HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Nachweisbar ist eben nur eins: dass der Mensch weiterlebt, solange er nicht vergessen ist. Zu beachten ist, dass jegliches Nachdenken über Formen des Weiterlebens Verstorbener nur unter dieser Voraussetzung stattfinden kann. Andernfalls sind sie eben vergessen und tot (wie auch immer ein Leben nach dem Tod aussehen könnte). Somit ist das eine ohne das andere nicht denkbar. Das war mir als kleiner Zwischenruf zu folgendem Gedanken wichtig:
Zitat von Taxine
Mir wurde stark bewusst, dass die Vorstellung, was nach dem Tod kommen könnte, besonders für die Lebenden wichtig ist, um ihnen Trost zu spenden. Wer zum Beispiel alleine an den weltichen Gedanken: der Tote lebt einzig in unseren Erinnerungen weiter... glaubt, oder wie Hemingway es formulierte: "Niemand, der geliebt wird, ist wahrhaft tot", der findet (nach meiner Auffassung) viel weniger Trost, als jemand, der daran glaubt, dass der Tod nicht das Ende ist
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[i]Poka![/i]
Zitat von MartinusZitat von LX.C
"Affengeister", du bist mir n feiner Buddhist.
Affengeist ist sowas wie ein Insiderbegriff, der hätte erklärt werden sollen/müssen...
"Affengeister" - bezieht sich auf einen alten Zenspruch des chin. Meisters Linji Yixuan (jap. Rinzai) aus dem neunten Jahrhundert n.Chr, der sagte, Das Denken (der Geist) ist wie ein wilder Affe, d.h. der Geist springt wie ein Affe von Baum zu Baum und kommt nicht zur Ruhe. Wir essen und denken an unseren künftigen Urlaub, wir fahren Auto und denken dabei an etwas völig anderes. Meditation ist eine Übung, um diesen Geist in einer Konzentration zur Ruhe kommen zu lassen. Nur wenn der Geist zur Ruhe kommt und nicht herumspringt wie ein wilder Affe, nur dann können wir bewusst im HIER und JETZT leben.
Wirklich herzlichen Dank für die Erklärung, Martinus. Es bleibt die Syntaktik, die für sich spricht.
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[i]Poka![/i]
RE: Michael von Brück
in Sachen gibt's - Sachbuch 02.04.2011 13:53von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von LX.C
Nachweisbar ist eben nur eins: dass der Mensch weiterlebt, solange er nicht vergessen ist. Zu beachten ist, dass jegliches Nachdenken über Formen des Weiterlebens Verstorbener nur unter dieser Voraussetzung stattfinden kann. Andernfalls sind sie eben vergessen und tot (wie auch immer ein Leben nach dem Tod aussehen könnte). Somit ist das eine ohne das andere nicht denkbar.
Ja, auch wird erst heutzutage immer mehr Wert auf den "individuellen Tod" gelegt, die Bestattung, das Gedenken usw. Früher war der Tod wesentlich anonymer, wenn man alleine Zeiten der Pest oder Kriege, die "noch wirkliche Kriege waren" bedenkt. Das Reflektieren über das Danach, das aber ist uralt, denn jeder Tod ist immer Konfrontation auf das Unabwendbare, das im Tod und dem heruntergelassenen Grab immer wieder neu sichtbar wird.
Irgendwie doch passend erscheint mir folgendes Zitat aus Javier Marias "Dein Gesicht morgen"/Teil 3:
Zitat von Marias
Unser Gesicht gestern (...), das werden wir immer haben, solange sich jemand unserer erinnert oder irgendein Neugieriger vor unseren Fotografien innehält, dagegen wird ein Morgen kommen, in dem jedes Gesicht Totenkopf und Asche sein wird, und dann werden sie gleichgültig und wir werden uns alle ähnlich sein, wir und unsere Feinde, die geliebtesten und die verhaßtesten.
Art & Vibration
RE: Michael von Brück
in Sachen gibt's - Sachbuch 22.04.2011 15:41von Martinus • 3.195 Beiträge
Bevor es mit diesem Buch weitergeht, ein bemerkenswerter Artikel über Das ewige Leben oder Ich bin dann mal weg.
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Michael von Brück
in Sachen gibt's - Sachbuch 01.05.2011 15:49von Martinus • 3.195 Beiträge
II. Der Ritus
Anaximander von Milet hat als Ursprung des Universums ein unbestimmtes grenzenloses apeiron angenommen. Dieser Begriff übersteigt den Unterschied von Sein und Nichtsein. Apeiron ist das Unendliche, Unbestimmbare aus diesem völlig Jenseitigen durch Evolution alles Sein entsteht, und alles was geworden ist, kehrt wieder ins apeiron zurück. Die Wesen sind einander verstrickt, weil sie einander verdrängen, voneinander leben. Darum sind sie in gegenseitiger Abhängigkeit. Was wird muss auch vergehen, damit ein Ausgleich geschaffen wird. Das nennt Anaximander Gerechtigkeit. Ich stelle mir das mal so vor, dass, wenn jemand geboren wird, ein anderes Wesen sterben muss. Eine Art Ausgleich im Kosmos. Das apeiron erinnert an das nirguna brahman in den Upanishaden, doch, und hier sitzen wir in dem hinreichend bekannten Dilemma, dass wir nicht wissen, ob ein kultureller Austausch zwischen Indien und Griechenland vor dem 4. Jahrhundert v. Chr. Stattgefunden hat. Genauso wie wir auch nicht sagen können, ob Pythagoras die Reinkarnationslehre von den Brahmanen übernommen hat.
Wenn im Phaidon von der Unsterblichkeit der Seele gesprochen wird, die nach dem Tod weiter existent ist, nimmt die jüdisch-christliche Welt eine Vorstellung auf, die nach dem Tode nicht die Seele vom Körper trennen will, sondern Körper und Seele stirbt als unzertrennbare Einheit, und durch Gott wieder zur Auferstehung gebracht. Mein Kommentar dazu: So ganz begreife ich das nicht, denn der Apostel Paulus spricht von einem geistlichen Leib der wiederaufersteht. Der andere Körper ist der physische, der im Grab verstaubt. Überliefert ist aber, dass das Grab Jesu leer war, nachdem er auferstanden war, also der physische Leib ist auferstanden, obwohl, wenn wir in dem Psalm lesen, der Körper zu Staub zerfällt:
Er weiss, was für Geschöpfe wir sind; er kennt uns doch: Wir sind nur Staub! (Psalm 103, 14)
Der Mensch ist so vergänglich wie das Gras, es ergeht ihm wie der Blume im Steppenland: (Psalm 103, 15)
Ein heisser Wind kommt - schon ist sie fort, und wo sie stand, bleibt keine Spur von ihr. (Psalm 103, 16)
Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat. (Prediger 12, 7) .
Wie soll ein Körper wieder auferstehen, wenn der Körper zerfallen ist. Setzen sich die Atome wieder zusammen? Der Prediger 12,7 und der Apostel Paulus im ersten Korintherbrief 15,23ff sind sich einig: Der Geist kommt wieder zu Gott (Auferstehung), nicht der physische Körper.
In der christlichen Taufe, so Michael von Brück, wird der Mensch des alten Zeitalters ertränkt (der schuldige Adam-Typus), durch die Taufe dann der Mensch im neuen Äon entsteht, dem Äon, in der die Zeit der Gottesherrschaft angebrochen ist. (man bedenke manche Christusdarstellungen des Jesu am Kreuz, unter dem Kreuz die Knochen oder der Schädel des Adam zu sehen sind.). Nach frühchristlicher Vorstellung war der getaufte Christ „geistlich“ schon auferstanden, aber noch im vergänglichen Leib gefangen und darum noch dem Leid unterworfen.
Von Brück präsentiert einen zusammenfassenden Überblick über Bestattungsriten der Alten Kirche, Mittelalter und Neuzeit. Hervorheben möchte ich nur, weil ich das für wesentlich halte, dass einige Philosophen (Seneca, Epiktet, Cicero, Marc Aurel) darin müht waren, eine Tugendlehre zu entwickeln (bes. die Stoa), den Tod als naturgegebende Tatsache zu akzeptieren.
Zitat von Michael von Brück
Die Einsicht, dass jeder Augenblick des Lebens der letzte sein könne, sollte zur Qualität des bewussten Lebens, zur Einübung in maßvolle Gelassenheit hier und jetzt, beitragen.
In dieser Sache geht die Stoa Hand in Hand mit dem Buddhismus. In folgender Formulierung kommt Marc Aurel frühbuddhistischer Meditationspraxis sehr nahe:
Zitat von Marc Aurel
„Und Stell dir vor, dass (jedes Wesen) bereits in Auflösung und Wandlung und gleichsam Fäulnis sich befinde oder in Zerstreuung; oder dass jedes gleichsam sterbe, insofern es ist“ (Seite 163).
In dem Kapitel „Sterben, Tod und die Bedeutung der Musik“ beschäftigt sich Michael von Brück in erster Linie mit vier Geistlichen Werken der Musikliteratur: Heinrich Schütz: Musikalische Exequien, J.S. Bach: h-moll-Messe, W.A. Mozart: Requiem, Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem, Hans Werner Henze: Requiem. Dieses Kapitel zeigt, dass sich der Autor in klassischer Musik recht gut auskennt, war er doch mal Sänger im Kreuzchor zu Dresden. :)
Wie „Ein deutsches Requiem“ von Brahms, sind auch die „Musikalischen Exequien“ von Heinrich Schütz in deutscher Sprache verfasst. Für Schütz war die Musik nicht nur für das Geleit der Toten zur Grabesstätte gedacht, sondern er will daraus Kraft für das Leben schöpfen. Mitten im Gräul des 30jährigen Krieges besingt er die Herrlichkeit der Schöpfung Gottes. Dieses Musikkapitel sind eine Wohltat für Musikliebhaber und führen in die Musikwerke hervorragend ein. Ungewöhnlich für einen Religionswissenschaftler, nicht wahr?
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)