HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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RE: Kürzere und "kompakte" Zitate
in Zitate 11.03.2009 23:33von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Die Angst vor dem Zahnarzt ist dann wohl begründet...
Das ist ein wirklich spannendes Thema. Die Auffassung vom Sterben (mal den Tod einfach zur Seite gelassen) sitzt im Menschen völlig verschieden.
Dazu noch einmal. Der Geschmack, der bei Márai durch die Zeilen klingt und klagt, ist nicht unbedingt im Mund zu suchen. Er spürt den Verfall, dass er für nichts mehr lebt. Er ist also bereit für das Sterben. Darum sagt er auch in den Worten seiner Frau: "Wie langsam ich sterbe".
Der lebendige Tote, der sich nach dem Tod sehnt.
Dazu vielleicht noch ein Auszug:
"Ich sterbe jeden Tag ein wenig. Ich "lebe" nicht mehr, ich sterbe..."
oder noch besser:
Zitat von Márai
Die zwei mystischen Augenblicke im Dasein: wenn im befruchteten Ei eine unheimliche, gewaltige Kraft zu wirken beginnt, das Leben – und wenn in den Zellen diese Energie zu arbeiten aufhört und eine andere unheimliche, gewaltige Kraft zu wirken beginnt, der Tod. Das und nicht mehr ist die Wirklichkeit. Alles sonst ist billige Illusion…
Seine Tage öffnen sich nicht mehr, um das Leben zu empfangen oder zu begrüßen, sondern den Tod.
Art & Vibration
Zitat von TaxineDas nicht. Ich wehre mich täglich mit allem, was in meiner Kraft steht. Aaaber ... so beim Mittagsschlaf, da denke ich manchmal ... jetzt einfach einpennen, so schön warm unter der Decke ... chrrr ... aaaber dann zuckt's wieder: Ey, Tod, alter Kumpel, wart mal noch n bisschen, wollte heut Abend noch im Forum n bisschen Blödsinn posten ... höhö ... Und schon habe ich wieder gewonnen ...
Der lebendige Tote, der sich nach dem Tod sehnt.
RE: Kürzere und "kompakte" Zitate
in Zitate 11.03.2009 23:49von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Und dann freut er sich, dass er mal erzählen, mal sein Herz, das nicht mehr existiert, das nur noch Erinnerung ist, ausschütten konnte, und schon ist er wieder versöhnt und zieht vorerst seiner Wege... Das klappt doch immer.
Art & Vibration
Zitat von TaxineJo, geh er erstmal ne Tür nebenan. Wie beim Staubsaugervertreter: Nein Danke, wir brauchen nichts.
... und schon ist er wieder versöhnt und zieht vorerst seiner Wege...
RE: Kürzere und "kompakte" Zitate
in Zitate 11.03.2009 23:59von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Klingelte ein Staubsaugervertreter an einer Tür. Es öffnete ihm der Tod.
Uhhaaa... ob der dann wohl seinen Job wechselt? Oder trotzdem versucht, das Ding an den Gevatter zu bringen? Ist er ein guter Verkäufer, geht er wohl über Leichen... selbst über die eigene... hoho...
Art & Vibration
RE: Kürzere und "kompakte" Zitate
in Zitate 12.03.2009 00:07von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Vielleicht sollte man dann einfach "alter Knochen" sagen (eine Art Neutrum).
Weiblich ist die Natur, männlich der Tod, Gott, der Mann (muss man ja auch mal erwähnen, sonst verliert sich das so, zwischen den Absurditäten... )
Art & Vibration
Ungewöhnliche Vorgehensweise im Zitieren aus dem Gedichtband Lawrence Ferlinghetti – Gedichte. Heyne Lyrik Nr. 37, 1980.
Zitate aus diversen Gedichten ebenda (auf Formatierungen und Einrückungen wird verzichtet wegen diesem ganzen HTML-Mist):
...
Ein Dichter wird geboren
Ein Dichter stirbt
Und alles was dazwischen liegt
sind wir
und die Welt
Und die Welt bringt Lügen darüber
tut als hätte sie seine Botschaft verstanden
dabei ist sie aus Dichtung
aber der Welt größter Teil
wünscht ihn einfach vergessen zu können
und seine so seltsamen Prophezeiungen
...
und ein lauter Kriegsdienstverweigerer war
und Gegner der Tode die wir täglich einander geben
...
und die Scheiße aus ihren Flügel schütteln
in Air Force One
Aber sie tun’s nicht
Und die Scheiße fliegt noch immer
Und der Dichter ist jetzt aus der Leitung
und ruft nicht zurück
...
Da wir so wundervoll miteinander fertig sind
Können getrennt in den Schlaf wir gehen
Über Fluren aus Musik, wo der milchweiße Umhang
der Kindheit liegt.
...
Und seine Asche wird gewaschen
von den Gezeiten der See
...
da ein weißes Pferd ohne Reiter
den Kopf der See zuwendet
...
Dichter, heraus aus euern Kammern
Öffnet eure Fenster, öffnet eure Türen
Ihr habt zu lange euch verkrochen
in euern geschlossenen Welten
...
San Francisco verbrennt
Majakowskis Moskau verbrennt
...
sich verfeinernd, bis er nicht mehr da ist
...
Zeit jetzt nur noch für Licht & Liebe
...
Wir haben die besten Geister unserer Generation
zugrundegehen sehn an Langerweile bei Gedichtvorträgen
Dichtung ist keine Geheimgesellschaft,
ist auch kein Tempel.
...
Die Stunde des Om-Sagens ist vorbei,
gekommen die Zeit zur Wehklage,
die Zeit zur Wehklage und Freude
über das kommende Ende
der industriellen Zivilisation.
...
Zeit jetzt, nach außen zu blicken
...
mit weit offenen Augen,
Zeit jetzt, eure Münder zu öffnen
für eine neue, offene Sprache,
Zeit jetzt, mit allen fühlenden Wesen zu verkehren
...
All ihr Zen-Brüder der Dichtung,
All ihr Selbstmordliebhaber der Dichtung,
All ihr langhaarigen Professoren der Poesie,
All ihr Gedicht-Rezensenten,
die ihr das Blut des Dichters trinkt,
All ihr Poesie-Polizisten –
Wo sind Whitmans wilde Kinder,
...
Dichter, steig herab
noch einmal auf die Straßen der Welt
...
mit ...
einer Stimmgabel im inneren Ohr,
unter der Oberfläche anzuschlagen
...
der mächtige Würfler hinter dem Kartengeber
...
der heile Mann
der alle Welt zusammenhält
wenn alles gesagt ist und getan
im wilden Auge weiten Auge
des Herzbuben
der in einer Haustür steht
gekleidet in Sonne
...
ein Anarchist unter den Abteilungsleitern
...
Verlorene Seelen beim Abstieg durch
Dantes sieben Kreise
...
Atemlose Stille liegt über der Schnellstraße heute Abend
Jenseits der Betonränder
versinken Restaurants in Träume
mit Kerzenlicht-Pärchen
...
derweil der Hudson seine Dickichte wieder einnimmt
und Indianer ihre Kanus zurückverlangen
...
Ein schneller Wagen ist nötig
um ein Doppelleben zu führen
in dieser Zeit kurzfristiger Liebesaffären
...
und ein Exemplar Khalil Gibran oder Rod McKuen
unterm Armaturenbrett
neben Kassetten mit indischer Musik
Tarotkarten und das I Ging
ins Handschuhfach gestopft
...
Samen Meeresschaum geblasen
in Mutterleibhöhlen
ausgeworfen
aus dem Leib des Seins
...
des schlechten Atems moderner Dichtung
und la voce del popolo
während die Welt tiefer und tiefer sinkt
ins Kali Yuga
Es bläst ein hoher Wind
Pass auf
wenn die Scheiße gegen den Ventilator fliegt
Kolibri Kolibri stirb zur rechten Zeit
Doch der Geist ist noch immer die Sonne
die durch den Himmel reist
Und auch der Geist erhebt sich
Abrazos revolucionarios
mis hermanos del Sur
...
(etwa auf Seite 34 von 117 bis dato, vielleicht „bringt’s“ ja jemandem was)
RE: Kürzere und "kompakte" Zitate
in Zitate 02.05.2009 01:10von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Henry Miller - Big Sur
Der Künstler braucht im Anfang vor allem das Vorrecht, mit seinen Problemen in Einsamkeit ringen zu können - und dann und wann ein gutes, saftiges Beefsteak.
Art & Vibration
RE: Kürzere und "kompakte" Zitate
in Zitate 04.05.2009 22:03von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
(Aragon "Pariser Landleben")
Art & Vibration
Zitat von n Handke-ZitatAus der Erzählung von Peter Handke - Das Umfallen der Kegel von einer bäuerlichen Kegelbahn, hier in Der Rand der Wörter.
Der Taxifahrer schaltete das Radio ab. Erst als sie schon einige Zeit fuhren, fiel dem Studenten auf, daß in dem Taxi gar kein Radio war.
Zitat von Pynchon - Die Enden der Parabel
Der Tod steht in der Küchentür und beobachtet sie, eisern und geduldig, mit einem Blick, der sagt: Versucht mal, mich zu kitzeln.
„Die Welt, wie wir sie kennen, hat sich nicht aus der Tyrannei von Tyrannen entwickelt, sondern aus der Tyrannei menschlicher Habgier, Unwissenheit, Brutalität und Gehässigkeit. Der böse Tyrann ist in Jedermann!“
Philip Roth: Mein Mann, der Kommunist
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Kürzere und "kompakte" Zitate
in Zitate 21.06.2009 15:06von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
... es kommt nicht auf unsere Bedeutung an. Dass ein Leben ein wirkliches Leben gewesen ist, es ist schwer zu sagen, worauf es ankommt. Ich nenne es Wirklichkeit, doch was heißt das! Sie können auch sagen: dass einer mit sich selbst identisch wird. Andernfalls ist er nie gewesen.(...)
Ich rede sehr unklar, wenn ich nicht zur Entspannung einfach drauflos lüge? Ablagerung ist auch nur ein Wort, ich weiß, und vielleicht reden wir überhaupt nur von Dingen, die wir vermissen, nicht begreifen. Gott ist eine Ablagerung! Er ist die Summe wirklichen Lebens, oder wenigstens scheint es mir manchmal so. Ist das Wort eine Ablagerung? Vielleicht ist das Leben, das wirkliche, einfach stumm - und hinterlässt auch keine Bilder, Herr Doktor, überhaupt nichts Totes!
(Max Frisch in "Stiller")
Ein Satz zum Hineinlegen.
Manchmal erscheint es mir allerdings auch im umgekehrten Sinne, als ob einige reden, weil sie denken, sie würden etwas begreifen.
Art & Vibration