HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 21.02.2010 12:20von Martinus • 3.195 Beiträge
Sekundäres zum Plagiatsfall Helene Hegemann
Quasi die Vorgeschichte
Philipp Theisohn: Plagiat. Eine unoriginelle Literaturgeschichte. Kröner, Stuttgart. 578 S., 26,90 Euro
siehe auch hier
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
Also das Buch ist schon interessant, Martinus. Mir ist das persönlich bei Nietzsche aufgefallen...(Fall Freud?) Aber wo fängt das Alles genau an? Gedanken von Anderen in sich aufzunehmen ist ja legitim, aber gleich alles kopieren ohne dies anzugeben, nein also da hört aller Spaß auf!
Der Bezug des Menschen zu Orten und durch Orte zu Räumen beruht im Wohnen. Bauen/ Wohnen/ Denken - Heidegger Martin
Orientierung - Philosophische Perspektiven von Werner Stegmaier
Neue Spielräume eröffnen und Anhaltspunkte schaffen, sich orientieren neu? - Vernunft, Sprache und ihre Zeichen, die Gesellschaft und ihre Moral, Religion, Wissenschaft und Kunst.
Ein Versuch Türen zu öffnen um schrittweise neu erschließen zu können, was Orientierung sein könnte.
Scheint ein interessantes Buch für mich zu sein und Werner Stegmaier sowieso... Die Bücher kommen zu mir...
Im Vorwort gleich am Anfang steht:
Unser Erstaunen. - Es liegt ein tiefes und gründliches Glück darin, dass die Wissenschaft Dinge ermittelt, die Stand halten und die immer wieder den Grund zu neuen Ermittelungen abgeben: - es könnte ja anders sein! (Nietzsche, Fröhliche Wissenschaft, Nr. 46)
Der Bezug des Menschen zu Orten und durch Orte zu Räumen beruht im Wohnen. Bauen/ Wohnen/ Denken - Heidegger Martin
RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 02.05.2010 16:42von Martinus • 3.195 Beiträge
Hallo,
Besonders erfreulich. Von dem leider fast vergessenen
Alexander Moritz Frey (1881-1957) ist sein erster Roman
"Solneman der Unsichtbare" (1914) wieder neu aufgelegt. Frey zählt zu den großen Repräsentanten deuschsprachiger Phantastik. Exilant, Pazifist (Die Pflasterkästen, 1929), auch Gesellschaftskritik.
Solneman (man lese den Namen mal rückwärts), ein unsichtbares Phantom, bringt eine ganze Stadt in Aufruhr, Verwirrung...aber er will doch gar nichts besonderes, nur seine gepflegte Ruhe.
Ich habe den Roman gelesen, eine alte Bibliothek Suhrkamp-Ausgabe. Ist auch in der DDR erschienen (also, wer's lieber antiquarisch mag). Die Ausgabe von 1914 habe ich auch, ist aber sehr teuer, dafür schöne Holzschnitte drin.
Erschienen bei Elsinor, 2010
Herzliche Empfehlung
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 30.05.2010 23:22von larifant • 270 Beiträge
Yu Hua: Brüder
Entfernt verwandt mit "Hundert Jahre Einsamkeit", eine Familienchronik ist mit der Geschichte des Ortes verwoben, hier sind es nur vierzig Jahre und gerade einmal zwei Generationen.
Terror der Kulturrevolution und Boom der sozialistischen Marktwirtschaft in einer Kleinstadt in Ostchina.
"Brüder" ist zwar kein magischer Realismus, aber zumindest maßlos übertrieben und vom realistischen Realismus ein ganzes Stück entfernt. Es hat satirisch anmutende Elemente, ist aber für eine Satire ingesamt zu wenig distanziert.
Auf Pathos wurde weitgehend verzichtet, die Erzählweise wirkt eher lustig (z.B. weil extrem Profanes mit weit hergeholten Vergleichen aus der klassischen chinesischen Literatur belegt wird oder weil auf jeder Seite zehnmal der Name "Glatzkopf-Li" vorkommt).
Neben allerlei Skurrilitäten werden extreme Grausamkeiten und Enttäuschungen sehr detailliert und in Steigerungen geschildert.
Der Roman enthält trotz seiner inhaltlichen Fülle wenig Ballast und ist konsequent strukturiert.
Mein Lektüreexemplar stammt aus der Stadtbücherei, ich werde aber einen eigenen Band erwerben.
Gruß,
L.
RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 03.08.2010 16:12von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Japanische Literatur: eines der ältesten Werke (Roman) soll "Die Geschichte des Prinzen Genji" sein. Ein Werk von Dame Murasaki, irgendwann um das Jahr 1000 geschrieben. Sind etwa 1095 Seiten. Vielleicht wage ich irgendwann mal einen Blick hinein.
Art & Vibration
RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 06.10.2010 00:19von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Ja, die Welt ist auf die Leere ausgerichtet, die verlorenen Seelen beweinen die Schönheit, die Bedeutungslosigkeit kreist uns ein.
Apropos Preisträger und Bestseller. Wie wär’s denn mal mit einem französischen?
Wer wissen möchte, was passiert, wenn eine arme Concierge, die von sich behauptet: "...ich bin Witwe, klein, hässlich, mollig, ich habe Hühneraugen und in gewissen Morgenstunden einen Mundgeruch wie ein Mammut", inmitten satter und reicher Leute, in deren Haus sie arbeitet, anfängt zu philosophieren
… Unsere Fähigkeit, uns selbst zu manipulieren, damit der Sockel unserer Überzeugungen nicht ins Wanken gerät, stellt ein faszinierendes Phänomen dar.
… während ein kleines, überintelligentes Mädchen Selbstmord begehen will, um vorher noch Beweise und Gegenbeweise für die Welt und das Leben zu sammeln
…Was wäre, wenn die Literatur ein Fernseher wäre, in den wir gucken, um unsere Spiegelneuronen zu aktivieren und uns für wenig Geld das prickelnde Gefühl der Aktion zu verschaffen? Und was, schlimmer noch, wenn die Literatur ein Fernseher wäre, der uns alles zeigt, was wir verpassen?
… der lese Muriel Barberys „Die Eleganz des Igels“. Hier findet sowohl der Katzenliebhaber, Philosoph, Kunstfilmgenießer, gesellschaftskritische Mensch wie auch der Verehrer östlichen Minimalismus’ mit ziemlicher Sicherheit, wonach er sucht.
Wo ist die Schönheit angesiedelt? In den großen Dingen, die, wie die anderen, verurteilt sind zu sterben, oder in den kleinen, die, ohne Anspruch auf etwas zu erheben, wie einen Edelstein ein Stück Unendlichkeit in den Augenblick einzufügen vermögen?
(…)
Die Kamelie auf dem Moos des Tempels, das Violett der Berge von Kyoto, eine Tasse aus blauem Porzellan, dieses Aufblühen der reinen Schönheit inmitten vergänglicher Leidenschaften, ist es nicht das, wonach wir streben? Und was wir, die Zivilisationen des Westens, nicht zu erreichen vermögen?
Die Betrachtung der Ewigkeit in der Bewegung des Lebens.
Zudem darf der Leser an vielen Stellen herzlich lachen.
Art & Vibration
RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 06.10.2010 15:35von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Das Buch ist eher ein langes Ein- und Ausatmen. Langatmigkeit konnte ich nicht feststellen. Vielleicht muss man aber Haiku mögen, um den Text richtig genießen zu können.
Einzig kleinerer Kritikpunkt aus meiner Sicht wären die sich manchmal ähnelnden Charaktere der Concierge, des Japaners und des kleinen, hochintelligenten Mädchens, und die ganz seltene Überschreitung von Satz- und Sinngebilden durch die Autorin, die dann noch zwei, drei Schritte weiter geht, obwohl eigentlich schon alles gesagt ist, und zwar gut, warum ein „Weiter“ dann nicht aufklärend wirkt, sondern den Satz, der vorher gelungen war, wieder verkleinert. Solche Dinge sind aber sehr selten und fallen vielleicht kaum ins Auge.
Ich hatte viel Freude an diesem Roman, sowohl an der Kritik der Autorin an der reichen, hierarchisch gegliederten, rationalen, kartesianischen, zivilisierten Welt voller Kodes, künstlicher Riten und gleicher Überzeugungen, am Sichtbarmachen der Schönheit der vergänglichen Gestalt der Dinge – vielleicht heißt lebendig sein das: Augenblicke zu verfolgen, die sterben - als auch am Aufzeigen der Unnötigkeit mancher Philosophien, die über den Begriff die Wirklichkeit verlieren.
Thy hand, lovest soul, darkness shades me,
On thy bosom let me rest.
When I am laid in earth
May my wrongs create
No trouble in thy breast.
Remember me, remember me,
But ah! Forget my fate.
(Henry Purcell “Dido und Aeneas”)
Den Fluss durchbrechen, die Töne verschmelzen.
Die Kunst ist das Leben, jedoch in einem anderen Rhythmus.
(zitiert aus Muriel Barbery "Die Eleganz des Igels", dtv, S. 309)
Art & Vibration
"Unsere Gesellschaft ist am Ziel […] Im Gegensatz zu allen Systemen der Vergangenheit gehorchen wir weder dem Markt noch einer Religion. Wir brauchen keine verstiegenen Ideologien. Wir brauchen nicht einmal den bigotten Glauben an eine Volksherrschaft, um unser System zu legitimieren. Wir gehorchen allein der Vernunft, indem wir uns auf eine Tatsache berufen, die sich unmittelbar aus der Existenz von biologischem Leben ergibt. Denn ein Merkmal ist jedem lebenden Wesen zu eigen. Es zeichnet jedes Tier und jede Pflanze und erst recht den Menschen aus: Der unbedingte, individuelle und kollektive Überlebenswille. Ihn erheben wir zur Grundlage der großen Übereinkunft, auf die sich unsere Gesellschaft stützt. Wir haben eine METHODE entwickelt, die darauf abzielt, jedem Einzelnen ein möglichst langes und glückliches Leben zu garantieren. Frei von Schmerz und Leid. Zu diesem Zweck haben wir unseren Staat hochkomplex organisiert, komplexer als jeden anderen vor ihm. Unsere Gesetze funktionieren in filigraner Feinabstimmung, vergleichbar dem Nervensystem eins Organismus. Unser System ist perfekt, auf wundersame Weise lebensfähig und stark wie ein Körper – allerdings ebenso anfällig."
Zeh, Juli: Corpus Delicti. Ein Prozess, Schöffling & Co., Frankfurt/M. 2009, S. 36.
Großartig, einfach großartig dieser Roman. Man verschlingt ihn. Könnte man in einem Atemzug mit Huxleys "Schöne neue Welt", Orwells "1984" und Bradburys "Fahrenheit 451" nennen. Die Anti-Utopie unserer Generation?
Anders als Spieltrieb ist dieser Roman aus einem Guss. Danke für den Tipp. Vielleicht hätte ich mich so schnell nicht wieder an Zeh gewagt. Gerade das Schlagwort Fitnesswahn, unter dem das Buch immer verkauft wird, schreckte mich bisher sehr ab, weil ich wieder so einen Pseudo-Gegenwartskram erwartet hatte und das auch so ein Thema ist, das einen als Mann überhaupt nicht anspricht. Aber nein, das muss man von Zeh eben nicht befürchten! Hier geht’s ja um viel mehr. Lange nicht so ein tolles Buch eines/einer Gegenwartsautors/in der Hand gehalten. Das ist eine Autorin mit Intention!
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[i]Poka![/i]