| HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst | |
Anais Nin bietet, aufgrund des realen Tagebuchs, natürlich auch keinerlei Symbolik, wie es die Batailles bewusst kreieren. Ihre Schriften sind eher im Sinne der Psychoanalyse interessant (vielleicht auch mehr für Frauen). Ich habe nun noch einmal in die Tagebücher hineingelesen und war überrascht, wie diese mich wieder zu fesseln verstanden. Ich habe die drei Teile, die sie selbst noch zu ihren Lebzeiten herausgab, die auch künstlerisch überzeugen. Dazu habe ich die unzensierten, die mir damals zu ausführlich erschienen, und von denen "Henry, June und ich" die besten waren. 
Zu meiner eigenen Lektüre von Queirós de Eça: 
"Die Maias" hatten durchaus einige Längen, aber das Buch liest sich flüssig weg, sicherlich auch Dank der modernen Übersetzung. (Auffällige Wörter waren u. a. chic & ranunkelgelb). Aus den Anmerkungen erfährt man, dass der Schriftsteller bewusst Adjektive, die im Portugiesischen hinter dem Substantiv stehen, vor diesem platzierte, was im Deutschen gängig ist und so weniger als Radikalität ins Auge fällt. Dadurch war Queirós de Eça aber bereits zu seiner Zeit sehr modern und schuf eine ihm eigene, unverwechselbare Sprache. Der Roman war sein drittes Werk und kam seinerzeit bei den Portugiesen schlecht an, einmal weil Queirós de Eça im Ausland lebte (und, ähnlich wie von den Russen Turgenjew, als Ausländer betrachtet wurde), zum anderen, weil er die portugiesische Gesellschaft, hier vor allem den Adel in seiner Schlaffheit, aufs Korn nahm. Heraus kam eine spannende Geschichte um Dekadenz und Inzest (ungewollt). Auch der Unglaube und die Aufweichung durch den Liberalismus und die Moderne (von 1880) werden in Szene gesetzt. Erstaunt hat mich, wie vehement die religiösen Riten Portugals angegriffen wurden, obwohl auch der Roman "Die Reliquie" ähnliche Tendenzen zeigte. Gleiches gilt für die Art der Erziehung, die, wie man am Protagonisten erkennt, auch in der liberalen und englischen Form mit deutlich freieren Methoden, am Ende versagt. Der Roman endet mit einer Metapher, dass beide, Carlos, der reiche Maia, und sein Freund, der Dichter Ega, zur Erkenntnis kommen, es lohne sich nicht, nach etwas zu streben, den Schritt für irgendetwas zu beschleunigen, während sie losrennen, um die Droschke (Pferdebahn) zu bekommen, was ihre Philosophie ad absurdum führt, so zumindest meine Interpretation. Auch Lissabon wird in diesem Werk wunderbar sichtbar und war wohl schon damals marode. Jener Charme der Stadt ist nicht zu leugnen. Ein tragischer Unfall wie der kürzliche des Elevadors da Glória (mit 18 Toten und vielen Verletzten) steht allerdings auch fast schon allegorisch für diesen Verfall.

Art & Vibration
 
Bataille ist primär ein Philosoph der Abschweifung und nicht der Ausschweifung. Besonders in Die innere Erfahrung findet man davon reichlich, was vielleicht sogar der Grund ist, weshalb es als philosophisches Hauptwerk gilt. Er versteht es, was sich auf ein Dutzend Seiten sagen ließe, auf 300 auszuweiten, und dass dies Folgen für die Leser hat, passt zu seiner Theorie der Verschwendung.
Also keine Empfehlung für das Buch.
 
Zum Thema Bataille, Nin und Miller passt vielleicht auch das Werk "Vita sexualis" von Ogai Mori, ein interessantes Stück japanische Literatur. - "Es hieß dort, alle Kunst sei Liebeswerbung. Sie verführe. Sie stelle (...) vor der Öffentlichkeit Sexualität zur Schau." - Das Buch ist eine teilweise autobiografische Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität und der philosophischen Frage, wie wichtig diese aus intellektueller Sicht tatsächlich für das eigene Leben ist. Der Protagonist Kanai erzählt von seinen Erlebnissen seit der Kindheit in seiner Begegnung mit dem Geschlechtstrieb, wobei die Sprache sehr schön ist und das Erzählte viel in Andeutungen verläuft, da der Junge, zwar von einigen Studenten bedrängt wird, allerdings erst sehr viel später tatsächlich seine Unschuld verliert. 
Das Buch war damals ein Skandal in Japan, da Mori aus einer angesehenen Familie stammte. Er arbeitete später als Arzt und brachte durch seine Reisen nach Europa den naturalistischen Zola-Stil nach Japan. Für die Japaner gehört er, ähnlich wie Nasuke, zu den Klassikern. Auch für uns im Westen ist das Buch ein schönes Dokument, um mehr über die japanischen Traditionen zu erfahren. So liest man z. B. davon, dass sich verheiratete Frauen damals die Zähne schwärzten, "mit einem Sud aus dickem Tee und Eisenoxyd, eine Sitte, die lange Zeit auch das Schönheitsideal beeinflusste" und dann später untersagt wurde. Im Buch begegnet Kanai so einer Frau natürlich in einem Bordell, inmitten von Geishas und Prostituierten.
Ich lese momentan "Suche nach den Spuren eines Selbstmords" von Tezer Özlu, die sich mit Pavese beschäftigt, hier aber auch ein sehr persönliches Werk hinterlassen hat, ähnlich sympathisch wie die Bücher von Emine Sevgi Özdamar.

Art & Vibration
 
Bergfleths Zur Kritik der palavernden Aufklärung war, was seine eigenen Beiträge betrifft, enttäuschend. Am Gehaltvollsten sind der Beitrag Simone Weils Reflexionen über die Ursachen der Freiheit und der sozialen Unterdrückung und zwei kurzgefasste Arbeiten Batailles: Nietzsches Wahnsinn und Nietzsche. In der Summe keine neuen Perspektiven.
 
Gelesen habe ich:  Eva Viežnaviec "Was suchst du, Wolf?", ein unglaublich schönes Buch, voller Geschichten, teilweise humorvoll, teilweise tragisch, aber immer ehrlich. Die Erzählerin ist Renya, eine Alkoholikerin, die gerade ihren Job in Deutschland verloren hat und zurück nach Weißrussland kehrt, wo ihre geliebte Großmutter, eine Heilerin und Hexe, gestorben ist. Sie ist es auch, von der die Enkelin ihre Geschichten hat. Der Roman besticht durch die Art des Erzählens, das weit entfernt von einfacher Unterhaltung ist, beispielsweise als die Eltern die Wohnung der Großmutter ausräumen und ihre Sachen verbrennen wollen, bevor sie überhaupt unter der Erde ist. - "Die verwaisten Kostbarkeiten eines Verstorbenen im Regen oder Matsch sind der wahrhaftigste und lehrreichste Anblick auf der Welt." - Alles, was uns am Herzen liegt, wird nach unserem Tod für andere keine Bedeutung mehr haben bzw. nie dieselbe, wie für uns.
Nun lese ich, bevor ich dann wirklich" Wieland oder die Verwandlung" aufschlage, noch die drei Bücher von Rachel Cusk. Sie gefällt mir großartig, in ihrer weisen Reflexion in der Begegnung mit Menschen, und in ihrem Humor. Die Trilogie setzt sich aus den Romanen "Outline", "Transit" und "Kudos" zusammen.

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