HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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"Sicher hatten sich schon in meiner Jugendzeit die Anker ins Unterbewußsein gesenkt, woran ich später nur noch die Leuchtbojen zu befestigen bräuchte, welche im Meer der Möglichkeiten die Fahrtrinne der Vernunft markierten. Sie allein erschien mir schiffbar. Ich konnte nicht ahnen, daß sie an den Klippen enden sollte . . ."
John Erpenbeck; Gruppentherapie
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A. Herzen über den unbändigen Bakunin: "Bakunin hielt den zweiten Monat der Schwangerschaft für den neunten."
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Insofern ist jede Erscheinungsform der Negation erstaunlich. Jemand, der zum Beispiel die Hektik hasst, beginnt sie mit der gleichen Hektik zu bekämpfen. Wer die Ungerechtigkeit hasst, beginnt sie in bedeutungslosen, toten Dingen zu schaffen und begeht auf seinem Weg zur Gerechtigkeit ganz nebenbei Ungerechtigkeiten gegen das, was lebt. Ist man von inhaltslosem, nichtigem Geschwätz angewidert, beginnt man, um die Geschwätzigkeit zu bekämpfen, selbst zu reden wie ein Wasserfall... Entscheidend aber ist an dieser Art Betätigung, dass nichts geschieht, nichts vorangeht... O Menschen!
(zitiert aus "Das Puschkinhaus" von Andrej Bitow, Sammlung Luchterhand, S. 312)
Art & Vibration
"Es gibt nur wenige Bücher, die mir in meinem Leben zum innersten Besitz geworden sind, die Mehrzahl der Bände wurde aus anderen Gründen erworben: da ist die Lust am Lesen, die Freude am Besitz, der wache Sinn für das geschriebene Wort, für die Fabel, da ist aber auch die gemeinsame Humanität, die ein Buch mit dem anderen verbindet, die gemeinsame Welt, in der wir alle leben.
Die wertvollsten Bücher für mich: die den Menschen auf sich selbst zurückwerfen, die ihn zwingen, sich selbst neu zu entdecken."
(Cibulka, Hans: Wegscheide, Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig 1988, S. 40.)
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[i]Poka![/i]
"Man verlässt die geteerte Landstraße ein paar Kabellängen von Sétif und stürzt sich querfeldein in ein nacktes, geplagtes, schweigendes Land, das sich vor unendlichen Horizonten ausdehnt. Man wird schnell von Unwohlsein ergriffen, man fühlt sich klein, verloren, verurteilt. An manchen Orten gibt es keinerlei Grenze zwischen dem Himmel und der Erde, die Leere und der Ocker sind überall, wo das Auge verweilt. Man sieht sich auf eine unendliche und fliehende Mauer aus Sand zugehen, und schlagartig ist man von der Idee überwältigt, die Ebene sei dabei, sich hinter uns zu schließen."
aus "Das Dorf des Deutschen" von Boualem Sansal
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
über David Garrick, den größten englischen Schauspieler seiner Zeit:
"Und man erzählt ihm noch von einem anderen Zuschauer, der einst empört ausgerufen haben soll: 'Was sagen Sie? Garrick soll der größte Akteur sein? Er schien ja nicht über das Gespenst erschrocken, sondern war es. Was ist das für eine Kunst, über ein Gespenst zu erschrecken?'"
(Carl Brinitzer, Lichtenberg)
Homepage: http://www.noctivagus.net/mendler
Facebook: http://www.facebook.com/people/Klaus-Mendler/1414151458
Ich hätte ihr sagen können, dass das Leben nur dem abstoßend und unmöglich vorkommt, der aus irgendwelchen Gründen selber für dieses Leben überflüssig ist, was ihn natürlich berechtigt, seinerseits das baldige Weltende zu verkünden. Darf man solch einem armen Menschen Misanthropie, Bösartigkeit und Grausamkeit vorwerfen? Er gibt ja nur das von sich, was ganz von selbst, auf natürliche Weise aus seiner Seele herausgepresst wird unter dem Druck grausamer und gleichgültiger äußerer Kräfte, die ungleich stärker sind als seine eigenen.
(Anatoli Kim "Eichhörnchen", S. 141, Verlag Volk und Welt)
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Zitat von Taxine im Beitrag RE: August 2012Zitat von LX.C im Beitrag RE: August 2012
Nette Anekdoten sind dabei, habe bisher schon oft schmunzeln müssen, viele interessante, aber auch für mich fragwürdige Ansichten gefunden.
Zum Beispiel?
Krausser zeichnet in seinem Tagebuch ein Bild von sich zwischen Schachspiel und 3D-Shooter. Sehr intelligent, aber mit 30 irgendwie noch unreif krude.
Aber das Büchlein bringt schon Lesespaß - wahrscheinlich gerade deswegen. Hier noch eine dieser lustigen Anekdoten, die einen immer wieder zum Schmunzeln bringen:
"Während Beatrice die ersten Seiten A&A in ihren Apple tippt, kommt es zum bösen Computerabsturz – allerdings in sehr handgreiflichem Sinn: Der Holztisch bricht zusammen, Monitor und Rechner krachen aus anderthalb Meter Höhe zu Boden. Schuld war der Gymnastikball, den Bea als Sitzmöbel gekauft hat – sie verlor beim Wippen das Gleichgewicht und hielt sich, um nicht davonzurollen, an besagtem Tischchen fest (labile Eigenkonstruktion).
Zum Glück erweist sich der Apple als robust. Nicht einmal das, was wir eben reingetippt haben, ist verlorengegangen. Besonders süß: Eine Sekunde nach dem GAU kriecht Beatrice aus den Trümmern und drückt auf der Tastatur die <Save>-Kombination."
Krausser, Helmut: Juli. August. September, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1998, S. 179.
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[i]Poka![/i]
"So spielte J. F. einmal (auswendig, wie im Konzertbetrieb üblich) die Mondscheinsonate, wiederholte (das kann man machen) die Exposition, wiederholte sie erneut und nochmal, fand nicht in die Durchführung, hatte einen Blackout (kann passieren). Was macht Justus? Bricht ab, steht auf, sagt: ‚Auf so einem schlecht gestimmten Klavier spiele ich nicht!’ Und geht. Besonders fies: Der Klavierstimmer, dem so der schwarze Peter zugeschoben wurde, saß in der ersten Reihe: Kochstieg, Papst seiner Zunft."
Krausser, Helmut: Juli. August. September, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1998, S. 212.
Herrlich
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[i]Poka![/i]
„Immer gefahrvoller beschleunigt unsere Zeit, beschleunigen sich die Lebensvorgänge in ihr, als sollte das Künftige in einem Augenblick zusammengerafft werden, als hätte der Mensch Angst, nicht mehr alle Möglichkeiten auskosten zu können, die das Leben ihm zu bieten verspricht, als kenne er, auf der Flucht zwischen dem Einen und dem Anderen, keinen Ort der Ruhe und des Rastens mehr. Immer entgrenzter wird der Raum, so dass er diesen Ort der Ruhe kaum noch zu finden vermag.“
Ursula von Mangoldt in Der Tod als Antwort auf das Leben
Das Zitat - nun gut. Aber - das Jahr!
1957 geschrieben.
Es wird also jederzeit auf gleichem Niveau gewehklagt.
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An diesem Abend...hörte ich nur den Mendelssohn und holte mir dazu ein Buch herbei. Es war Stifters Nachsommer. Ich trug ihn nach flüchtigem Blättern zurück. Ich weiß wirklich nicht, warum man um dieses Buch ein solches Aufheben macht. Ich halte es für gefällig herausgesputzte Langeweile. Hanna sagt zwar, dass sie es gern hat. Sie meinte einmal: "Der eine angelt, der andere liest des Nachsommer, im Grunde kommt es auf das gleiche heraus."
Christine Brückner, "Ehe die Spuren verwehen"
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
"Der eine angelt, der andere liest des Nachsommer, im Grunde kommt es auf das gleiche heraus."
Unterschreibe ich zu hundert Prozent.
„Tolstoj und Dostoevskij scheinen und funkeln am Firmament der russischen Literatur wie zwei große Planeten, der eine von ihnen so strahlend wie der Planet Jupiter, der andere so rot und unheilverkündend wie der Planet Mars. Neben diesen beiden schimmert das Licht Turgenjews, rein und voll perlenartigem Glanz wie der Mond, den man am Ende eines Herbsttages im Osten matt scheinen sieht.“
Wedel, Erwin; S. 435 In: Dostoevskij und die Literatur, Böhlau Verlag Köln / Wien 1982
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Das Schöne, Erhabene, Wahre - so sieht es Flaubert in "Bouvard und Pécuchet":
„… und ein Werk mag so vollkommen sein, wie es will, es wird nicht für alle Zeit tadelfrei bleiben. – Und doch gibt es eine unzerstörbare Schönheit, deren Gesetze wir nicht kennen, denn ihr Ursprung ist geheimnisvoll.
Da sich eine Idee nicht durch alle Formen ausdrücken lässt, müssen wir die Grenzen zwischen den Künsten respektieren und in jeder Kunst mehrere Gattungen anerkennen. Aber Vermengungen treten überall dort auf, wo aus Angst davor, das Ziel aus den Augen zu verlieren, nicht mehr wahrhaft zu sein, die eine Gattung sich der anderen bemächtigt.
Die zu strikte Anwendung des Wahren schadet der Schönheit, und die Sorge um die Schönheit ist der Wahrheit abträglich.
Aber: Ohne Ideal keine Wahrheit (…)
Im Übrigen beschäftigt sich die Kunst nur mit dem Wahrscheinlichen – aber das Wahrscheinliche hängt von dem ab, der es beobachtet, es ist eine relative und flüchtige Angelegenheit.“
(Gustave Flaubert "Bouvard und Pécuchet, Fischer Klassik Taschenbuchverlag)
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"Klara, seine ehemalige Frau, stand ernst da und kommandierte wie immer. Sie sagte: 'Einatmen, tief, ausatmen, tief.' Er hatte bestimmt schon als Säugling geatmet, aber jetzt zeigte man ihm, wie man es richtig macht."
Alfred Döblin, November 1918, Band 3
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Den hier liebt wahrscheinlich jeder. Der ist ja nicht nur in seinen Aphorismen groß, sondern auch in seiner minimalistisch auf den Raum abgestimmten und ihn mit seiner Genialität vergrößernden Prosa. Solche Sachen z. B., die könnte ich ja immer wieder lesen:
Zitat von Lec
Alt und neu
Unlängst hatte man am Alten Markt, an einer seiner
malerischen Ecken, das Fragment einer alten Gosse
kunstgerecht rekonstruiert. Ein historischer Film sollte
gedreht werden.
Nachts ging ich dort, zufällig, vorbei und sah die Bescherung.
In der künstlichen historischen Gasse lag ein echter
moderner Mensch.
Zitat von Lec
Trost
Wenn die Medizin den degenerierenden Menschenkörper
gerettet haben wird, wenn die Politiker die uns beängstigenden
Massenvernichtungsmittel wie alt gewordenes
Spielzeug über Bord geworfen haben werden,
wenn es den Poeten gelungen sein wird, verlorengegangene
Empfindungen wiederzufinden, wenn die
Psychoanalytiker uns von den Komplexen befreit haben
werden und die Urbanisten uns aus den gigantischen
Katakomben der City hinausgeführt haben werden etc.,
etc., etc.,
werden wir vielleicht plötzlich wieder nackt und ohne
Scham und so unschuldig sein,
daß wir nur ab und zu zu einem Stein greifen werden,
um mit ihm einen zweiten Glückspilz, wie wir einer
sind, zu erschlagen.
(Stanislaw Jerzy Lec "Das große Buch der unfrisierten Gedanken")
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