HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
|
Ist zwar erst November, aber ein Rückblick auf die besten Bücher dieses Jahr könnte interessant sein.
Handkes "Gewicht der Welt" gehört dazu, warte auch schon auf weitere seiner Journale. Hier finde ich etwas Einzigartiges, sehr Persönliches und gleichzeitig auf Abstand Gehaltenes, das mich anspricht. Dann auch die Bücher von Paul Nizon, die alle um ähnliche Themen kreisen und sehr subjektiv sind, aber das gewisse Etwas haben.Da habe ich mir sogar das Gesamtwerk gegönnt. Allgemein könnte ich als Einstieg "Im Haus enden die Geschichten" empfehlen. Mich jedenfalls hat es auf weitere seiner Bücher neugierig gemacht. (Erinnert bedingt an Perec und seinen Klopper "Das Leben. Gebrauchsanweisung". (Da könnte ich eigentlich auch einmal wieder hineinblättern!) Weitere Bücher waren:
- Nadas "Liebe" (ach nee das war schon Ende 2018)
- Postnows "Angst"
- Kraussers "Schmerznovelle"
- Flauberts "Briefe"
- Bernhards "Gehen" und "Amras"
- und Gaddis' "mechanisches Klavier".
Eine doch eher dünne Aussaat und Bereicherung. Dafür ein schöner Kunstband der Werke Van Goghs, der ausführlich über sein Leben berichtet und dazu viele der Briefe zitiert. Von Edgar Lein im Riesenformat herausgegeben. Alle Bilder sind beeindruckend mächtig, teilweise sogar aufklappbar.
Nun, aufgrund einer Empfehlung von Handke, dann der Serbe Dragan Velikic mit seinem Buch "Bonavia". Bin neugierig geworden. Kritisches zum Krieg ist schon einmal enthalten, auch wenn Handke auf die beiden anderen Romane verweist. Auch Medienkritik:
"Heute schaffen Medien und der globale Verstand eine Zivilisation des gedankenlosen Konsums. Alles ist auf kurzfristige Bedürfnisse ausgerichtet."
Schön fand ich auch den Gedanken:
"Das Leben ist entweder ein Leben oder die Kopie von etwas, in dem man sich verliert."
Art & Vibration
Zitat von Taxine im Beitrag #1
Ist zwar erst November, aber ein Rückblick auf die besten Bücher dieses Jahr könnte interessant sein.
Handkes "Gewicht der Welt" gehört dazu, warte auch schon auf weitere seiner Journale. Hier finde ich etwas Einzigartiges, sehr Persönliches und gleichzeitig auf Abstand Gehaltenes, das mich anspricht.
Wenn Zorn so eine Art von Wut mit Abitur ist, dann darf ich das: Nach der medialen Hinrichtung von Handke kann mich der ganze "Literaturbetrieb" am Götz von Berlichingen...
Ansonsten nur noch "die Alten" und da hat mich jetzt gerade "Die weiße Garde" von Bulgakow enttäuscht, maßlos.
Dafür hat sich die erneute Lektüre von Stendhals Kartause gelohnt, und davor war es Flauberts Salambo in einer schönen Ausgabe von Haffmans. Was für ein Buch, obwohl die Ausgabe von Diogenes da mehr an - zum Buch bezüglichen Essays zu bieten hat.
„So ist es mir gelungen, in ein und demselben Kapitel nacheinander einen Regen von Scheiße und eine Prozession von Päderasten zu bringen. Ich schwitze Blut, ich pisse kochendes Öl, ich scheiße Katapulte und ich rülpse die Kugeln aus den Schleudern. So sieht es mit mir aus.“
(Gustave Flaubert an die Brüder Goncourt)
Ansonsten, mal hier den Heine, mal dort den Eichendorff oder den Keller Gottfried, und immer einmal wieder den Hölderlin, der wird wohl im nächsten Jahr zu seinem Jubiläum (250. Geburtstag) berufen und beschworen, vielleicht als Vorzeigedemokrat oder so.
Egal, Grüße in die Runde
Gottes Stirne Farben träumt,
ahnt des Wahnsinns sanfte Flügel –
Schatten drehen sich am Hügel,
von Verwesung schwarz umsäumt“.
(Trakl)
Zitat von Patmöser im Beitrag #2
„So ist es mir gelungen, in ein und demselben Kapitel nacheinander einen Regen von Scheiße und eine Prozession von Päderasten zu bringen. Ich schwitze Blut, ich pisse kochendes Öl, ich scheiße Katapulte und ich rülpse die Kugeln aus den Schleudern. So sieht es mit mir aus.“
(Gustave Flaubert an die Brüder Goncourt)
Hehe, ein Zitat, das mir auch in Erinnerungen geblieben ist. Ich habe neben der Gesamtausgabe aller Briefe Flauberts auch die wunderbaren einzelnen Ausgaben von Haffmans und Zweitausendeins, Briefe mit den Goncourt Brüdern, mit Maupassant oder Turgenjew. Der Briefwechsel mit den Goncourts ist von allen der witzigste. Flaubert hatte die Eigenschaft, sich schriftlich an seine Briefpartner anzupassen. Und wie unterhaltsam die beiden Lästerbrüder waren, weiß man ja.
Diese Gesamtausgabe ihrer Tagebücher im Konvolut reizt mich ja auch schon seit längerem. Bei Zweitausendeins erhältlich mit 11 dicken Bänden und Beibuch, also so knapp 7.000 Seiten. Eine bessere Zeitreise ist wohl kaum möglich und man kann als Leser darin sicherlich schön verschwinden.
Die Goncourts waren großartige Beobachter. Ihre Tagebücher sind deutlich besser und unterhaltsamer als ihre Romane.
Art & Vibration
Zitat von Taxine im Beitrag #3
Diese Gesamtausgabe ihrer Tagebücher im Konvolut reizt mich ja auch schon seit längerem. Bei Zweitausendeins erhältlich mit 11 dicken Bänden und Beibuch, also so knapp 7.000 Seiten. Eine bessere Zeitreise ist wohl kaum möglich und man kann als Leser darin sicherlich schön verschwinden.
Die Goncourts waren großartige Beobachter. Ihre Tagebücher sind deutlich besser und unterhaltsamer als ihre Romane.
Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt,
wer hat soviel Pinke-Pinke, wer hat soviel Geld?
Nee, liegt nicht in meinem Etat.
Eine Frage hätte ich da gern an dich oder einen der User hier: Morrison - Menschenkind, wirklich zu empfehlen? Oder eines dieser vielen Bücher, die geradezu aus Gründen, mehr oder weniger nach "oben geschrieben" wurden, ist ja heute irgendwie Usus geworden.
Nachfolgend, Laxness - Islandglocke? Sollte man gelesen haben?
Danke im Voraus.
Ich habe vor einigen Tagen in Kawabasatas: Schneeland geblättert, das ist schon ein völlig andere Welt, dazu muss man wohl auch in der richtigen Stimmung sein, vielleicht mit einem Bonsai auf dem Lesetisch und einem Kännchen mit herrlich duftenden Oolong Tee in unmittelbarer Nähe.
Im nächsten Leben werde ich wohl ein ZEN-Heini...
Morrisons Beloved war schön zu lesen, doch wollte über die Jahrzehnte partout nichts hängen bleiben. Immerhin steht das Werk noch im Regal, während gut drei Viertel der einstigen Bestände als Ballast abgeworfen wurden.
Dagegen blieb von der Islandglocke allerlei hängen, zum Beispiel, wieviele Kinder ein Mädchen dort bekommen musste, um nicht mehr als Jungfrau zu gelten. Oder die Geschichte mit dem Rochen, die hier nicht verraten wird. Zeitweise geht es darum, jemand "vor der Gerechtigkeit zu retten", und leichte verschobene Beschreibungen dieser Art sind typisch für den Erzähler des Romans. Mitunter auch recht deftig und somit konträr zu Kawabatas Schneeland, also durchaus etwas für Patmos. Kein Wunder, dass Isländer – wie jüngst Kalman Stefánsson mit Ástas Geschichte – noch immer in Laxness' Stapfen wandern wollen.
Zitat von Salin im Beitrag #5
Morrisons Beloved war schön zu lesen, doch wollte über die Jahrzehnte partout nichts hängen bleiben. Immerhin steht das Werk noch im Regal, während gut drei Viertel der einstigen Bestände als Ballast abgeworfen wurden.
Dagegen blieb von der Islandglocke allerlei hängen, zum Beispiel, wieviele Kinder ein Mädchen dort bekommen musste, um nicht mehr als Jungfrau zu gelten. Oder die Geschichte mit dem Rochen, die hier nicht verraten wird. Zeitweise geht es darum, jemand "vor der Gerechtigkeit zu retten", und leichte verschobene Beschreibungen dieser Art sind typisch für den Erzähler des Romans. Mitunter auch recht deftig und somit konträr zu Kawabatas Schneeland, also durchaus etwas für Patmos. Kein Wunder, dass Isländer – wie jüngst Kalman Stefánsson mit Ástas Geschichte – noch immer in Laxness' Stapfen wandern wollen.
Danke!
Also dann, schon wegen der Jungfrauen und wegen dem Rochen sowieso wird der Patmöser dann das Buch lesen, Morrison wird erst einmal auf Eis gelegt, so erspart man sich dann Enttäuschungen.
Laxness lohnt alleine schon wegen der isländischen Namen. Auch "Die glücklichen Krieger" fand ich gut. Toni Morrison war eine großartige Schriftstellerin. Ich las "Jazz" und "Menschenkind", und beide Romane sind mir in guter Erinnerung. "Menschenkind" ist außergewöhnlich, wenn man das Thema bedenkt. Man findet darin so überhaupt nicht, was man erwartet. Die Welt der Geister (Schuld und Sühne) steht gleichberechtigt neben der wirklichen Welt. Und der Erzählstrang wirft den Leser in einen emotional mitreißenden Strom, der alles andere als Mainstream ist. Wie ein langsames Aufdecken der Ereignisse.
"Menschenkind" kann ich als Lektüre empfehlen. Enttäuschung wird sie sicherlich nicht auslösen. Diese Bilder, die ihr gelingen, z. B. der Baum auf dem Rücken, der wächst und sich hinterher als durchgepeitschtes Fleisch herausstellt. Das Dramatische wird nie aufdringlich in den Vordergrund gehoben, aber schimmert immer poetisch durch. Mir hat das sehr gefallen.
Art & Vibration
Zitat von Taxine im Beitrag #7
"Menschenkind" kann ich als Lektüre empfehlen. Enttäuschung wird sie sicherlich nicht auslösen. Diese Bilder, die ihr gelingen, z. B. der Baum auf dem Rücken, der wächst und sich hinterher als durchgepeitschtes Fleisch herausstellt. Das Dramatische wird nie aufdringlich in den Vordergrund gehoben, aber schimmert immer poetisch durch. Mir hat das sehr gefallen.
Schön.
Dann werde ich mir auch dieses Buch bestellen. Im Vertrauen auf deinen Buch-Sinn.
Was liegt bei dir und den anderen lieben Usern hier eigentlich an Büchern auf dem Gabentisch? Bei mir wird es eine größere Werkausgabe des genialen Christoph Martin Wieland sein, es wird höchste Zeit für diesen Stern aus dem klassischen Viergestirn.
Und einen heilsamen Zaubertrank gegen Rückenschmerzen, ich bin nämlich der Elefantenrücken, auf dem meine Ekel durch den Dschungel reiten, und irgendwann spielen dann die Bandscheiben verrückt, denn die Zeiten, als ich noch ein titanischer und fescher Jüngling mit gar lockigen Haar war, die sind nun leider vorbei, vorbei.
Also gegen Rückenschmerzen in deinem Fall helfen wahrscheinlich zwei Dinge. Entweder ein großer und wiederholter Schluck Weihnachtspunsch wie bei Dickens oder ein weicher und bequemer Elefantensattel mit darunter liegender Decke. Das wird auch deinen Enkeln gefallen. Sag ihnen aber, dass du die Reitgerte ablehnst, sonst artet das Ganze noch aus. Ein alter Mann ist schließlich kein D-Elefant.
Bei mir ist der Gabentisch noch nicht durchdacht. Wer was Schönes entdeckt hat... immer her mit den Empfehlungen.
Art & Vibration
Zitat von Taxine im Beitrag #9
Ein alter Mann ist schließlich kein D-Elefant.
Bei mir ist der Gabentisch noch nicht durchdacht. Wer was Schönes entdeckt hat... immer her mit den Empfehlungen.
Vielleicht die Geschichte vom Prinzen Biribinker. Und da wären wir dann gleich bei Christoph Martin Wieland: Die Abentheuer des Don Sylvio, hier dann das sechste Buch, Kapitel 59. Phantastisch, verspielt und irgendwie sehr verträumt. Hier ein kleiner Appetitmacher:
Indessen wuchs der Prinz heran, und übertraf durch seine Schönheit und wunderbare Eigenschaften alles, was jemals gesehen worden ist. Er spuckte lauter Syrup, er pißte lauter Pomeranzen-Blüth-Wasser, und seine Windeln enthielten so köstliche Sachen, daß sie von Zeit zu Zeit der Königin zugeschickt werden mußten, damit sie an Gala-Tägen ihren Nach-Tisch daraus verbessern konnte. So bald er zu reden anfieng, lallte er Concetti und Epigrammata, und sein Witz wurde nach und nach so stachlicht, daß ihm keine Biene mehr gewachsen war, ob gleich die dummste im ganzen Korbe zum wenigsten so viel Witz hatte als einer von den vierzigen der Academie Francoise.
Ich mag das, es ist eine andere Welt, eine andere Zeit, aber aus der Zeit gefallen bin ich ja auch, oder meine, gefallen zu sein. Denn im hier und jetzt ist mir das alles irgendwie zu orwellesk, sozusagen.
Nun denn, ich reise am Wochenende ab, in unser Weihnachtsland, dort gibt es kein Internet und auch keine Handyritis, und wenig Menschen, aber dafür viel Windgebraus und Wellengeflüster, und in so gewissen Nächten sieht man eine wunderschöne Nixe am Strand. Doch, doch, es gibt sie.
Dir und allen Usern dieses kleinen, aber feinen Forums ein Weihnachtsfest, das noch ein Weihnachtsfest ist und kommt gut in das Jahr 20 dieses wahnversessenen Jahrhunderts, mögen die Parzen euch wohlgesonnen sein.
Zitat von Patmöser
... und in so gewissen Nächten sieht man eine wunderschöne Nixe am Strand. Doch, doch, es gibt sie.
Ich, als Wellenkind, kann das nur bestätigen. Nixen und ihre Pferde, die Delfine. Die sieht man bei mir immer im November bis März, leben als Herde in der Nähe von Thessaloniki und grüßen die menschenleeren Strände.
Zitat von Patmöser
Dir und allen Usern dieses kleinen, aber feinen Forums ein Weihnachtsfest, das noch ein Weihnachtsfest ist...
Das wünsche ich dir auch, Patmos. Eine wunderbar erholsame Zeit im Meeresrauschen und in den Tiefen der Literatur. Der Wieland ist vorgemerkt. Vielen Dank für den Auszug. Da soll noch einmal einer sagen, die Klassiker wären trocken und bar jedweden Humors... Und der Agathon muss ja auch noch irgendwann...usw.
Art & Vibration
Momentane Lektüre: Der Briefwechsel zwischen Unseld und Handke. Darin erscheint Handke nun wieder äußerst sympathisch, als loyaler, kreativer und zuverlässiger Mensch (ganz anders als Bernhard oder noch schlimmer der liebenswerte Koeppen, der Unseld immer wieder einen neuen Roman verspricht, die Vorschüsse dafür kassiert und nicht liefert. Die Schreibblockade hielt, wenn ich mich richtig erinnere, dann bis zu seinem Lebensende an, hatte auch mit der Trunksucht und dem Tod seiner Frau zu tun. Unseld wiederum war schon ein verständnisvoller Verlagsmensch. Das kann man nicht anders behaupten, auch wenn die Geldmaschinerie ab und an stärker durchschimmert und er immer dahinter ist, dass seine Autoren schreiben und liefern.) Handke dagegen legt Wert darauf, dass seine Bücher nicht zu teuer verkauft werden und setzt sich immer wieder für verschiedene Schriftstellerkollegen ein. Er war ja auch derjenige, der Emmanuel Bove wieder bekannt gemacht hat, indem er ihn übersetzt hat. Da bin ich ihm bis heute dankbar für.
Von den Briefwechsel-Ausgaben mit Unseld ist die mit Bernhard natürlich die schönste, da nicht nur unterhaltsam, sondern aufgrund des chaotischen und rebellischen Charakters auch spannend zu lesen. Der mit Koeppen ist aufschlussreich und sympathisch. Mühseliger zu lesen ist der Briefwechsel mit Uwe Johnson. Dieser war nun wirklich sehr trocken im Charakter, auch wenn sein Leben später äußerst dramatisch wurde. In allen Ausgaben wird jedoch jeder Schriftsteller sehr gut sichtbar, das Gleiche gilt für die typischen Verlagsvorgänge. Gibt es heute solche Verleger noch? Wahrscheinlich nicht. Unseld war schon ein Original.
Art & Vibration
Vor Jahren hat Martinus einmal das Buch "Das dunkle Herz" von Timothy Findley empfohlen. Das habe ich nun im Regal wiedergefunden, noch ungelesen. Dort entwischt die Figur Kurtz dem Buch "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad und muss von der schizophrenen Leserin Lilah Kemp irgendwie wieder eingefangen werden.
Da ich Conrads Erzählung noch nicht kannte, musste ich diese natürlich zuerst lesen, was ich auch getan habe. Ein Werk, das mich wirklich überrascht hat und nicht phantastisch aufgebaut, sondern eine surreal gestaltete Kritik an der damaligen Kolonialpolitik im Kongo ist. Das "Herz der Finsternis" ist das undurchdringliche Innere des Dschungels, wo Elfenbein gerafft wird und Schwarze unterdrückt und zur Sklavenarbeit herangezogen werden, während die Wilden sich gleichzeitig zu wehren versuchen und von Kurtz in irgendeiner Art und Weise kontrolliert werden (durch Ritual, Macht, Drohung oder ähnliches). Gleichzeitig ist das düstere Äußere auch ein Hinweis auf das Innere der Protagonisten.
Die Geschichte wird von Marlow erzählt, der von Kurtz fasziniert ist und schließlich nur noch sein Ende miterlebt. Dessen innere Dämonen werden lediglich angedeutet, wie überhaupt die ganze Geschichte. Nichts ist ausgesprochen oder konkret dargestellt. Conrad spielt in faszinierender Weise mit dem Interpretationsfreiraum seiner Leser. Dagegen bleibt die Kritik an der Vorgehensweise der Kolonialisten an den Einheimischen und Wilden deutlich hervorgehoben. Die Erzählung ist sehr eigenartig in ihrer Wirkung.
Bin nun gespannt, wie Findley das Ganze in seinem Roman verarbeitet. Es ist wohl eine Geschichte der Geisteskrankheit, ein Thema das ich grundsätzlich interessant finde.
Art & Vibration
Noch einige Gedanken zu dem Briefwechsel zwischen Handke und Unseld. Je älter und bekannter Handke wird, desto sensibler und anstrengender wird er auch. Das betrifft ein Mimosenverhalten in Bezug auf seine Bücher, die Geldforderungen und auch zum Teil ungerechten Vorwürfe gegen den Verlag. Wo er als junger Mensch Wert auf niedrige Buchpreise gelegt hat, fordert er beleidigt für "Mein Jahr in der Niemandsbucht" einen Ladenpreis von 120 DM statt der 58 DM, die "Suhrkamp" festgelegt hat, und ist sich sicher, dass die Leser das zahlen und seine Arbeit das vor allen Dingen wert ist. Bei den horrenden Verdienstsummen, die da genannt werden, darunter Vorschüsse von 300.000 DM, wirkt dieses Fordern übertrieben und nahezu lächerlich, gerade auch, weil Handke so sehr darauf besteht, als Künstler wahrgenommen zu werden. Dabei will er jedoch genau bestimmen, wie die Vermarktung zu laufen hat und ist z. B. beleidigt, wenn die Auflagenzahl aufgrund der Marktanpassung und Nachfrage zu gering ausfällt.
Ich persönlich finde so ein Verhalten sehr fragwürdig. Das lässt einen Menschen sichtbar werden, der von sich nun wirklich (über)überzeugt ist und keinen Widerspruch duldet, irgendwie auch auf Händen getragen werden möchte (wobei Unseld ihm den Wunsch auch mehr als erfüllt und ständig sein Genie betont).
Auch seine Vorwürfe gegen die Arbeit des Verlags und die Form der Buchankündigungen nerven.
Allerdings wird der Briefwechsel dadurch wieder sehr spannend zu lesen und kommt an den Bernhard 'schen heran. Das war in der ersten Hälfte des Buches gar nicht zu erwarten. Diese inneren Kämpfe von Handke kristallisieren sich, auch durch die Aufzeichnungen über die gemeinsamen Treffen, die Unseld festhält und die als Fußnoten zu lesen sind. Kurz, das Ganze ist wirklich ein lohnenswertes Buch.
Für mich immer wieder erstaunlich, wie sich nur durch das Briefeschreiben ein Charakter entkleidet. Fast mehr als in Tagebuch-Aufzeichnungen, da im Brief ein Austausch, eine Forderung und ähnliches notwendig ist. Man muss sich entsprechend erklären und verständlich machen. In privaten Aufzeichnungen und im schriftlichen Gespräch mit sich selbst ist das nicht erforderlich. Daher bleibt hier auch viel verborgen.
Art & Vibration