HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Gedanken zum Buch:
DAS NEUE LEBEN
Ich halte hier nur ein paar Gedanken und Notizen fest.
Die eigentliche Leserunde findet HIER statt.
Inhalt:
In Antwort auf:
Eines Tages las ich ein Buch, und mein ganzes Leben veränderte sich. Osman, der Ingenieurstudent aus Istanbul, verfällt nicht nur dem rätselhaften Buch, sondern auch der wunderschönen Kommilitonin Canan. Er beschließt, sich auf die Suche nach der fremden Welt zu machen - ein lebensgefährliches Unternehmen.
Osman liest also ein Buch und ist sofort völlig überwältig, spürt den Sog aus dem Buch. Sein ganzes Leben ändert sich dadurch.
Bei mir öffnet sich hier sofort die Phantasie. Die Sprache von Pamuk ist angenehm, man ist sofort mittendrin.
Diese völlige Wandlung beim Lesen dieses Buches kann ich gut nachvollziehen, gerade, weil es mir mit so manchem philosophischem Werk ähnlich erging. Die Welt hat sich verändert, eben weil sich der eigene Blick geändert, geweitet hat. Man sieht mit neuen Augen auf das Leben, mit anderem Wissen. Das Buch öffnet ein neues Empfinden, birgt gar kleine Antworten auf mächtige Fragen.
Pamuk deutet den Inhalt des Buches zunächst nur an, was Freiraum zum Phantasieren lässt.
Das Licht, das hier aus dem Buch strömt, scheint mir für den außergewöhnlichen Inhalt zu stehen, so dass der Mensch, der Lesende, geblendet wie auch erleuchtet wird.
Auch diese Einsamkeit ist ein schönes Zeichen für das Buch, das verändert hat. Vielleicht lief hier jemand zuvor noch halbherzig durch die Welt, hinterfragte nicht, durchdachte nicht, und nun, wo sich so viel neue Sicht offenbart hat, steht man zunächst völlig alleine inmitten der anderen Menschen, für die sich nichts verändert hat, die noch laufen, wie zuvor man selbst. Und durch diese Ratlosigkeit fühlt man sich dem Inhalt des Buches noch näher.
"Der Wegweiser durch ein wildes, fremdes Land."
In etwa ist hier ein Mensch, der jeden Tag den gleichen Weg nimmt, auf dem er auch wieder zurückkehrt, und nun, durch das Lesen dieses Buches, eine kleine Abzweigung genommen hat, die ihn auf einmal in eine völlig fremde Gegend führt, in der er sich nicht auskennt, und die dadurch bedrohlich auf ihn wirkt. Nur das Buch leitet ihn, was ermöglicht, dass er wagt, weiterzugehen.
Und, was passiert, wenn man erst einmal eine neue Richtung gegangen ist? Es ist nicht mehr möglich, einfach auf die gewohnte Strecke zurückzukehren, mit dem Wissen um die Abzweigung.
In Antwort auf:
Es ging um eine Reise, ständig ging es darum, alles war eine Reise.
Ein Reise wohl durch die eigene innere Landschaft.
In Antwort auf:
So verwandelten sich beim Lesen und Weiterlesen meine Anschauungen in die Wörter des Buches und die Wörter des Buches in meine Anschauungen.
Bei guten Büchern passiert das öfter, nicht alleine, dass man sich selbst wieder erkennt, sondern, dass man nach dem Lesen nicht mehr weiß, wie man vorher anders denken konnte, weil sich der ganze Geist gewandelt hat.
Den eigenen Tod, den Osman hier zwischen den Zeilen wahrnimmt, empfinde ich so:
Es ist kein eigentliches Sterben, sondern nur das Verlassen des einen Lebens, um in das andere, neue (veränderte) einzutauchen. Das passiert bei bestimmten Umschwüngen immer. In einem ganzen Leben reihen sich verschiedene Leben aneinander, die völlig abgegrenzt nacheinander folgen. Wie Räume, die sich auftun, neue Erlebnisse, die den Menschen prägen und somit verändern. Manchmal reicht schon ein Umzug in eine andere Stadt, wobei man seine alten Gewohnheiten hinter sich lässt und den neuen, sich bietenden Gelegenheiten folgt, sich neu einrichtet. Ein neues Leben, in dem das alte nur noch bedingt Platz hat. Das Buch öffnet etwas, was wir erst einmal nur ahnen können.
Ein Aufbruch, ja... zunächst in Furcht, dann mit der Erkenntnis, dass das Leben nun bereichert ist.
Art & Vibration
RE: Orhan Pamuk
in Die schöne Welt der Bücher 15.08.2007 21:41von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Spätestens ab dem zweiten Kapitel bin ich irritiert. Auf einmal schlägt die ganze Szene um, wo ich noch diese Tiefe des Buches erfassen wollte, ist nun das mystisch Verklärte eingetroffen, das Buch greift sich seine Leser, ein seltsames Geheimnis wölbt sich daraus hervor, irgendwie gerät alles in ein irritierendes Spektakel. Fast könnte man meinen, das Buch wird hier lebendig. Mehmet hinterlässt keine Spuren im Sand? Wird angeschossen und keiner hat etwas gesehen? Im Krankenhaus keine Spur von ihm?
Hier kann man selbst als Leser erst einmal nur als Beobachter fungieren. Canan und Mehmet streiten sich. Er ist blaß und müde. Alles wohl Hinweise.
Das Buch wird immer nachts gelesen und fördert so auch die Schlaflosigkeit beim Protagonisten.
Gut fand ich, wie Osman hier nur noch einen Studenten imitiert, weil alles sich verändert hat, als liefe er in eigener kleiner Welt umgeben von der großen.
Den Verdacht auf Illusion und Osmans subjektive Sicht auf das Geschehen, ist mir auch gekommen.
Wir sehen hier, wie sein Blick in die Welt völlig beeinflusst wird von dem, was er gelesen hat. Alles hat nun Verbindung mit der Welt aus dem Buch.
Ich bin auch gespannt, wie es weitergeht.
Auch muss ich sagen, dass ich Pamuks Schreibstil modern finde, was ich so gar nicht erwartet habe. Ich dachte, er schriebe "traditioneller", habe vorher noch nichts von ihm gelesen. Aber, das gefällt mir. Scheinbar ist hier der Einfluss bemerkbar, den er sich angeeignet hat, als er in Amerika gelebt hat.
Dass hier mit Tiefe und Vielschichtigkeit gearbeitet wird, dass ein Geschehen nicht einfach als das steht, wie man es liest, macht sich in den kleinen Abschweifungen bemerkbar. Das weckt auch diese Spannung, diese Überlegungen.
Und ein Buch, das verwirren kann, ist schon mal nicht schlecht.
Herrlicher Satz:
In Antwort auf:
Mir war schmerzhaft bewusst, dass die Kette von Eindrücken, die wir von dieser Welt bekamen, nur aus einer Serie falsch verstandener Zeichen und bestimmter blind übernommener Gewohnheiten bestand und dass sich die wahre Welt, das wahre Leben, entweder innerhalb oder vielleicht auch außerhalb davon, aber jedenfalls nahebei befand.
Mir scheint, dass Pamuk hier auch schöne Angriffe auf die Medien macht.
Das Fernsehen mit dem kalten Licht, überall wird nur ferngesehen, wenn er durch die Strassen irrt, oder im dritten Kapitel bei Canans Familie:
In Antwort auf:
Das Fernsehen sendete Nachrichten.
Zweideutig.
Überall sendet der Flimmerkasten.
Das Fernsehen also als ständiger Begleiter der Menschen, die nicht „erfüllt“ sind, während dagegen Osman das Buch liest, und zwar mehrmals und immer in den Nächten. Er tauscht somit die körperliche Ruhe, den Schlaf gegen das Lesen aus.
Auch spricht Osman von verschiedenen Werken, die Menschen verändert haben. Es ist immer ein Schwanken zwischen der Mystik und dem philosophischen Hintergedanken, während das Fernsehen überall nur blaues, kaltes Licht ausstrahlt.
Das Licht des Buches dagegen ist warm, durchströmt den Raum, den Menschen, genauer:
In Antwort auf:
Während der Lektüre schien manchmal das Licht, das dem Buch entströmte, so kraftvoll, so hell zu sein, dass ich meinte, nicht nur mein am Tisch sitzender Körper und meine Seele hätten sich gänzlich aufgelöst, sondern alles, was mich zu mir selbst machte, sei mit dem Lichtstrahl des Buches zunichte geworden.
Ein schöner Hinweis, darauf, dass die Welt, wie Osman sie erlebt, nicht mehr nur realistisch ist.
In Heiligenbildern wird dieser Lichtstrahl ja sehr oft verwendet. Das Licht erleuchtet einen Menschen, macht ihn zu etwas Besonderen, der Glaube als Lichtstrahl…, Trost. Hier spricht viel Mystizismus, so kann ich mir gut vorstellen, dass das Buch eben diesen Inhalt enthält.
Art & Vibration
Hallo Taxine,
die Sache mit dem Fernseher hast du sehr schön dargelegt. Der Fernseher als Symbol des weltlichen Konsums.
Im dritten Kapitel entdeckt Osman ein Bild von Canan, auf dem die neunjährige in einem "Engelkostüm mit kleinen Flügeln" zu sehen ist. Daraus folgt, Osman ist auf der Suche nach dem Göttlichen. Im Sufismus ist der Sufi ein Liebender und Gott ein Geliebter. Das passt irgendwie zu unserer Geschichte. Auch in dem Roman "Das schwarze Buch" schreibt Pamuk über sufische Mystik. Also gar nicht so abwegig.
Liebe Grüße
Martinus
PS: Es freut mich, dass du das Buch liest.
Hallo Martinus,
das war schon eine schöne Empfehlung von dir. Ich bin ja in der Buchhandlung immer am Pamuk vorbeigeschlendert, weil mich das "Türkische" nicht so gereizt hat. Nun kann ich aber mit Beruhigung sagen, dass Pamuk herrlich "welterprobt" und modern schreibt.
Diesen weltlichen Konsum hält er so schön lapidar nebenbei fest. Die Menschen, die in ihren Kaffeehäusern sitzen und Karten spielen, über ihnen der Fernseher. Man sieht sie richtig vor sich. Das und die Namen beinhalten natürlich die türkische "Tradition", was mir sehr gefällt. Irgendwie ist es schön, wenn man ein bisschen das Land spürt. Bei den Russen das Russische, bei den Franzosen das Französische... Ein bisschen Umgebung muss immer ins Wort gefasst sein.
Es gibt ja von der Süddeutschen Zeitung Bibliothek jetzt "Rot ist mein Name" als dicken Wälzer. Hast du den auch gelesen?
Liebe Grüße
Taxine
Mir scheint, für Pamuk spielt auch die Farbe eine große Rolle.
Schwarz, Rot, ...
Im Moment grübel ich, ob Osman nun bei dem Unfall gestorben ist oder nicht, und was überhaupt diese ganze Szene bedeutet. Ich meine, hier steigt er ja regelrecht in die neue Welt, als Toter, als Lebendiger?
Auf jeden Fall beklaut er die Toten, das spricht für viel Lebendigkeit.
Aber hier auch nun wieder: Die Wandlung durch das Buch trieb ihn dazu, auf einmal die echte Welt nicht mehr ernst zu nehmen und fremde Menschen anzulügen. Dieser grausame Griff in die Taschen der Toten (eine Fahrkarte, Geld, eine Heiratsurkunde) kann ebenso Zeichen für den Eintritt in die andere Welt sein.
Sie tragen die Toten aus dem Bus, damit sie frieren. (S. 66 und auch S. 67)
Fast möchte ich glauben, Pamuk spielt hier mit verschiedenen Vieldeutigkeiten.
Herrlich...
Liebe Grüße
Taxine
Osman, ob tot oder lebendig, entdeckt nun, dass die Fahrten mit den Bussen, die er macht, um die verschwundene Geliebte Canan (Engel) wiederzufinden, nichts bringen und konzentriert sich auf die Unfallstätten.
Nachdem er erkannt hat:
In Antwort auf:
WAS IST ZEIT? EIN UNFALL! WAS IST LEBEN? EINE ZEIT! WAS IST DER UNFALL? EIN LEBEN, EIN NEUES LEBEN!
kommt mir der Verdacht, dass der Übergang von Leben in den Tod die Schnittstelle ist, an der eine Begegnung mit Canan möglich ist.
Vielleicht sind sie sogar alle drei (einschließlich Mehmet) tot?
RE: Orhan Pamuk
in Die schöne Welt der Bücher 15.08.2007 21:46von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Osman, ob tot oder lebendig, entdeckt nun, dass die Fahrten mit den Bussen, die er macht, um die verschwundene Geliebte Canan (Engel) wiederzufinden, nichts bringen und konzentriert sich auf die Unfallstätten.
Nachdem er erkannt hat:
In Antwort auf:
WAS IST ZEIT? EIN UNFALL! WAS IST LEBEN? EINE ZEIT! WAS IST DER UNFALL? EIN LEBEN, EIN NEUES LEBEN!
kommt mir der Verdacht, dass der Übergang von Leben in den Tod die Schnittstelle ist, an der eine Begegnung mit Canan möglich ist.
Vielleicht sind sie sogar alle drei (einschließlich Mehmet) tot?
Warum ich auch über den möglichen Tod nachgedacht habe, war diese Suche inmitten dieser ganzen Unfälle. Osman wechselt von den Busfahrten zu den Unfallstätten verschiedener Busse. Wie kann ein Mensch denn immer wissen, wo sich gerade ein Unfall ereignet? Alles ist schwebend, offen.
Aber, man darf Pamuk hier wohl auch nicht zu wörtlich nehmen oder hinter allem etwas deuten und vermuten.
Osman und Canan reisen ja nun gemeinsam, und das Buch birgt eben den Abgrund des Todes.
Trotzdem muss man bedenken, dass Osman das Buch ja auch nicht mitgenommen hat. Vielleicht liegt er darüber gebeugt und schläft und träumt alles nur.
Aber schöne Sätze dazwischen:
In Antwort auf:
Ich schwebte (… ) zwischen Wachen und Schlafen, dem Träumen näher als dem Schlaf, den Geistern der Finsternis draußen näher als den Träumen.
In Antwort auf:
Der Mensch tut meist das Gegenteil von dem, was er denkt oder was er zu tun glaubt. Wenn du in jenes Land gehst, kehrst du zu dir selbst zurück, während du glaubst, das Buch nur zu lesen, schreibst du es von neuem, ich helfe, sagst du, und verletzt… Die meisten Menschen wollen im Grunde genommen weder ein neues Leben noch eine neue Welt. Deswegen ermordeten sie den, der das Buch geschrieben hat.
In Antwort auf:
Die Liebe (… ) gibt dem Menschen ein Ziel, holt die Dinge des Lebens aus ihm heraus und führt ihn, wie ich jetzt weiß, schließlich zum Geheimnis der Welt.
Noch ein Verdacht: Vielleicht ist Mehmet, der Verschollene, Osman!
In Antwort auf:
Canan erklärt: "Ich reise in Mehmets anderes Leben. Aber in jenem anderen Leben war er nicht Mehmet, sondern ein anderer."
(Phantasie... Phantasie. Diese Spekulationen machen viel Freude!)
Und auch dieser Satz, ein Hinweis, als Canan über Mehmet sagt:
In Antwort auf:
Er hat mir erzählt, dass seine eigene Befreiung, sein erster Schritt hinaus ins neue Leben durch einen Verkehrsunfall verwirklicht wurde... Richtig, Unfälle sind ein Überschreiten, Unfälle sind eine Pforte ... In dem magischen Moment des Überschreitens erscheint der Engel, und ebenda wird vor unseren Augen der eigentliche Sinn des chaotischen Zustandes, den wir Leben nennen, deutlich.
An dieser Grenze, an diesem Schneidepunkt von einem Leben in das andere (sie sind ja so gesehen immernoch auf der Suche) muss also etwas Extremes passieren (Verbindung Tod).
Sie schweben auf jeden Fall irgendwo zwischen zwei Welten.
Die Spannung hält an.
Wenn man sich diese ganze Geschichte mal so vor Augen hält, erscheinen alle Menschen, die das Buch nicht gelesen haben, an ihren Stumpfsinn, an ihre Normalität und ihre Gewohnheiten gekettet, während die, die das Buch gelesen haben, eine völlig neue Erfahrung machen.
Gerade im sechsten Kapitel kam ich wieder in die Überlegung.
Wenn nun Canan ein Engel ist (oder so erscheint), und Osman sie gefunden hat, also sieht, schon ganz am Anfang in der Schule, dann ist Osman vielleicht sogar schon vorher gestorben, und das Buch ist ein Totenbuch, eine Suche nach einer anderen Dimension, die Suche nach dem "Paradies"?
Auf jeden Fall scheint der Unfall und der Tod Menschen in die Welt des Buches zu führen, nein, vielmehr scheint das Buch vorher etwas geöffnet zu haben, wodurch Menschen sich nach dem Tod sehnen, oder ihn erwarten.
Schlägt da jemand das Buch auf und sieht Charon?
Ist das Lesen oder Entdecken des Buches vielleicht eine Ankündigung des baldigen Todes?
Ach, es ist unheimlich spannend.
Nochmal zu dem Engelhaften:
Das sterbende Mädchen sagt zu Canan:
"Wie schrecklich ihr seid, ihr Engel..."
Auch hier die Vieldeutigkeit. Meint sie das Verallgemeinterte, also Canan und ihresgleichen, oder meint sie Canan und Osman?
Auch, als Canan und Osman im Kapitel davor auf einmal ihre gute Seite zeigen und auf den Bahnhöfen den Leuten helfen, für sie die Fahrkarten besorgen, auf ihre Taschen aufpassen etc. ... Da ahnt man schon, dass sich hier zwei Seiten zeigen. Einmal Osman, der Geld von Toten klaut, lügt... Dann Canan, die ihre Familie verlässt. Und dann das Hilfsbereite, das Leuchten aus Canans Gesicht.
Auch die Müdigkeit der Leser... Ausgelaugt, weil kurz vor dem Sterben? Schon tot?
Das Buch birgt auf jeden Fall eine dunkle Welt und löst unterschiedliche Reaktionen aus. Auch Hass und Schuldzuweisung.
Man erfährt, dass nur die Dinge wichtig sind, die der Mensch während des Lesens erkennt. Und genau das kann man vielleicht auch auf den Leser von Pamuks Buch. Jeder sieht hier etwas anderes, erlebt die Dinge unterschiedlich.
Osman = Mehmet
Möglich, auch aus den Reaktionen von Canan geschlossen. Zum Beispiel hier, als Osman sie geküsst hat und sie sich wehrt (man bedenke, dass sie ihn am Anfang zuerst geküsst und dadurch einiges ausgelöst hat):
In Antwort auf:
Nein, nein, mein Lieber, (...) du bist nicht er, auch wenn du ihm sehr ähnlich bist. Er ist an einem anderen Ort...
Wenn er sich gewandelt hat, ob tot oder anders, kann er sich aus Mehmet in Osman verändert haben.
Die Verbindung mit dem Sufismus scheint mir richtungsweisend durch das Buch. Ganz grob abgeleitet von den vier Stufen kann man das Buch hier schon im übertragenen Sinn mal erörtern:
1. Auslöschung der sinnlichen Wahrnehmung (hier beim Lesen des Buches, das den Wandel bewirkt und mit neuen Augen blicken lässt)
2. Aufgabe des Verhaftetseins an individuelle Eigenschaften (Zunächst die Veränderung und der neue Blick, der bewirkt, dass man anders läuft und aufmerksamer den ganzen "Stumpfsinn" wahrnimmt. Dann, die Suche. Osman und co begeben sich auf die Suche nach der anderen Welt. Die Aufgabe ist das gemeinsame Erreichen. Die Menschen, die das Buch gelesen haben, lassen Haus, Familie, Leben hinter sich, geben also ihre Gewohnheiten, ja fast ihre Individualität auf.)
3. Sterben des Ego. (Und wo sie ihre Besitztümer hinfort geschmissen haben, finden sie die Erlösung durch einen abstrakten Tod, das Ich ist nicht mehr wichtig, weil das Ich vom Buch geleitet, bestimmt wird, sich in dieses wandelt)
4. Auflösung in das göttliche Prinzip. (Möglich, dass das Finden hier genau das birgt. Die Menschen, auf die Canan und Osman stoßen, wissen, dass sie sterben, wofür sie sterben und wollen auch sterben. Loslassen, Auflösung).
Auch hier die Verbindung:
In Antwort auf:(Wikipedia)
Das oberste Ziel der Sufis ist, Gott so nahe zu kommen wie möglich und dabei die eigenen Wünsche zurückzulassen. Dabei wird Gott bzw. die Wahrheit als „der Geliebte“ erfahren.
Canan - die Geliebte = die Wahrheit.
Und hier:
In Antwort auf:
Durch die Liebe wird der Sufi zu Gott geführt, wobei der Suchende danach strebt, die Wahrheit schon in diesem Leben zu erfahren und nicht erst auf das Jenseits zu warten. Dies spiegelt sich klar in dem Prinzip zu sterben bevor man stirbt wieder, das überall im Sufismus verfolgt wird.
Sie sterben, ohne wirklich zu sterben.
Und geführt wird Osman von seiner Liebe zu Canan.
Art & Vibration
Ja, der Sufismus spielt eine große Rolle. Das andere Augenmerk, worauf sich mein Blick richtet, ist die moderne Türkei.
In Antwort auf:
die Spieluhr, die auf einen Schlag das ganze Problem von Minarett, Muezzin, Lautsprecher und Verwestlichung versus Islamisierung durch eine moderne, ökonomische Lösung aus dem Weg räumt. Anstelle eines Vogels aus der altbekannten Kuckucksuhr waren zwei Figuren mit dem herkömmlichen Mechanismus verbunden. Auf der unteren von zwei Galerien, gebaut nach der Art der Minarettumgänge, erschien zu den Gebetszeiten ein winziger Imam und rief dreimal: "Allah ist groß!", und auf der oberen Galerie zeigte sich zu jeder vollen Stunde ein Spielzeug-Herrchen, glatt rasiert und mit Krawatte, und rief: "Welch ein Glück, Türke zu sein, Türke zu sein, Türke zu sein!"
Ich spüre den Schalk des Autoren hinter diesen Zeilen.
In Güdül werden Osman und Canan als Störenfriede bezeichnet. Man befürchtet, sie könnten die Grundfesten des Staates und des Islams erschüttern, weil sie ein neues Leben verkünden wollen, dabei geht es ihnen nicht darum, das moderne Türkentum zu erschüttern. Darum weicht Osman der Frage, ob er an Allah glaube, geschickt aus. Denn darum geht es nicht.
Pamuk treibt ein Spiel mit dem Leser, wenn er Osman das Gefühl gibt,
In Antwort auf:
es sei irreal, was ich erlebe, auch die kleine Stadt Güdül, die ich vom Fenster aus sah...
So gibt es viele Wahrheiten in dem Roman, viele unterschiedliche Lesarten.
Liebe Grüße
Martinus
RE: Orhan Pamuk
in Die schöne Welt der Bücher 15.08.2007 21:48von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Hallo Martinus,
ja, den Schalk spüre ich auch. Vorher gab's ja auch diese Szene, wo auf einer Wand ganz groß die Verherrlichung der Türken klaffte. :D
Sach mal, sind wir beide im anderen Forum die schnelleren Leser? :-)
Wo hier Canan und Osman nach Güdül kommen, da schwingt mir ein bisschen türkische Tradition entgegen. Männer und Frauen werden getrennt, die Frauen sitzen auf der einen Seite zusammen, die Männer trinken auf der anderen ihren Raki (ein Gesöff, dass sich scheinbar in aller Welt als kleine alkoholische Anregung eingeschlichen hat, der Ouzo in Griechenland ist ähnlich, der Pernod in Frankreich, auch in Japan gibt's da einen... usw.)
Auch hat das alles jetzt etwas von einer politischen Versammlung, wie ich finde.
Hier baut Pamuk wohl die nächste Kritik ein.
Schön fand ich bestimmte Sätze der verschiedenen Menschen:
In Antwort auf:
Mit jedem Atemzug werden wir etwas weniger. Und sie sagten: Wir holen die Dinge hervor, die wir begraben haben.
Oder der zahnlose Greis, der - wie schade, nicht trinken konnte:
In Antwort auf:
Er sagt zu uns, fürchtet euch nicht, dann werdet ihr nicht verletzt sein.
Es heißt ja, dass man das anzieht, wovor man sich fürchtet, wenn man sich aber nicht fürchtet, dann ergreift diese Angst keine Macht, zieht das Befürchtete nicht an und man wird nicht "verletzt".
Lachen musste ich hier:
In Antwort auf:
Dem Freund, der ein Spiel Karten aus der Tasche zog, voll Stolz den "Scheich", den er anstelle des Königs, und den "Knecht", den er anstelle des Buben gezeichnet hatte, vorzeigte (... ), gab ich so nachdrücklich recht, dass wir beide staunten (... )
Da sehe ich Osman direkt vor mir, wie er schwankend von allem Raki und irgendwie euphorisch allem und jedem zustimmt, ohne genau zu hören, was gesagt wird.
Auch erneut erwähnt, das hier:
In Antwort auf:
Die Zeit ist ein Unfall, wir sind hier als Ergebnis eines Unfalls. Auf der Welt sein, das ist genauso.
Wenn man wieder in den Sufismus eintaucht, hört man hier die Klage des modernen Menschen heraus, der sein Ego über alles stellt, der blind läuft und nach allem giert. Darum ist er Unfall, und seine Zeit ist ebenso ein Unfall.
Und zu guter Letzt dann Osman:
In Antwort auf:
Wenn das Leben eine Reise ist, so bin ich seit sechs Monaten auf der Reise und habe etwas gelernt (... ) Mir war meine ganze Welt verlorengegangen, weil ich ein Buch gelesen hatte, und ich bin auf Reisen gegangen, um die neue zu finden.
Liebe Grüße
Taxine
P.S. Martinus, siehst du, so kann man synchron in mehreren Foren schreiben. :mrgreen:
Im LC können wir auch noch zusammenfassen.
Art & Vibration
In Antwort auf:
Sach mal, sind wir beide im anderen Forum die schnelleren Leser?
Ich bin mir nicht sicher. booki hat später angefangen zu lesen, der Internetanschluss von Saltanah ist kaputt (sie schreibt aus dem Internetcafé). Meine Hoffnungen liegen auf dubh. Warten wir doch ein wenig, bis sie wieder schreibt. Das andere ist, im Leserunden-Faq steht drin, jeder habe sein eigenes Lesetempo und man solle von wesentlichen Inhalten nicht zuviel verraten, darum spoilern, wenn nötig (vom spoilern halte ich selber nichts, aber die Administration meint eben, dieses wollen zu müssen).
Ich bin ja schon etwas weiter, die Spannung steigt, die Doppelgängertheorie wird bestätigt.
Im LC gibt es einen Pamuk-Thread.
Hm... dieses Spoilern ist schon vernünftig. (Bis ich mal herausbekommen habe, wie man diese Sorte an Text dann entschlüsselt... ) Nur: Was ist wesentlicher Inhalt. Ich zitiere im Moment nur Sätze, dir mir in ihrer Philosophie gefallen, auch finde ich, dass eine Zusammenfassung der Geschehnisse viel mehr offenbart (wenn man noch nicht so weit ist), als wenn man ein Zitat herausgreift.
Bis jetzt mutmaße ich ja nur, wie sich etwas entwickeln könnte, was hier gemeint ist, usw. davon kann alles und nichts zutreffen. Aber solche herrlichen Sätze, werde ich wohl dann spoilern:
In Antwort auf:
Es war, als ob sich all jene Städte, Dörfer, Filme, Tankstellen und Reisenden, die als Bruchstücke in meiner Vorstellung auftauchten, mit dem Leid und der Unvollständigkeit vereint hätten, die ich irgendwo tief im Innern fühlte, doch ich wusste nicht, ob mir die Trauer von den Städten, den alten, abgenutzten Gegenständen oder den Reisenden zugeflossen war oder ob ich jetzt aus dem Leid in meinem Herzen über ein ganzes Land, über eine Landkarte Traurigkeit austeilte.
In Antwort auf:
Der Ruf der Nacht, das ist im Grunde genommen (… ) als Ersatz unbefriedigt bleibender sexueller Bedürfnisse das Eintauchen in eine finstere Gasse, das Auffinden von ein paar verzweifelten Hunden wie ich, das schmerzlich verbitterte Heulen, das Fluchen auf irgendwelche Leute, das Basteln einer Bombe, die irgendeinen in die Luft sprengen soll, und (… ) das Lästern über die Anstifter der internationalen Verschwörung, die uns zu diesem miserablen Dasein verurteilt haben. „Geschichte“ nennt man, so glaube ich, diese Lästerei.
Und auch bei diesem Satz überlege ich die ganze Zeit, was Pamuk hier wohl andeuten will:
In Antwort auf:
Es ist nicht mehr möglich, wir selbst zu sein. Das hat sogar der berühmte Kolumnist Celal Salik verstanden und daraufhin Selbstmord begangen. Ein anderer schreibt jetzt an seiner Stelle für die Kolumne. Unter jedem Stein kommen sie hervor, die Amerikaner.
Eine Anspielung? Ein kritisches Augenmaß auf alle Manipulation? Sogar auf Amerika? Ein Mensch, dessen Kolumnen Anklang finden, die gerne und oft gelesen werden, stirbt, und er wird durch einen anderen ersetzt, ohne dass die Leute es merken, so dass sie denken, er selbst würde noch schreiben? Wenn diese Kolumnist zum Beispiel kritisch schreibt (gegen Staat, Gesellschaft, etc.), dann ließe sich ein kleiner Umschwung in der Meinung, oder anders gesagt: die böse Manipulation! unter seinem Namen gut vertuschen. Die Menschen glauben die Kolumnen, weil der Kolumnist glaubhaft war und bemerken nicht, dass die Meinung sich langsam wandelt. Schleichend.
Das sind aber nur Abschweifungen. :mrgreen:
Auch der Angriff auf das bissige Verteidigen von bestimmten Kulturen, den der Fremde Osman hier zuflüstert, war interessant.
In Antwort auf:
Kulturen entstehen, Kulturen vergehen. Glaube an ihre Entstehung, wenn sie entsteht, doch greif zur Waffe wie der kleine posauneblasende Spielverderber, wenn sie zusammenbricht! Wie viele von ihnen wirst du töten, wenn sich ein ganzes Volk zu einer anderen Identität bekennt?
Das ist für mich unbedingt ein Angriff auf diese fanatischen Religiösen und die politische Einstellung (dieser fürchterliche Nationalstolz).
Hallo Taxine,
Es gibt beim Spoilern keine festen Regeln (wie auch?), das muss man nach dem eigenen Gefühl entscheiden. Das mit den "wesentlichen Inhalten" ist allerdings ein Problem (Hauptsache, wir verraten den Schluss nicht ) Gespoilerte Texte können gelesen werden, wenn man mit der Maus markiert).
In Antwort auf:
Das hat sogar der berühmte Kolumnist Celal Salik verstanden und daraufhin Selbstmord begangen. Ein anderer schreibt jetzt an seiner Stelle für die Kolumne.
ähliches kommt in dem Roman "Das schwarze Buch" vor, ich weiß aber auch nicht genau, ob das eine Anspielung auf diesen Roman ist (der Kolumnist dort hieß auch Celal).
Liebe Grüße
Martinus
Ich hielt sie übrigens heute alle mal in der Hand, die wunderbaren Pamuk-Bücher. Dieses Verschachtelte, alles Offene und doch Aussagende ist so fantastisch, darum werde ich sicher noch mehr von ihm lesen.
Das Lesen der gespoilterten Texte habe ich herausbekommen, man kann auch öfter mal draufklicken, dann erscheint ein Wort und dann auch der ganze Text in Farbe.
(Man lernt nie aus!)
Zitat von Martinus
ähliches kommt in dem Roman "Das schwarze Buch" vor, ich weiß aber auch nicht genau, ob das eine Anspielung auf diesen Roman ist (der Kolumnist dort hieß auch Celal).
Aaahhh... Das gibt natürlich Sinn. Diesen Kolumnisten gibt es ja nicht wirklich, warum also sollte Pamuk einen gleichen Namen verwenden, wenn er nicht auf ihn anspielen wollte?
Dann werde ich wohl "Das schwarze Buch" als nächstes von ihm lesen, um mir mal mehr Klarheit (bei Pamuk fast schon ein bisschen Ironie, was?) zu verschaffen.
Vielen Dank.
Liebe Grüße
Taxine
Zurück ins neue Leben:
Auch in der Unterhaltung mit dem Biervertreter erspürt Pamuk diese falschen Überzeugungen. Bier sei kein Alkohol, verkündet der Vertreter (schuldbewusst) und zeigt, dass im Bier Luftblasen, also „Sprudel“ wären. Der Glaube beinhaltet, dass man sich keinem Rausch ergibt. Dieses Aufrechterhalten von Tradition und gleichzeitige Brechen der Regel, die Unkonsequenz im Handeln und Glauben. Warum dann nicht frei zugeben, dass man anders lebt? Warum einen Schein aufrechterhalten, um ihn im Versteckten zu brechen?
Dann das Vertrauen zu den zwei zwielichtigen Typen, die sich nur daraus ergibt, dass sie den Augenblick genießen, der sich "zwischen der siegreichen Vergangenheit und der schrecklich elenden Zukunft" befindet und als Frieden ins Herz schleicht. Vertrauen ist hier gleichzusetzen mit Erschöpfung, unausgefülltes Liebesleid, Trunkenheit. Trügerisch!
In Antwort auf:
Hier war das Leben, es war weder dort noch an irgendeinem anderen Ort, weder im Paradies noch in der Hölle.
So viele Menschen laufen, um nach einer möglichen Zukunft zu greifen, oder klammern sich an Altbewährtes, hoffen auf ein Paradies, ein Leben danach und vergessen, das jetzige zu leben. Selbst in so einer Kneipe, wo der "betrunkene Lastwagenfahrer" neben dem "Nähmaschinenvertreter" sitzt und trinkt, zeigt sich das Leben. Ein modernes, dreckiges Leben, wie es viele als normal erachten.
Für mich hier erneut ein Vorwurf auf die moderne Welt von Konsum und Stumpfsinn.
Ja, wer könnte da von Abschaum reden? Osman verkündet:
In Antwort auf:
Wir wollten weder das Leben in Istanbul noch jenes in Paris oder New York; sollten sie alle bleiben, wo sie waren (... ), sollten sie dort bleiben, Radios, Fernsehapparate - auch wir haben einen Bildschirm! - und die grellen Tageszeitungen. Wir haben nur eins: Schau doch, schau in mein Herz, wie dort das Licht des wahren Lebens eindringt.
Ein anderer Blick, ein anderes Leben, nur noch Hülle, und schlimm daran, dass Osman dieses für sich erkennt.
Wo die anderen noch blind laufen und leben, sieht Osman dies alles, sich selbst und muss das "andere Leben" suchen, um wieder Zufriedenheit zu erlangen, weil es für ihn kein Zurück mehr gibt.
In Antwort auf:
Warum denkt der Mensch in Wörtern und leidet unter Bildern? "Ich will es, ich will es!" sagte ich zu mir selbst, ohne zu wissen, was ich eigentlich wollte.
Hehe…die Medien in ihrer Gewalt kann man kaum besser in die Ironie ziehen.
Warum nur lesen die Menschen immernoch, wo sie doch das Fernsehen haben, wo Bilder doch genauso intensiv wirken können? Und dann laufen sie mit weit aufgerissenen Augen wie Zombies durch ihre Städte, nur das Rauschen ihrer Fernseher im Ohr und die sanfte Stimme: Kauf dies, kauf das, atme, bleib stehen, kauf dies, kauf das! :-)
In Antwort auf:
So brachten wir, wenn man uns nachts im Mondschein fragte, was ist Zeit, was ist Leben, was ist Kummer, wenn man fragte, was ist Schicksal, was ist Leid, alles Antworten, die wir einstmals mit dem Herzen wussten, durcheinander…
Ach, was für ein schöner Satz. Durch alle Modernität, alles "graue Leben" wird alle Intuition völlig übertönt, so dass der Mensch sich ohne Technik und Gesellschaft nicht mehr zu helfen wüsste (mit Ausnahmen).
Soweit ich das richtig verstanden habe, wird ein kleines Attentat auf alle Menschen geplant, die diesem tristen Leben frönen, sich nicht an ihre Urinstinke halten, nicht den Glauben an Allah in sich tragen. Hier soll ein Fernsehfilm verwendet werden, der die Menschen aus ihrem Tran reißt, sie mit Licht überflutet und so erstarren lässt. Ein Zusammenschluss an gläubigen Leuten versucht Osman für sich zu gewinnen. Er lässt sich treiben und landet schließlich bei vertrautem Duft und dann bei dem geheimnisvollen Dr. Narin, der der Vater von Mehmet ist, der früher noch Nahit hieß. (Nicht mehr ganz so verwirrend für mich als Leser.)
Auch die Werbenamen sind vom Pamuk gut in Szene gesetzt. Hotel und Restaurants mit Namen wie Frohsinn, Welt oder Guter Geschmack.
Was es mit diesen Bonbon "Neues Leben" auf sich hat, ist mir noch nicht klar. Vielleicht heißt so nur die Marke.
Lustig:
In Antwort auf:
Die Mutter der Gültöchter, der Rosenmädchen, war eine kleine bedrohliche Frau. Nicht nur ihre Blicke, sondern die ganze Haltung besagte, Paß auf, oder ich werde gleich weinen.
Diese Stelle gefiel mir sehr:
In Antwort auf:
Wenn in einer der langen Nächte, die ich mit Canan in den Bussen verbrachte, der Beifahrer auf Drängen eines filmbegeisterten Fahrgastes eine zweite Kassette in das Videogerät eingeschoben hatte, waren wir manchmal minutenlang matt und widerstandslos gefesselt und von einer sehr deutlichen Unentschlossenheit übermannt gewesen, hatten uns einem Spiel überlassen, dessen Zufälle und Zwangsläufigkeiten wir nicht begreifen konnten, und wir fühlten, erstaunt über das erneute Erleben einer früher auf einem anderen Sitz aus einem andere Blickwinkel heraus durchlebten Minute, dass wir vor der Entdeckung des Geheimnisses jener mysteriösen, unberechenbaren Geometrie standen, die sich Leben nennt…
Überhaupt scheint alles nun nur noch wie in einem Bann abzulaufen, einem Ruf, dem man fast willenlos folgt. Osman sagt:
In Antwort auf:
Teilnahmslos, wie einer, dem das Leben entglitten ist, der bei Filmvorführungen einnickt und Bücher ohne Interesse liest, so frage ich, wer das sei, auf dem Foto im Rahmen.
Wenn Mehmet sich aus Nahit entwickelt hat, der in jungen Jahren bei einem Busunfall ums Leben gekommen sein soll, dann kann sich Mehmet genauso in Osman wandeln.
Auch wird der Verdacht immer stärker, dass hier das Kind längst starb und seinem Vater nur darum begegnen kann, weil er selbst tot war. Aber, weil sie beide tot sind, können sie einander nicht erkennen. Die Leben, die sich in einem ganzen Leben wandeln, und der Tod, der alles verändert. Vielleicht schweben sie auch dazwischen, auch dann können sie einander nicht erkennen. Nur ist mir die Rolle von Mehmet noch nicht ganz klar.
Schon als Kind wird Osman (Nahit) von den Bildergeschichten seines Onkel Rifki beeinflusst, der seine Helden auf die Suche nach dem Engel schickt, der nie gezeichnet wurde…
Wenn sich dieses Bild geprägt hat, dann ist klar, dass ebenso ein Buch schließlich diese Suche auslöst.
Dr. Narin vertritt diese Einstellung zur Welt:
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… die Dinge hätten ein Gedächtnis. Im Grunde genommen besäßen Gegenstände genau wie wir die Eigenschaft, ihre Erfahrungen, ihre Erinnerungen aufzuzeichnen, zu bewahren, doch die meisten von uns seien sich dessen nicht bewusst. „Dinge befragen sich gegenseitig, verständigen sich, flüstern miteinander und sorgen für eine heimliche Harmonie untereinander, sie rufen jene Musik ins Dasein, die wir die Welt nennen“…
Vielleicht aber ist Osman nicht Mehmet, nicht Nahit, sondern wird erst noch zu ihnen? Hier ein paar Hinweise.
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Sein Sohn ist in meinem Alter gewesen, als er starb.
erfährt Osman von Dr. Narin, und bemerkt dann ganz langsam:
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... vielleicht, weil ich begann, mich selbst als jemand anders zu sehen.
Die Konsumkultur, die die Menschen schleichend vergiftet:
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Genauso wie die COCA-COLA Trinker, die davon verrückt wurden, es aber nicht merkten, weil alle davon tranken und verrückt wurden.
Dr. Narin ist mir sehr sympathisch, gerade, weil er ein dreiblättriges Kleeblatt finden und sich darüber unendlich freuen kann. Er möchte gegen die Bücher angehen, die im Massenschrieb und Massendruck die Welt überschwemmen, die keine Weisheit bergen, die den Menschen „die Poesie und die Feinheit“ des Lebens vergessen machen wollen.
Sein Sohn sei dadurch „in eine Art „Blindheit“, eine Art „Todesverwirrung“ verfallen, die ihn blind gemacht hätten gegenüber dem ganzen Reichtum des Lebens, das heißt gegenüber der „geheimen Symmetrie de Zeit“, gegenüber der „kleinen Einzelheiten der Dinge“.
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Ich und die Welt, wir fragen uns gegenseitig, warum wir existieren, warum wir zu dieser Stunde hier sind, was ihr und mein Ziel, unser größtes Ziel ist. Nur wenige Sterbliche denken gemeinsam mit der Natur darüber nach. Falls die Menschen überlegen, gibt es nur ein paar armselige Gedanken in ihren Hirnen, die sie von anderen hörten und für ihre eigenen halten, aber nicht solche Dinge ,die sie beim Blick in die Natur entdeckt haben. Sie sind alle schwach, unbedeutend und empfindlich.
Osman soll Dr. Narins Sohn werden, sein „Erbe“, seinen Kampf übernehmen. Vielleicht, jetzt wieder ein anderer Verdacht, wurde Mehmet genau das Gleiche angeboten, so dass er an Nahits Stelle getreten und dann doch dem Buch verfallen ist. (???)
Was mir auch auffällt ist die Landschaft, die sich aus dem „Fernsehland“ in ein kleines Paradies wandelt, mit ewigen Weiten und Feldern, als müssten hier Phantasiegeschöpfe leben, und am Horizont richtet sich ein Regenbogen über alles. Ein bisschen wirkt das alles auf mich, wie eine Illusion.
Sollen sich hier das Land der Ursprünge, das Lauschen auf die Natur, die Achtung vor allen Dingen in Bilderbuchlandschaft gewandelt haben?
Zumindest passt das alles zur Einstellung des Doktors (der kein "echter" Doktor ist).
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Wenn andere die Natur betrachten (… ), sehen sie dort ihre eigenen Grenzen, Unzulänglichkeiten und Ängste. Aus Furcht vor den Eigenen Schwächen nennen sie es dann die Grenzenlosigkeit und Größe der Natur. Ich aber sehe in der natur eine mächtige Botschaft, die zu mir spricht, mich an meine Willenskraft gemahnt, die mich auf recht hält, sehe eine reiche Schrift, die ich entschlossen, ungerührt und furchtlos lese. Genau wie große Zeiten und große Länder sind große Männer solche, die so viel innere Kraft speichern konnten, dass es sie fast zu sprengen droht. Wenn die Zeit kommt, die Vorzeichen stimmen, wenn von neuem Geschichte gemacht wird, dann beginnt sie, sie sich zu regen, diese große Kraft, treibt den großen Mann zur Tat und trifft mit ihm ohne Mitleid ihre Entscheidungen. Und ebenso schonungslos beginnt das Schicksal zu agieren.
Und jetzt wird auch mehr über das Buch offenbart und wer es geschrieben hat. (Am Anfang war ja schon eine kleine Andeutung dazu gemacht worden.)