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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Gute Sätze der Literatur

in An der Literatur orientierte Gedanken 10.07.2013 18:21
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

„In der Ferne sah ich mich aus einer Menschenmasse aufsteigen und als unsterblichen Adler zum Himmel emporschweben. Bei einer solchen Vision achtet kein Mensch auf den Schmerz, der ihn gerade peinigt.“



(Gefunden in: Machado de Assis‘ „Postume Erinnerungen des Brás Cubas“, Rütten & Loening, S. 19 *)



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* Hierbei handelt es sich um ein Werk des magischen Realismus‘, literarische Erinnerungen, die mit den Worten eingeleitet sind und genau darum verdient haben, weitergelesen zu werden:

„Dem Wurm,
der als erster das kalte Fleisch
meines Leichnams annagt,
widme ich
in sehnsuchtsvollem Andenken
diese postumen Erinnerungen.“


Und es lohnt sich. Nicht nur ist der Stil des Brasilianers Joaquim Maria Machado de Assis angenehm leicht und ohne aufdringlich gekünstelten Leserunterhaltungszwang, bleibt dennoch philosophisch, ohne ganz und gar abzuschweifen (Stichwort: Quincas Borba, eine der Figuren des Romans, die später, wen wundert es, im Wahnsinn enden), während es der Autor, der 1839 in Rio de Janeiro geboren wurde, versteht, in einer Zeit (also 1881) mit allen Regeln der damalig vorherrschenden literarischen Traditionen zu brechen und dabei seinen eigenen Kopf durchzusetzen.

Das beginnt damit, dass die postumen Erinnerungen von Brás Cubas nicht gefunden, sondern geschrieben werden, als dieser längst tot ist. Das führt weiter, indem diese Erinnerungen in alle Richtungen ausschweifen, ohne einer geregelten Spur zu folgen, wenn die Geschichte dennoch linear bleibt. Das beinhaltet verspielte Kapitel wie auch schweigende, die alleine aus einer Punktlinie bestehen, da es

„Dinge gibt, die man lieber schweigend mitteilt. Ambitiöse Gescheiterte werden es verstehen.“.

Es endet mit der Tragik einer Liebe und dem Wahn einer Obsession.
Der Erzähler sagt so schön über den eigenen Schreibstil:

(S. 166)
„… aber das Buch ist griesgrämig, riecht nach Grab und verursacht ein leichenhaftes Zusammenschrumpfen. Das ist ein schwerwiegender Fehler und ein grober obendrein, denn die größte Unzulänglichkeit dieser Arbeit liegt bei dir, dem Leser. Du hast es eilig, alt zu werden, und hier geht es nur langsam voran. Dir gefallen direkte, satte Erzählweise und gleichmäßiger, flüssiger Stil; dieses Buch und mein Stil aber sind wie Trunkene, schwanken nach rechts und nach links, gehen weiter und bleiben stehen, brummen, lärmen, lachen sich halbtot, drohen dem Himmel, straucheln und fallen …
(…) Das ist der große Vorteil des Todes, er lässt uns zwar keinen Mund zum Lachen, nimmt uns aber auch die Augen zum Weinen … Ihr müsst fallen.“




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 10.07.2013 18:21 | nach oben springen

#2

RE: Gute Sätze der Literatur

in An der Literatur orientierte Gedanken 10.07.2013 18:24
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

„Er wollte sein Leben mit klugen Menschen vergeuden.“


(Gefunden in: Emil Szittyas „Kuriositäten-Kabinett“ * – Reprint, König, S. 24)


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* Hierbei handelt es sich um ein wahrhaft kurioses, erstaunliches Buch, das den Untertitel trägt:
„Begegnungen mit Landstreichern, Verbrechern, Artisten, religiös Wahnsinnigen, sexuellen Merkwürdigkeiten, Sozialdemokraten, Syndikalisten, Kommunisten, Anarchisten, Politikern, Künstlern.“

Das Buch ist ein Reprint, also in Frakturschrift gedruckt, und gilt als das einstige Kultbuch der Bordelle, Hinterhöfe und Spelunken. Und man findet doch auch mehr darin, denn Szittya ist einigen der ganz Großen begegnet, während auch die Unbekannten nicht zur kurz kommen.
Szittya war, bevor er als Schriftsteller und Journalist bekannt wurde, selbst als Vagabund unterwegs. Das Buch wurde zum ersten Mal 1923 verlegt und gewährt einen großartigen Eindruck in die damalige Zeit der Außenseiter, Aussteiger, Artisten, Sektierer, Wahnideen, Kuriositäten und Gesellschaftsansichten.




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 10.07.2013 18:29 | nach oben springen

#3

RE: Gute Sätze der Literatur

in An der Literatur orientierte Gedanken 16.07.2013 23:06
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

„Das Zimmer, in dem man auf sich selbst zurückgeworfen ist. Nicht sehr komisch, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein. Zu sich kommen wie in ein immergleiches Zimmer.“ *


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(* Gefunden in: Georges Hyvernaud'ss "Haut und Knochen")




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 16.07.2013 23:28 | nach oben springen

#4

RE: Gute Sätze der Literatur

in An der Literatur orientierte Gedanken 12.08.2013 18:42
von Sokolow • 183 Beiträge

"Ja, nun sind Sie wieder fort, lieber Freund, – Sie fehlen mir sehr, und ich denke mit einiger Wehmut an unser Beisammensein, vor allem an unsere »Teegespräche«, zurück.

Es war doch recht hübsch, wenn wir uns aus Regen und Wind in das Tea-room flüchteten und jedesmal Angst hatten, ob unser Kaminplatz auch frei sein würde.

Wenn wir anderswo sitzen mußten, waren wir eigentlich immer melancholisch. Man wurde auf einmal gewahr, daß die Welt recht ungemütlich sein kann, und wurde selbst ungemütlich. – Sie, lieber Doktor, in erster Linie – o, Sie konnten sehr ungemütlich sein, wenn Sie anfingen, »es« ernsthaft zu nehmen und mir die Seele aus dem Leibe herauszufragen.

Ich weiß schon – gescheite Männer können das manchmal nicht lassen, aber es ist eine üble Angewohnheit, und ich glaube, sie ist schuld daran, daß man so oft die Dummen vorzieht. Und das könnt Ihr dann wieder nicht begreifen"



Franziska zu Reventlow
Von Paul zu Pedro

zuletzt bearbeitet 12.08.2013 18:43 | nach oben springen

#5

RE: Gute Sätze der Literatur

in An der Literatur orientierte Gedanken 12.11.2013 19:36
von Sokolow • 183 Beiträge

Beklagen Sie sich nicht darüber, nicht gelerrnt zu haben. Es gibt nichts zu wissen. Selbst was man technische Gewandtheit nennt, ist kein Wissen im eigentlichen Sinn, denn es besteht nicht außerhalb der geheimnisvollen Ideenverbindungen unseres Gedächtnisses und des von unseren Erfindungsgeist in der Verknüpfung der Worte betätigten Taktgefühls. Das Wissen im Sinne einer Sache, die völlig außerhalb von uns besteht und die man erlernen kann wie eine Wissenschaft, zählt nicht in der Kunst.

Marcel Proust

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