HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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"Hm... ich finde, du pauschalisierst die Dinge immer zu leicht."
Geht auch ohne Hm ;-) da Du völlig Recht hast. Es ist die fehlende Geduld. Ich habe keine Geduld mir Gedanken zu machen und sie in Worte zu kleiden. Ja, das gibt es. Mir ist auch noch sein Rauch im Gedächtnis. Und dieser inneren Unruhe ist nicht nur meine Oberflächlichkeit geschuldet sondern auch ein gewisses Unvermögen ruhige Momente zu goutieren.
Übrigens, jetzt auf Seite 110, zur Biographie: Sollte eher heißen Turgenjew und seine Mutter. Alle Bezüge zur Mutter erscheinen berechtigt, nehmen jedoch ein zu großes Gewicht ein > eben für meine Ungeduld ;-) Ich kann eben maximal wie eine Regenjacke reflektieren.
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RE: Iwan Turgenjew
in Die schöne Welt der Bücher 04.05.2011 13:16von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Ja, der Schatten seiner Mutter drückte ihn sein Leben lang hinunter. Auch die Liebe zur Viardot ist eine bedenkliche, wobei ich die Gerüchte auch als Gerüchte ansehe, denn wer weiß wirklich, was zwischen den Dreien vor sich ging. Turgenjew spricht von einer unterwürfigen Liebe, einem Füße küssen, was aber mit Vorsicht zu betrachten ist, denn er neigte allgemein in vielen seiner Briefe, ich glaube, auch gegenüber Flaubert und anderen, zu ähnlichen heißblütig liebesvollen Worten. Hier ist die Annahme, dass er in seinen Briefen, alleine aufgrund einer Sehnsucht nach der Schönheit der Worte, weitschweifig offener und herzlicher ist, als er in der Wirklichkeit war, nachzuvollziehen.
Tolstoi sagte über ihn in seinem Tagebuch:
Zitat von Tolstoi
Turgenjew ist zweifelsüchtig und schwach bis zur Schwermut. (...) Er ist zu verurteilen wegen seiner Kälte und Nutzlosigkeit, besitzt aber großen künstlerischen Verstand und fügt niemandem Schaden zu. Er redet schon nicht mehr, sondern schwätzt nur; glaubt weder an den Verstand noch an den Menschen oder an sonst irgend etwas.
(... zitiert aus J. E. Zuniga "Turgenjew")
... fügt niemandem Schaden zu. Ein doch eher gütiges Zugeständnis Tolstois, der an ihm wohl weniger Gefallen fand.
Nein, reflektiere ruhig in deiner Art, aber ich werde dann natürlich trotzdem Auf-Hmhm-en. Oder, vielleicht warte ich dann einfach deinen zweiten Beitrag ab, wenn die fehlende Geduld sich in ein erstes Gedankenkonstrukt verwandelt hat.
Art & Vibration
„denn wer weiß wirklich, was zwischen den Dreien vor sich ging. „
Pflichte ich Dir mal wieder bei. Eine Sache ist fast nie die, als welche sie erscheint. Das wird hier auch zutreffen. Die Beziehung detailliert beleuchtet und an den Punkten, wo sie wirklich interessant sein könnte, gibt wiederholt absolut keine Informationen, nicht einmal Hypothesen: Immer wenn die Beziehung verebbte oder unterbrochen war.
Turgenjew spricht von einer unterwürfigen Liebe, einem Füße küssen, was aber mit Vorsicht zu betrachten ist, denn er neigte allgemein in vielen seiner Briefe . . . ."
Sehe ich auch so. Das ist selbst mir beim Lesen seiner Briefe aufgestoßen, dass er nahezu jeden mit recht „kitschigen“ Liebesbekundungen überhäufte. Selbst A. Herzen gegenüber als sie schon keine Großen Stücke auf sich hielten.
„Zitat Tolstoi . . . glaubt weder an den Verstand noch an den Menschen oder an sonst irgend etwas.“
Jetzt auf Seite 130 kann ich Tolstois Meinung nicht ganz teilen. Turgenjews Argwohn gegen die Leibeigenschaft mündete doch durchaus in Aktivität.
Aber es entsprach vermutlich nicht in der Intention Tolstois.
Da bietet sich doch mal wieder ein hochsensibler fundierter Beitrag von mir an. Immer mehr bin ich geneigt Tolstoi einen verblendeten dogmatisch schnöselhaften Fatzken zu halten. Das nur by the way für alle Fans vom Herrn Oberlehrer.
„. . . . wenn die fehlende Geduld sich in ein erstes Gedankenkonstrukt verwandelt hat. „
Nein tu das nicht. Ich schmeiße einen Brocken hin und Du erstellst dann das Stahlgerüst, baust die Schalung und ich komm gelegentlich mit einer Mischung Beton. Ich allein werde mich kaum zu einem Gedankenkonstrukt vorarbeiten. Ob in Unvermögen und / oder Unfähigkeit begründet sei dahingestellt.
Die psychoanalytische Überlast der Biographie behagt mir nicht. Derartige Betrachtungen sollten eigentlich das Sahnehäubchen für bereits Wissende darstellen.
Turgenjew - ein trauriger, aber nicht missmutiger Zeitgenosse. Das Bild ist jetzt relativ klar, aber die Biographie schleift weiter an dieser Facette des Steins. Mir ist das zu wenig. Ein annehmbares Bild der Person ist bei mir jedoch noch nicht entstanden.
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Ein Traum (1876)
Der namenslose Protagonist und gleichzeitig Ich-Erzähler beschreibt zu Beginn seine Mutter: Eine immerwährende Traurigkeit umhüllt ihr wundervolles Antlitz, sie ist fortwährend in schwarz gekleidet, seit dem der Vater verstorben ist. Aber der Erzähler vermutet hinter dieser Traurigkeit weit mehr, denn manchmal überkommt sie ein Ekel und schrickt vor ihrem Kind zurück.
Ein Einzelkind ist der Protagonist gewesen, ein Sonderling. >Nicht verzogen, noch verbittert, aber Zerrüttet und von schwacher Gesundheit.< Ein Einzelgänger, der viel schläft und träumt. Und ein Traum verfolgt ihn schon recht lange: Der Vater ist nicht tot und er, das Kind, besucht ihn. Dieser ist nicht erfreut darüber, er brummt und geht. Das Kind läuft hinter dem Vater her, doch dieser ist plötzlich verschwunden und zurück bleibt nur das Brummen.
Eines Tages begegnet der Erzähler diesem Mann aus seinen Träumen!
>>Ich konnte mich unmöglich mit dem Gedanken abfinden, dass sich zu einen solchen übernatürlichen, geheimnisvollen Anfang ein solches sinnloses und gewöhnliches Ende schließen könne!<<
Was letztlich „Ein Traum“ ist und was nicht, ob die Wirklichkeit wahrlich existiert, und was mit surrealen Elementen lediglich gekoppelt, oder ein Traum im Traum geträumt wird, bleibt verborgen. Ein schönes Spiel hat sich da Turgenjew erdacht, rein fiktiv wie die meisten Geschichten.
Drei Begegnungen (1861)
Ein Jäger und auch wieder gleichzeitig der Ich-Erzähler begegnet auf dem Rückweg von einer Jagd wieder einmal den Alten, der wie so oft an der Mauer des Anwesen lehnt, und sie plaudern eine Weile miteinander. Anders als bei den anderen Begegnungen mit dem Greis entdeckt der Jäger Licht und auch Stimmen, er vernimmt gar Gesang im Herrenhaus. Ist die Herrschaft da? fragt er seinen Gesprächspartner. Ja, die Damen seien zu Besuch. Doch der Gesang erinnert den Jäger an eine junge Stimme aus Italien, eine sehr attraktive Persönlichkeit, der er vor ein paar Jahren begegnet ist. Und so macht er sich am nächsten Tag auf einen Erkundungszug durch das Dorf um heraus zu finden, wer der Besuch im Herrenhaus ist …
Diese Erzählung verdeutlichst sehr schön das Sprichwort >>wie der Zufall es so will<<, und fast ein Jeder kann eine solch seltsame Geschichte des Lebens erzählen und immer wieder ist man überrascht.
Visionen (1863)
Im Schlaf kommt dem Ich-Erzähler die Vision einer schönen Frau, die ihn bei der alten Eiche erwartet. Er geht aber viele Tage in der Abenddämmerung nicht zur Eiche und immer wieder erscheint ihm die Schönheit im Traum. Dann endlich kommt er der Verabredung nach und tatsächlich trifft er seine Vision an der Eiche. Sie flüstert ihm zu, er solle sich ihr hingeben. Und er geht darauf ein …
RE: Fantastische Erzählung
in Die schöne Welt der Bücher 17.05.2011 20:16von Jatman1 • 1.188 Beiträge
Also Turgenjew ist weder als Person noch mit seinem Werk nach meinem Geschmack.
Das einzige was mir imponiert, ist dass er Bakunin, den Verückten :-) auch noch finanziell unterstützt hat, nach dem es keine Verbindug zwischen beiden gab.
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RE: Aufzeichnungen eines Jägers
in Die schöne Welt der Bücher 16.06.2011 12:34von Krümel • 499 Beiträge
Turgenjew erzählt in seinen Aufzeichnungen von Bauern, die es verstehen zu Geld zu kommen, und von philosophischen Bauern, die zufrieden leben, von Zofen, die heiraten möchten, von Ärzten, die sich in ihre Patientinnen verlieben und von:
„Mein Nachbar Radilow“
Dieses Kapitel beginnt mit einer schönen Beschreibung von alten Lindengärten, die aus alten Zeiten, oft einzig, übrig geblieben sind. In einer solchen Gegend befindet sich der Jäger und schießt nach einer Schnepfe, aber „Ach“, er schießt ganz knapp an einer jungen Frau vorbei … man wird zu Tisch bei diesen Gutsleuten gebeten. Raff-zaff ohne große Erklärung. Man geht zu Tisch und Fjodor Michijitsch setzt seine Narrenkappe auf, tanzt und zupft an seiner Geige, er ist ein ehemaliger Gutsherr und lebt beim Gastgeber Radilow zur Belustigung. Dann wird Radikow kurz umschrieben, ein typischer Gutsherr, der beim Essen von der Landwirtschaft und Ernte, vom Krieg, vom Klatsch und den Wahlen spricht – Aber! innerlich selber keine Leidenschaft verspürt. Er schnauft und seufzt, hadert mit dem Schicksal, ist unzufrieden … Woran liegt es? Ist es die große Melancholie der Russen? Die politische Lage? – fragt sich der Leser. Doch dann erzählt Radilow, dass seine Frau bei einer Geburt verstorben ist und das ist sein Los und seine Traurigkeit – Alltäglichkeiten.
„Kassjan aus Krassiwaja-Metsch“
Eine wunderbare Geschichte, die so ganz klar und deutlich aufzeigt, wie anders denkende Menschen schnell ein Mäntelchen übergeworfen bekommen, dass sie nämlich dumm seien:
>>Ach was …! Wie kommt er dazu! So ein Mensch! Mich hat er übrigens von den Skrofeln geheilt … Wie kommt er dazu! Ein ganz dummer Mensch.<<
Kassjan lebt zurückgezogen, und legt ganz offensichtlich andere Ansichten und Denkweisen an den Tag. Beispielsweise nimmt er sein Patenkind nicht in der Kutsche mit, sondern lässt sie Zufußgehen. Der Jäger und der Leser erfahren in dieser Situation den Zusammenhang nicht, doch lässt uns gleich unser Vorurteil darauf schließen, dass dieser Kassjan nicht so richtig tickt. Dass es einen anderen, guten Grund haben könnte, darauf kann vielleicht der geneigte Leser kommen, dem Jäger kommt dieser Gedanke nicht. Mir persönlich hat dieser Kassjan sehr gut gefallen ;-)
Tatjana Borissowna und ihr Neffe
Turgenjew beginnt diese Geschichte wieder mit einer sehr schönen Naturbeschreibung, dann schwenkt er zu Tatjana, eine um die 50 Jährige, freundlich und gutmütig. Jedoch hat sie keine Erziehung genossen, spricht kein Französisch, war noch nie in Moskau, kurz sie ist völlig ungebildet, liest nicht, aber wer denkt sie wäre dumm, der liegt falsch! Tatjana hört Männern und Frauen zu, gibt Ratschläge und tröstet. Kurz gesagt >>In ihren Zimmern ist immer schönes Wetter.<< Doch jetzt lebt wieder ihr Neffe bei ihr …
Auch diesmal endet die Geschichte damit, dass im Gegensatz dazu was der Leser denkt die Russin ihren Neffen liebt und vergöttert. Frauen kommen generell bei Turgenjew charakterlich besser weg als Männer.
>>Sein (Turgenjews) Werk hatte großen Einfluss auf die Entwicklung des „melancholischen Impressionismus“ in Westeuropa- Die Erzählungen „Aufzeichnungen eines Jägers“ von 1852 wurden von vielen als Anprangerung der Leibeigenschaft und als soziale Anklage angesehen, in deren Mittelpunkt sehr individuelle, bäuerliche Figuren stehen. In seinen sechs Romanen schilderte Turgenev die Schicksale seiner Helden und verband sie mit sozialen, politischen und ideellen Strömungen im Russland der 1850er bis 1870er Jahre. In „Väter und Söhne“ (1862) verarbeitete er das Thema Generationskonflikt; in späteren Werken neigte er dagegen immer stärker zu Polemik und satirischer Darstellung der zeitgenössischen Probleme.<< (Klappentext)
Das gesellschaftliche Leben wird in den Geschichten gespiegelt und durchleuchtet, manchmal sehr direkt, andere Male auf Umwege. Turgenjews Russland von früher bis in seine Zeiten wird hinreichend unter die Lupe genommen, den Umbruch in Hinsicht auf den Westen und seine Zivilisation, womit das alte Russland so gar nichts anfangen konnte, wird immer wieder thematisiert. Manche Geschichte stecken voll von Übertragungen, so dass eine große Fülle an Interpretation und Deutungen möglich sind, man die Geschichten mit Wonne liest. Doch es gibt auch eine handvoll von Erzählungen die mir nicht zusagten. Diese sind dann zu sehr an Klischees gebunden oder erzählen von Geschichten, die man als Leser schon oft gelesen hat. Aber insgesamt sind die „Aufzeichnungen eines Jägers“ lesenswert.