HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Nunja. Auf Seite 63 ist mir noch nicht klar, wo de Reise hingehen soll, was der rote Faden sein wird, auf was das Geschriebene in seiner Gesamtheit abzielt.
Das Gespräch in Kapitel 5 zwischen Litwinow und Potugin ist ja ein konzentriertes völlig losgelöstes Statement. Ein Extrakt, der den Rahmen des Romanes nicht benötigte. Und beide Personen verkörpern sicherlich Turgenjews Sicht der Dinge. Dass bei dieser klaren und unmissverständlichen Einschätzung Dostojewski völlig ausgetickt ist, erscheint nur zu verständlich. Das ging ihm mit Sicherheit völlig gegen Strich. Da freue ich mich nun auf die hoffentlich ebenso explizit gezielten Angriffe auf die Slawophilen.
Ich bin nun neugierig, welche Handlung sich entspannen wird.
Sehr entgegenkommend, sein zu Weilen ironischer Ton, bei der Beschreibung der Personen. Da darf man dann schon mal schmunzeln z.B. "Da sie zwanzig Jahre jünger war als ihr Mann, hatte sie diesen auf ihre Art, so gut wie sie es verstand umerzogen . . "
Für mich sehr nachvollziehbar, die Umschreibung des Sprichtwortes Lieber in keiner, als in schlechter Gesellschaft.
""Als Mann indes, den das Leben bereits die Eigenliebe auszutreiben verstanden hatte, wartete er voll philosophischer Ruhe auf den Zufall, wartetet er auf eine Begegnung, die seinem Herzen zusagte."
Mit der philosphischen Ruhe hapert es bei leider noch ;-)
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12 Kapitel: Potugin bringt Litwinow zu "seiner" Irina.
Jetzt also auf Seite 92, möchte ich das erste mal aus Neugier weiterlesen. Wie lange werden die beiden Thema sein - Episode oder durchgehend? Welche Rolle kommt Potugin zukünftig zu?
Die erste Begegnung mit Irina binnen den Offizieren, war eine doch recht plakative Beschreibung. Ein Wortgefecht von 4 Sätzen unter den Offizieren hätte sicherlich genügt a) zu erkennen "was der Dichter damit" meint aber auch b) als Grundlage begriffen werden können; für die sich anbahnende Begegnung Irina - Litwinow.
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RE: Iwan Turgenjew
in Die schöne Welt der Bücher 04.12.2010 16:16von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Hallo Jatman, du preschst aber voran... Ich habe das Buch gerade erst aufgeschlagen.
Das Kapitel 5 ist herrlich.
Ja, Turgenjew legt hier die Karten auf den Tisch. Immerhin sind wir in Baden-Baden, aber vielmehr sind es jene Karten seiner Ansichten über die Russen. Hier herrscht Stimmung, Gequassel, Zusammentreffen. Es wird diskutiert, bis die Köpfe dampfen, doch tatsächlich, so sieht man doch deutlich, hat keiner so richtig etwas zu sagen oder möchte sich auf ein Gebiet festlegen. Hier soll nur der Glanz intellektuellen Hervortuns erstrahlen, der laut und wahrscheinlich klingelnd in den Ohren Litwinows nachhallt. Eine Welt an Schall und Rauch, möchte man fast sagen.
Potugin fasst es hinterher so schön zusammen:
Zitat von Turgenjew
Kommen zehn Deutsche zusammen, nun, so stehen natürlich Schleswig-Holstein und die Einheit Deutschlands auf der Tagesordnung. Kommen zehn Franzosen zusammen, so erzählen sie sich, mögen sie sprechen, worüber sie wollen, am Schluss unweigerlich Zoten. Kommen jedoch zehn Russen zusammen, so erhebt sich augenblicklich – Sie hatten ja heute Gelegenheit, sich davon zu überzeugen – die Frage nach der Bedeutung und der Zukunft Russlands, und zwar in ganz allgemeinen Zügen…
… also nur oberflächlich, einzig, um den Russen zu verteidigen, der diesem Land nur zu häufig entkommen will, vielleicht auch sich selbst zu verteidigen, denn einige behaupteten doch auch, aus dem Westen mehr für Russland tun zu können. Das ist überhaupt ein eigenartiger, bis heute erhaltener russischer Zug, die Dinge zu beklagen, jedoch das Land zu verteidigen, die Menschen und selbst die Regierung, wagt nur einer, etwas dagegen zu sagen.
Zitat von Turgenjew
In früheren Zeiten hätte man von ihnen gesagt: Sie sind blinde Werkzeuge höherer Gewalten.
Scheinheiligkeit ist das, was aus solchen Reden leuchtet, denn während diskutiert wird, Russland gelobt und verändert werden soll, richtet man sich nach der Entwicklung des Westens, kopiert ihn, lebt in ihm oder bereist ihn, um dann von überall zu erklären, wie schrecklich er ist, während Russland das wahre Land an Bedeutung und Kraft ist, ein Land, das auf dem Weg ist.
Zitat von Turgenjew
Die Regierung hat uns von der Leibeigenschaft befreit, und wir sind auch dankbar dafür; aber die Sklavengewohnheiten sind viel zu tief in uns verwurzelt, als dass wir uns so bald von ihnen frei machen könnten.
Wir brauchen immer und überall einen Herrn, und dieser Herr wird in den meisten Fällen eine lebende Person sein; manchmal allerdings ist es auch eine sogenannte Richtung, die Macht über uns gewinnt.
Das sind klare Worte Turgenjews, oder in diesem Fall, Worte Potugins – (was für ein Name: Sosont Iwanowitsch Potugin), der mir sehr sympathisch ist. Die Russen sind in seinen Augen…
Zitat von Turgenjew
...Die reinsten Knechte! Unser Stolz ist knechtisch, und knechtisch ist auch unsere Erniedrigung. Erscheint ein neuer Herr, heißt es: Nieder mit dem alten!
Und die Geschichte hat es auch gezeigt, dass Russland genau diesen Weg ging. Gewalt wurde durch Gewalt ersetzt und mit Gewalt erzwungen. Knechte denken nicht, sondern lassen sich durch wenige Stimmen führen. Wenn einer schreit: „Nieder mit dem Alten!“, dann finden sich etliche Unzufriedene, die nur aufgrund ihrer Unzufriedenheit das Neue akzeptieren, ohne es zu hinterfragen. Alles ist durchtränkt von Niedergeschlagenheit und einem Auf-das-Morgen-Hoffen. Das sind jene Wünsche, die der Logik entbehren, die nicht beobachten, sondern nur die Daumen drücken, dass schon alles gut gehen wird. Und zwischen den Meinungen ist die Verachtung füreinander. Das Volk, das sich teilt. Gelehrte stehen dem dummen Volk gegenüber, das Volk den hochnäsigen Gelehrten. Als ob der Glaube an den Bauernrock oder an die Intelligenz alleine schon ausreicht, um etwas zu bewirken und zu verändern. Darunter brodelt der Zweifel: Und wenn wir auch davon enttäuscht werden?
Jeder Russe, der „Rauch“ gelesen hat, musste wohl alleine bei diesem Anfang schon schlucken, weil Turgenjew sich nicht scheut, ihn direkt mit der Nase in die eigene "Hoffnungssuppe" zu tunken. Reaktionen konnten daraufhin (und war ja auch so) nur Zorn, Eitelkeit und Stolz sein, besonders bei denen, die diesen Kampf ausfochten. (So vielleicht auch Dostojewskij.)
Kein Wunder, dass sich die russische Denkweise und auch Literatur, die versuchte, aktuell zu sein, sich mit dem Tagesgeschehen zu befassen, so häufig in Widersprüche verfing (wie auch bei Tolstoi zu beobachten). Alles war halbherzige Entwicklung, die hauptsächlich auf Anklage und Fingerzeigen aufbaute. Der Mensch schloss sich einer Bewegung an und glaubte, damit alleine wäre es schon getan. Die Gelehrten wollten das Bauernvolk aufklären, die Bauern erhofften sich Führung durch die Gelehrten, und beide traten einander trotz allem mit schlimmer Verachtung gegenüber.
Später kam dann wieder der nächste Wechsel an Ansichten und Überzeugungen, da wurde dann ausschließlich der Intellektuelle und Gebildete zum Feind. In den Zeiten Stalins war schließlich "die Intelligencia" eine Beschimpfung, kein Lob. Unübersehbar dabei: Alles führte in gefährliche Entwicklungen und viel vergeudetes Blut.
Art & Vibration
Vorpreschen. Ich hatte halt darauf gewartet und Der Schreck saß mir noch von den Visionen in den Gliedern. Und Turgenjew kommt auch gleich aus dem Tee. Da ist eretwas zügiger und auch nicht so prosaisch unterwegs wie Kollege Tolstoi.
Zitat
Kommen zehn Deutsche zusammen, nun, so . . .
Ja, fiel mir auch auf
Zitat
Das ist überhaupt ein eigenartiger, bis heute erhaltener russischer Zug, die Dinge zu beklagen, jedoch das Land zu verteidigen, die Menschen und selbst die Regierung, wagt nur einer, etwas dagegen zu sagen.
Es gilt vermutlich für alle historisch gewachsenen Diktaturen. Die Menschen sind konditioniert. Das ist über Generationen schlecht zu verwischen. Diktatur bedeutet Sicherheit (die Frau am Postschalter in Petersburg hebt NICHTS an, die verlässt sich darauf, das egal was passiert, da die Post abstempelt. Die meckert den ganzen Abend ihrem Mann die Hucke voll, wie elendig doch das russische Leben sei - Du aber hättest das am Schalter ihr gegenüber nicht einmal leicht andeuten dürfen)
Freiheit heißt im Verantwortung zu übernehmen. Das ist schwer. Immer. Erst recht wenn man es bisher nicht kannte. So steigt die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns beim Umgang mit der Freiheit immens. Dieses Scheitern lässt einen dann die Vergangenheit verklären: Sicherheit ist gut - nicht die Chance auf eigenverantwortliches Leben. Man kann auch kein Zootier beglücken wollen, indem man es einfach frei lässt.
Zitat
was für ein Name: Sosont Iwanowitsch Potugin), der mir sehr sympathisch ist.
Sehr oft sind doch in der Zeit die Namen Abwandlungen von Wörtern die ihre Perönlichkeit unterstreichen sollen. Liegt das hier vielleicht auch so?
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Zitat
. . und plötzlich aber rülpste er, und da stellte es sich gleich heraus, daß er ein Landsmann war,, denn wütend murmelte er alsbald russisch: "Dacht ich`s doch, daß es nicht gut war, Melonen zu essen."
Kein Mitschnitt aus einem östereicherischen Skihotel des Jahres 2010
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Als Irina ihm "auflauerte" und ihr Schicksal ausbreitet, schlägt Turgenjew ja vernichtend zu. Er macht die Elite völlig nieder, mit Irina, einer Stimme aus dem normelen Volke, die diese Welt beurteilen darf, weil sie sie kennengelernt hat. Alles was sie umgibt: hirnlose Staffage.
Hoffentlich geht Putin weiter Löwen besuchen und liest nicht Turgenjew. Den würde er wohl verbieten.
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Kapitel 14 - Was soll man sagen. Potugin macht wieder alles platt. Holla holla.
Zitieren? schwierig. Der hat sein Argumentationsmaschinengewehr auf Dauerfeuer gestellt. Da gibt es keine Lücken oder Pausen. . . . und Litwinow reicht ihm sofort neue Magazine mit Munition nach.
Litwinow fragt Potugin: "Sie sind also Jäger?" Antwort: "Ein wenig . . ."
Da meldet sich also jemand und sagt ein wenig, dabei hat er viele hundert Seiten mit "Den Aufzeichnungen eine Jägers" vollgeschrieben. Turgenjew lüftet, nahezu überflüssig das Visier. Schön gemacht.
Und jetzt nimmt er sich zum Ausklang fast eine Seite Zeit um eine Karrikatur des Russen vom allerverächtlichsten loszulassen:
Zitat
Da schauen Sie, da kommt er, der jeune premier; sein Pelz ist von Marderfell, die Nähte sind alle reich gesteppt, den siebseiden Gürtel schlingt er unter den Achselnn fest, ein Fausthandschuh verbirgt die Faust. . .
nunja usw.
Dagegen sind ja selbst Dostojewskis polemisierenden politischen Tiraden aus seinen Tagebüchern nichts dagegen.
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Kapitel 15 Er zeichnet ein Wandgemälde. Nein er übermalt ein farbenfrohes Bild mit Grau und schwarz. Gnadenlos. Ein Panoptikum.
Zitat
Die echten Russen lachen über ihre eigenen Witze immer zuerst.
Oh wie böse kann er sein, der mir aus seinen Briefen so jovial bekannte Turgenjew.
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Ende Kapitel 15
Gedanklich wechselt Litwinow von Tanja zu Irina. Unabhängig von dem wie es weitergehen wird, Dostojewski hätte sich jetzt 20 Seiten zwischen beiden Seiten hin und her geworfen, um im Ergebnis zwischen den Entscheidungen zu verharren. Nein besser: Litwinow hätte in Folge viele Versuche unternommen, sich gegenüber Gott und der Welt zu erniedrigen usw. usw. Ich hoffe und wünsche von Turgenjew da jetzt weiter anhaltende Stringenz. Ich bin gespannt.
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Anfang Kapitel 19
Da lese ich doch eine Liebesgeschichte?! Kapitel 16 > kitschig aber schön. Nicht gestreckt, nicht langweilig. Kapitel 17 und 18 > eine spannende Sache. Ich jedenfalls ahne nicht weder wie sich die Spannung löst noch wann und wo. Derzeit besteht sie in jdem Fall. Nicht schwülstig sondern schlicht, aber treffsicher bin ich in die Gefühlswelt Litwinows "eingestiegen". Ich leide mit ihm. Ich will auch den Druck, die Spannung loswerden Ich möchte erleichtert werden, auch dem Preis der Traurigkeit und Niedergeschlagenheit.
Bin überrascht - positiv.
Wie ging es Dir bis zum Kapitel 19?
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Kapitel 22
Mich beschleicht das Gefühl, dass Litwinow so wie Potugin enden wird. Allein gebrochen verloren.
Ich tu mich mit Ziaten schwer. Aber das ist mir die Arbeit wert:
Zitat
Aber freilich fragt die Natur nicht nach Logik, nach unserer menschlichen Logik; sie hat ihre eigene, die wir so lange nicht erkennen und so lange nicht begreifen, bis sie uns eines Tages wie ein Rad überfährt.
Nebenher: Wie bekomme ich den Namen nach das Wort Zitat?
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Auf Seite 190 erschließt sich mir der Titel, in dem Brief den Litwinow an Irina schreibt nachdem Tanja die Stadt verlassen hat.
Zitat
Ich wollte Dir nur das eine sagen, dass aus all diesem Vergangenem, aus all diesem Rauch und Staub gewordenen Bestrebungen und Hoffnungen ein Lebendiges Unvergängliches mir geblieben ist: meine Liebe zu Dir.
Um im alten Bild zu bleiben:
Des Schicksals Rad überfährt uns. Es bleibt nur Rauch und Staub über. Alles ist über den Haufen geworfen.
Inwiefern Turgenjew es für möglich, unmöglich oder gesetzmäßig hält, dass hernach Neues erwächst, werden wohl die letzten Seiten klären.
Der Brief ist doppelt so lang, wie nötig.
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Wie Litwinow nun im Kapitel 26 im Zug sitzt und eher erleichtert ist, als dass er traurig wäre. Ich bin da bei ihm. Ich halte mein Buch jetzt auch etwas gelassener.
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Am Anfang legt Turgenjew sich massiv in`s Zeug. Dann kommt die Liebesstory (für mich kein Bild der Badener Verhältnisse und der Blendrussen) Um abschließend, dann die Rauchmetapher unentwegt zu strapazieren; in die Richtung der russischen Gesellschft und Schall und Rauch ist mir zu weit hergeholt. Der Bezug der Lovestory dazu war mir zugering. Wenn er in der Luft lag, doch dann eher infantil (vielleicht wie bei Frau Holle ;-) aber nicht intellektuell schwergewichtig und gewitzt untergemischt.
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