HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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So, fertig, mit der Insel des zweiten Gesichts. Noch einmal lesen. Unbedingt, aber später.
Zitat
"Das Buch (Die Insel des zweiten Gesichts) ist mehr wert als alles, was die komplette´Gruppe 47´zustande brachte. Ohne trivial naturalistisch zu werden, gelingt es Thelen, das Leben selbst zu schildern, in seiner Mischung aus Verworrenheit, burlesker Komik, Absurdität, Verzweiflung, Widrigkeit, Gemeinheit und dieser niederstreckenden Schönheit, die immer wieder alles andere bezwingt."
Wiglaf Droste in der taz vom 16.1.2004
Das ist stark untertrieben, Herr Droste, stark untertrieben.
Man nehme Shakespeares Sommernachtstraum, Laurence Sternes - Onkel Toby aus dem Tristram, dazu das fulminate Menschengewimmel aus dem Siebenkäs, Heines Harzreise - wegen der lieben Deutschen, einige Kapitelchen aus Th. Manns Joseph, jedenfalls aus Teil I, vielleicht noch die Blechtrommel, Montesquieu und den Erasmus meinetwegen auch und ein wenig aus den Traumgedichten eines Benn. Ein kleiner Abstecher zu Morgenstern und Nietzsche ist durchaus erlaubt, denn der gute Schnauzbart taucht in dem Werk unentwegt auf und wieder unter, natürlich Dantes Beatrice nicht zu vergessen, denn sie heißt so im Buche wie im Leben unseres Vigoleis (allerdings mit einem kräftigen Anteil indianischen Blutes, obwohl sie eigentlich Schweizerin ist...) und dann hat man eine ungefähre, eine andeutende Ahnung von dem, was auf den erwartungsvollen Erstleser zukommt.
Thelen, der große Unbekannte der deutschen Literatur, ein unvergessliches Leseerlebnis, eine glückhafte Offenbarung und grenzenloses Staunen, das bleibt, das immer bleiben wird. Nun folgen dann, unweigerlich, Thelens weitere Werke, in vorsätzlicher Rückfalltäterschaft.
Mensch Patmos, das macht wirklich neugierig. Vielen Dank für die Zusammenfassung.
Scheinen ja alles Memoiren zu sein, die er da auf mehrere Bücher verteilt hat.
Art & Vibration
Ja, hat er, Taxinchen. Er war schon ein Sprachgewaltiger. Gedichte schrieb er auch, obwohl diese immer wieder wahren Vernichtgungsorgien, seinerseits, anheim fielen.
Hier eine kleine Kostprobe:
Vergiß-sie-nicht
Weine nicht, weil du nicht weinen kannst
über die heiligen Wetterschläge der Welt:
Das öffentliche Ärgernis im Garten Eden,
die göttliche Sintflut,
Sodom und Gomorha,
der Untergang der Atlantis mit Mann und Maus,
der Untergang der Titanic mit Mann und Maus,
der Untergang von 2367 Sprachen
benebst deren Sprechern,
der Ausbruch des Krakatau,
der Lues,
des Burenkriegs,
der Maul- und Klauenseuche,
Zyklon und Orkan,
Taifun und Tornado,
das Kino-Unglück in Harburg,
Bleidächer, Gummizellen, Gaskammern,
eine erwürgte Braut,
eine lebendgebärende Päpstin,
schlagende Wetter,
ein gottloser Gott –
und du weinst immer noch nicht?
Sei dann eindächtig der Zwiebel,
alium cepa:
sie löst dir das Rätsel der Tränen
und die Träne dazu.
Und:
Spiegelschrift
Das ungeschriebene Buch
ist die einzige Lektüre
des Analphabeten
Wo er es aufschlägt
erkennt er sich selbst
in archetypischer Nacktheit
und vom Scheitel zur Sohle
ist jedes Wort
an ihm wahr.
Ja, Thelen steht schon lange auf meiner Wunschliste, zumal der ja auch mal hier gewohnt hat, also allein schon aus lokalpatriotischen Gründen muss ich da wirklich endlich mal ...
Homepage: http://www.noctivagus.net/mendler
Facebook: http://www.facebook.com/people/Klaus-Mendler/1414151458
Tu es, guter Roquairol, denn in diesem Buch ist so manch pholosophisches Schmeckerchen zu entdecken, unter anderem.
Und wenn du eine "vulkanische Übercarmen" kennen lernen willst (wirklich die reinste Lava, diese "Dame"), die ist dort auch zu finden. Und Ver - rückte, Verwirrte, Wahnvollendete, dazu alle Sorten von guten und bösen Schlumpen, herrlich degenerierter Adel (hier findet man den nimmer endenden Wahnwitz dieser Kaste), verkrachte Existenzen aller Lebensstufen, natürlich den deutschen Michel in "Urlaubsvollendung", nicht zu vergessen die vielen Künstler und die, die sich für Künstler halten, Gottes Vorsehung mit einem Atheisten (Thelen selbst) auch, überhaupt bekommt das Christentum in diesem furiosen Werk so einiges in's Stammnuch gewuchtet, kurz und gut - ein nicht enden wollendes Kaleidoskop von allerbuntesten Menschentypen.
Übrigens war Thelen bekennender Jean Paulianer und Nietzsche spielte in seinem Leben, und das seiner "danteischen" Beatrice, eine nicht unerhebliche Rolle.
Du wirst sehen, oder besser - lesen...
Mit der Wunderschönheit des Lebens bin ich fertig, jetzt bemühe ich mich weiter, den Stapel der Geburtstags- und Weihnachtsbücher weiter abzuarbeiten ...
Habe jetzt mit "Geschichte einer Ehe" von Andrew Sean Greer angefangen. Das Buch hat mir eine Freundin zum Geburtstag geschenkt mit den Worten, der Protagonist würde sie an mich erinnern. Der Protagonist des Romans ist ein schwuler Afroamerikaner - ich bin aber weder schwarz noch schwul, und deshalb frage ich mich jetzt andauernd: WAS SOLL DAS?? Überlege schon ernsthaft, ihr die Freundschaft zu kündigen ...
Dabei ist das Buch eigentlich gut geschrieben, aber diese persönliche Bemerkung vergällt mir die Lektüre ...
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Vielleicht subtrahiert deine Freundin alle äußeren Wände ... samt Fleisch und Knochen... und blickt auf das Nackte... also das Selbst...
Art & Vibration
Zitat von LX.CZitat von Taxine
Mit Don Quijote lässt es sich am Abend ganz angenehm zurücklehnen.
Auch was Schönes für den Abend:
Klingemann - Die Nachtwachen des Bonaventura
und ebenso selbstreferenziell was Literatur angeht.
Na ja, Romantik eben.
Abgebrochen, keinen Nerv dafür.
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[i]Poka![/i]
Zitat von Taxine
Vielleicht subtrahiert deine Freundin alle äußeren Wände ... samt Fleisch und Knochen... und blickt auf das Nackte... also das Selbst...
Nein. Nein, nein und nochmals nein.
Nein.
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