HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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„Da stimme ich zu. Deshalb wird es auch immer schwieriger, mit Literatur zufrieden zu sein.“
Vermutlich ist es um einen noch schlimmer gestellt, als man wahr haben will. Das Gefallen an dem Zitat von Rowohlt ist ein Hinweis darauf. Es rahmt eine bestehende Auffassung lediglich neu bzw. originell ein. Neues im eigentlichen Sinn gibt es sicherlich nicht mehr. Bestenfalls das Einschmelzen in neue Formen bzw. aktuelle Umstände. Eben entsprechend des Zeitgeistes und der ist alle fünf bis zehn Jahre halt ein anderer. Zunehmend gibt man immer weniger auf die Form, lässt sich nicht mehr davon blenden. Den Kern der Dinge ist man schneller in der Lage zu erfassen. Das hat man ja schon Jahre und hunderte Bücher lang erlernt. Gleich dem, ob bewusst oder unbewusst.
Und paradoxer Weise ist das Vernachlässigen der Form von Inhalten dafür verantwortlich, dass man sich nun vorrangig an Formen erfreuen kann. Die Form vernebelt uns nicht kaum wenig selten noch den Inhalt. Nur wenn der für einen stimmt, macht man sich überhaupt noch ans Lesen - in der Hoffnung den bereits wahrgenommenen Inhalt in schöne Formen gesetzt wiederzufinden.
Das könnte der Fluch der Bildung oder zumindest Belesenheit sein.
„Überrascht wird man ja nun wirklich nur noch sehr sehr selten.“
Und die große Hoffnung ist wohl lediglich die, Bekanntes in neue Zusammenhänge gestellt zu sehen. Das kann noch begeistern. Da übrigens leistet sicherlich neue Literatur einen guten Beitrag, aber eben nicht in der Masse und somit kaum erfahrbar.
Ich denke diese Gedankengänge sind auch asbach. Die Dadaisten können durch nichts anderes zu ihrem Werk gebracht / angeregt worden sein. Da hatten sie es satt, ließen Inhalte gleich vor der Tür weil gähnende modifizierte Wiederholung, konzentrierten sich auf die Form, da für den Sehenden nicht viel mehr über bleibt. Ihre Formen waren dann wahrlich neu und irritierend, weil sie nicht den nackten Kaiser ohne Kleider durch Stadt hofieren wollten. Sie haben den Spieß umgedreht und einfach immer wahllos ein paar Kleider des Kaisers zur Schau getragen. Ein kurze aber imposante Eruption im Literaturgebirge die letztendlich unweigerlich als erstarrte Lava das Zeitige segnet. Ich mag die Dadas jedoch. Wie mag so ein Kurt Schwitters getickt haben?!
Sollte irgendwas von diesem Geschreibsel verständlich gewesen sein - mich würde es freuen.
www.dostojewski.eu
Doch, doch, das versteht man schon.
Versucht haben viele, gegen das Bestehende zu rebellieren. Manchmal kreativ, manchmal auch mit dem Verlust der tiefen Essenz. Hesse bemängelte in den 60er Jahren so schön, dass er in der Literatur einen "Rückzug des Geistes" wahrnehmen würde. Der Geist ist dann Richtung Suff, Sex und Verbrechen emigriert. Die Alten verstehen niemals die Jungen, und eine Generation rebelliert gegen die nächste. Das ist, glaube ich, eine Art Grundnaturgesetz. Die, die danach leben, haben dann Pech und müssen die geöffneten Grenzen als schwappende Welle des Nonsense über sich ergehen lassen. Kann entsprechend sein, dass weitere Generationen später wieder der Trend zur Nachdenklichkeit aufkommt. Wundern würde es mich nicht.
Die Surrealisten, Dadaisten, Futuristen ... alles ein Bruch mit dem Bekannten, für uns heute kaum noch lesbar (obwohl ich vieles dennoch mag. Das automatische Schreiben bringt schon einiges hervor, kann sich ja jeder selbst darin austoben). Auch die Versuche, Laut- und Sprachbild zu verändern, sind schon beeindruckend. Mallarmé und co oder Romane ohne E oder ein Text, der sich von vorne und hinten lesen lässt, wie es Perec und die Oulipo-Gruppe gemacht haben. Ohne die wären heute einige tolle Romane nicht möglich (Pavic z. B. oder andere).
Witzig an den Futuristen wiederum ist, dass sie, trotz der Benennung, heute veraltet sind. Bei der Namensgebung der Umbrüche und geistigen Rebellionen muss man entsprechend auch aufpassen. Ansonsten ist das schon gut so. Nur manchmal kommt es mir so vor, als ob alles schon ausgeschöpft ist, das, was neu und experimentell versucht wird, nur noch das müde Echo ist oder den Lesespaß ganz verdirbt. Das muss ja auch nicht sein. Einen ganzen Roman als Lexikon zu schreiben, nimmt einem die Freude am Erzählten. Ich mag entsprechend auch eine gute Story, selbst wenn die Form leidet.
Art & Vibration
Marina Zwetajewa
Weit bin ja noch nicht. Ist ganz schön düster im Stil angelegt. Stößt aber nicht unangenehm auf.Hat ein gutes Tempo.
Ich fühle mich ein wenig an das Gefühl herangeschoben, das mich abstieß, als ich Kafkas Biographie gelesen habe. Diese ausgeprägte Selbstzerfleischung - gleich einem Escape-Raum, nur eben auch nicht durch die Tür ins Freie schreitend, wenn sie sperrangelweit offen stand.
Mann kann sich`s nicht aussuchen, wohl war. Nichtsdestotrotz kann ich bereits bei 70 Seiten nachvollziehen, dass Du, bei allem Respekt, von einer Bekloppten sprichst.
Ich bin durchaus noch neugierig. Faktisch aber „lediglich“ in welcher Frequenz, Qualität und welchen Varianten, sie sich selbst ein Bein stellen wird. So nehm` ich mal an . . .
Mit Lyrik ist ja nicht so mein Ding, wenn sie aber Situationen beschreibt, bin ich von ihrem reduzierten Stil sehr angetan.
Mit einer guten Story bin ich auch noch zu bekommen. Problem, ich habe nicht mehr den Nerv zum Probieren. Deswegen nur noch Bographien um Zeit-Colorit aufzuschnappen. Dein Tipp, Die Straße von McCarthy , hat zum Beispiel noch voll gegriffen.
Wer was "Neues" gebracht hat (damals) war Christian Morgenstern. Den finde ich faszinierend. Dessen Bio kenn ich noch nicht, aber ich nehme an, das war Kreativität in Reinform, ohne egozentrische Veranlagung und ohne pseudo-verquasten Überbau, ohne Idelogie, ohne Doktrin. Einfach Pantasie, die berührt. Mich zumindest. Seine Galgenlieder ein Buch, dass ich nie wegwerfen würde und dürft ich nur zehn behalten, es wär dabei.
Jaja, passt nicht zusammen: Lyrik ist nicht so meins und dann ein Buch ausnahmslos mit Lyrik in den Himmel gelobt.
Mein Monolog hat sich gelohnt, habe eben eine Biographie von Morgenstern bestellt
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Ich bin in dem Buch (Zwetajewa) auf zwei Briefe-Sammlungen aufmerksam geworden und richte nun die Frage an womöglich Wissende.
Lettres a Marie von Charles de Chambrun
und
die Briefe des Großfürsten Nikolai Michailowitsch (ein Onkel des Zaren) an den Pariser Historiker Frederic Masson; La fin du tsarisme
Die sind veröffentlicht worden. Aber gibt es die auch in deutscher Übersetzung? Nehme mal an nein.
Zwetajewa
Ein echt kurzweiliges Buch. Nicht ausschweifend. So ist`s mir recht.
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Zwetajewa - Vermutete bewegend - war bewegend.
Das Kafkaeske Gefühl hat mich dann recht schnell verlassen, aber einfach wird die Frau nicht gewesen sein. Aber Sympatien für sie konnte ich durchaus entwickeln. Mitleid ja sowieso.
Das Gedicht Popytka Rewnosti, das sie geschrieben hat, nachdem Slonim mit einer neuen Frau zusammen war, finde ich herausragend. Da spürt man den Vulkan, wie sie weiter hinten im Buch mal genannt wurde.
Und der überraschende wahre Ausschlag für ihren Suizid, kam für mich überraschend.
Man weiß ja nun schon eine Menge über die Zeit in der Sowjetunion (sach ich ma so), aber immer wieder ist es erschütternd.
Nun Günter de Bruyn - Preußens Luise
Kleine Angelegenheit, nicht groß von Gewicht.
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Günter de Bruyn - Preußens Luise
Bin positiv überrascht. Es ist keine Biographie, sondern skiziert die verklärende und ideologisierende Usurpierung ihrer Person nach ihrem frühen Tode. Mit vielen begleitenden Bildern. Klein aber fein. Ein Büchlein zum Tee
Nun das Buch zum Begriff, der mir immer mal wieder begegnet - Machiavellismus
Machiavelli - Die Biographie, Christiane Gil
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Zitat von Jatman
Nichtsdestotrotz kann ich bereits bei 70 Seiten nachvollziehen, dass Du, bei allem Respekt, von einer Bekloppten sprichst
Ja, ja ... ich meinte ja die, die brennen, brennen, brennen ... verrückt danach sind, zu leben, zu atmen, zu reden ... und alles auf einmal wollen. Du weißt schon, Kerouac. Ich mag die Verrückten, die nicht als verrückt gelten. In russischen Gefielden dann Zwetajewa, Mandelstam, Belij. Da steckt so viel Kraft in Gedicht und Werk. Achmatowa ist dagegen fast langweilig.
Der Selbstmord der Zwetajewa kam für mich auch überraschend, besonders nach all der harten Zeit, die sie durchgemacht hat. Irgendwann ist wohl ein Punkt erreicht und einige behaupten, dass auch die Abweisung durch den Sohn nachgewirkt hat. Sie hatte ja immer Angst vor dem grauen Alltag und vor allem, was normal war. Sie wollte lieben, und das in einer Art Elfenbeinturm-Sein. Sie schrieb z. B. in ihren Briefen:
„Denn unsere Körper (unsere geschmacklichen Vorlieben) sind unmenschlich. Die (unsichtbare!) Psyche lieben wir ewig, weil das Abwesende in uns liebt – die Seele allein!“
Ich finde, das sagt schon einiges.
Ich schlage mich gerade mit Aldous Huxley "Die ewige Philosophie" herum. Ist eine gute Ergänzung zu Koestler, Wilber und Gebser.
Art & Vibration
Zitat von LX.C im Beitrag #2
Nun endlich wie vorgenommen: Koestler - Sonnenfinsternis, die Neuauflage nach Originalmanuskript.
Muss sagen, bin voll begeistert von dem Stil. Schon allein die Verhaftungsszene ist der Hammer, wie Traum aus der Vergangenheit und Gegenwart ineinander fließen. Man fühlt so richtig mit. Wacht erleichtert aus seinem Alptraum auf und dann - hämmert es an der Tür. Allgemein schafft der Autor es, dass man die Szenen empathisch mitfühlt.
Gruß zum neuen Jahr!
Einfach bewundernswert, was für eine Erkenntniskraft Koestler zeitgenössisch an den Tag legte. Und der Schluss haut noch mal richtig rein. Selten so eine berührende und tiefgehende Hinrichtungsszene gelesen. Ein Roman, der total beeindruckt!
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[i]Poka![/i]
Machiavelli - Die Biographie
Liest sich gut weg. Ist aber son Klopper. Leg ich erst mal beiseite. Ich habe mir mal wieder ein paar Amis schicken lassen.
Derzeit Paul Auster - Schlagschatten.
Mal anders, aber ich bin mir noch unsicher, ob anders auch immer gut sein muss.
Besser wird danach vielleicht: Don DeLillo - Bluthunde. Das machte beim kurz reinlesen einen guten Eindruck.
Die Bio von Morgenstern kam heute. Bin ich echt neugierig. Ich weiß fast nichts von ihm.
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Die zwei Amis waren auch Reinfälle, beide nicht mal zur Hälfte gelesen.
Es funktioniert einfach nicht mit Storys. Es fehlt die Geduld und innere Ruhe.
Morgenstern - Jochen Schimmang
Da fühle ich mich gut aufgehoben. Sicher auch bis and Ende.
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Zu guter letzt habe ich im Februar auch Christa Wolf - Ein Tag im Jahr. 1960 bis 2000 begonnen. Vorweggenommen hatte ich ja schon das Tagebuch nach 2000 gelesen und es hatte mir erstaunlich gut gefallen. In dem ab 1960 ist sehr interessant Wolfs kritisch reflektierte Haltung zu Politik und Kultur herauszulesen. Dass man eine solche haben konnte, ohne die DDR ansich abzulehnen, zeigt sich darin sehr gut. Naja, und ein Drittel des Buches spielt sich im Ort meiner Kindheit und Jugend ab. Ich kenne noch jeden Konsum, in den sie einkaufen geht. Das macht natürlich Freude
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[i]Poka![/i]
Ich bräuchte dennoch mal wieder etwas Deftiges, Herzhaftes, etwas Russisches wäre schön. Nichts Surrealistisches, nichts Philosophisches, einfach eine knackige Erzählung. Danach dürstet es mir. Ein Tipp wäre schön, denn ich bin irgendwie ziemlich raus und nach dem Stapel "Pflichtlektüre" aus 2018 auch demotiviert, lesefaul, wie mans nimmt.
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[i]Poka![/i]