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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst


#1

August/September/Oktober 2019

in Lektüreliste 20.08.2019 20:00
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Wahrscheinlich ist es immer eine größere Kunst, ein schmales Werk zu erschaffen, das die Essenz des Erzählten enthält, als riesige Werke, die sich über viele Seiten erstrecken. Trotzdem muss ich zugeben, dass ich diese Wälzer manchmal mag, besonders wenn sie tatsächlich etwas zu erzählen haben.
Jetzt dann also etwas jüdisches Leben als Familienepos - "Melnitz" von Charles Lewinsky. Der, nun ja, der kann wahrlich erzählen und trifft dabei jenen typischen Humor, der den jüdischen Charakter so schön wiedergibt. Mit "Melnitz" ist Lewinsky weltweit bekannt geworden. Ich kannte das Werk vorher nicht, den Schriftsteller auch nicht. Nach gut 300 Seiten kann ich jedoch schon sagen, dass ich auch weitere Bücher von ihm lesen werde. Mir gefällt sein Stil.




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zuletzt bearbeitet 19.10.2019 17:38 | nach oben springen

#2

RE: August/September

in Lektüreliste 16.09.2019 10:11
von LX.C • 2.821 Beiträge

Ja. Was soll ich sagen. Ich habe ein Tief. Oder man wird faul mit dem Alter. Und epische Ausschweifungen setzen mir ohnehin zu. Ich knabbere immer noch am Tagebuch von Christa Wolf. Das immer so nach Lust und Laune.
Nach längerer Lesepause wende ich mich noch, auch ganz faul wieder den Rezensionen folgend, Jochen Schmidt - Ein Auftrag für Otto Kwant zu. Kein episches, aber ein architektonisches Werk (Architekturgeschichte ist gemeint) mit einem Schuss satirischer Zeitkritik und Seitenhieb gegenüber autokratischen Systemen, nehme ich an. Bin ja erst am Anfang, aber bereits höchst amüsiert über Otto Kwant.


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#3

RE: August/September

in Lektüreliste 17.09.2019 08:55
von LX.C • 2.821 Beiträge

Und heute, ein zweites Mal nach sieben Jahren, noch mal Jerofejew - Die Reise nach Petuschki begonnen. Ein Buch, das man durchaus zwei Mal lesen kann. Herrlich, herrlich, herrlich... Meine Randnotizen von damals verstehe ich allerdings nicht mehr


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#4

RE: August/September

in Lektüreliste 17.09.2019 17:49
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Haha, schön. Die eigenen Randnotizen als kryptische Suche nach dem einstigen Selbst. Ich denke, das versuche ich auch noch einmal, Jerofejew als zweiter Versuch. Denke, das Buch würde jetzt noch einmal ganz anders auf mich wirken.

Momentan bei mir eine richtige Welle an Beat-Generation, die mich gepackt hat. Angeregt durch das Buch von Hans-Christian Kirsch "On the Road - Die Beat-Poeten William S. Burroughs, Allen Ginsberg, Jack Kerouac". Ein Buch, das seltsam stichpunktartig mit der Vorstellung der einzelnen Lebensläufe beginnt und dann eine enorme Spannung aufbaut, da wirklich auf alle ein Blick geworfen wird. Ginsberg und Burroughs hatten in ihren jungen Jahren etwas miteinander, Kerouac wird einem ziemlich unsympathisch als Mensch, dann tritt auch derjenige auf, den er zur Figur kreiert hat, Neal Cassady, der sein Doppelgänger sein könnte und es mit Frau und Mann trieb (so auch mit Ginsberg, der später wiederum mit Peter Orlovsky liiert war (fast über 30 Jahre)). Auch andere werden vorgestellt, z. B. Lucien Carr, der seinen Verehrer erschoss, oder der Autor von "Einer flog über das Kuckucksnest" - Ken Kesey.
Da wird die ganze Zeit wieder sehr lebendig, auch gut sichtbar, wie alle ihre Lebensphilosophie und ihren Schreibstil entwickelt haben, ebenso die Krisen und tragischen Momente. Trotz ihrer gemeinsamen Zuordnung als Beat-Poeten waren sie so verschieden, stimmten lediglich in der Drogennutzung und -erfahrung überein, da sie alle unter diesem Einfluss schrieben.
Nun weiß ich auch endlich, weshalb Burroughs, nachdem er aus Versehen seine Frau erschossen hat, so glimpflich davon kam. Alle Anwesenden sagten aus, der Schuss hätte sich beim Waffenladen selbstständig gelöst. So galt das Ganze als Unfall, nicht als Todschlag, obwohl er auf sie oder genauer auf das Glas auf ihrem Kopf gezielt hat. Gerüchte deuten auch an, sie hätte sich absichtlich bewegt, um sich an ihm zu rächen.
Und gereist sind die, auf der Suche nach Yage oder die Erhöhung des Bewusstseins. Bis nach Indien, Japan und Chile. Burroughs hat eine ganze Weile in Mexiko und Tanger gelebt, wo viele Eindrücke entstanden, die seine Romane bereichern. Ginsberg hat später zum Buddhismus gefunden und ist überhaupt einer der sympathischsten von allen.
Die Biografie ist sehr gut geschrieben und regt mich an, die Beat-Poeten noch einmal zur Hand zu nehmen, besonders Burroughs und Kerouac. Ist schon eine Weile her. Eine Bio über Burroughs liegt auch noch rum, von Barry Miles.

Ach so, auch vorher gelesen - Ecos letztes Buch "Nullnummer", das locker erzählt ist und die Verschwörungstheorien aufs Korn nimmt, und ein Interview mit ihm und Jean-Claude Carriere in Buchform "Die große Zukunft des Buches". Hier dann die Auseinandersetzung zweier Bibliophiler über den Tod oder Nicht-Tod des Buches in einer modernen Welt. Sehr anregend. Carriere besticht dabei mit seinem Filmwissen, Eco mit seinem Literaturwissen. Beide sind große Denker und reflektieren wunderbar über das Zeitgeschehen und die Entwicklungen in der Literatur.




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zuletzt bearbeitet 17.09.2019 17:56 | nach oben springen

#5

RE: August/September

in Lektüreliste 17.09.2019 18:18
von LX.C • 2.821 Beiträge

Dazu kann ich dann noch "ACID. Neue amerikanische Szene" empfehlen. Ein schöner Querschnitt der Szene von 1969. Hrsg. Brinkmann/Rygulla. Irgendwie zählt man Bukowski auch zu den Beat-Poeten.


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#6

RE: August/September

in Lektüreliste 17.09.2019 20:21
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Hört sich gut an. Werde ich mir besorgen. Vielen Dank. Ein Beatnik, der nicht erwähnt wird, ist Ed Sanders. Von dem gibt es schöne Kurzgeschichten, die jetzt in einem Band zusammengefasst sind, "Tales of Beatnik Glory". Ich kannte bisher nur den Teil "East Side Blues". Im Band sind dann auch die anderen drei enthalten, darunter "Die Freaks von Greenwich Village". Mir gefällt die Art seines Erzählens, obwohl hier nun weniger der albtraumhaft psychedelische Aspekt dargestellt wird, den die Werke von Kerouac, Burroughs und co ausmachen und der mitunter das eigentlich Ansprechende ist. Sanders geht es mehr darum, die Stimmung der Generationen einzufangen, von den Beatniks zu den Hippies zu den Aktivisten und so weiter.




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#7

RE: August/September

in Lektüreliste 18.09.2019 09:40
von LX.C • 2.821 Beiträge

Interessant. Ed Sanders - Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition), ist es das was Du meinst? Und gibts das auch als deutschsprachige Buchausgabe oder nur als eBook?

Zitat von Taxine im Beitrag #6
Sanders geht es mehr darum, die Stimmung der Generationen einzufangen, von den Beatniks zu den Hippies zu den Aktivisten und so weiter.

Guter Ansatz. Entsprechend gibt es noch das Bändchen Beat Hotel, von Harold Norse: "Im sogenannten Beat Hotel, einer verlausten Kaschemme in einer der finstersten Gegenden des Pariser Quartier Latin, haust der Autor von 'Nacked Lunch', William Burroughs, in Gesellschaft von allerlei zwielichtigen Gestalten, denen man auf keinen Fall im Dunkeln begegnen möchte..." (Klappentext der Maro Verlag Ausgabe 1975, 5. Auflage 1979, zitiert aus einem Time Magazine Artikel von 1962) Die zwielichtigen Gestalten sind natürlich überwiegend Beatniks, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. In der Ausgabe sind auch allerlei abgefahrener surrealistischer Collagen von Norman O. Mustill drin.


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zuletzt bearbeitet 18.09.2019 09:49 | nach oben springen

#8

RE: August/September

in Lektüreliste 18.09.2019 09:56
von LX.C • 2.821 Beiträge

Zitat von Taxine im Beitrag #4
Haha, schön. Die eigenen Randnotizen als kryptische Suche nach dem einstigen Selbst. Ich denke, das versuche ich auch noch einmal, Jerofejew als zweiter Versuch. Denke, das Buch würde jetzt noch einmal ganz anders auf mich wirken.


Mach das, mach das, wenn Du Zeit findest. Ein herrliches Vergnügen! Am Anfang muss man sich wieder etwa einfinden (ca. 15 Seiten), aber dann folgt ein Knaller auf den anderen in Sachen Sozialismus- und Gesellschaftskritik. Einfach genial


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#9

RE: August/September

in Lektüreliste 19.09.2019 17:41
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Zitat von LX.C im Beitrag #7
Interessant. Ed Sanders - Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition), ist es das was Du meinst? Und gibts das auch als deutschsprachige Buchausgabe oder nur als eBook?


Ja, die meine ich. Die ist in Deutsch und du weißt ja, wo du sie findest. Mir gefällt es, alle Bücher zusammen zu haben. Ist gar nicht so wenig Inhalt. In Druck gibt es die Teile nur als Einzelausgaben, aber auch unter der Bezeichnung "Tales of Beatnik Glory" und dem jeweiligen Titel.
Deine Empfehlung hört sich sehr gut an.
Die Bio über Burroughs von Barry Miles ist ganz unterhaltsam. Hier allerdings wird bei dem Kopfschuss dann nicht von einem Unfall geredet, sondern von einem unabsichtlichen Verbrechen. An sich ist das Buch gut aufgebaut und gibt auch viel Einblick auf die Hintergründe von Burroughs Schreiben. Gefällt mir.




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#10

RE: August/September

in Lektüreliste 10.10.2019 08:19
von LX.C • 2.821 Beiträge

Zitat von LX.C im Beitrag #3
Und heute, ein zweites Mal nach sieben Jahren, noch mal Jerofejew - Die Reise nach Petuschki begonnen. Ein Buch, das man durchaus zwei Mal lesen kann. Herrlich, herrlich, herrlich... Meine Randnotizen von damals verstehe ich allerdings nicht mehr


Und diese versiegen auch im letzten Drittel. Verstehe auch warum, Im letzten Drittel wird’s dann im Trinker-Delirium doch etwas absurd. Aber der Schluss ist brutal traurig. Brutal. Furchtbar :-/

So, nu ist aber endgültig Jochen Schmidt - Ein Auftrag für Otto Kwant fällig.


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zuletzt bearbeitet 10.10.2019 08:30 | nach oben springen

#11

RE: August/September

in Lektüreliste 10.10.2019 21:44
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Neben Flauberts Briefen, die mit zunehmendem Alter immer besser werden, habe ich noch einige kleinere Romane gelesen. Erst die kurzen Sachen von Bernhard, dann tatsächlich (mehr zufällig als gewollt) Kraussers "Die Gärten des Maestro Puccini".
Und tatsächlich fand hier wieder eine Art Versöhnung mit diesem Schriftsteller statt, der mir in vielen Werken nicht gefallen hat, weil seine Sachen auch so unterschiedlich sind. Das Buch weist zwar keinen guten Stil auf, hat jedoch seine Höhen aufgrund des authentischen Hintergrunds. Krausser entwirft das Geschehen, um es passend zu machen, und zeigt auch echte Briefe, um das Ganze zu verdeutlichen. Die wirklichen Ereignisse werden sehr lebendig, ebenso der Komponist selbst.
Puccini wird hier seinen wichtigen Frauen gegenübergestellt. Als Lebemann hatte er zwar etliche, wichtig waren aber die Ehefrau Elvira, deren Eifersucht dem Dienstmädchen Doria Manfredi das Leben gekostet hat, die sich aufgrund falscher Vorwürfe, sie hätte etwas mit Puccini gehabt, das Leben nimmt, eine (fast) platonische Liebe mit Sybil Seligman und die mit der minderjährigen Cori (nna), noch bevor er seine Frau geheiratet hat. Die masochistische Ader, trotz der Eheprobleme mit Elvira zusammenzubleiben, tritt stark in den Vordergrund. Das Buch ist durchaus gelungen und verleitet mich direkt dazu, nun auch "UC" zu lesen.




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#12

RE: August/September

in Lektüreliste 19.10.2019 17:52
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Ich lese "Die Memoiren des Dimitri Schostakowitsch", herausgegeben von Solomon Wolkow. Sie sind umstritten in ihrem Echtheitswert, da sie ein Jahr nach seinem Tod erschienen, und das nicht einmal auf Russisch. Sie wirken auf mich allerdings authentisch.
Das Problem ist auch, dass es sich nicht um ein schriftliches Werk handelt, sondern um Interviews, die Wolkow mit dem Komponisten geführt und die er danach zu einem Buch zusammengefasst hat, mit der Bewilligung von Schostakowitsch. Dessen dritte Frau und sein Sohn Maxim bezweifelten, dass die enthaltenen Gedanken aus dem Mund des Komponisten stammen, seine Frau sagte sogar, dass Wolkow kaum mit Schostakowitsch so bekannt war, dass solche Gespräche über dessen Leben stattfinden konnten. Der Sohn Maxim allerdings änderte später seine Ansicht und lobte Wolkows Veröffentlichung dann mehrfach, als er die Sowjetunion verlassen hat. Ob nun aus seiner Hand oder von Wolkow verfasst, diese Memoiren sind, wie andere Schriften, ein Zeugnis der stalinistischen Terrorzeit und schon darum interessant.

"Das sind keine Erinnerungen an mein Leben, es sind Erinnerungen an andere. Über uns werden wieder andere schreiben, und sie werden lügen, was das Zeug hält."
(e.d.)




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#13

RE: August/September

in Lektüreliste 20.10.2019 17:07
von LX.C • 2.821 Beiträge

Und wenn man das in Romanform gerne lesen möchte, dann erzeugt Julian Barnes "Der Lärm der Zeit" ein beklemmendes Bild über das Leben Schostakowitschs, der dem Roman nach nur knapp den stalinistischen Säuberungen entgangen ist und immerzu einen Spagat zwischen den eigenen künstlerischen Überzeugungen und stalinistischer Kunstdoktrin zu vollziehen suchte, auch um seine Familie zu schützen. Vielleicht gerade deswegen hat die Familie "offiziell" die Echtheit der "Memorien" angezweifelt? Das wäre für mich eine Erklärung aus dem Stehgreif, ohne die Dokumente zu kennen. Interessante Empfehlung.


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#14

RE: August/September

in Lektüreliste 24.10.2019 11:53
von LX.C • 2.821 Beiträge

Und ich bin nun wieder bei Saša Stanišić - Wie der Soldat das Grammofon reparierte. Hier zeigt sich deutlich, dass eine poetische Sprache nicht von einem ernsthaften Sujet abgekoppelt sein muss, sondern diese gemeinsam tatsächlich erst das entstehen lassen, was Literatur ausmacht.


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#15

RE: August/September

in Lektüreliste 24.10.2019 20:53
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Zitat von LX.C im Beitrag #13
... über das Leben Schostakowitschs, der dem Roman nach nur knapp den stalinistischen Säuberungen entgangen ist und immerzu einen Spagat zwischen den eigenen künstlerischen Überzeugungen und stalinistischer Kunstdoktrin zu vollziehen suchte, auch um seine Familie zu schützen. Vielleicht gerade deswegen hat die Familie "offiziell" die Echtheit der "Memorien" angezweifelt?

Die Memoiren erschienen 1978 in Amerika. Während sie noch in Druck waren, hat der KGB vergeblich versucht, das Manuskript in die Hände zu bekommen und dann dafür gesorgt, dass es als Fälschung ausgegeben wurde und Schlagzeilen machte. Dazu denke ich, hat die Verwaltung des Nachlasses durch seine dritte Ehefrau Irina gleichfalls eine Rolle gespielt, die hier eine wichtige Einnahmequelle verpasste. Die Memoiren gab es nur in englischer Sprache. Weder sie noch der Sohn Maxim konnten daher das Buch lesen und haben die Meinung der westlichen Medien übernommen. Der KGB hat die Familie möglicherweise erpresst, sich so zu äußern.
Als Maxim 1981 dann die Sowjetunion verließ, hat er in vielen Interviews Partei für die Echtheit der Memoiren ergriffen und gleichzeitig versucht, Wolkows Ruf wieder zu rehabilitieren. Dieser hat betont, dass jedes Kapitel, das er nach den Gesprächen zusammengestellt hat, von Schostakowitsch abgezeichnet und abgesegnet wurde. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs wurde das Werk dann auch in Russland anerkannt, da keiner mehr Repressalien befürchten musste. Lediglich Irina, seine Ehefrau, blieb bei ihrer Ablehnung. Das zeigt, wie schwierig die Situation auch weit nach Stalin und co war.

Schostakowitsch hat die Rolle des Hofnarren gespielt (in Russland heißt das Gottesnarr). Er wurde von Stalin gleichzeitig diskreditiert und gefördert (z. B. jenes "Chaos statt Musik"). Er lebte mit dieser entsetzlichen Angst, jederzeit verhaftet zu werden. In seiner Vierzehnten Sinfonie hat er darüber viel reflektiert, über den Tod und die Henker, die die Todesstrafe vollziehen. Oft sind seine Werke durchgegangen, weil sie anders interpretiert wurden. Sie haben aber immer gewirkt. Die Menschen saßen und weinten. Sie fühlten, ohne zu verstehen. Einige haben natürlich auch verstanden. Vielleicht sogar Stalin selbst, obwohl Schostakowitsch Tyrannen allgemein ein Verständnis für Kunst und Musik abspricht. Er meint, sie würden sich nur mit kulturellen Interessen schmücken und diese höchstens von anderen übernehmen, aber nie selbst einen Sinn dafür entwickeln. Ein Mensch, der tötet und töten lässt, kann Musik nicht fühlen, weil er gar keinen Sinn für das Menschliche und für das Leben hat. Genauso spiegelt sich für Schostakowitsch eine hässliche Seele in der Musik, z. B. Wagner, der in seinem Werk sogar gegen Brahms gehetzt hat.
Westliche Musik war unter Stalin natürlich verpönt und konnte daher auch hervorragend plagiiert werden, ohne dass es auffiel. Die meisten Komponisten, Regisseure und Künstler haben versucht, sich still zu halten und irgendwie durchzuschummeln, manche auch, indem sie offiziell zugaben, sie würden für etwas Essbares "dem Feind die Füße küssen", so wie Tinjakow.

In seinen Memoiren erzählt Schostakowitsch tatsächlich hauptsächlich von anderen, aber auch von seinen Sinfonien und wie sie entstanden sind. Verborgen im "Narrentum" zeigt sich ein Mensch, der strenge Prinzipien hat und gleichzeitig für die Nächstenliebe plädiert. Man merkt deutlich, dass es Gesprächsauszüge sind, die Wolkow dann zusammengefasst hat. Alles ist recht einfach gehalten, wobei das wohl allgemein seine Art war, sich auszudrücken. Schostakowitsch berichtet auch davon, wie viele einander denunziert haben und zitiert Petrow und Ilf, die gesagt haben, dass Komponisten nur zu gerne auf ihren Notenblättern denunzierten. Schostakowitsch gehörte nicht dazu. Er blieb sich irgendwie selbst treu, auch wenn er Auftragsarbeiten annahm oder als Vorzeigeobjekt fungierte. Er hat so komponiert, wie er gesprochen hat. Das leicht Dahingeworfene enthält eine verborgene Kritik. Wenn eine Sinfonie als Kriegsreflexion galt, befasste sie sich eigentlich mit einer anderen Zeit, die Schostakowitsch viel tiefer bewegte. Das alles ist schon spannend zu lesen.

Auch habe ich durch Schostakowitsch erfahren, dass Tarkowski in seinem Film "Andrej Rubljow" eine Kuh angezündet hat. Für die erhabene Kunst kann man nun wirklich auch zu weit gehen. Die Szene wurde später herausgeschnitten. Weil alle sich weigerten, das Tier in Flammen zu setzen, hat es Tarkowski selbst gemacht und wurde hinterher dafür von den Bauern fast gelyncht. Schostakowitsch spricht in den Memoiren allerdings nur von "einem Regisseur". Passiert ist es aber wirklich, das las ich nun auch an anderer Stelle (Andrej Rubljow). So viel an naturalistischer Schilderung ist wirklich zu viel. Das arme Tier musste da brennend herumrennen und sterben. Der Zensur unterlag auch eine weitere Szene, in der ein Hund grausam zu Tode gepeitscht wurde. Das schockiert dann doch etwas.




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