihrer Terrorfratze eigentlich ist, nimmt man ihr den Ernst und den Schleier der Blindheit vieler Menschen, die gehorchen und tun und sich regieren lassen, bis sie verwundert „Oh!“ sagen und sich an irgendeiner Wand in einem Hinterhof wiederfinden, Auge in Auge mit einem gesichtslosen Schießkommando.

Der Roman bezieht seine Grundstruktur aus der Erzählung „Tyrannenverfolgung“. Diese dreht sich um einen fiktiven (und dann doch nicht so fiktiven) Diktator, eine Mischung aus Lenin, Stalin, Hitler und co, in dessen kindlichen Zügen der Erzähler den späteren grausamen Schlächter etlicher Menschen ausmachen will.
Auch in „Das Bastardzeichen“ ist Adam Korb, Philosoph und Universitätsprofessor, in der Bredouille, den Diktator Paduk aus der Kindheit zu kennen, den sie als Kinder „Kröte“ nannten, eine Bezeichnung, die Korb für ihn auch im Alter beibehalten hat. Ausgerechnet diesen soll er nun aufsuchen und gut Wetter für die Universität machen, die bereitwillig die neuen Lehrplan annehmen will, der für den sicheren Aufbau eines neuen Staates – die richtige staatsübliche Erziehung gutgesinnter und unterwürfig gehorchender Sklaven, in denen jedweder Individualismus ausgetrieben wurde - notwendig ist. Korb soll sich aufgrund seiner "Beziehungen" an den Tyrannen wenden, damit die Universität nicht ihre Pforten schließen muss.
Alles, woran sich Korb jedoch erinnert, ist, dass er sich als Kind immer auf das Gesicht der Kröte gesetzt hat, ein leicht bösartiges Spiel unter Kindern, das jeder Art an Verspieltheit entbehrt.

Am Anfang des Romans muss Korb über eine Brücke, die zwei Städte trennt. Jede Seite der Brücke wird von Soldaten bewacht und das Überqueren ist eine Tortur, nicht nur, weil Korb alt und müde ist und der Weg über die Brücke lang, sondern auch, weil er auf einen sehr anstrengenden, typisch russisch absurde Züge tragenden Bürokratismus trifft, für Stempel und Unlogik hin und her geschickt wird, während er doch nur zurück nach Hause möchte. Das, was hinter ihm liegt, ist der Besuch in einem Krankenhaus, in dem er soeben erfahren hat, dass seine Frau gestorben ist. Die Traurigkeit sitzt aufgrund all der Ereignisse - die Komplikationen auf der Brücke und später die Erwartung des Rektors der Universität, er solle den Diktator aufsuchen - irgendwie fest, kann sich kaum entfalten und ihm die Tränen der Erlösung bringen. All das versickert unreflektiert im Inneren und bleibt dort wie schwere Steine liegen. So taumelt er erschöpft nach Hause, wo sein kleiner Sohn schläft…

… und gerät dabei selbst wieder zum Kind, kehrt in seinen Erinnerungen zurück in die Vergangenheit, wo die Kröte noch ein Schulkamerad war und seine starre Mimik auf die Mitschüler richtete.

Zitat von Nabokov
„Er sprach seltsam ölig durch die Nase, hatte einen starken nordwestlichen Akzent und die aufreizende Art, aus den Namen seiner Klassenkameraden Anagramme zu bilden (…), und das nicht etwa, weil er Sinn für Humor hatte, der ging ihm völlig ab, sondern weil man unablässig im Sinn behalten sollte (wie er neuen Schülern umständlich auseinandersetzte), dass alle Menschen aus den gleichen, nur verschiedenen gemischten fünfundzwanzig Buchstaben bestehen.“


Sie sind nur Masse, austauschbar, ersetzbar, gleichfalls alle zu vernichten, wenn sie nicht mehr für den Staat und die Absichten des Diktators taugen oder wenn sie ganz einfach nur verdächtig sind. Dies lässt sich aus der damals noch kindlichen, sich aber im Erwachsenenalter geprägten Einstellung zum Menschen bereits heraushören.

Oder in den Worten des senilen einstigen „enfant terrible“, des Philosophen Skotoma:
„Die Menschen seien nichts als Gefäße, die jeweils ungleiche Mengen dieser qualitativ gleichartigen Bewusstheit enthielten. Es wäre jedoch durchaus möglich, (…) ihre Aufnahmefähigkeit zu regulieren.“
Man könne aus ihnen eine gleich gefüllte Standardgröße kreieren, denn im Sinne der Gleichberechtigung hätte man auf wirtschaftlicher Basis übersehen, dass die Abschaffung von Besitz nicht möglich war, solange es gescheitere oder kräftigere Menschen gab, und auf theologischer Seite hätte man ganz einfach verkannt, dass all die Menschen, die die Erde bereits als Paradies ansahen, nicht erst auf ein Paradies hofften.
An Skotomas Schrift verdeutlicht Nabokov, was in Russland geschehen ist, dass aus einer verallgemeinerten, gutwilligen, dennoch halbherzigen Philosophie der Gleichheit eine bösartig politische und gewalttätige Lehre der vom Staat erzwungenen, geistigen Gleichförmigkeit für Vater Staat werden kann, in dem alles absorbiert wird, solange man nur bedingungs- und willenlos gehorcht, weil doch kein … Baum sein kann ohne Wald, kein Musikant ohne Orchester, keine Welle ohne Meer, und kein Leben ohne Tod … Hier wird sichtbar, was Lenin mit dem Werk von Marx tat, bis sich Stalin dieser Vereinfachung und Verallgemeinerung totalitär bediente.
Auch der junge Paduk gründet die Partei der Durchschnittsmenschen und findet bald viele Anhänger. Mit Reden, die dem Menschen vermitteln, dass der Staat alles ist, der Mensch nichts, wird er künftig das Land regieren, sich durch die Megaphone und Sprechanlagen wimmern, zum „Tyrannosaurier“ mutieren, dabei seine Schwächlichkeit und Mittelmäßigkeit beibehaltend. Wie eine Seuche wird er sich in das Leben der Menschen und insbesondere auch in das von Krug drängen.

Eine äußerst interessante Auseinandersetzung mit Shakespeare und Bacon und ein Blick auf Hamlet – „Man stelle sich nur die Moral einer Armee vor, in der ein Soldat, der weder Donner noch Stille fürchten darf, sagt, ihm sei schlimm zumut!“ - wird unsanft unterbrochen, wobei diese Unterhaltung schon andeutet, wie schnell sich die Welt in ein Schauspiel, dann in ein schlechtes Bühnenstück, dann in eine abartige und kitschige Filmversion voller greller Effekte verwandeln kann, in der nichts mehr lebendig ist, sondern alles nur noch einem Grundmuster gehorcht. Ein Freund Krugs wird, wie vor ihm, das Ehepaar Maximow, während ihrer Unterhaltung verhaftet. Diese findet sogar durch zwei alberne, sehr menschlich verschmitzt wirkende Leute statt, die als parodistischer Verweis auf die mechanisierte Menschlichkeit der Nazis (jenes „wilde Tier Germanien mit seiner blauäugigen Jugend“) aufgefasst werden kann, wie alles in diesem totalitären System eine einzigartige Farce der Grausamkeit und Wirklichkeit ist.

Alle um Krug herum werden verhaftet, obwohl Krug der einzige unter ihnen ist, der sich gegen das Regime wehrt. Alle anderen sind, wenn nicht dem Diktator ergeben, so doch klug genug, um ihre Abneigung nicht zu zeigen und gehen sogar so weit, auch Krug davon in Kenntnis zu setzen, dass er sich falsch verhält. Dieser aber glaubt sich unangreifbar und behält Recht, solange lediglich sein Umfeld verhaftet wird. Er bewegt sich in dieser gruseligen Welt, als wäre er nur Gast und alles müsste sich, gleich einem bösen Traum, beim Erwachen auflösen. Sein Glaube, das alles schon nicht so tragisch ist, baut allein auf dem Wissen auf, wer die „Kröte“ als Kind war und das jemand, der sich vor so einem jämmerlich nichtigen Menschen fürchtet, ein Feigling und Idiot sein muss. Er erfasst die Macht der Dummheit nicht, besonders nicht die, die sich der mächtige Herrscher Paduk mittlerweile angeeignet hat.
Vielleicht begibt er sich darum auf so fadenscheinige Art und Weise in die Hände des Feindes, der überall lauert, überall seine Augen offenhält, seien es zwei Drehorgelspieler, die in ihrer Dualität vor dem Fenster absurd wirken, da gerade der Orgelspieler das „Sinnbild der Einzahl“ ist, oder sei es ein Antiquar, der Krug und seinem Sohn zur Flucht verhelfen soll und dabei so offensichtlich falsch ist, dass es beim Lesen fast schon in den Gehirnwindungen wehtut. Nabokov hat diese Dinge so lapidar dargestellt, dass sie für den Leser zu leicht zu durchschauen sind, während Krug in diese ganzen Fallen wie ein tapsiger und blinder Bär hineinstolpert, womit sich die Farce der ganzen Geschichte noch einmal durch den eigenen aufgerissenen Rachen hindurchfrisst. Krug, der scheinbar völlig ahnungslos ist, während wie neongelbe Warnsignale alles auf Überwachung und Strafe hindeutet, muss für seine Arglosigkeit dann allerdings auch bitter büßen.

In diesem Roman zeigt sich Nabokov von seiner kritisch surrealen und grausam grotesken Seite. Die Nabokov’schen Adjektive haben sich auf drastische Art und Weise vermehrt, so dass sowohl der Stil als auch die Betrachtungen sich von seinen übrigen Büchern unterscheiden, er sich nicht scheut, als Autor selbst in das Buch zu steigen. Dennoch ist ein „gähnender Tunnel“ einfach nur genial gezeichnet und so manches Adjektiv, das an einer Stelle störend sein mag, verschönt an anderer Stelle das Wort und kreiert aus ihm ein ganzes Bild.




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* (Hier zitiert Nabokov aus „Moby Dick“ von Melville)




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 28.11.2011 23:40 | nach oben springen

#20

RE: Vladimir Nabokov

in Die schöne Welt der Bücher 19.11.2011 15:35
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Die Gabe

Dem wahren Schriftsteller sollten alle Leser egal sein, außer einem: dem der Zukunft, der seinerseits nur die Widerspiegelung des Autors in der Zeit ist.

Die Gabe ist das, was Fjodor Godunow-Tscherdynzew wie eine Last in sich spürt, die dennoch am Anfang nicht hervorbrechen will, die am Ende des Buches allerdings viel mehr beinhaltet, als auf den ersten Blick erscheinen mag. Das Leben wie einen Kreis erfassen zu können, das ist das, was Fjodor als sein Talent verbuchen kann. Dieser schlägt sich mehr schlecht als recht durch das Emigrantenleben. Im grauen, hässlichen Berlin, wo alles leer, brüchig und flach ist, wo die Menschen, gleichgültig welchen Geschlechts, fette Hintern haben, selbst wenn sie nicht dickleibig sind, wo sich fünf Passanten unangenehm höflich bücken, um gemeinsam die fallengelassenen Fünfpfennig-Stücke aufzusammeln, lebt der junge Dichter und irrt in seinen Erinnerungen und Schatten herum.
Der Roman umfasst drei Jahre seines Lebens, und die Kapitel und Begebenheiten erscheinen wie Sprünge in den nächsten Abschnitt oder die nächste Wohngelegenheit, die er findet, so dass der Leser immer wachsam sein muss, damit er weiß, woran er sich nun zu orientieren hat. Dennoch ist der eigentliche Erzählstrang sehr linear, man erfährt von den ersten Gedichten, den ersten Zweifeln, der Familie Fjodors, während sein Vater umgekommen sein soll, ohne dass die Familie jemals erfahren hat, wo oder wie er starb. Die Beziehung des Sohns zum Vater scheint einen Zusammenhang zu Nabokovs eigenen Familienverhältnissen zu bieten, nicht die fiktiv erzählte Geschichte des Schmetterlingsliebhabers und Erforschers Zentralasiens, sondern der liebevolle Blick, den Fjodor seinem Vater widmet. Nabokovs Vater wurde 1922 in Berlin von russischen Terroristen ermordet, vielleicht rührt daher auch Nabokovs Abneigung gegen Deutschland und Berlin, die sich im Laufe seines Lebens noch erheblich steigern wird und auch in diesem Roman stark zum Ausdruck kommt.

Zitat von Nabokov
… die hoffnungslose, gottlose Leere zufriedener Gesichter; Balgereien, Gelächter, Geplansche – all das fügte sich zusammen zu einer Apotheose jener berühmten deutschen Gutmütigkeit, die mit Leichtigkeit jeden Augenblick in rasendes Geschrei umschlagen kann. Und über alledem herrschte, besonders an Sonntagen, wenn das Gedränge am scheußlichsten war, ein unvergesslicher Geruch, der Geruch von Staub, Schweiß, Schlamm, von unsauberer Wäsche, von gelüfteter und getrockneter Armut, der Geruch von gedörrten, geräucherten, eingemachten Seelen, pro Stück einen Groschen.



An anderer Stelle:

Zitat von Nabokov
„Kleines gemütliches Deutschland“ – ach, Backsteinhäuschen, ach, die Kinderchen gehen zur Schule, ach, das Bäuerlein schlägt sein Pferd nicht mit dem Knüppel! … Keine Sorge, er hat seine eigene deutsche Art, es zu quälen, in einem versteckten Winkel, mit rotglühendem Eisen.



In „Die Gabe“ finden sich wohl die gröbsten und gemeinsten Angriffe auf Deutschland. Es ist durchtränkt von Nabokovs Abneigung gegen dieses Land, das ihm durch Emigration aufgezwungen wurde. Er teilte hier die Einstellung vieler Russen, die emigrieren mussten und inmitten von Berlin wie eine eigene große Gemeinschaft lebten, um alles, was nicht russisch war, abzutun und abzulehnen. Nabokov ist hier also keine Ausnahme. Zudem musste er 1937 mit seiner jüdischen Frau Véra aus Berlin flüchten, eine Zeit, in der der Roman entstand. Deutschland ist ihm also hauptsächlich aus Zeiten des Kriegsbeginns bekannt, wo Stumpfsinn unter Gemütlichkeit verdeckt lag und die Bestie noch schlummerte. Nabokov kehrte nie wieder nach Deutschland zurück, da er nie sicher sein konnte, nicht irgendeinem "Nazi-Schergen die Hand zu reichen", aber sein Urteil wurde später dann doch wieder etwas milder, was das Deutsche betraf.

Der Rückblick auf den verstorbenen Vater ist sehr ausführlich und innig. Die durch einen Fremden überbrachte Nachricht, dass der Vater bei seiner letzten Expedition gestorben sei, findet sich auch in „Die Mutprobe“ wieder. Fjodor versucht, über ihn ein Buch zu schreiben, ihn so wieder lebendig zu machen, zumal er nicht weiß, wie genau der Vater umgekommen ist, stattdessen aber entsteht nichts, nur klägliche Notizen und er möchte all das, was sein Vater in Enzyklopädien geschaffen hat, nicht mit seiner Person verwässern.

Mehrmals wechselt Fjodor seine Bleibe, zieht schließlich bei einem Russen ein, dessen Stieftochter für Fjodor bald schon eine wichtige Rolle spielt. Sie heißt Sina Merz und er verliebt sich in sie, wobei sie sich nur heimlich treffen können, da die Eltern davon nichts wissen dürfen. Sina ist, wie ihre Mutter und ihr verstorbener Vater, jüdischer Abstammung und erinnert in ihrem Wesen stark an Véra, Nabokovs Frau. Der Stiefvater verachtet die Juden (durch seine schmierigen Lippen dringt auch die Story, die Nabokov später als den Roman „Lolita“ verfeinern wird) und Sina verteidigt das Jüdische darum umso heftiger, einmal, weil sie den Verrat ihrer Mutter spürt, die ihre Abstammung mit der neuen Heirat leugnet und mit einem Mann lebt, der nichts als Verachtung und Hohn für die Juden übrig hat, zum anderen wegen ihrem Vater selbst, den sie verehrt und mit dem jüdischen Bild der Rechtschaffenheit in Verbindung bringt. Dazu arbeitet sie auch noch bei einem deutschen Juden, der aber eben mehr Deutscher als Jude ist, wie Nabokov gehässig behauptet, daher genauso verachtenswert und kleinkariert wie alle anderen Deutschen ist.
Das Schicksal, das Fjodor und Sina hier zusammenbringt, geht mehrere Wege, die in den jeweiligen Kapiteln kurz aufblitzen und von Fjodor erst am Ende des Buches ins Wort gefasst werden. So dienen sowohl seine verschiedenen Umzüge als auch das Angebot, ein Manuskript zu übersetzen, der Möglichkeit, seine zukünftige Geliebte kennenlernen zu können, die jedes Mal fehlschlägt. Die Gründe sind häufig die nicht vorhandene Sympathie für denjenigen, der Angebot oder Wohnung bereit hält.

Statt also über seinen Vater zu schreiben, entschließt Fjodor sich, eine Biografie über Tschernyschewskij zu verfassen, der Autor des Werkes „Was tun?“, die von den Verlegern zunächst abgelehnt wird, da sie ein schändlicher Angriff gegen jenen bewunderten Helden und Vorreiter der Sozialrevolution ist, was für den Russen der Blasphemie gleichkommt. Tatsächlich ist dieses Kapitel ein Hinweis auf die Niederlage des Marxismus und Materialismus. Über den Schriftsteller der Sechziger erhält der Leser einen tiefen und intensiven Einblick (was für mich persönlich eine der besten Stellen im Buch ist)… der imstande war, „die albernste Träumerei in ein logisches Hufeisen zu biegen“, von dessen Briefen die einzelnen Tränen nachgewiesen wurden, der zum Idol einer ganzen russischen Jugend wurde und seinen Roman ausgerechnet in der Peter-und-Pauls-Festung schrieb, um den Behörden damit Beweise in die Hand zu liefern, die vorher vage und teilweise sogar gefälscht waren. Tschernyschewskij war ein Anhänger Feuerbachs und des Materialismus, sein Blick auf die allgemeine Philosophie war, um mit Nabokovs Worten zu sprechen, reinster Unsinn. Den Rummel, der um diesen Roman gemacht wurde, können daher auch weder Nabokov noch sein Protagonist nachvollziehen, viel eher hat der russische Leser wohl das Gute darin erfasst, „das der talentlose Romancier vergebens auszudrücken versuchte“. Der Roman wurde wegen "seiner Ideen gepriesen, statt wegen seines Stils verlacht". Bei Tschernyschewskij ist es umgekehrt, ihn las wiederum Marx mit Begeisterung, wo sich ansonsten alle auf ihn beziehen, und Lenin betitelte seine eigene Schrift mit Tschernyschewskijs Romantitel, was alleine schon Grund genug ist, dass Nabokov sich mit dem Schriftsteller auseinandersetzen muss. Die Bewunderung für das Buch wuchs mit den Jahren, während der noch lebendige, jedoch in Sibirien vor sich hin kümmernde Schriftsteller vergessen wurde. „… Denn so, wie die Nummern des Zeitgenossen mit dem Roman, die von Hand zu Hand wanderten, immer mehr zerfledderten, nutzte sich auch Tschernyschewskijs Zauber ab…“
Zwei Hinweise finden sich in der Biografie über Tschernyschewskij, die auch etwas Licht in Nabokovs „Einladung zur Enthauptung“ bringen, da er für diesen Roman „Die Gabe“ unterbrach. Einmal ist es die Ehefrau Tschernyschewskijs, Olga Sokratowna, die wohl als Vorbild für die Ehefrau des Gefangenen diente, die den Schriftsteller auf das Gnadenloseste betrügt und in seine Zelle marschiert, um ihn mit ihren Alltagssorgen zu belästigen, was dann wiederum das Wesen der Frau, das Mitbringen der gesamten Inneneinrichtung und das Kaffeekränzchen, das in der Zelle abgehalten wird, erklärt, und zum anderen finde ich hier einen Hinweis auf den Anfang des Romans, als beim geflüsterten Urteil erwähnt wird, dass der Angeklagte und Verurteilte bei der Enthauptung einen roten Zylinder tragen darf. In der Peter-und-Pauls-Festung durften die Gefangenen nämlich eigene Kopfbedeckung tragen, bis auf einen Zylinder, der war verboten.
Die Biografie Tschernyschewskijs erscheint und Nabokov parodiert in den darauf folgenden Kritiken herrlich die Kritiker selbst. Die allgemeine Empörung ist groß (und der Leser lacht sich kaputt). Darunter ist eine Kritik, die nicht nur das Leben des Schriftstellers völlig verdreht und sogar von Todesurteil spricht, das der Autor ( also Fjodor) unverfrorener Weise einfach verlängert und nach Sibirien verlagert hätte (was tatsächlich der Fall war), dazu noch einen falschen Romantitel nennt, sondern auch noch mit erhobenem Finger erwähnt, dass der Autor nicht sagt, wann und wo Tschernyschewskij geboren wurde. Gerade das aber hat Fjodor ans Ende seines Werkes gesetzt und damit bewiesen, dass der Kritiker das Buch nicht zu Ende gelesen haben kann.
Bezeichnend ist die Wahrheit hinter den Worten, die hier parodiert werden, denn als Nabokov, der den größten Teil von „Die Gabe“ 1935 bis 1937 schrieb, den Roman in Fortsetzungen in einer russischen Emigrantenzeitschrift erscheinen ließ, verweigerte man ihm die Veröffentlichung des vierten Kapitels, das eben jene Biografie über Tschernyschewskij enthielt, die auch im Buch so viel Anstoß erregte. Erst 1952 erschient der Roman vollständig in New York.

Dieser Roman gehört eindeutig zu Nabokovs schwierigeren und urrussischen Romanen, nicht, weil der Inhalt schwer zu lesen ist, sondern weil er dem Leser über viele Seiten hinweg viel Geduld abfordert, sich ausführlich an Fiktion, Autobiografie und Auseinandersetzung mit seinem Heimatland macht, sich für die Wege des jungen Dichters samt seiner Erinnerungen und geistigen Entwicklung viel Zeit nimmt, was nicht immer besonders spannend zu lesen ist, dennoch wunderbar plätschernd dahinfließt. Der Roman ist eine Art Kombination aus Begebenheiten, Erinnerungen, Blicke auf Russland und seine Literatur, die sowohl Puschkin, Gogol und eben den Autor von „Was tun?“ umfasst (und selbst Dostojewski kommt daneben besser weg, als ich annahm). Darin ist gleichzeitig die Ehrerbietung Nabokovs für seinen Vater, die Liebe zu Véra und die Sehnsucht des Emigranten enthalten. Auch macht sich Nabokov gut als Philosoph, hat mit großer Wahrscheinlichkeit auch Heidegger gelesen, oder wie könnte man sonst diese Zeilen deuten?[genau]

Wie dumm! Die irrige Vorstellung von der Zeit als einer Art Wachstum ist eine Folge unserer Endlichkeit, die, da sie sich immer auf der Ebene der Gegenwart befindet, sich als ständigen Aufstieg zwischen dem wässrigen Abgrund der Vergangenheit und dem luftigen Abgrund der Zukunft versteht. Das Dasein ist somit eine ewige Verarbeitung von Zukunft und Vergangenheit – im Wesentlichen ein gespenstischer Prozess -, ein bloßes Abbild der stofflichen Metamorphosen, die sich in uns abspielen. Unter diesen Umständen läuft der Versuch, die Welt zu begreifen, auf den Versuch hinaus, das zu begreifen, was wir selber absichtlich unbegreiflich gemacht haben.
(…) Die für mich verlockendste Auffassung - dass es keine Zeit gibt, dass alles Gegenwart ist, die wie ein Leuchten außerhalb unserer Blindheit liegt -, ist eine ebenso hoffnungslos endlich Hypothese wie alle übrigen. „Du wirst es verstehen, wenn du groß bist“, das sind die weisesten Worte, die ich kenne.


Ein schönes, ein gemächliches, ein schweres Buch, das zum Wiederlesen einlädt, denn nach Nabokov ist "der gute Leser ein mehrmaliger Leser".




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 19.11.2011 16:06 | nach oben springen

#21

RE: Vladimir Nabokov

in Die schöne Welt der Bücher 27.11.2011 15:45
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Ada oder das Verlangen
(im Englischen natürlich viel schöner: "Ada or Ador“)

Tja, um was geht es hier genau, das ist die Frage. Eine riesige Familie samt vorangestellten Stammbaum, falls der Leser Lust hat, die verschiedenen Zweige nachprüfen zu wollen, der dann aber doch nicht ganz so groß ist, wie er am Anfang erscheint, da sich der Kreis der Protagonisten bald verengt und auf wenige Menschen begrenzt. Das, was hier zu lesen ist, sind die Memoiren von Van, dem eigentlichen Protagonisten. Dazu beginnt der Roman nicht nur völlig chaotisch und in einem hin und her springendem Durcheinander, sondern auch mit etlichen Namen und Figuren, die von der Zukunft in die Vergangenheit in die Gegenwart hüpfen, als gäbe es keine Zeit zu überbrücken oder als könne der Leser sofort all diese Gestalten unterscheiden und all die Sprünge nachvollziehen, die von einem Später, einer Wahnwelt oder anderen Dingen handeln. All das wird beim zweiten Lesen dann verständlich, wenn man also die Geschichte bereits kennt, wobei Nabokov den Leser auf diese Weise regelrecht nötigt, sich das Werk noch einmal vor Augen zu führen.

Nabokov hat hier keinen Roman geschrieben, sondern spielt ein perfides, eher weniger raffiniertes Spiel, das von vorneherein keinen Leser zulässt, der nicht verschiedene Sprachen beherrscht, sich nicht in russischer und weltlicher Literatur auskennt, der seinen Geschmack, seinen Zynismus, seine Neigungen (diese insbesondere) und Abneigungen nicht teilt. Sein Roman spielt Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in einer Welt namens „Antiterra“, eine Art fiktiven Spiegelwelt zur Erde (wohl als eine Andeutung auf den Science-Fiction-Literaturmarkt), während daneben eine weitere Welt in den Wahnvorstellungen der Geisteskranken auftaucht, die sich „Terra“ nennt und der Erde etwas mehr ähnelt. Die Geisteskranken halluzinieren damit also eine dem Leser bekannte Realität, während alle anderen in der Fiktion leben und die Realität als Wahn annehmen. Der Protagonist Van ist es, der sich später als Psychologe der Erforschung solcher Vorstellungen widmet.

All das klingt irgendwo interessant und ausgeklügelt, sicherlich werden auch einige Leser an diesem Buch ihre Freude haben, allerdings muss ich dann doch bekennen, dass es mir nicht so ging. Stattdessen traf ich auf eine mir unangenehme Art des Autors, seinen Intellekt oder ein abstrus philosophisches Wissen aufzudrängen, dass keinesfalls seinem eigenen Denken entsprungen ist, stattdessen aus mehreren Schichten seines philosophischen Verständnisses anderer Schriften zusammenrafft, was seiner Vorstellung – Was ist Zeit? – nahe kommt, nämlich dass Zeit Erlebnis und Erfahrung ist, wir Zeit nicht erkennen können, aber eine Zeit, die uns gehört. Zeit ist also inneres Erlebnis und Erinnerung. (Wieviel schöner hat Nabokov dies in „Erinnerung, sprich“ ausgedrückt, wo ihm die grenzenlos erscheinende Zeit zum Gefängnis wird.)
Tja, obwohl ich derlei Gedankengänge und Vertiefungen eigentlich gerne mag, so sind sie in diesem Roman irgendwie völlig falsch angeordnet, überladen und ermüdend. Der Roman offenbart sich mir aufdringlich als Aushängeschild des Nabokov‘schen Verstandes, der mir an mehr als nur einer Stelle regelrecht auf den Keks ging. Der Leser wird gelockt und niedergezwungen und um sich selbst gedreht, denn es werden von Nabokov nicht einfach nur Anspielungen gemacht, wie er es gerne in seinen anderen Romanen tut, sondern das ganze Buch vereinigt die Spuckflecken des Autors als Anagramme, Verballhornungen, Sprachexperimente und Seitenhiebe auf die Literatur und andere ihm aufstoßende Gebiete, die in der Verspieltheit und Häufigkeit ab und an kaum zu entschlüsseln sind, im Gegensatz zu Werken von geübteren und raffinierteren Schriftstellern auch gar nicht den Wunsch dazu auslösen. Es handelt sich nämlich nicht um Rätselhaftes oder eine Herausforderung an die Logik und den Verstand, sondern einfach nur um die Nabokovwelt, die aufgebrochen und durchleuchtet werden darf. Irgendwann nimmt man dann das eigene Augenrollen wahr und betet innerlich, dass Nabokov einfach einmal erzählt, wie er es doch sonst so gut versteht, und seine intellektuell pompöse Klappe hält, was er stellenweise auch tut, um den Leser damit wieder etwas zu besänftigen.

Unter all dem Unsinn sammelt sich die eigentliche Geschichte von Ada und Van, zwei Geschwister, die bereits als Kinder beginnen, einander auf das Glühende zu begehren, da sie annehmen, sie wären Cousin und Cousine. Sie ist knapp zwölf Jahre alt, er fünfzehn, als beide einander ganz und gar entdecken. Dazu wird die Geschichte auch nicht einfach erzählt, sondern dazwischen erklingt immer wieder die Stimme der alten Ada oder die des alten Vans, als Anmerkungen zu den eigenen Erinnerungen an ihre Kindheit, da das Buch ja die Memoiren Vans sind.
Begonnen hat die Geschichte mit den Zwillingen Aqua und Marina, wobei letztere die Mutter von Van und Ada ist, bis Aqua dem Wahnsinn verfällt und sich in ihrer selbst geschaffenen Welt „Terra“ verliert, während Marina davor, währenddessen und danach mit Aquas Ehemann Demon schläft (mit dem Ergebnis der Geburt von Van) und wieder von ihm verstoßen wird, um schließlich seinen Vetter ersten Grades zu heiraten und mit diesem Ada zu zeugen und bald darauf auch Lucette, während sich (bereits am Anfang des Romans) herausstellt, dass auch Ada ein Kind von Demon ist, da der Ehemann Marinas verreist war. Das alles ist natürlich keineswegs so klar und durchsichtig, wie es hier zusammengefasst „sein könnte“. Da die in Sanatorien eingesperrte und verrückte Aqua die Ehefrau von Demon ist, dieser aber Marina schwängert, muss das Kind Van unter Aquas Namen eingetragen werden, was verwirrt, betrachtet man den großzügig vorangestellten Stammbaum, der Aqua als Mutter verzeichnet. Auch erleidet Aqua wohl eine Fehlgeburt und bekommt von Marina das eigene Kind als ihr Kind untergeschoben. Hier darf der Leser dann überlegen, was er dem Delirium der Verrückten als wahr oder nicht wahr entnehmen kann.

Während Marina altert, vergehen Van und Ada vor Liebe zueinander und beziehen auch die kleine Neunjährige mit ein, zunächst passiv, dann, als sie älter wird, auch aktiv, die sich gleichfalls unsterblich in Van verliebt. Das ganze Buch strotzt vor ewigen Liebeleien und Sexspielchen, bis Van entdeckt, dass seine Schwester Ada ihm fremdgeht, worauf er das Familienanwesen verlässt. Er fühlt sich als Betrogener und will sich mit den Männern duellieren, doch diese sterben noch bevor er sie erreicht, der eine an Gift, das ihm seine Ehefrau verabreicht, der andere im Krimkrieg. Stattdessen duelliert sich Van dann mit einem Soldaten, den er am Bahnhof geschlagen hat, und erleidet eine leichte Schussverletzung als bleiche Ironie des Schicksals. Währenddessen verführt Ada ihre Schwester Lucette.

Mittendrin beginnt man sich dann immer häufiger zu fragen: Was bezweckte Nabokov mit diesem Brachial-Schund-Roman? Eine Farce? Sich lustig machen über die Empörung, die sein Buch „Lolita“ auslöste (um so zu demonstrieren, was wirklich Anlass zur Empörung geben könnte)? Eine Persiflage auf Marquis de Sade und co und so manches amouröses, in Zeilen verfasstes Abenteuer? Eine Verballhornung der damaligen Literatur, heute auch „Klassiker“ genannt? Die Peinlichkeit aufzuzeigen, die Memoiren so an sich haben? Einen Blick auf Wahnsinn, Inzest und Pädophilie zu werfen, der ihm irgendwie entgleitet? All das, um lediglich zu zeigen, dass Zeit innerlich ist und eine Zukunft nicht existiert? Oder ganz einfach nur darauf zu verweisen, wie weit man als Schriftsteller gehen kann?
Gut, wir wollen es ihm nicht absprechen: Wenn jemand literarisch den Akt, das Begehren, das Vögeln von Minderjährigen, genauer von elf und zwölf Jahre alten kleinen Mädchen (auch ein zehnjähriges „Nymphchen“ wird hoheitsvoll erwähnt), die sich mit ihren noch nicht voll entwickelten Körpern genussvoll über sein Ding stülpen, … das Schwellende oder das Bild für sich – „… wie er sie couchwärts fegte mit dem Stolz des Galans…“ - umschreiben kann, dann ist es Nabokov, das mag man ihm zugestehen, … doch wozu das alles?
Der Roman liest sich keinesfalls angenehm, eher holprig, stolpert man ständig über die geistigen Anstrengungen, Witzeleien und Verulkungen, die Nabokov sich mit dem erlaubt, das um ihn herum Literatur geschimpft wird. Man wühlt sich durch dichten Text, durch die Launen und das absonderliche Grinsen des Autors, entwirrt dämliche Seitenhiebe, die einzig Nabokovs Geschmack sind und mühsam vom Leser entziffert werden sollen, trifft auf eine Zwölfjährige, die „ihn“ endlich anfassen soll, blickt auf Van, dem der Schoß, als Ada älter ist, auch nach der jüngeren Schwester brennt – denn auch das ist Erinnerung, die Ada, die neben ihm sitzt und bereits fünfzehn Jahre alt ist, wieder als Zwölfjährige belebt, als den Anfang ihrer Entdeckungsreise, die er nun durch den Hintern der anderen Schwester wiederfindet. Dazwischen stößt man ständig auf den Kommentar der beiden Alten, die auf den Anfang ihrer Gefühle zurückblicken, als würde ihre Liebe etwas daran ändern, dass sie Geschwister sind, die ihrerseits über die konservative Einstellung der Welt lachen.

Sie sind jung, frühreif, an manchen Stellen bereits behaart und gierig nach dem Akt. Sie lieben sich, treiben Inzest, werden erwachsen und lieben sich weiter. Das ist im Grunde die grobe, wenn auch von Nabokov gut ausgeschmückte Story. Dass es sich hier um Kinder handelt, die nur wenige Jahre auseinander sind, ist eine Sache, dass die Geschichte aber durch den Mund des lüsternen, alten Van sickert, der liebevoll auf die Anfänge zurückblickt, wobei dann doch so manches Keuchen durch die Zeilen zu vernehmen ist, das eben nicht dem Fünfzehnjährigen, sondern dem Neunzigjährigen entweicht, ist eine andere, die auch nicht durch die liebevollen Anmerkungen von Ada gerettet werden können.
Als beide Geschwister dann älter werden und sich wiedersehen, in einem Hotelzimmer der Liebe frönen, bis sie der Vater ertappt, ist der Roman schon besser zu ertragen, da man sich an ihr Verhältnis gewöhnt hat und neugierig darauf wartet, wie sich alles entwickelt. Das Ende ist ein schöner Abschluss an verbrauchter Luft und einer fast normal gewordenen Liebe.

Nicht so sehr die moralische Sicht des Lesers wird hier erschüttert, sondern vielmehr seine geistige. Ich könnte nach dem Lesen dieses Romans nicht behaupten, dass er mir etwas gegeben oder gar geschenkt hätte, ich fand darin nicht einmal Nabokov, fand keine Stellen, die sich lohnen, angestrichen zu werden oder den blitzenden Humor seiner anderen Bücher, sondern nur einen sabbernden und fragwürdig verspielten Schriftsteller, der keine Lust hat, seinen Leser zu unterhalten, ihn stattdessen vor verdrehte (nicht logische) Rätsel und Sprachspiele stellt, mit einer lahmarschigen, völlig unnötigen Philosophie drangsaliert, sie ihm regelrecht vor die Stirn klatscht, während er doch eigentlich viel lieber nur schockieren möchte, was ja bei einigen Lesern schon ausreicht und vielleicht, in diesem Sinne, auch hier schon ausgereicht hätte. Gerade dieser Mischmasch aus Intellektuellem und Seichtem, aus Philosophie und „sexuellem Tiefgang“ ist das, was nicht passt, wo sich das Wesen des Romans übereinander stapelt und dadurch völlig überfrachtet wirkt.
So bleibt am Ende das Gefühl zurück, einen Roman gelesen zu haben, der sich als ein „strukturell einwandfreier Stuhlgang“ entpuppt, den zu lesen die Zeit allerdings dann doch zu schade war.


Liebe Grüße
Taxine




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 27.11.2011 19:25 | nach oben springen

#22

RE: Vladimir Nabokov

in Die schöne Welt der Bücher 27.11.2011 17:54
von Krümel • 499 Beiträge

Dankeschön liebe Taxine - jetzt hast du dem Autor eins auf die Mütze gegeben, was er auch wirklich verdient. Da ich nicht Fremdsprachen begabt bin, habe ich nach knapp 200 Seiten aufgegeben, das war mir zu blöd.

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#23

RE: Vladimir Nabokov

in Die schöne Welt der Bücher 28.11.2011 23:38
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Nabokov hat eben nichts aus seiner Kindheit gelernt. Schon seine Lehrer waren da einer Meinung.

"Sie warfen mir vor, dass ich mich meiner Umwelt nicht einfügte; dass ich "angab" (hauptsächlich, indem ich meine russischen Aufsätze reichlich mit englischen und französischen Brocken spickte, die mir ganz selbstverständlich waren)..."

(... aus "Erinnerung, sprich")

Genauso wirkt es mitunter in seinem Roman "Ada", als die eher peinliche Angeberei mit seinen (Sprach)Kenntnissen. Hier muss man Angeberei dann auch keinesfalls in Anführungszeichen setzen.




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 28.11.2011 23:43 | nach oben springen

#24

RE: Vladimir Nabokov

in Die schöne Welt der Bücher 06.12.2011 14:38
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Sieh doch die Harlekins!

„Sieh doch die Harlekins!“
„Was für Harlekins? Wo?“
„Oh, überall. Rings um dich herum. Bäume und Wörter und Harlekins. Erfinde die Welt! Erfinde die Wirklichkeit!“


Vielleicht wäre es ratsam, diesen Roman vor dem Riesenwerk „Ada“ zu lesen, denn darin sind einige Auseinandersetzungen zu finden, die ganz leicht auf das Werk eingehen, auch die Fehler darin ins Licht rücken (wenn sie natürlich auch hauptsächlich auf Seiten des Lesers liegen). Sicherlich aber spürt man die Liebe Nabokovs zu diesem, für ihn, philosophischen Werk, während gerade die Philosophie am Stück das Werk beschwert.
Er sagt in "Harlekins" zu seiner fiktiven Freundin, die er bittet, die dreißig Seiten Philosophie aus „Ada“ zu lesen: „Du kanntest mein Werk zu gut, um von einem zu robusten erotischen Detail aus der Ruhe gebracht oder einer zu dunklen literarischen Anspielung verärgert zu werden.“
Hier wird deutlich: Nabokov verlangt, dass man sein Werk mit Geduld und auch mit gewissen Zugeständnissen und Sympathie liest. Das gelingt bei „Ada“ nur bedingt.

Dies also ist die Umkehrung einer Autobiographie. Nabokov zeichnet sich nicht selbst, sondern erfüllt in seiner Figur jedes Klischee, dass ihm unterstellt wurde. Aber daraus wird keine Farce, sondern ein fast melodisch erklingender Schlussakkord, der dazu auffordert, die Dinge nachzuprüfen und zu hinterfragen, das geifernde Spucken der Alles-Wisser und Deuter wegzuwischen und sich selbst ein Bild aus dem zu machen, was Nabokov dem Leser an Literatur hinterlassen hat.

Wer also Lust darauf hat, Nabokov als einen nach und nach in den Wahnsinn kippenden Protagonisten zu erleben, der durch die Verwechslung von Raum und Zeit in seinen Gedanken nicht fähig ist, sich wieder umzudrehen, stattdessen davon ausgeht, der Globus würde sich drehen, wer sehen möchte, wie Nabokov sich über sich selbst, die Literatur, seine eigenen Werke und die jeweils darauf erfolgten Reaktionen lustig macht, der greife zu „Sieh doch die Harlekins!“.
Neben dem Fragment von „Das Modell für Laura“, das Nabokovs Sohn gegen seinen Willen 2009 veröffentlichte, obwohl sein Vater ihn bat, die Notizen zu vernichten (vgl. diesen Artikel bei Rowohlt)*, ist dies sein letzter Roman, in dem sich nicht nur die fiktive Welt seiner Bücher mit der wirklichen Welt Nabokovs vermischt, sondern auch andere literarische Situationen und Werke be- oder genutzt werden, um sie als biografische Randnotiz einzufügen.

Da Nabokov einen ausgefeilten Humor besitzt, betrachtet er sich selbst als den möglichen Schriftsteller seiner Bücher und scheut sich auch nicht - ein Ausdruck seiner Krankheit des im Taumel der Ansichten eingebüßten Selbst - die Perspektive zu wechseln, z. B. zu einem anderen Schriftsteller zu werden. Er greift zu anderen literarischen Leben, während daneben Schattenbilder als eine von ihm kreierte Konstruktion seiner Ärgernisse und Begegnungen agieren.

Zitat von Nabokov
„Ich erwiderte, ich sei jener Typ Snob, der von der Annahme ausgehe, schlechte Leser seien von Natur aus mit der Herkunft des Autors vertraut, der aber die Hoffnung hege, gute Leser seien mehr an seinen Büchern denn an seiner Abstammung interessiert.“


O ja, hier schimpft Nabokov auf die Biografen und Neugierigen, die sein Leben nahmen und daraus eine Farce machen wollten, die es verfälschten oder auf den Hintergrund mehr Wert legten, als auf den Inhalt dessen, was er zu sagen hatte.
In "Harlekins" werden seine Romane verzerrt und mit falschen Titeln benannt, der Inhalt gerät durcheinander, Figuren wechseln, biografische Tendenzen verändern sich, um zu verdeutlichen, wie viele Leser, Verleger und Kritiker ihrerseits verwechselten, verflachten, verwässerten oder ganz und gar unwissend waren, was die fabelhafte Welt des Nabokovs angeht, die dann auf einmal zu einer ganz anderen wird. Nabokov wird z. B. zu Dostojewski, seine Angebetete heißt Anette, dann Anna, und ist zunächst seine Sekretärin, der er einen glutvollen und absurden Liebesbrief schreibt. „Sie müssen mir erlauben, Sie so zu nennen, denn ich bin zehn Jahre älter als sie und sehr krank…“ Da weiß man als Leser doch direkt die Anspielung einzuordnen. Auch spricht Nabokov von seinem Vater als einen Spieler und Wüstling, dessen Spitzname „Dämon“ war, kreiert aus seiner eigenen Biografie über Tschernyschewski in „Die Gabe“, die hier „Darreichung“ genannt wird, eine Biografie über Dostojewski samt seiner "schwarzbärtigen Mörder und verheulten Huren" und bekennt frank und frei, dass der Protagonist ihn hasst und verabscheut. (Ob er hier nun wirklich Dostojewski oder aber doch Tschernyschewski meint, liegt im Auge des Betrachters.) Er spricht auch über das Wesen Anna, die einerseits „engelsgleich“, andererseits „hoffnungslos dumm“ wäre.
… unsere erste Umarmung sei <brutal> gewesen, sagte sie… (ganz Anna Grigorjewna, gleichfalls steckt ein Verweis auf die Gräfin Tolstoja darin, die sich beklagte, wie schwierig ihr Mann es ihr in der ersten Nacht machte, obwohl er erfahren, sie unerfahren war), allerdings folgt gleich darauf dann wieder - ganz Nabokov: … Einmal streifte ihr Handrücken die straffe Vorderseite meiner Hose; sie stieß ein frostiges „Pardon!“ aus und wurde dann mürrisch, als ich sagte, hoffentlich habe sie sich nicht verletzt.

In diesem Roman ist alles Anspielung, aber im Gegensatz zu „Ada or Ador“ findet der Leser hier viel mehr Befriedigung, kann folgen und vor allen Dingen herzlich lachen.
Man findet sich bei Puschkin, Lermontow, Dostojewski, Tolstoi, Tschechow, Gogol, Blok, Bunin, Kafka, Shakespeare, Joyce, Mann, Freud (der „Wiener Quacksalber und seine Apostel“), Lacan, Borges, Hitchcock, Lenin, Marx (und seine „Bibel einer ganzen Generation von Schwachsinnigen“) und etlichen anderen bekannten Persönlichkeiten wieder, wobei jeweils gut zum Ausdruck kommt, für wen der Autor Bewunderung, für wen Abneigung hegt.
Nabokov berichtet neben seinen Scherzen auch von den Schwierigkeiten, die er mit der Sprache hatte, vom Russischen ins Englische zu springen und doch seinen Stil beizubehalten, erzählt von der eigenen Unsicherheit und den Reaktionen der Kritiker, die auf diese Komplikationen der Sprache keinerlei Rücksicht nahmen, die selbst über Fehler lachten, die nicht dem Schriftsteller, sondern dem Setzer oder Korrekturleser unterlaufen waren. Auch schildert er die Geduld, die er für die amerikanische, dümmliche Bewunderung für das „sowjetische Russland“ aufbringen musste, die ihm vermitteln wollte, wie großartig Lenin und die ganze, russische Entwicklung sei. Als die gleichen Amerikaner ihn dann jedoch wiederum ein Genie nennen, ganz „trés américain“, da „taute (dies) einen ganzen Vorhof in sein Eisherz“.

Ja, ich kann hier doch sagen, dass mich der letzte Roman Nabokovs wieder mit ihm versöhnt hat. Er ist liebevoll geschrieben, nicht aufdringlich belehrend oder allzu verspielt, humorvoll, warmherzig und mit dem Schatten einer leichten und sicherlich echten Traurigkeit. Er macht Lust, erneut zu Skandalromanen wie „Lolita“ zu greifen, dessen Inhalt weit über die Anklagen von Pornografie und Pädophilie hinausreichen. In „Harlekins“ schafft sich Nabokov eine Tochter, die ihn reizt und zu seinem herausfordernden Roman inspiriert, zeigt ganz offen seinen literarischen Mittelfinger, um den laut krakelenden Stimmen Einhalt zu gebieten, ihnen in dieser Form ihren eigenen Fraß vorzuwerfen und zu sagen: kaut eure Deutungen doch alleine.
Oder wie Nabokov es in seinem Roman selbst formuliert:
„Ich hörte, wie Fremde mit dröhnenden Stimmen über sämtliche Bücher diskutierten, die ich geschrieben hatte, oder von denen ich annahm, sie geschrieben zu haben, denn alles, was sie erwähnten, Titel, Personennamen, jeder Satz, den sie brüllten, war lächerlich verzerrt vom Delirium dämonischer Gelehrsamkeit.“


Liebe Grüße
Taxine


--------------------------
* Auch verfasste Nabokov vor seinem Tod noch Skizzen, die eine Fortsetzung von „Erinnerung, sprich“ werden sollten und die er „Sprich, Amerika" nennen wollte. Letztere werden, auf Nabokovs Wunsch hin, 50 Jahre nach dem Tod seines Sohnes Dimitri veröffentlicht.




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 11.12.2011 18:01 | nach oben springen

#25

RE: Vladimir Nabokov

in Die schöne Welt der Bücher 05.01.2012 14:28
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Boyds Biografie über Nabokov ist keinesfalls kritisch, sondern von einem Bewunderer geschrieben. Das heißt, Boyd ist ganz und gar Nabokovs Meinung und stellt sie gar nicht erst in Frage. Ich finde auch, dass Boyd, was nun den ersten Band "Die russischen Jahre" betrifft, kaum etwas Neues erzählt, was nicht Nabokov schon selbst über sich berichtet hat. Andererseits erhält der Leser tiefe Einblicke in das Leben der Familie Nabokov und auch Nabokovs Vater wird in seinen Eigenschaften und seinem Charakter gut sichtbar. Etwas ausführlicher sind die Zeit in Cambridge und die Dreißiger Jahre in Berlin, als Nabokov dann mit Vèra häufig umzieht und bald flüchten muss. Häufig bedient sich Boyd der Schriften und Aussagen Nabokovs, wie z. B. seiner Briefe oder Werke wie "Erinnerung, sprich", "Die Gabe" und andere. Er hat auch Nabokovs Frau interviewt, die aber wenig von ihrem Privatleben preisgab. Für die Nabokov war diese Ebene der Privatsphäre heilig.
Nichtsdestotrotz ist diese Biografie einfach wunderbar geschrieben. Wer Nabokov mag, wird alles in ihr finden, was sich finden lassen kann. Boyd umkreist jedes Jahr samt seiner Ereignisse, was gerade in den russischen Chaostagen wertvoll ist. Hilfreich wäre vielleicht aber doch, die Romane Nabokovs gelesen zu haben und ihren Inhalt zu kennen. So geht Boyd intensiv auf die Romane und Erzählungen ein und zeigt, wie vieles man überlesen hat. Nabokovs Werke müssen tatsächlich mehr als nur einmal gelesen werden. Und Boyd weiß sie wunderbar zu interpretieren, Zusammenhänge herzustellen und Szenen zu entschlüsseln. Dieser Biograf mag in seiner Begeisterung voreingenommen sein, doch er beherrscht sein Handwerk. Darunter finden sich dann eben auch so wunderschöne Aussagen, wie diese hier:

Zitat von Boyd, S. 518
„Wenn in der endlichen Welt eines Romans so vieles schlummert, das wir beim ersten oder zweiten Lesen gar nicht bemerken können oder zu erahnen Grund haben, wieviel mehr mag sich dann in unserer eigenen Welt versteckt halten, in der wir nur einen einzigen Durchlauf durch die Zeit gewährt bekommen.“


Das könnte ich mir einrahmen, so schön finde ich das.




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 05.01.2012 15:53 | nach oben springen


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