HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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RE: Paul Léautaud
in Die schöne Welt der Bücher 10.05.2009 15:03von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Auf eine Übersetzung zu warten, ist gewagt, insbesondere, wenn Léautaud nicht allzu bekannt ist.
Art & Vibration
Ja, war auch überrascht ob des Umfangs. Die preisgünstigste Komplettausgabe in Französisch gibt's bei uns immerhin "schon" für 39 Euro aufm Markt (bzw. hier zu beziehen aus Italien). Muss aber trotzdem noch n bisschen für sparen ... Hättse scho gern.
RE: Paul Léautaud
in Die schöne Welt der Bücher 09.07.2009 23:31von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Übersetzung und Nachwort Ernst Jünger, Hauptwort natürlich...Léautaud - nämlich: "In Memoriam":
Der kleine Junge erwacht in Léautaud, als sein Vater stirbt, zumindest seine Erinnerungen an seine Kindheit wie auch das Wenige, was er über seine Eltern weiß. Léautaud, ganz in seinem Element des scharfzüngigen Wortes, zeichnet ihn noch einmal nach, für sich und die Leser und die Nachwelt. "Wann wurde er geboren, dieser Mustervater..." - so seine ersten Gedanken an ihn, die schon einiges in ihrem Ausdruck verraten. Der übermächtige Vater, der große Schauspieler und Frauenaufreißer, bei dem jeden Tag andere Frauen die Treppe auf und ab steigen, überwuchert sofort den gekrümmt stehenden Schriftsteller, der unter diesem Schatten leicht verschwindet, der auch seine Mutter wieder aus der Vergangenheit zurückholt, die erst eine Ménage à trois mit dem Vater eingeht und dann Kind und Mann verlässt, um Theater zu spielen und die Liebe nicht zu verlernen. Schnell wird die bittere Zunge Leautauds verständlicher.
Wie heißt es im Klapptext:
Die Kritik hat Léautauds Text bei seinem ersten Erscheinen als den schändlichsten Nachruf auf einen Vater denunziert.
Jünger dazu:
Zitat von Jünger im Nachwort
Gewiss ist es von Ödipus-Stimmung umwittert, doch zugleich von einer unerbittlichen Liebe; es ist die Herausmeißelung eines Charakters aus der eigenen leidvollen Erinnerung...
Ja, nicht nur das Bild seines Vaters wird hier wieder lebendig, sondern auch ganz lautstark Monsieur Léautaud, wie man ihn aus seinen Tagebüchern kennt.
(Bald noch ein paar Worte dazu...)
Art & Vibration
Dagegensein ist nur eine andere Form des Dabeiseins: Von daher: Was sich manche Literaten so verschlüsselt ausdrücken müssen. Tse. Da brauch ich nicht rückgreifen auf die Antike oder Märchen. Léautaud hat seinen Vater also geliebt.
RE: Paul Léautaud
in Die schöne Welt der Bücher 10.07.2009 13:59von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Ich denke, jedes Kind liebt seine Eltern auf eine gewisse Weise... irgendwo... egal, wie nahe oder fern, wie gut oder schlecht sie das Kind selbst geliebt und erzogen haben. Léautaud liebt seinen Vater im leisen Vorwurf, dass er alles hätte besser machen oder wenn schon, dann keine Kinder in die Welt hätte setzen können.
Das Buch teilt sich in zwei Hälften. In der ersten beschreibt er das promiskuitive Treiben seines Vaters. Der Verlust seiner geliebten Amme (die Amme, die er auch „Mutter“ zu rufen pflegte) ist eine schöne Szene, die das erhellt:
Zitat von Léautaud
Dann kam der Tag, an dem mein Vater sich Marie vom Halse schaffen wollte, um größere Freiheit in seinem Honigmond mit einer Neuen zu genießen: meiner künftigen Stiefmutter. Das muss gegen das Jahresende von 1880 gewesen sein. Er war damals achtundvierzig, sie fünfzehn oder sechzehn Jahre alt. Sie wohnte in unserem Viertel und kam allmorgendlich die Rue des Martyrs herab. So sehe ich sie noch mit ihrer Pudelfrisur vorbeitrippeln: klein und herausfordernd. Meinem Vater war sie seit einigen Tagen aufgefallen, wenn er des Morgens zu seiner Kneipe schlenderte (…) Er hatte ihr, wie er es mit Frauen, die ihm gefielen, zu halten pflegte, die Schnur seiner Hundepeitsche um den Hals geschlungen, als ob er sie einfinge. Er war noch ein sehr schöner Mann mit seiner hohen Figur, den breiten Schultern, dem blassen Teint zum tiefschwarz gebliebenen Haar.
Sie waren sich bald einig, und sie schlief mehrere Nächte bei ihm. Meine alte Marie machte ihm deswegen lebhafte Szenen als je, geriet ins Feuer des üblen Beispiels wegen, das er mir gäbe, und mehr noch in diesem Stil. Er brauste auf, sie wollte nicht nachgeben: und er wies ihr die Tür.
Danach zeigt sich, dass Léautaud nicht seinen Vater, sondern insbesondere seine neue Stiefmutter hasst. Zusammen mit dem Verschwinden seiner Mutter wird Léautaud seine Einstellung zu Frauen wohl auch zum Teil daraus gewonnen haben.
In der zweiten Hälfte beschreibt er dann den Verfall und Tod des Vaters.
"Hergott, nun stirb schon endlich und lass uns in Frieden…"
… ein Tod, der ihm ungelegen kommt, weil er gerade „Le petit ami“ veröffentlicht hat.
Beide Hälften – der kindliche Blick auf den Vater, wie auch der erwachsene – veranschaulichen eine tief sitzende Skepsis gegen die Erziehung, die Léautaud erfahren hat. Was deutlich wird, ist das Überspitzte in seinem Bericht, der von tiefer Traurigkeit durchzogen ist, und natürlich von seinem Zynismus, damit keineswegs ein pietätloser Nachruf. Eben ganz Léautaud.
Erst vorwurfsvoll: „Ein Vater. Ein Vater, wie er im Buche steht!“ Und dann, im Blick auf das Grab: „Hoffentlich übermannt uns die Rührung nicht!“
Wo ihn vorher die Besuche beim Vater gelangweilt haben, fasziniert ihn nun das Sterben, weil ihn die Atmosphäre „Tod“ lockt. Die Beschreibungen des Zerfalls erinnern stark an Beauvoir und ihren sehr intim sezierenden Blick auf den alten Sartre in „Zeremonie des Abschieds“, gleichzeitig spürt man die Zuneigung des Sohnes zum Vater, selbst wenn die etwas makaber ausgedrückt wird:
Zitat von Léautaud
Werde ich es je vergessen können: dieses Haupt, in dem eine so tiefe Trauer nistete? Das wäre gut! Zuweilen kniete ich mich am Kopfende des Bettes nieder, um zu studieren, wie seine absonderliche Grimasse sich im Profil ausnahm. Das nennt man Sympathie! Es überkam mich sogar der Zwang, diese Grimasse zu imitieren, und ich überraschte mich noch dabei, als alles schon acht Tage vorüber war.
Witzig ist die Ironie, die er in den ganzen Text eingebaut hat, ausgedrückt durch einen Satz, den seine Mutter verwendete, als sie seinen Vater beschreiben sollte: „Vor allem seine Augen…, es genügte, dass er einen anblickte…“
Dieser Satz in der Schwebe leuchtet ihm nicht ein, er bittet Leserinnen sogar, ihn mittels Brief an ihn darüber aufzuklären, wie er denn nun enden könnte, und legt dann ironisch ähnliche Satzabbrüche noch weiteren Menschen in den Mund. Léautaud war schon beeindruckend in dem, was er auszudrücken verstand und unausgesprochen ließ, dass durch seine zynische Zunge trotz allem das durchschimmert, was er sagen will, denn es geht nicht so sehr darum, ob er seinen Vater nun geliebt oder gehasst hat, sondern um die Traurigkeit, dass der Vater ihn nicht geliebt hat, musste er als Kind ihm doch nur allzu oft bei seinen Eroberungen seiner oftmals minderjährigen Liebschaften im Wege gewesen sein. Léautaud ist einfach enttäuscht von Vater und Mutter und drückt das, was der Vater für ihn empfunden haben muss, eindrucksvoll aus:
Zitat von Léautaud
Er hatte meine Mutter sehr geliebt. ich war damals das Einzige, was ihm von ihr geblieben war, von ihrem Körper, den er so oft umarmt hatte. (…) Das Bild meiner Mutter war allmählich in den Schatten getreten und mit ihm auch seine Zuneigung für mich.
Nach dem Tod bleibt Léautaud zurück und grübelt:
Zitat von Léautaud
Ein anderer Spuk hat sich verflüchtigt: das quälende Bewusstsein unserer Ähnlichkeit! Nachdem man sich von so vielen Bindungen gelöst hat, bleibt die körperliche Verknüpfung mit diesem Toten ärgerlich. Mir scheint dann, dass ich weniger Ich bin, weniger frei und weniger allein. Darüber sinne ich an manchem Abend im Halbtraum, bevor ich einschlafe.
Gleich ihm lang ausgestreckt, verziehe ich mein Gesicht zu jener tödlichen Grimasse, die ich so gründlich studiert habe. Wie sehr ich mich auch dagegen sträube, gewinnt dann unsere Mimik große Ähnlichkeit. In gewissen Verzerrungen komme ich ihm so nahe wie sein Spiegelbild.
Tja:
Glückliches Alter, dem die Idee des Abkratzens so fern liegt, dass man davor nicht einmal für die anderen bangt!
Ich hatte die ganze Zeit gerätselt, in welchen Tagebüchern ich von Ernst Jünger hörte. Gut, dass Jünger im Nachwort über Léautaud und seiner Begegnung spricht und mich daran erinnert hat, dass es Léautauds Aufzeichnungen waren.
Art & Vibration
Falls ich mal so rauschig oder hurtig dazwischen......
Aneinanderreihungen von belanglosen Projektionen die aus meiner schüchternen Perspektive eher das vermeintliche Selbst bespiegeln, sind mir inzwischen "literarisch" belanglos,in dem Heute der Bewußtseinsführung wohl mir nur ein romantisches Stelldichein, also die Selbswertnährung einer Reibung an den erst Beziehungskonflikten und der Suche nach Idendität.....
Diese Meinung gewinne ich nur aus den "Zitaten", was vielleicht sehr kurzsichtig, denn den fließenden, zusammenhängenden Text hab ich nicht inhaliert!
Zitat von Léautaud .......Werde ich es je vergessen können: dieses Haupt, in dem eine so tiefe Trauer nistete? Das wäre gut! Zuweilen kniete ich mich am Kopfende des Bettes nieder, um zu studieren, wie seine absonderliche Grimasse sich im Profil ausnahm. Das nennt man Sympathie! Es überkam mich sogar der Zwang, diese Grimasse zu imitieren, und ich überraschte mich noch dabei, als alles schon acht Tage vorüber war.
Welcher junge Heranerwachsene tut dies nicht, bzw. ist in den ersten Jahren der soziologischen Selbstbestimmungen damit beschäftigt? Ungewöhnlich könnte der Ort dieses Studium sein, also der Zeitpunkt und die Perspektive der Immitationsübung, doch Immitation ist der Schlüssel jeder Erstentfaltung, ob körpermotorisch oder geistig!
Poetisch ist dies aus dem Zusammenhang mir nicht ersichtbar....Ein Haupt in dem Trauer nistet......ist eine schöngeistige Umschreibung, doch welche Trauer, in diesem Momment währe der Anfang einer Poetisierung.......
So, dies als Unwissender.....
doch Euch viel Freude bei den Zeilen!
Gruß, dadd A
RE: Paul Léautaud
in Die schöne Welt der Bücher 10.07.2009 17:24von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Ach was, belanglos ist gar nix, solange irgendjemand irgendeinen Nutzen daraus zieht. In diesem Urteil könnte man 80 Prozent der gesamten Literatur mit einem Wisch in diese Schublade abtun.
Léautaud reiht nicht belanglose Projektionen aneinander, sondern spricht über sich und seinen Vater. Punkt. Hier ist das Interesse nur dann geweckt, wenn man sich für Léautaud interessiert. Die Suche nach dem "Höheren" (wie hoch auch immer es sein mag) sei anderen Büchern und - im Sinne Léautauds - auch anderen Schriftstellern überlassen.
Oder, mit den Worten Jüngers:
Zitat von Jünger
Der Dichter ist nur der Sprache verpflichtet, nicht der Nation, der Weltanschauung, der Partei. Léautaud hat das erkannt, indem er sagte: "Mein Vaterland ist die französische Sprache, nicht die Nation."
Welcher junge Heranerwachsene tut das nicht? Na... die, die es eben nicht tun.
Art & Vibration
Nochmals...für mich ist es so. Also nur so subjektiv geschnurzelt. Und wofür ein Schreiberling mir zuständig...wohl janz einfach: Meinen Rezipienten bewegen, mir neue Reflektionen zu spiegeln....sonst ist dies mir Unterhaltung und die ist mir belanglos!
Was dies mit Welantschauung und Projektionen meinerseits ist mir Unterstellung sowie mir nicht verständlich? Ich teile wie ich vorsichtig ausdrückte nur meine Rezeption der Zitate mit, es ist keineswegs ein herabwürdigen dieser literarischen Stimme sowie auch keine Beurteilung der Leserschaft die sich an dieser Stimme erfreut!
Dolleranz?
RE: Paul Léautaud
in Die schöne Welt der Bücher 10.07.2009 17:44von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Eine reine Betrachtung von Belanglosigkeit oder Nichtbelanglosigkeit. Ebenfalls subjektiv. (Betrachtungen einer Leserin).
Weltanschauung war nur Beispiel und hat nix mit uirer zu tun. Neben dem, dass der Schreibende sich nicht gezwungen fühlen muss, sich politisch oder moralisch durch seine Literatur auszudrücken, will damit auch gesagt sein: Der Schreibende ist nicht verantwortlich für das, was aus seinem Werk gezogen wird. Das Werk und der Leser stehen für sich selbst.
P.S. Ich glaube, an Léautauds Stimme kann man sich gar nicht so recht erfreuen. Das würde er auch gar nicht wollen.
Art & Vibration
Ach...danke über den literarischen Aspekt der Rezeptoren Analysis.....
Vielleicht nehmens mal dadd Fussel vom Gas sonst schebberts noch.....gewaltig.......
Sie haben unterstellt das ich andere Aspekte als die von mir Formulierten in einem Text suche und ich habe meine gegen ihre Subjektive gestellt und dies ausdrücklich aus meiner Zitatbetrachtungen.
Und ob der Herr Literat meine Supjektive mit einem Disput gewürdigt hätte stehet auch in den Sternen,gell?
Ich sehe, mein Eindruck erhütz so manches Gemüth, dass wollte ich nicht und ich stehe der Debatte gegenüber offen, also wenns ernsthaft interressieret, wadd ich so denk, dann lese ich den Autor und scheue nicht davor auch selbig Wahrnehmung ab der ersten Zeile in Frage zu stellen. Doch wie man liest oder net, bzw. wie Kunst interpretiert oder rezensiert, werte Dame, da lassens mal net den ollen Gaul ins plaudern kommen....nüch?!
So....nüchts für ungut, Pace 2009
RE: Paul Léautaud
in Die schöne Welt der Bücher 10.07.2009 20:54von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge