HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Friedo Lampe - von Russen erschossen, weil er seinem Passbild nicht mehr ähnlich sah und sie annahmen, er sei ein SS-Mann, las ich. Meine Güte, was für ein schrecklicher und unnötiger Tod, zu einer sowieso schon schrecklichen und unsinnigen Zeit. Lampe werde ich mir auch näher betrachten. Du hast ja schon einige schöne Rezensionen geschrieben.
Art & Vibration
Ja, genau so war es, hier ein paar Straßen weiter. Wirklich ein Jammer Man hat ihn dann in der Eile auch auf dem örtlichen Soldatenfriedhof bestattet, wenngleich er nie Soldat war. Er war nämlich untauglich, da er aufgrund von Knochentuberkulose nicht richtig laufen konnte. Hinterlassen hat er ein paar wenige, aber sehr sehr schöne Bücher. Auch die Geschichten in Von Tür zu Tür fließen wieder in einm wunderbar poetischen Ausdruck nur so dahin. Wieder sind es die kleinen menschlichen Belange, die Sehnsüchte und das Scheitern, die Friedo Lampe beschäftigen. Ach, lest einfach selbst
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[i]Poka![/i]
Zitat von TaxineZitat von LX.C
Ach, lest einfach selbst...
Na guuuuut. Habe mal das "Gesamtwerk" angefordert.
Da hast Du nichts verkehrt gemacht. Und die dünnen Büchlein sind für Dich schnell gelesen. Einige Motive kehren immer wieder, wie beispielsweise das der auf dem Friedhof spielenden Kinder, oder das des Rummelvergnügens in Verbindung mit einem traurigen Schicksal, das der Schifffahrt und des an Land Zurückbleibenden. Es sind die starken, augenscheinlichen Kontraste und die poetische Sprache, die den Reiz an Lampes Werk ausmachen. Sein szenarisches Schreiben, dem Film angelehnt, finde ich ziemlich einzigartig in der Intensivität, aus der Anlehnung an den Film macht er kein Geheimnis.* Das poetische Bestreben Lampes wird in der Kurzgeschichtensammlung ganz deutlich. Eine Geschichte "Das dunkle Boot" gibt es in Prosaform und später noch einmal als Ballade.
Ja, der Mann hat ein kleines Werk hinterlassen (3 Bücher?), aber ein literarisch sehr spezielles und daher wichtiges. Mir ist fast, als würde ohne ihn eine Lücke in der deutschsprachigen Literatur bestehen. Auch anderen scheint es so zu gehen, daher immer wieder die sicherlich profitlosen Bestrebungen, sein Werk am Leben zu halten (richtig schöne Ausgaben gibt es vom Wallenstein Verlag).
*"Dann schob sich wieder eine schwarze Wolke vor den Mond, und verdunkelt war die Szene." (aus: Lustgarten 23.30 Uhr abends)
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[i]Poka![/i]
Von Paul Valéry gibt es mittlerweile eine Art Zusammenfassung seiner Cahiers (die leider in einzelnen Bänden sehr teuer sind). Diese nennen sich "Ich grase meine Gehirnwiese ab". Um mich auf dieses Buch langsam einzustimmen, denn das musste ich natürlich sofort haben, lese ich nun Catherine Pozzis Tagebuch mit dem Titel "Paul Valéry - Glück, Dämon, Verrückter".
Pozzi lernte Valéry 1920 kennen. Dieser, seit zwanzig Jahren verheiratet, Vater von drei Kindern, beginnt eine Beziehung mit ihr, die von Höhen und Tiefen gezeichnet ist. Die Tagebücher Pozzis nennen sich darum auch ein Dokument von "Tod und Leidenschaft".
Ich bin gespannt.
Paul Valéry schrieb gegen die Macht der Muse an, auf dass sie nicht mehr verherrlicht wird, sondern der Dichter selbst in seiner Dichtung aufzugehen habe:
„Vergebens sucht der Arm der riesig immerzu
flutenden Nymphe meine Kraft zu ändern;
ich zerre langsam mich aus ihren kalten Bändern,
und ihre nackte Macht bezwingt nicht, was ich tu.“
(Nahezu genial.)
Art & Vibration
Ich lese nach Pozzis Tagebücher erst einmal Jean Schlumberger "Madeleine und André Gide"
Die Tagebücher waren sehr fesselnd und traurig, denn Valérys Verhalten Pozzi gegenüber war häufig schwierig und rücksichtslos (nicht nur, weil er verheiratet war), und ihre Besessenheit und das Überspannte ihres Wesens taten den Rest. Ihre Forderungen, sich ganz in ihre Welt zu begeben, nahmen Überhand und natürlich konnte er sie nicht erfüllen, weil sie auch beinhalteten, er solle sein ganzes gesellschaftliches Leben aufgeben. Dass diese Beziehung auseinanderbrechen musste, ist schon von Anfang an deutlich zu erkennen. Zwei im Geiste, die einander nicht ertragen... so könnte man es umschreiben. Pozzi wirft Valéry gleichfalls vor, er hätte viele ihrer Ideen gestohlen und in seinem eigenen Werk genutzt. Er weigerte sich auch, für ihren Roman "Agnès" ein Vorwort zu schreiben, und das, als sie noch ein Verhältnis miteinander hatten. Alle dreitausend Briefe zwischen ihnen ließ sie verbrennen, die Tagebücher aber hob sie auf, damit sie dreißig Jahre nach ihrem Tod veröffentlicht werden können.
Art & Vibration
Zitat von LX.C
Friedo Lampe - Von Tür zu Tür. Phantasien und Capriccios
Das Buch hat ein wunderbares Nachwort, das aufzuzeigen versucht, wer Friedo Lampe war, auch über innere Emigration und literarischen Widerstand spricht. Kaum ein Autor ist mir so ans Herz gewachsen, wie dieser Pechvogel Friedo Lampe.
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[i]Poka![/i]