HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Zitat von Taxine
Toll, du warst schon in Phaistos, überhaupt auf Kreta. Das geht nicht mehr aus dem Gedächtnis, was?
Kreta und der Peloponnes geh'n mir nicht mehr aus dem Kopf
Jetzt befinde ich mich auf den Seiten 156-159. An dieser Stelle wollte sich Zypresserich in die Diskussion einlinken (ich werde ihn mailen). Es geht um die Begegnung mit dem Wahrsager, der ihm Unterblichkeit vorausgesagt hat, er, Miller, werde "im Licht verschwinden. Interessant auch die Prophezeiung von seinem Reichtum, aber der Wahrsager sehe kein Geld. Ha, da sind wir wieder beim Thema, Miller hatte nie Geld gehabt, trotzdem ein reiches Leben geführt.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Henry Miller
in Die schöne Welt der Bücher 24.04.2009 21:31von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Henry Miller
Wenn ich Geld hätte, könnte ich sorglos und nachlässig werden, da ich an eine Sicherheit glauben würde, die es nicht gibt, und auf jene Werte Wert legen, die leer und trügerisch sind.
Die Auseinandersetzung Millers mit sich selbst als Künstler ist großartig, wo er erkennt, dass das Leben des Künstlers, "seine Hingabe zur Kunst, die höchste und letzte Phase der Egozentrik des Menschen ist":
Zitat von Miller
Ich weiß jetzt, wie die Welt ist, und da ich das weiß, nehme ich sie hin, sowohl das Gute wie das Böse an ihr. Ein schöpferisches Dasein zu führen, bedeutet - das habe ich herausgefunden -, immer selbstloser zu werden, mehr und mehr in der Welt zu leben, sich mit ihr zu identifizieren und sie dadurch sozusagen bis ins Mark zu beeinflussen. Kunst scheint mir jetzt ebenso wie Religion nur eine Vorbereitung, eine Einführung in das wahre Leben zu sein. Das Ziel ist Befreiung - eine Freiheit, die die Übernahme größerer Verantwortung bedeutet.
Er hat recht, wenn er erklärt, dass das Weiterschreiben, nachdem er das Stadium der Selbsterkenntnis überschritten hat, unfruchtbar und nutzlos wäre.
Und die Erkenntnis:
Zitat von Miller par excellence
Ich befinde mich in der heiklen Situation eines Menschen, der sich davor hüten muss, etwas zu wünschen, das er im Grunde gar nicht begehrt. Daher begehre ich, ich muss es gestehen, immer weniger. Der einzige Wunsch, der immer stärker wird, ist der, zu geben. Das daraus entstehende sehr starke Gefühl von Macht und Reichtum ist ebenfalls irgendwie erschreckend, weil seine Logik zu einfach zu sein scheint. Erst wenn ich um mich schaue und erkenne, dass die große Mehrheit meiner Mitmenschen verzweifelt versucht, das zu halten, was sie besitzt, oder ihre Besitztümer zu vermehren, beginne ich zu verstehen, dass die Weisheit des Gebens nicht so einfach ist, wie es den Anschein hat. Geben und Nehmen sind im Grunde genommen ein und dasselbe, es hängt davon ab, ob man offen oder verschlossen lebt. Wenn man offen lebt, wird man ein Medium, ein Mittler; wenn man so lebt wie ein Fluss, erlebt man das Leben in seiner Fülle, man fließt dahin mit dem Strom des Lebens und stirbt, um als ein Ozean wiederzukehren.
Das ist sehr buddhistisch, taoistisch, heraklitisch erkannt. πάντα ῥεῖ - Panta rhei.
Art & Vibration
Zitat von Miller Maroussi S. 157Aber: Gemein, oder? Da entscheidet er einfach für den Leser.
... und für den Leser, der die Persönlichkeiten und die Beziehungen nicht kennt, ohne Interesse sind.
Schön auch:
Zitat von Miller Maroussi S. 158"Schreiben für die Nachwelt"?
Häufig habe ich mir beim Schreiben gewissermaßen vom Jenseits aus über die Schulter geschaut, mehr an die Reaktionen der nach mir Kommenden denkend als an die meiner Zeitgenossen. Ein großer Teil meines Lebens hat sich sozusagen in der Zukunft abgespielt.
Die Seiten 156 - 159 könnte man eigentlich am Stück zitieren, finde ich, die Kernstücke stehen ja auch schon in Euren Beiträgen. Freut mich jedenfalls, dass ich nun Menschen kenne, die diese Stellen ebenfalls gelesen haben.
RE: Henry Miller
in Die schöne Welt der Bücher 25.04.2009 13:22von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Zypresserich
"Schreiben für die Nachwelt"?
Sicher ja, obwohl auch hier "der Fluss" gelten müsste. Treiben lassen, will man den Schreibvorgang selbst genießen. Darum spürt Miller darin auch die Traurigkeit.
Zitat von Miller S.158
Im Hinblick auf alles, was für mich lebenswichtig ist, bin ich eigentlich tot...
Aber, so ganz stimmt das nicht. Miller hat ja trotzdem aus vollem Sein gelebt, weiter geschrieben und gemacht, wonach ihm der Sinn stand, was besonders an dieser Stelle gut ins Wort gefasst ist:
Zitat von Miller S. 182
Es ist mir völlig gleich, was die Leute denken oder sagen, wenn sie solch eine Erklärung lesen. Ich will niemanden zu meiner Denkweise bekehren, ich weiß jetzt, dass ich nur durch mein Beispiel Einfluss auf die Welt ausüben könnte, nicht durch meine Worte.
Da denke ich mir, hat er mich gehört? Hat er meine Gedanken vernommen? Unsere Worte in diesem Ordner? Es ist genau das, wie alles auf mich wirkt, was er schreibt. Durch sein Leben hat er gezeigt, dass er es verstanden hat, zu leben, und durch seine Worte zeigt er uns, den Lesern anderer Zeiten, dass es einfach ist, solange wir verstehen, uns von bestimmten, festgemauerten Vorstellungen zu lösen.
Denn letztendlich gilt eben doch:
Zitat von Miller e.d.
Die Menschen sind erstaunt und entzückt, wenn ich von der Wirkung spreche, die Griechenland auf mich ausübte. Sie sagen, sie beneiden mich, und sie wünschten, sie könnten auch eines Tages hinfahren. Warum tun sie es nicht? Weil kein Mensch die Erlebnisse, die er sich wünscht, zu genießen vermag, wenn er nicht reif dafür ist. Die wenigen Menschen meinen das, was sie sagen. Jeder, der behauptet, er brenne darauf, etwas anderes zu tun als das, was er tut, oder irgendwo anders zu sein als dort, wo er ist, der belügt sich selbst. Begehren ist nicht nur wünschen. Begehren ist das zu werden, was man im wesentlichen ist. Einige Menschen, die das lesen, werden ohne weiteres erkennen, dass es keine andere Lösung gibt, als sein Tun bis ans Ende seiner Wünsche durchzuführen, in Taten bis ans Ende seiner Wünsche zu gehen.
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
RE: Henry Miller
in Die schöne Welt der Bücher 26.04.2009 14:48von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Miller hat sich durchaus mit dem Taoismus beschäftigt, was erklärt, dass seine Einstellung uns ziemlich buddhistisch/taoistisch erschien. Nachdem er sich Jahre lang bei Freunden und Bekannten durchgeschnorrt hat, bekam er die Einstellung, dass sein Schreiben nur Wert hätte, wenn es seinem Leben angepasst wäre. Intellektualismus stand der Leere gegenüber, und Miller entschied sich dafür zu zeigen, dass er ein gewöhnlicher Mensch war.
Zitat von Miller in einem Brief an Schnellock
Es ist mir scheißegal, ob ich recht habe oder kunstvoll oder klar schreibe – mich interessiert nur, was ich in diesem Augenblick schreibe.
Diese Einstellung entspricht mehr dem, was Miller als Autor war, als sein Blick in die Zukunft, wenn er schrieb. Vielleicht hat sich das Wesen Miller auch mit dem Älterwerden gewandelt.
Er beschäftigte sich mit Lao-tzu und Chuang-tzu, und im Tao-Te-ching fand er dann seine eigenen Widersprüche bestätigt, wo sich alle Ideen und materiellen Konzepte gegenseitig relativieren und die intellektuelle Pedanterie absurd erscheint. Im Taoismus gibt es keine Regeln und Dogmen. Wer nach ihm leben möchte, ist aufgefordert, die Weisheit über Bord zu werfen und sich dem Strom des Seins zu überlassen, mit einem vollen Bauch und einem leeren Kopf.
Miller schwärmte für China, und hier wird nachvollziehbar, dass sich seine Einstellung langsam an das freie und ungebundene Leben anpasste. Trotzdem ist ein Buch ein Buch, und der Schriftsteller dahinter ein undurchsichtiges Wesen. Miller sagte es selbst:
Zitat von Miller in einem Brief an Schnellock
Traue nie dem Autor, traue nur der Erzählung.
Art & Vibration
Zitat von Taxine
Er beschäftigte sich mit Lao-tzu und Chuang-tzu, und im Tao-Te-ching fand er dann seine eigenen Widersprüche bestätigt,
Das finde ich interessant. Warscheinlich kann man mehr darüber im Ferguson nachlesen, den ich leider noch nicht habe.
mArtinus mit lieben Grüßen
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Henry Miller
in Die schöne Welt der Bücher 26.04.2009 19:22von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Und nun zu einer seiner Erzählungen:
Er wird erst sterben müssen, um den nächsten Morgen zu erleben...
In der Kurzgeschichte „Max und die weißen Phagozyten“ kommt das gleiche Thema zum tragen, wie die Worte Millers im "Koloß von Maroussi", als er berichtet, dass viele ihn für seine Reise beneiden würden und es doch an ihnen läge, einfach ihren Wünschen und Träumen bis ans Ende dieser Wünsche zu folgen.
Max ist ein Hungerleider, ein Jude, der die Maske des Elends und des Jammers trägt. Er hat die Angewohnheit, ständig auf der Straße aufzukreuzen und Miller sein Leid zu klagen. Dieser will ihm, so gut es geht, entkommen und bemerkt, dass so oft er ihm versucht auszuweichen, der leidende Max sich immer tiefer in sein Gedächtnis, in sein Denken eingräbt. Irgendwann, in einem Anfall der Gutmütigkeit und guten Laune, beschließt er ihm zu helfen, ihm Essen und Trinken zu spendieren, ihm sogar einen Anzug zu schenken. Er tut das, um sich selbst besser zu fühlen. Er weiß, dass er etwas Gutes tut und, dass er es aus Berechnung tut, denn am nächsten Tag wird ihm Max wieder gleichgültig sein, er versuchen ihm auszuweichen. Doch, desto mehr er den Tag mit ihm verbringt, desto mehr sieht er den Menschen Max in seinen Kümmernissen und stellt ihm schließlich einem reichen, befreundeten Juden vor, dem Max seine Geschichte erzählen, der ihm vielleicht helfen, ihn aufnehmen, ihm Geld und Essen geben kann.
Während Max dort also seine Geschichte erzählt, durch die der reiche Freund Boris selbst mitleiden kann, trägt er doch die gleiche Geschichte in sich, bemerkt Miller eine eigenartige Veränderung in seinem Gutglauben und in der Hoffnung, die er in seinen Freund gesetzt hat, denn dieser ist auf einmal nicht mehr großzügig, erklärt, dass Max ein hoffnungsloser Fall wäre. Miller ist erschrocken, erstaunt und sagt:
Zitat von Miller
„Nein, niemand ist hoffnungslos – nicht so lange, wie es noch ein wenig Mitgefühl und Freundschaft auf der Welt gibt. Der Fall ist hoffnungsvoll, das ja. Aber Max, der Mensch … nein, das kann ich nicht einsehen. Für Max den Menschen kann man noch etwas tun. Da ist zum Beispiel erst einmal die nächste Mahlzeit, ein sauberes Hemd … frische Unterwäsche … ein Bad … eine Rasur. Versuchen wir nicht, den Fall zu lösen: tun wir nur das sofort Nötige.“
Hier findet der Wandel von Millers Gleichgültigkeit gegenüber Max („Ich kann ihm nicht abtun, indem ich ihm ein Senkblei um den Hals lege und sage: Geh und ertränke dich!“ – denn, Max ist hartnäckig) in ein tiefes Mitgefühl statt („Ja, wenn ich Max wäre, wenn ich der arme Hund von einem Juden wäre, der Max ist … Was dann?“ – Er kann sich vorstellen, zu leiden und zu hungern, aber nicht, wie es ist, ein Jude zu sein.), wo er erkennt, dass Boris nach Ausflüchten sucht, erzählt, dass er zu einer anderen Zeit in einem anderen Land etwas hätte tun können, jetzt aber nicht mehr. Miller stellt fest:
Zitat von Miller
Es ist, als sage man einem Ertrinkenden: Schade! Schade! Wenn Sie sich nur das Schwimmen von mir hätten beibringen lassen!
Und er kommt zu dem Schluss:
Zitat von Miller
Jeder Mensch wünscht sich eine geordnete Welt; niemand will seinem Nächsten helfen. Sie wollen einen Menschen aus einem machen, ohne sich um den Leib zu kümmern.
Und an der Stelle überschneidet sich der Ratschlag mit dem aus dem „Koloß von Maroussi“. Er fragt Max, wohin er in der Welt am liebsten gehen würde, wenn er es könnte, er solle es ihm auf der Karte zeigen. Max reagiert sofort, wie Menschen immer reagieren. Er wüsste wohin, aber es läge am Geld, an seinem Alter, an der moralischen Kraft, dass er nicht gehen könnte, während Miller nur meint:
Zitat von Miller
… wenn Sie es nur brennend genug wünschen, überall in der Welt hingehen können. Nur eben, indem Sie es wollen.
Auch, wenn er selbst nicht mit Geld aushelfen kann – was die Empörung über den, der mit Geld helfen könnte, aber es nicht tut, etwas übertrieben wirken lässt -, so fordert, ja verlangt Miller von Boris trotzdem und lauthals Hilfe für Max, wo Boris immerhin noch vor ein paar Wochen irgendeiner „geldschnorrenden Metze von Amerikanerin“ geholfen hatte.
Boris ist in der Geschichte ein Zerrbild von Michael Fraenkel, der erklärte:
„Es kann nichts mehr geschrieben werden, denn wir sind alle tot.“
Darum sagt Miller zu ihm:
Zitat von Miller
„Du bist gestorben, sagst du, und hältst seitdem eine einzige, lange Begräbnisfeier. Aber du bist nicht tot und weißt, dass du es nicht bist. Was zum Teufel hat geistiger Tod damit zu tun, wenn Max vor dir steht? Stirb, stirb, stirb tausend Tode, aber weigere dich nicht, den lebendigen Menschen anzuerkennen. Mach kein Problem aus ihm.“
Und er geht weiter, indem er auf all die Bücher im Regal zeigt und sagt, dass Nietzsche, Dostojewski, Christus in ihrem Sterben sinnlos und nutzlos sind, wenn er davor mit den Schultern zuckt. Sie sind schlecht, wenn sie ihm zwar Trost vermitteln, aber nicht dazu anregen, selbst Trost und Hilfe zu geben.
Zitat von Miller in Rage
„Geh, geh zu deinen Büchern und lass dich begraben.“
Wenige Augenblicke später, als Boris sich entschuldigt (sich damit aus der Affäre zieht) und Max trotz allem doch noch etwas Geld in die Hand drückt (sich auch damit aus der Affäre zieht), wird Miller etwas reumütig, vergibt ihm leichter, als sich selbst.
„Er macht das Spiel mit“, sagt er über Boris.
Zitat von Miller
„Aber das Leben, das Leben sieht er nicht als ein Spiel an. Er setzt sich auf jedem Gebiet durch, nur um am Schluss zu merken, dass er sich selber betrogen hat.“
Durch Max wird Miller auf sich selbst zurückgeführt.
Zitat von Miller in einer seiner Kindheitserinnerungen
Ich erinnere mich an meinen ersten Eindruck von der Welt - dass sie gut, aber schreckenserregend war. Auch heute noch stellt sie sich mir so dar - gut, aber schreckenserregend. Ich war leicht in Schrecken zu versetzen, nahm aber nie innerlichen Schaden.
Besonders der letzte Ausspruch gefällt mir, weil er den Humor Millers über sich selbst zeigt. Er kann sich explosionsartig empören und in die Luft gehen, danach aber gleich wieder sich selbst hinterfragen und über sich selbst lachen, auch über das, was er so von sich gibt. Es ist eben Literatur, nicht tatsächliches Leben, sobald er darüber schreibt.
Miller begleitet Max nach einigen Gaben und Gefälligkeiten zu seinem Hotel und weist ihn darauf hin, dass er im ältesten Teil der Altstadt, Saint-Séverin, wohnt, das Dante und Leonardo da Vinci schon bewohnten. Max erkundigt sich, wann das gewesen ist und erklärt daraufhin:
"Das ist es, vorher war es nichts und nachher nichts. Gut war es im 14. Jahrhundert, und das ist alles."
Und dann bietet er Miller an, mit ihm die Zimmer zu tauschen, wenn es ihm hier so gut gefallen würde, was dieser, aufgrund der Schäbigkeit schnell ablehnt. In Wirklichkeit hat Miller, als er die Geschichte schrieb, längst in der Villa Seurat gelebt, wo vor ihm Artaud wohnte.
In dessen Umgebung, dem winzigen Zimmer, den Schildern zum WC auf den Gängen, erkennt Miller endlich, dass Max nicht zu retten ist.
Zitat von Miller
Nur der Tod vermag den Gram dieses Menschen zu lindern.
Und dann ist da noch der Stolz. Wo sie vorher alles mit Max hätten machen können, ohne ihn zum Weinen zu bringen, so weinte er jetzt ohne Grund, vielleicht durch die Erinnerung an eine Almose einer Französin ausgelöst.
Die Geschichte ist ein Hinweis auf Hoffnungen und Kummer, auf Machtlosigkeit und Suche, auf den Egoismus, der in jedem Menschen auf seine Weise schlummert, denn selbst Max ist in gewisser Hinsicht egoistisch, während gerade durch das Handeln und Vorgehen des Erzählers deutlich wird, wie leicht er in die literarische Welt abdriftet, um sich etwas von der wirklichen Traurigkeit abzulenken, um einen elenden Zustand durch etwas Mystik besser zu machen, wo er sich die Frage stellt: Wieso soll ausgerechnet ich meine Zeit opfern, um zu helfen?".
Miller erkennt, dass hier nicht die Hilfe durch Geld notwendig ist, sondern die moralische. Max hat Angst vor dem Alleinsein, und er redet sich diese Angst dadurch ein, dass er gehört hat, dass die Franzosen Menschen, die niemanden haben, verschwinden lassen.
Dass er das Ende durch einen Brief gestaltet, lässt hoffen. Er schafft es, den Umstand seiner Geschichte weder zu beschönigen, zu idealisieren noch zu vernichtend darzustellen.
Die Welt ist verrückt. Es ist fünf Minuten vor dem Ende. Aber dann ist es Mitternacht und Jedermann tritt neugeboren hinaus auf die Straße.
Art & Vibration
RE: Henry Miller
in Die schöne Welt der Bücher 27.04.2009 16:46von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Da darf ich mich doch gleich noch einmal selbst widerlegen. Natürlich erfährt man in der Miller-Biografie von Ferguson mehr über Millers Begeisterung für Zen und den Taoismus, habe noch einmal nachgelesen. Vor allen Dingen sieht man, dass seine Begeisterung für das Spirituelle/Okkulte/Mystische schon früh geprägt war. Er beschäftigte sich in seiner Jugend mit Madame Blavatsky und der Theosophie, dann mit dem Taoismus, schließlich, im Alter dann auch mit dem tibetischen Buddhisten Milarepa, den esoterischen und indischen Philosophien, sowie mit den schamanistischen Dichtungen von Whitman. Auch ließ er sich oft Horoskope schreiben (durch Anais Nin angeregt).
Da heißt es bei Ferguson:
Zitat von Ferguson
Miller war ein absoluter und bedingungsloser Pazifist, und sein Ideal war der absolute und bedingungslose Egoismus des taoistischen Philosophen Yang Chu. Dem Lieh-tzu zufolge hätte Yang Chu sich, „auch wenn er dadurch dem Reich hätte nützen können, nicht ein Haar ausgerissen“. Nur bei jemandem, der um sein eigenes Wohlergehen und seine Zufriedenheit so besorgt war, konnte man darauf vertrauen, dass er ein Land führen werde, ohne es in einen Krieg zu verwickeln.
Auch hat Miller in jungen Jahren den esoterischen Buddhismus erst einmal verworfen und ihn dann, als er älter war, wieder aufgenommen:
Zitat von Miller in einem Brief an Huntington
Der Kreis meiner philosophischen Wanderung ist vollendet. Ich bin von aller metaphysischen Spekulation befreit. Sozusagen die Hälfte der Wegstrecke markierte Sinnetts „Esoterischer Buddhismus“, dessen Lektüre ich im Alter von zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahren – oder früher – in der Stadtbücherei von Brooklyn abbrach, wenn ich mich recht erinnere, und erst vor einem Jahr hier in der Villa Seurat wieder aufnahm, an der Stelle, an der ich abgebrochen hatte.
Letztendlich muss oder sollte man noch bemerken, dass Miller in seinen Werken nach den Wendekreisen viel von den taoistischen, buddhistischen Weisheiten angewandt hat, die er selbst verarbeitet, sowie gelebt hat, wie es gerade im „Koloß von Maroussi“ sichtbar wurde, und damit viele, junge Schriftsteller und eine ganze Generation (nämlich die Beat-Generation und auch teilweise die Hippies danach)geprägt hat.
Die Biografie von Ferguson ist schon spannend, nur die spitzfindigen Zwischenbemerkungen von Ferguson gingen mir auf die Nerven, seine Darstellung von Miller als oberflächlichen Denker, der sich gerne für einen Weisen gehalten hätte, den andere für einen Heiligen hielten, wobei Miller - oh mein Gott, wie schrecklich - nichts dagegen tat, diese Angaben zu widerlegen. Oder, wie verschwenderisch er lebte, sobald er Geld hatte, wo Ferguson dann aufzählt, er schmiß sein Geld - frecherweise - für Essen, Tabak, Wein und Briefmarken heraus. Wie verschwenderisch, wie dekadent und großspurig. Auch sind weitere Bemerkungen gestreut, die einen ständig ins Augenrollen nötigen, Mutmaßungen, die Ferguson anstellt... usw. Grundsätzlich aber erfährt man doch ausführlich, wer Miller war und wie er lebte, das sollte man ja nun auch nicht verkennen.
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
RE: Henry Miller
in Die schöne Welt der Bücher 30.04.2009 20:16von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Der Vergleich zwischen Miller und Proust ist gar nicht so schlecht, beide wollten ihr Leben in Worten, in Sprache, im Buch dokumentieren. Proust hat die literarische Form gewählt, Miller den Blick auf das Leben, wie es schmerzt und scherzt. Wo Miller sagt:
Zitat von Miller in 'Die Kunst des Lesens'
Verlangt man nach Wissen oder Weisheit, so tut man besser daran, direkt zur Quelle vorzustoßen. Nicht der Gelehrte oder der Philosoph, nicht der Meister, der Heilige, der Lehrer sind die Quelle, sondern das Leben selbst - die unverstellte Lebenserfahrung.
... so zeigt er sich in den Augen Brassais als abgebrannter Typ, der Paris mit eben diesen Augen entdeckt. Hier wird die Entwicklung und die Schöpfung des "Wendekreis des Krebses" überdeutlich.
Art & Vibration