HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Wenn kurz einmal etwas Zeit für das Lesen übrigbleibt, dann wechseln bei mir die Bücher auf ganz eigenartige Art und Weise.
Nootebooms "Umweg nach Santiago" ist dabei. Hier handelt es sich um sein Spanien-Reisebuch.
Gestern las ich mich in den Novellen von Tschechow fest und war mal wieder wehmütig seufzend begeistert (wenn so etwas möglich ist). "In der Schlucht" und "Eine traurige Geschichte" sind mitunter meine Lieblingserzählungen von ihm.
„Wenn der Mensch das nicht besitzt, was über allen äußeren Einflüssen steht und stärker als sie ist, so genügt freilich ein Schnupfen, damit er das Gleichgewicht verliert und in jedem Vogel eine Eule zu sehen beginnt, in jedem Laut Hundegeheul zu hören glaubt.“
Im Nachwort zu Tschechows Novellen (übrigens wunderbar ausgewählt vom Manese-Verlag), fand ich eine sehr zutreffende Äußerung dazu, was russische Literatur ist. Dort heißt es von Iwan Schmeljow:
„Das Grundlegende bei ihm gleich einem Leitmotiv – sind tiefe Fragen: „die ewigen Welträtsel“: über Gott, den Sinn des Lebens, das Dasein, das Böse, die Sünde, das Glück. Diese Fragen stehen der russischen Seele nahe, bilden das Wesentliche ihres Weltgefühls: der russische Mensch, wie geistig beschränkt er auch sei, verbirgt sie stets in der Seele, hört und redet gern darüber. Diese Fragen-Geheimnisse sind seine angeborene Grundlage.
(…)
Die russische Literatur ist kein sich Ergötzen an der Schönheit, ist keine Zerstreuung, dient nicht der Unterhaltung, sondern sie ist ein Dienen, gleichsam ein religiöses Dienen.“
Exakt!!!
Art & Vibration
Eine Biographie über Slayer.
Helden meiner Jugend, eigentlich auch heute noch. Nach den ersten Seiten erfuhr ich, dass einer Gitarristen vorige Woche im Alter von 49 Jahren verstorben ist. Nun liest sich das Buch irgendwie anders.
www.dostojewski.eu
Ja ... Tod durch Spinnenbiss. Der wiederum fand ja zwei Jahre vorher statt. Und dann Leberversagen. Frage mich, ob die Medien beides kombinierten, um den Tod dramatischer zu gestalten, oder ob das Leberversagen tatsächlich durch den Biss verursacht wurde. Da guckt man dann auch anders auf Spinnen.
Schade ist es natürlich so oder so. Slayer ohne Hanneman...
Art & Vibration
Mir ist es immer wieder ein Rätsel, auf wieviel Hochzeiten Du tanzen kannst
So bediente sich das Leben oder eben der Tod, programmatisch des Namens des Debüt-Albums "show no mercy".
www.dostojewski.eu
Hahaha … ja, diesmal eine Hochzeit, auf der nicht getanzt, sondern geheadbanged wird, bis der Nacken schmerzt. Diese Phase wiederum führt zurück in meine Jugend, umgeben von Jungs, die eingefleischte Heavy- und Thrash-Metal-Fans waren, von „Iron-Maiden“ bis „Slayer“, die selbst eine Garagenband gründeten und mich, glaube ich, nur duldeten, weil ich eine Geige hatte und sich die Geigenklänge eben gut ins musikalische Gebrüll einfügen ließen. So rückblickend habe ich den Verdacht, dass die glaubten, lange Haare und Instrumente reichen schon aus, aber die Zeit haben wir uns ganz gut vertrieben. (Zudem waren die Plattencover dieses Genres wohl am ansprechendsten für Jungen in diesem Alter.)
Metal habe ich eine ganze Weile gehört. Der Boom war ja ganz meine Generation. Konzerte und Festivals… „Tiamat“, „Iced Earth“, Motörhead, Dio … (der ist ja auch 2010 in die ewigen Jagdgründe eingetaucht). Naja … Phasen, Lebensphasen. Wundert mich dann wiederum aber auch nicht. Meine Tante war Alice Cooper – Fan, mein Onkel hörte „Type O Negative“ (ich auch, bis zum Abwinken. Und auch die gibt’s nicht mehr. Gleichfalls 2010 hat’s Peter Steele mit 48 Jahren aus dem Leben gerissen. Herzinfarkt. Bei seinen Depressionen hätte man auch von anderen Dingen ausgehen können. Todesromantik als musikalische Umsetzung muss ja letztendlich irgendwann aufs Herz drücken.).
Was mir bei Heavy-Metal z. B. immer gefallen hat, waren die häufig verwendeten klassischen Elemente. Ich fand auf vielen Platten eine eigenartige musikalisch düstere Harmonie, fast Ohrwurmqualität, und es mussten noch nicht einmal Balladen sein. Es war und blieb natürlich gleichzeitig auch die Möglichkeit für den Munch’schen „Schrei“. Wer weiß, wie viel mehr Jugendselbstmorde es gegeben hätte ohne die Erfindung des Heavy-Metal-Ventils. (Klar, danach folgten wiederum auch dunkle, oberflächliche, manisch-depressive Richtungen, die vielleicht das Gegenteil bewirkten. Der übliche Welleneffekt des Umwerfens aller Werte. Das eine heilt, das nächste zerstört...)
Irgendwo, tief in mir drin, ist von dieser Begeisterung sicherlich noch ein Funken vorhanden. Müsste mal wieder die alten Platten herauskramen.
Art & Vibration
Ufert zwar etwas aus. Aber ich hätte dann eine Empfehlung, an der Du mit hoher Wahrscheinlichkeit deine Freude hättest. Es gibt kaum ein Buch an dem ich mehr Freude hatte und gelegentlich noch habe.
Rudolf, Michael; Shut up and play your Guitar. Untertitel "444 Rockgitarristen von Blackmore bis Zappa"
Und so gut wie alle werden gnadenlos auf die Schippe genommen. Ich nehme es immer mal wieder um 3 oder 4 Seiten zu lesen und festzustellen: Ach ist das schöön.
Da Amazon heute öfters angeführt wurde; hier sieht man wunderbar wie das Buch polarisiert. Und sie tun mir leid, die Ein-Stern-Verteiler. Sie müssen nicht dumm sein - das Buch aber, haben sie nicht verstanden und somit was verpasst.
www.dostojewski.eu
Wessen Tod mich auch berührt hat, ist der Dimebag Darrells. Bei so aggressivem Sound hat er doch immer so viel positve Energie ausgestrahlt. Schade.
Das ganze Moskau-Konzert. Bei mir reicht es immer für Tränen und Gänsehaut. Warum? Ich bin jetzt frei. Kann jede Band sehen, die ich will. Und kenne es eben auch anders. In dem Video ist staatliche Willkür und Anarchie auf ziemlich engem Raum zu erleben und ich kann das Gefühl dieser Konzertbesucher immer noch nachvollziehen.
Ich finde es zudem gut und richtig, dass Künstler auch in totalitären Systemen auftreten. Dass sie damit das jeweilige Regime unterstützen halte ich für Quark. Sie geben den Besuchern eine tiefgreifende Freude, die sicherlich ihresgleichen sucht. Zudem wird den Besuchern auf kaum drastischere Weise klar, das in ihrem Land was schief läuft - denn man enthält Ihnen in der Regel diese einfache Art von Freude. Es bleibt die Frage Welshalb!?
Ich werde sentimental. Exkurs Ende.
www.dostojewski.eu
Dimebag Darell - O Gott, erinnere mich nicht daran. Gibt etliche Youtube-Videos von dem Moment, als er erschossen wurde. Da spült direkt eine Welle an Traurigkeit hoch.
Zitat von Jatman
Rudolf, Michael; Shut up and play your Guitar. Untertitel "444 Rockgitarristen von Blackmore bis Zappa"
Danke für den Buchtipp. Ja, auf so eine Satire hätte ich durchaus Lust. (P.S. Jetzt, umso mehr!!!)
Art & Vibration
Alfred Döblin: November 1918. Eine deutsche Revolution. Band 1 - Bürger und Soldaten 1918 (wenn's gefällt, kaufe ich mir die anderen 3 Bände auch noch).
Homepage: http://www.noctivagus.net/mendler
Facebook: http://www.facebook.com/people/Klaus-Mendler/1414151458
Was treibt dich denn wieder zu Pessoa, Martinus?
Ich lese übrigens mit großen Augen den unsagbar aufschlussreichen Briefwechsel zwischen Siegfried Unseld und Thomas Bernhard. Wenn es auf dem Klapptext heißt: "Falls jemand auf ein letztes, unentdecktes Drama von Thomas Bernhard gehofft haben sollte: Hier ist es." (Die Zeit) - dann kann ich das nur bestätigen.
Bernhard ist hier ganz in seinem Element des Schimpfens und ein (wie schon in "Meine Preise" bemerkbarer Widerspruch seiner selbst. Ich z. B. finde den Kommentar von Dieter E. Zimmer treffend, der kritisierte:
"Eine Preisvergabe an Thomas Bernhard aber bringt zwei völlig inkommensurable Systeme zusammen. Thomas Bernhard feiern heißt ihn verachten oder zeigen, dass man ihn nicht verstanden hat. Es heißt: so ernst kann er es nicht gemeint haben. Und dass ein Autor wie Bernhard das Spiel mitspielt, heißt: so ernst habe ich es nicht gemeint. - Dass wir alle erbärmlich, unzurechnungsfähig, verrückt seien, und nichts anderes sagt Bernhard in seinem Werk immer wieder, nichts anderes sagte er auch in seiner Darmstädter Dankesrede - das ist eine vielleicht nur zu wahre Erkenntnis, aber eine, die sich schlechterdings nicht beklatschen lässt. Und wenn sie Applaus bekommt und Applaus duldet, so nimmt sie sich selber zurück und hat folglich keinen Applaus verdient.")
In seinen Gedanken, Büchern lehnt Bernhard ab, was er dann so freudig, aber ... selbstredend ... mit voller Verachtung würdigt und entgegennimmt - den Preis für sein Werk, der ihm mehr als verdient scheint, und das dazugehörige Preisgeld. (Unseld erwähnt mehr als nur einmal, dass Bernhard mit Geld umzustimmen ist. Geldforderungen. Gelderpressungen - das ist tatsächlich auch der Grundtenor der Auseinandersetzungen zwischen beiden, und gegen Bernhard wirkt Dostojewski in seinen Geldforderungen fast höflich und bescheiden.) Für Bernhard sind alle anderen Autoren schlecht, er nennt sie u. a. das "ganze schreibende Gesindel", das er verfluchen möchte und er vergibt sich nichts, wenn er die Rolle "Schriftsteller" lebt, also in Höhe des Elfenbeinturms, den er betritt und verlässt, wann immer es ihm passt.
Bernhard wankt bei mir zwischen Sympathie und Antipathie. Sein Wesen ist äußerst anstrengend (größenwahnsinnig) und fast erscheint Unseld, der Suhrkamp-Verlagsmensch, der ja auch sein Geschäft machen will, das steht außer Frage, dagegen gutmütig und immer wieder einlenkend. Wenn Bernhard auf seinen Satzbau, seine Zeichensetzung oder anderes besteht, kann ich das nachvollziehen. Wenn er Unseld aber zusammenstaucht, weil dieser seine Bücher "verhunzt", dann werde ich schon nachdenklich.
Unselds Bewunderung für Bernhard jedenfalls ist deutlich zu spüren und dieser in Briefen ausgetragene Kampf zwischen Verleger und Autor bleibt für den Leser spannend und voller Lippenbekenntnisse.
Bernhard fordert überhaupt ständig unglaublich hohe Geldsummen, hält sich dagegen nicht immer an die Versprechungen, die er dem Verleger zwecks seiner Bücher und Veröffentlichung macht. Er führt sich auf wie eine schreibende männliche Diva. Unseld bleibt häufig auf seinen Darlehenssummen und Veröffentlichungswünschen sitzen.
Andererseits sind dazwischen wieder tolle Bernhard-Gedanken.
"... ich bin ein Seiltänzer ohne Seil und der Abgrund ist nicht nur unten."
"Antworten verblöden in jedem Falle die Fragen und verkleinern sie zu einem unbeschreiblichen Nichts."
"Kleinigkeiten könnten mich wahnsinnig machen, wüsste ich nicht, dass das Unsinn ist, für einen Buchstaben sich tagelang zu verzweifeln."
Und auf S. 569, ja, da hat er meine Sympathien für einen kurzen Moment zurückgewonnen, mit einem Brief, der ironisch auf die "Selbstmordrate in Deutschland und im Suhrkamp-Verlag" eingeht, da Unseld verzweifelt zuvor einen Brief an Bernhard schrieb, um ihn zu bitten, den geplanten und sich schon im Druck befindenden (also mit etlichen Ausgaben belasteten) Erzählband doch erscheinen lassen zu dürfen, den Bernhard aus reinem "Spieltrieb" wieder zurückziehen wollte. Unseld spricht davon, dass im Hause Suhrkamp ansonsten "eine Serie an Selbstmorden ausbrechen" würde, und Bernhards Antwort ist, obwohl er sich mal wieder nicht an die Abmachungen hält, dann doch sehr liebenswert.
Ein Buch jedenfalls, das den Charakter beider Menschen deutlich sichtbar macht.
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration