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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst


#61

RE: António R. Damásio

in Sachen gibt's - Sachbuch 08.02.2012 15:54
von Martinus • 3.195 Beiträge

Schreiten wir in Damásios Arbeitshypothese und beschäftigen uns mit dem „Autobiografischem Selbst.“ (ein wenig theoretisch, ich weiß)

Zwei miteinander verknüpfte Mechanismen hängen vonm Aufbau des autobiografischen Selbst ab. Der Mechanismus des Kern-Selbst ist dafür verantwortlich biografische Erinnerungen als Objekt zu behandeln und in einem Puls der Kern-Selbst bewusst zu machen. Der andere Mechanismus sorgt über das ganze Gehirn hinweg für Koordination. Bestimmte Inhalte sollen aus dem Gedächtnis heraufbeschworen werden und als Bilder dargestellt werden. Die Bilder sollen mit dem Protoselbst interagieren. Die Ergebnisse der Interaktion sollen über einen bestimmten Zeitraum hinweg als Einheit zusammengehalten werden.

In welchen Gehirnarealen findet wir nun die Koordinatoren für ein autobiografisches Selbst? Auf jeden Fall ist der Thalamus bedeutsam, der eine sehr wichtige Rolle spielt, wenn es um die neuronalen Ursachen des Bewusstseins geht. Besonders die Stellung der Kerne zwischen Großhirnrinde und Hirnstamm sind für die Vermittlung und Koordination von Signalen geeignet. Die Konvergenz-Divergenz-Regionen (das Thema wurde schon behandelt) kommen auch in Frage, denn

Zitat von Damásio
sie liegen strategisch günstig in Assoziationsfeldern höherer Ordnung, aber nicht innerhalb der Sinnesfelder, welche die Bilder produzieren.

(Seite 228)

Hier hätte Damásio schon erläutern müssen, was er mit „Assoziationsfeldern höherer Ordnung“ meint, immer hin sind das ganz neue Begriffe. Mit diesen ….feldern könnte er evtl. Areale gemeint haben, wo Signale weitergeleitet werden. Aber ich weiß das einfach nicht. Diese Konvergenz-Divergenz-Regionen (CD) beinhalten jedenfalls

Zitat von Damásio

Aufzeichnungen zuvor erworbener Kenntnisse über die verschiedensten Themen.

(dto). Frühes Wissen kann durch Aktivierung wieder zum Vorschein treten. Dann erzählt Damásio noch von den posteromedialen Rindenfeldern ( PMC) Es ist noch nicht genau erforscht, welche Rolle sie beim Aufbau des Bewusstseins spielen. In diesem Kapitel spüren wir deutlich, dass die Neurobiologie in den Kinderschuhen steckt, genauso wie 50 Jahre früher bei Eccles. Möglicherweise tragen PMC's zur bewussten Geistfunktion bei.

Zitat von Damásio
Sie empfangen Signale von den meisten sensorischen Assotiationsfeldern und prämotorischen Felsdern höherer Ordnung, und meistens erwidern sie die Gefälligkeit

(Seite 235)

PMC's nehmen auch Signale aus subkorikalen Kernen auf, .usw....
Damásio sagt, die PMC's tragen zur Unterstützung des bewusstseins bei, weil sie Zustände des autobiografischen Selbst aufbauen.

Um dem Bewusstsein auf die Spur zu kommen, beschäftigt sich Damásio nun mit neurologischen Störungen, Schlafforschung, Anästhesie u.a.

Eine Krankheit möchte ich herausgreifen: Die Demenz nach dem Alzheimer-Typus.

Zitat von Damásio
Die Alzheimer – Krankheit ist eine Quelle wertvoller Erkenntnisse über den Geist, Verhalten und Gehirn.

Seite 243.

In den frühen und mittleren Stadien leiden Patienten nicht unter Bewusstseinsstörungen, sondern sie erleben Beeinträchtigungen beim Lernen und beim Erinnern, auch Störungen des Urteilsvermögens, räumlicher Orientierung. Die Ursache der Beeinträchtigung des Tatsachengedächtnisses sind

Zitat von Damásio

umfangreiche, neuropathologische Veränderungen in der entorhinalen Rinde und den benachbarten Feldern im vorderen Bereich der Schläfenlappen.

Seite 243) Die Verbindung zum Hippocampus war gebrochen. Die vorderen Rindenfelder der Schäfenlappen werden schließlich so geschädigt, dass auch kein Zugang mehr zu früheren Tatsacheninformationen möglich ist. Die Fähigkeit des Erinnerns wird einfach gelöscht, mehr und mehr. Auch das autobiografische Selbst knickt ein. Das autobiografische Bewusstsein wird mehr und mehr beeinträchtigt. Im Sätstadium stellt sich ein vegetativer Zustand ein. Die Verbindung zur Umwelt ist stark reduziert, Patienten ähneln einem akinetischen Mutismus. Warum die letzte Wendung der Krankheit so ist, kann nicht genau gesagt werden, weil im Gehirn eben sehr viele pathologische Veränderungen an verschiedensten Arealen auftreten, sodass natürlich nicht genau gesagt werden kann, wieso jetzt gerade das Bewusstsein beeinträchtigt ist. Es wurde allerdings beobachtet,

Zitat von Damásio
dass in den PMC's ….wichtige pathologische Veränderungen eintreten

(Seite 246), parallel dazu eben Bewusstseinsstörungen. Das Tegmentum des Hirnstamms ist ebenso geschädigt. Es sind also zwei wichtige Bereiche beschädigt, die zur Entstehung des Bewusstseins beitragen (allerdings sind natürlich auch andere Arfeale von der Krankheit betroffen).

Ich finde es immer wieder faszinierend, wenn Damásio über Krankheiten schreibt.




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#62

RE: António R. Damásio

in Sachen gibt's - Sachbuch 10.02.2012 12:59
von Martinus • 3.195 Beiträge

Die Neurologie des Bewusstseins

Beteiligt sind insbesondere Hirnstamm, Thalamus und Großhirnrinde

a) Hirnstamm:

Gemeinsam mit dem Hypothalamus trägt der Hirnstamm zum Wachzustand bei. Der Hirnstamm ist ebenso für den Aufbau des Protoselbst un der ursprünglichen Gefühle verantwortlich, unterstützt auch die Steuerung der Aufmerksamkeit, bedeutsame Aspekte des kern-Selbst sind dort ebenso angesiedelt. In der Brücke (Pons) und Zwischenhirn liegen die Bereiche, die bei einer Schädigung zum Koma und vegetativen Zustand führen. Wir brauchen hier nicht ins Detail gehen, nur festellen, Damásio vermutet, dass warscheinlich im Hirnstamm die Wiege des menschlichen Geistes sei, dessen Ursprung in den ursprünglichen Gefühlen liege.

b) Thalamus

Die Funktionsweise des Thalamus ist höchst kompliziert, und Damásio sagt selber, dass er sich „immer dagegen gewehrt“ hat, sich „in den Thalamus vorzuwagen“. Er sei inzwischen noch vorsichtiger geworden und verdankt sein Wissen nur wenigen Experten, die sich mit den Kernen des Thalamus beschäftigt haben.

Zitat von Damásio
Der Thalamus dient als Zwischenstation für Informationen, die im Körper gesammelt und für die Großhirnrinde bestimmt sind.

(Seite 261)

Fast alle Signale aus der Außenwelt, die an die Großhirnrinde weitergeleitet werden, machen Station an den Kernen des Thalamus. Der Thalamus dient auch als Koordinator für die Hirnrinde.

Zitat von Damásio
Der Thalamus...leitet einerseits entscheidende Informationen an die Großhirnrinde weiter und sorgt andererseits in großem Umfang für die Assoziation von Informationen in der Rinde. Die Großhirnrinde kann ohne Thalamus nicht funktionieren.

(Seite 262).

c)Die Großhirnrinde

„Die Großhirnrinde verleiht uns eine Identität“
. In Zusammenarbeit mit Hirnstamm und Thalamus erschafft schließlich die Großhirnrinde unser autobiographisches Selbsr, unseren bewussten Geist.

Natürlich sind es nicht nur die Kerne des Hirnstamms und des Thalamus, die zum Bestand des Geistes beitragen, sondern eben auf noch kleinerer Ebene die Aktivität von Neuronen.

Zitat von Damásio

Ganz allgemein geht man davon aus, dass die grundlegenden Phänomene bei der Bildung des Geistes dadurch entstehen, dass Neuronen, die über Synapsen verbunden sind, innerhalb mikroskopisch kleiner Schaltkreise feuern.

(Seite 266).

Zitat von Damásio

Die Vorstellung wir wüssten genau, was das Gehirn ist und was es tut, ist pure Torheit.

(Seite 278)

Liebe Grüße
mArtinus




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#63

RE: António R. Damásio

in Sachen gibt's - Sachbuch 13.02.2012 12:43
von Martinus • 3.195 Beiträge

Zum Abschluss sollten wir noch einen Blick auf „Qualia“ werfen.

Qualia ist das subjektive Empfinden eines Zustand des Geistes. Damásio unterscheidet zwischen Qualia I und Qualia II

1)Qualia I

Dazu ein Beispiel: Man blickt auf das Meer, darüber der Himmel usw. Wir sehen nicht nur die Schönheit der Natur, sondern wir empfinden etwas, ein Wohlbefinden, welches solange auf uns einwirkt, solange wir dieses Natur auf uns einwirken lassen. Dieses Wolbefinden wird „Qualia -Effekt“ genannt. Das Gehirn kartiert nicht nur Objekte der Wahrnehmung, sondern kartiert nach Damásio auch Strukturen,
„die auf Signale aus diesen Karten reagieren und Emotionen hervorbringen, aus denen später Gefühle erwachsen....“

2) Qualia II

Komplizierter ist das Qualia-II-Problem. Wahrnehmungskarten sind neuronale und physische Vorgänge. Warum sollten die sich überhaupt nach irgendetwas anfühlen? Ich schaue über das Meer, warum erlebe ich ein Wohlbefinden?. Damásio vermutet folgendes:

Zitat von Damásio

Neuronen, die für die Übertragung der Signale aus dem Körperinneren ins Gehirn zuständig sind, sind demnach so eng mit den Strukturen des Körperinneren assoziiert, dass es sich nicht mehr nur um Signale über den Zustand des Körpers handelt, sondern dass sie buchstäblich Erweiterung des Körpers sind. Die Neuronen ahmen das Leben also so gründlich nach, dass sie eins mit ihm werden.

(Seite 271)

Das ist interessant und würde Damásios Theorie aus „Descartes' Irrtum“ bestätigen, dass unser Dasein sich aus einem gegenseitigen Wechselspiel zwischen Gehirn, Körper und Umwelt zusammensetzt. Ein Gehirn für sich alleine, wäre nutzlos und könnte niemals funktionieren. Die Anlage für ein Bewusstsein, für einen Geist, für ein Selbst, mag im Gehirn liege, ohne Körper und Umwelt wäre eine Gehirn allerdings sinnlos und nicht funktionsfähig.

FINE




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zuletzt bearbeitet 13.02.2012 12:44 | nach oben springen


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