HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Mir scheint Dostojewski in den politischen und kirchlichen Fragen eher eine Art Autist gewesen zu sein als ein überzeugter Parteigänger. Sein Verhältnis z.B. zu real existierenden orthodoxen Kirche scheint mir nicht sonderlich innig gewesen zu sein; wenn, dann waren es einzelne geistliche Persönlichkeiten wie die Starzen und die Heiligen, die für ihn die Wahre Kirche repräsentierten. Alles, was er dem Katholizismus vorwirft müßte er im Grunde "seiner" Kirche als Institution auch ins Stammbuch schreiben, das stimmt. Aber in seiner fragilen Stellung war es undenkbar, sich gegen die russisch-orthodoxe Kirche zu stellen oder politisch zu opponieren.
Klar hatte er reaktionäre Freunde, aber ich glaube er hätte kaum eine Hand ausgeschlagen, die sich ihm entgegenstreckte.
Der "Seelenforscher" Dostojewski dringt in seinen Büchern mit großem Wahrheitswillen in alle Tiefen der menschlichen Regungen ein -- der politische Kommentator dagegen zeigt nur mäßigen Sinn für Wahrhaftigkeit; Zweig macht es anschaulich.
Ich nehme an, es war Dostojewski als Romanautor, der sich die Zuneigung der Studentenschaft erworben hat.
Heute übrigens einen Freund in der S-Bahn getroffen, dessen Sohn (Student) total begeistert von "Schuld und Sühne" ist. (Ein bißchen hab ich wohl sogar dazu beigetragen, dass dort generationenübergreifend D. gelesen wird).
--- Schnitt ---
Es mag etwas lächerlich klingen, aber ich frage mich immer wieder, was Dostojewski von Pussy Riot halten würde?
(Bin dann mal ein paar Tage weg)
„Mir scheint Dostojewski in den politischen und kirchlichen Fragen eher eine Art Autist gewesen zu sein“
Sehr schöne Überlegung.
„Klar hatte er reaktionäre Freunde, aber ich glaube er hätte kaum eine Hand ausgeschlagen, die sich ihm entgegenstreckte.“
Zum Teil wird da etwas dran sein. Aber es streckten sich ihm die Leute die Hand aus, auf deren Wellenlänge er lag.
Also etwas anders al bei den Frauen – da nahm er es gnadenlos wie es kam.
„Ich nehme an, es war Dostojewski als Romanautor, der sich die Zuneigung der Studentenschaft erworben hat.“
Das ist gut vorstellbar, denn in seinen Werken kann sich ja jeder entsprechend seiner Gesinnung bedienen. Und die Russen mochten und mögen halt auf ihre Weise ebenfalls das Helden-Epos wie die US-Amerikaner.
„Es mag etwas lächerlich klingen, aber ich frage mich immer wieder, was Dostojewski von Pussy Riot halten würde?“
Er wäre bestimmt dagegen und erbost darüber. Möglicherweise mit demselben Duktus wie heute: Dekadentes Kram aus dem Westen. Den Russen in seinem Glauben zutiefst verletzend. Alle guten Werte mit Füßen tretend. Eine Gefahr für die (Putin-)Monarchie. Er würde eventuell das Urteil des Straflagers, ebenso gerecht empfinden wie seine eigene Verurteilung.
Irgendein partielles Verständnis könnt ich mir bei ihm nicht vorstellen.
www.dostojewski.eu
Habe mit dem Doppelgänger begonnen.
Das erste Kapitel
kam gerade noch rechtzeitig für den thread: es ist nämlich lustig. Ich würde es mal als infantile Ironie bezeichnen wollen. Es hat mich an Gontscharows Oblomow erinnert. Gontscharows Humor erschien mir zwar auch relativ plakativ, mutete aber nicht so kindisch an.
Man kann sich richtig gut vorstellen, wie Dostojewski ursprünglich den Text mit Diminutiven zugekleistert haben könnte.
Würde ich dieses Kapitel heutzutage zufällig zum Lesen bekommen, ich wüsste absolut nicht warum ich weiterlesen sollte.
Das zweite Kapitel
Es wird ein seltsamer Termin Goljadkins bei seinem Arzt Dr. Rutenspitz (laut vielen Wissenden der symbolisierte Teufel - von Dostojewski gewollt) abgespult. Das war das erste Mal, dass ich quer gelesen habe. Die Intention hat sich relativ schnell entschlossen, wird aber viel zu lange ausgedehnt: Goljadkin besitzt kein Selbstbewusstsein und kann sich nicht behaupten, weiß ganz genau darum und versucht ungefragt dahingehend zu argumentieren, dass es eben genau so n i c h t sei.
Nach dem schlichten ersten Kapitel schafft es dieser „Dialog“ doch zumindest Unruhe zu schaffen – man will weiterlesen um vielleicht noch ein Notwendigkeit dieses Kapitels erkennen zu können.
Das dritte Kapitel
Neben weiteren belegenden Begebenheiten seiner fehlenden Fähigkeit zur Selbstbehauptung, selbst in belanglosen Situationen, führen dann zur zwangsläufig zu erwartenden Konfrontation, der er nicht mehr ausweichen kann und sich doch wiederum nur durch Rückzug entziehen kann.
Das heißt, es bleibt etwas offen. Und das macht Lust auf`s weiterlesen. Eine Erwartungshaltung hat sich noch nicht entwickelt. Derzeit ist es lediglich Neugier.
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RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 07.11.2012 19:11von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von fedja im Beitrag #16
Mir scheint Dostojewski in den politischen und kirchlichen Fragen eher eine Art Autist gewesen zu sein (...)
Der "Seelenforscher" Dostojewski dringt in seinen Büchern mit großem Wahrheitswillen in alle Tiefen der menschlichen Regungen ein -- der politische Kommentator dagegen zeigt nur mäßigen Sinn für Wahrhaftigkeit; Zweig macht es anschaulich.
Zitat von Jatman
Das ist gut vorstellbar, denn in seinen Werken kann sich ja jeder entsprechend seiner Gesinnung bedienen.
Damit auch genügend Grund zum Diskutieren bleibt , sage ich einfach mal Folgendes:
Dostojewskis Romane bestechen, das sehe ich, wie Fedja, vor allen Dingen durch ihre Sinnsuche, ohne dass Dostojewski einen direkten Bezug auf die angesprochenen Probleme nimmt, sondern jeden menschlichen Dreck, jede Verkommenheit, auch die Schönheit, die Philosophie und das Leben ausbreitet, damit der Leser darüber urteilt, nicht der Schriftsteller, denn das ist auch gar nicht seine Aufgabe.
In seinen großen Romanen ist nicht nur der Deutungsraum gewaltig, so dass jeder herauslesen kann, was er möchte, vielmehr fließt Dostojewskis Sichtweise gar nicht so sehr hinein, ich meine, jene überzogene, idealisierte, wie z. B. seine Ansichten über das Heilige Russland und der Hass auf den Westen, und wenn, dann indem sie dem Leser als eine von vielen Perspektiven präsentiert wird. Wer Dostojewskis Sicht kennt, wird natürlich fündig werden, wer sie nicht kennt, wird nicht ausschließlich auf diese Sichtweise gestoßen.
Der Hass auf den Westen wurde ja in Russland, dann in der Sowjetunion, beachtlich weiter gepflegt und nur schwer verworfen. Andererseits denke ich auch immer wieder, dass dieser Verfall westlicher Zivilisation, der sich durch Traditionen, Moral und selbst durch den Menschen frisst, tatsächlich auf eine gewisse Art und Weise bedenklich ist, so dass ich eine Angst oder Ablehnung durchaus nachvollziehen kann, allerdings sicherlich ohne den Pathos auf die russische (oder irgendeine nationalistische) Herrlichkeit, und selbstredend auch nicht in einer vollständigen Befürwortung. Es sind jene gewissen leisen Zweifel, die mir immer wieder dann kommen, wenn von Freiheiten gesprochen werden, die nicht so existieren, wie man uns weismachen möchte, wenn die Entwicklung ganz einfach auf etwas zusteuert, was den Menschen immer mehr in die Ecke treibt, ohne dass er sich noch frei entfalten kann. Dann sehe ich zum Vergleich z. B. China oder Japan vor Augen, früher – Tradition und Glaube, getauscht gegen Markennamen, wahnsinnig hoher Selbstmordrate und Hektik. Da sehe ich unruhige und hektische Menschen, Kriege um Öl, Banken, die die Welt regieren, also westliche Einflüsse, die mit einer fragwürdigen Freiheit erkauft sind, die großzügig erlaubt, Fastfood-Fraß zu genießen, Sex-Hotlines anzurufen und Punkmusik zu hören. (Ich übertreibe jetzt natürlich maßlos und haue auch eindimensionales Zeug heraus. Es soll nur als Beispiel dienen.) So einfach lässt sich der allmählich westliche beeinflusste Wandel also gar nicht als „zu übertriebene Ablehnung“ wegdiskutieren, will man ausführlich alle Seiten betrachten.
Klar, Russland war schon damals ein einzigartiger Verfall von Sitten, Brauch und Glaube und steht tatsächlich, wohl auch durch die Größe und Weite, etwas anders da, als z. B. Europa. Das muss man alles im Hinterkopf behalten, wenn man von politischem Scharfblick spricht oder jemandem diesen abspricht.
Zitat von Jatman
„So ist es vielleicht erklärbar, dass ihn die Studenten verehrten, obwohl er scheinbar völlig andere politische Standpunkte vertritt als die meisten von ihnen.“
Die Begeisterung ist mir bis heute noch nicht erklärlich.
Dostojewski wirft, auch meiner Meinung nach, in seinen Romanen menschliche Defizite auf, die immer aktuell bleiben, solange der Mensch ist, wie er ist … also ganz einfach „Mensch“. Das ist auch, was nicht nur damals die Menschen und Studenten anzog, sondern auch heute. Dostojewski ist auch tatsächlich einer der wenigen Autoren, die bei mir im Philosophie-Regal stehen.
Eines der wichtigsten Grundprobleme neben dem Ausloten, was Gott, der Glaube oder Russland ist, ist bei ihm auch das Befassen mit dem „niedrigen Gedanken“ im Menschen und seinem Denken. Darauf kommt er immer wieder zurück, mal davon abgesehen, dass er sie haufenweise in sich selbst aufgespürt haben muss, denn solche toben fast gleichberechtigt im menschlichen Schädel wie sein Wille zum Leben, bestimmen auch den Lauf der Welt mit, siehe Missgunst, menschlicher Umgang, das Miteinander, Kriege … samt aller Entwicklung in ein Wohin, das vielleicht Propheten erfordert (kleiner Scherz). Aber sie reichen ja auch in ganz belanglose Situationen zwischen Menschen hinein. Auch die Suche Dostojewskis, was den Menschen nun von seinen eigenen Abgründen befreien könnte, ist ein wichtiges Anliegen und gerade das, was z. B. mich am stärksten erreicht.
Zitat von Jatman
„Es mag etwas lächerlich klingen, aber ich frage mich immer wieder, was Dostojewski von Pussy Riot halten würde?“
Er wäre bestimmt dagegen und erbost darüber. Möglicherweise mit demselben Duktus wie heute: Dekadentes Kram aus dem Westen. Den Russen in seinem Glauben zutiefst verletzend. Alle guten Werte mit Füßen tretend. Eine Gefahr für die (Putin-)Monarchie. Er würde eventuell das Urteil des Straflagers, ebenso gerecht empfinden wie seine eigene Verurteilung.
Irgendein partielles Verständnis könnt ich mir bei ihm nicht vorstellen.
Putin ist ein gutes Beispiel. Man mag über ihn sagen, was man will, aber immerhin hat er sein Land noch nicht an die Banken verscherbelt.
Klar, die Bestrafung der Punk-Band war unbestreitbar zu hoch, zu absurd. Das sind die immer gleichen Spuren einer angeblich überwundenen Vergangenheit. Aber wenn ich in den Medien ständig von „Putins Scheindemokratie“ höre, dann kann ich nur höhnisch auflachen, dass Menschen überhaupt glauben, in Deutschland oder anderswo wäre es anders. Alles ist Schein-Demokratie oder die Begriffe werden einfach umformuliert, so dass unter den Begriff „Demokratie“ auch Überwachung, fehlende Meinungsfreiheit (denn sag doch einmal etwas, was gegen die allgemein anerkannten Regeln geht … vgl. Günter Grass) und das Vorsetzen von Politikern fällt, die keiner will und keiner braucht, die schon gar nicht im Sinne eines Volkes oder ganz allgemein im Sinne der Menschheit handeln. Korrupte Politiker gibt es wahrlich nicht nur in Russland.
Dass man nicht einfach in eine Kirche krachen und dort Radau machen kann, ist für mich irgendwo durchaus nachvollziehbar, von den traurigen Konsequenzen einmal abgesehen. Würde in den Kölner Dom eine Metal-Band dringen und dort während einer Messe ins Mikrophon kotzen, die Merkel sei ein Aas und Gott ein Dildo, würde zunächst auch mit Verhaftung und Abführung wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses reagiert werden, wenn natürlich auch die Strafe nicht so scharf ausfallen würde. Und ich bin mir gar nicht sicher, ob Dostojewski hier nicht bei dem schrecklichen Urteil der Mädels dann doch geseufzt hätte. Klar, nicht westliche Einflüsse, sondern das Stören der Messe und der gläubigen Menschen, in einer Kirche Staatskritik zu üben, das ist schon rebellischer Lärm, den nicht jeder verträgt und der für Dostojewski empörend gewesen wäre. Das Urteil für die Mädels, zumindest die zwei, die ins Lager verschickt wurden, ist und bleibt eine Schweinerei. Und ich denke, Dostojewski hätte hier seine Menschlichkeit über die eigenen Erfahrungen gestellt und dieses Urteil eben nicht befürwortet.
Was mir dann aber wiederum auffällt, sind die verschiedenen Nuancen der Empörung, die sich von Land zu Land dann doch unterscheiden, gesteuert durch die immer erfolgreiche Medienhetze. Auch in Amerika wurden Menschen alleine darum verhaftet, weil sie während der Bankkrise ihr Geld von der Bank abheben wollten. In England wurden Jugendliche verhaftet, weil sie im Internet zur Straßenrevolte aufgerufen haben, also für ein Ereignis eingesperrt, das noch nicht einmal stattfand. Ganz Orwell like. Gedankenpolizei. Das sind nur wenige Beispiele, die dem Pussi Riot – Krawall fast gleichkommen. Aber darüber mokiert sich keiner.
Dostojewskis politische oder besser gesagt, russische Verherrlichung in allen Ehren und sie war auch durchaus übertrieben, aber er hat schon erkannt, dass der Weg der Jugend in die falsche Richtung führte, da er auf Gewalt aufbaute und auch Menschenopfer in Kauf nahm. Kein System sollte auf einem Fundament gebaut sein, das blutbesudelt ist, vgl. „Karamasow“. Kein Mensch hat das Recht, eine fiktiv bessere Zukunft mit Menschenleben zu erkaufen, vgl. "Die Dämonen". Dass unter dem Zaren die allgemeinen Umstände für den Menschen am Ende dann besser waren, als alles, was danach folgte, wurde häufig in der Samisdat-Literatur angesprochen. Die angebliche Befreiung brachte mehr Zwänge, Leid und Tod mit sich. Und das hat Dostojewski durchaus erkannt und vorhergesehen und viele seiner Zeit eben nicht. Es war durchaus nicht so offensichtlich, wie es heute den Anschein erweckt.
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
Mal wieder hast Du es auf den Punkt gebracht. Dieses Posting birgt reichlich Stoff zur Diskussion. Läuft etwas ins offtopic, aber ich MUSS antworten
Einer etwas umfangreicheren Antwort vorgreifend, muss ich vorerst eine Spontanbemerkung loswerden.
"Putin ist ein gutes Beispiel. Man mag über ihn sagen, was man will, aber immerhin hat er sein Land noch nicht an die Banken verscherbelt."
Putin kann sein (sehr richtig) Land nicht an die Banken verscherbeln. Putin und Co. sind die Bank. Ein Konzentrat von völlig abhängigen Oligarchen regiert das Land; nein benutzt es. Die Oligarchen sind nicht durch Arbeit an ihr Geld gekommen, sondern sind die zivilen Ausläufer all der Aktionen der in Russland nur zu bekannten Verbrecher im Gesetz. Das sind keine Robin Hoods. Und eben jene legalisierten Verbrecher im Gesetz behalten ihren Staat auch für sich und teilen ihn nicht mit dem Volk. Sehr traditionell - wohl war.
www.dostojewski.eu
RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 07.11.2012 20:11von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Jatman1 im Beitrag #20
"Putin ist ein gutes Beispiel. Man mag über ihn sagen, was man will, aber immerhin hat er sein Land noch nicht an die Banken verscherbelt."
Putin kann sein (sehr richtig) Land nicht an die Banken verscherbeln. Putin und Co. sind die Bank. Ein Konzentrat von völlig abhängigen Oligarchen regiert das Land; nein benutzt es. Die Oligarchen sind nicht durch Arbeit an ihr Geld gekommen, sondern sind die zivilen Ausläufer all der Aktionen der in Russland nur zu bekannten Verbrecher im Gesetz. Das sind keine Robin Hoods. Und eben jene legalisierten Verbrecher im Gesetz behalten ihren Staat auch für sich und teilen ihn nicht mit dem Volk. Sehr traditionell - wohl war.
Sicher. Der Mensch kommt weder unter Putin noch unter den Politikern anderer Länder gut weg. Über den wird eben für die korrupten Machtansprüche hinweggeschritten. Aber andere Länder sind mittlerweile schon fremdbestimmt, während Putin die Fäden noch selbst in der Hand hält. Wie diese Hände aussehen, dass muss wohl kaum benannt werden.
Art & Vibration
Teil 2
"Dann sehe ich zum Vergleich z. B. China oder Japan vor Augen, früher – Tradition und Glaube, getauscht gegen Markennamen, wahnsinnig hoher Selbstmordrate und Hektik."
konkret: "China oder Japan vor Augen, früher – Tradition und Glaube"
Idealisierter geht es kaum. Es muss heißen: China oder Japan vor Augen, früher brutalste Repression.
III
Günter Grass. Da teile ich ja Deine Meinung > ein medialer Aufriss wegen vermeintlich unzureichender politischen Korrektheit. Der feine Unterschied: der Mann kann sagen was er will, wo er will, wann er will und sooft er will. Und er lebt völlig unbehelligt und frei. Das IST Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit ist auch gegen ihn zu polemisieren. Ich kenne den Scheiß vom kleinen russisch instruierten Bruder DDR. Da liegen Welten dazwischen. Meinungsfreiheit ist DAS was wir JETZT haben.
IV
Korruption gibt es überall und schon immer. Auch nix mit "China oder Japan vor Augen, früher – Tradition und Glaube". Am Tage ist es hell, nachts dunkel und zu beiden Zeiten sind Menschen korrupt
V
"Dass man nicht einfach in eine Kirche krachen und dort Radau machen" Das Kriterium der Aktion ist nicht, dass man diese Protestvariante als sozial verträglich einschätzen sollte, ebenso nicht, dass man sie mal wegfängt. Das Problem sind, wie Du bereits anreißt, die nahezu grotesken und bizarren Folgen. Es geht um den Beleg, dass freie Willensäußerung nicht gewünscht ist. Das ist verurteilt worden - nicht die Form. Dostojewski hat Gedichte für den Zaren geschrieben und die eine PussyRiot-Frau hat sich in Zurückaltung geübt (Für beides habe ich vollste Verständnis). Beides wurde fürstlich! belohnt. Auch das ist recht traditionell.
VI
"In England wurden Jugendliche verhaftet, weil sie im Internet zur Straßenschlacht aufgerufen haben, also für ein Ereignis eingesperrt, das noch nicht einmal stattfand. Ganz Orwell like. Gedankenpolizei. Das sind nur wenige Beispiele, die dem Pussi Riot – Krawall fast gleichkommen. Aber darüber mokiert sich keiner."
Auch darüber mokieren sich viele - weil sie es dürfen und es keinem verwehrt wird. Dass Medien Meinungsmache betreiben ist ein völlig anderer Sachverhalt. Hier gilt nicht Birnen mit Äpfeln zu vergleichen.
In England sind eben durch solche Aufrufe ja erst vor kurzem mehere völlig unbeteiligte MEnschen zu Tode gekommen. Und den Aufruf zu solchem TERROR, wie Du ihn auch unten ja auch für inakzeptabel erklärst, hat NICHTS, GAR NICHTS mit soner lächerlichen belanglosen Kinderkramaktion wie von PussyRiot zu tun.
Übrigens. Hier in Deutschland hätte vermutlich der Pfarrer den Disput mit den Damen gesucht
VII
Putin ist gerade eingetroffen . . .
Nur weil Putin die diktatorisch unterdrückenden Zügel selbst in der Hand hat, sind doch seine Verbrechen nicht respektabler. Ja ich weiß, auch all die anderen Verbrecherstaaten. . . stimmt ja auch. Wir bekommen aber als Volk noch reichlich Brosamen ab. Mir scheint jedoch, dass es bei den Russen eher nicht der Fall ist.
Musste sein
www.dostojewski.eu
RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 07.11.2012 20:40von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Musste sein. Ist doch gut. Ich sagte ja, ich liefere Stoff zur Diskussion.
Zitat von Jatman
"Dann sehe ich zum Vergleich z. B. China oder Japan vor Augen, früher – Tradition und Glaube, getauscht gegen Markennamen, wahnsinnig hoher Selbstmordrate und Hektik."
konkret: "China oder Japan vor Augen, früher – Tradition und Glaube"
Idealisierter geht es kaum. Es muss heißen: China oder Japan vor Augen, früher brutalste Repression.
Nein, das meinte ich nicht. Ich zog den Vergleich nur im Sinne: westlicher Einfluss auf die Tradition heran. Die politischen Mißstände hatte ich gar nicht im Auge oder wollte auf diese eingehen. War vielleicht ein schlecht gewähltes Beispiel.
Zitat von Jatman
Günter Grass. Da teile ich ja Deine Meinung > ein medialer Aufriss wegen vermeintlich unzureichender politischen Korrektheit. Der feine Unterschied: der Mann kann sagen was er will, wo er will, wann er will und sooft er will. Und er lebt völlig unbehelligt und frei. Das IST Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit ist auch gegen ihn zu polemisieren. Ich kenne den Scheiß vom kleinen russisch instruierten Bruder DDR. Da liegen Welten dazwischen. Meinungsfreiheit ist DAS was wir JETZT haben.
Die Meinungsfreiheit ist eine fragwürdige. Bei einem alten Schriftsteller wie Grass fiel die Reaktion in deinem Sinne der "Meinungsfreiheit" tatsächlich harmlos aus, da er keine Gefahr darstellt. Aber der Sturm hat gezeigt, was eine ehrliche Meinung nach sich zieht, die bis in die Diffamierung reichte. Andere Menschen, die weniger bekannt sind, haben da sicherlich anderes erlebt. Aber das würde als Diskussionshintergrund in diesem Ordner dann doch zu weit führen. Man kann eben nicht sagen, was, wie und wo man will. Da stimme ich mit dir überhaupt nicht überein.
Zitat von Jatman
Das Kriterium der Aktion ist nicht, dass man diese Protestvariante als sozial verträglich einschätzen sollte, ebenso nicht, dass man sie mal wegfängt. Das Problem sind, wie Du bereits anreißt, die nahezu grotesken und bizarren Folgen. Es geht um den Beleg, dass freie Willensäußerung nicht gewünscht ist.
Klar. Wie gesagt, ich finde das Urteil auch eine Schweinerei. Aber das ändert nichts daran, dass auf Putin anders geblickt wird als auf andere Länder, in denen die Schweinereien nicht so offensichtlich sind.
Art & Vibration
back to the roots
"Und ich denke, Dostojewski hätte hier seine Menschlichkeit über die eigenen Erfahrungen gestellt und dieses Urteil eben nicht befürwortet."
Da sind wir wieder beisammen. Sehe ich genauso wie Du. Und hier doch in Anlehnung an das vorherige Posting. Dostojewski hätte dies blasphemische Aktion der Frauen vermutlich auf die Plame gebracht. Und es hätte ihn betrübt, dass man Kirche und Zar schändet. Aber, und das findet man mehrfach in seinen Tagebüchern - hätte er erkannt, dass bei aller Inakzeptanz gegenüber ihrem Verhalten, die Strafe, wenn sie hätte überhaupt sein müssen, in keinem Verhältnis zum Anlass steht.
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Klar. Wie gesagt, ich finde das Urteil auch eine Schweinerei. Aber das ändert nichts daran, dass auf Putin anders geblickt wird als auf andere Länder, in denen die Schweinereien nicht so offensichtlich sind.
Ja. Sehe ich auch so.
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"Man kann eben nicht sagen, was, wie und wo man will. Da stimme ich mit dir überhaupt nicht überein."
Schade. Eine Diskussion, die hier tatsächlich nicht herpasst und vermutlich auch nur persönlich zu führen wäre, um der Gefahr von vielen vielen Missverständnissen aus dem Wege zu gehen. In einem Thread, gleich welchem, ist dieses Thema vermutlich nie ansprechend zu erörtern.
Ich mach mich mal ans 4. Kapitel
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4. Kapitel
Goljadkin schleicht sich zu der Feier seines Vorgesetzten ein - und befindet sich in einer Gesellschaft in die er nicht gehört, in der er sich nicht zu bewegen weiß und sie letztlich panisch verlässt.
Man könnte meinen Dostojewski beschreibt hier, wie es ihm ergangen ist, als er sich auf gesellschaftlichem Parkett bewegen musste, ohne Erfahrung, und deswegen ja auch schnell scheiterte. Es mutet an wie 1 zu 1.
5. Kapitel
Auf der Flucht vor der Gesellschaft, trifft er das erste Mal auf sich selbst. Es kommt noch zu keinem Wortwechsel. Er ist bisher an keiner Stelle des Buches souverän in Erscheinung treten. Man erwartet es auch nicht. Was man erwartet, ist eine Zuspitzung Goljadkins Verwirrung.
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Man stelle sich mal vor, zu Dostojewskis Zeiten hätte es bereits E-Mail gegeben. Der hätte ja Gott und die Welt permanent wegen Geld zugemailt.
Dann hieße Spam sicherlich auch nicht in Anlehnung an Monty Python SPAM sondern FJODOR.
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RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 09.11.2012 00:36von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Was den Bezug zum Jetzt betrifft, habe ich eine witzige Stelle im "Jüngling" gefunden, die heute im Vergleich beider Materien wohl umgekehrt gelobt würde. Sie betrifft auch unsere Gedanken, die wir hier geäußert haben:
Zitat von Taxine im Beitrag #11Zitat von Jatman
„Das Bild finde ich übrigens stark“
Weshalb denn konkret? Meine Vermutung: Er sieht auf dem Bild nicht so sinnierend aus. Nicht so leidend. Nicht so weltenrückt. Nicht so hager. Er hat ein leichtes Schmunzeln drauf. Wirkt robuster. Sein Blick ist nicht so düster.
Ja, weil er da wie ein Mensch aussieht, wie ein atmender, lebendiger, unverkrampfter MENSCH.
Zunächst die Aussage des Jünglings:
Zitat von Dostojewski
"Ich hatte von diesem Bildnis nichts gewusst und nie etwas davon gehört, und was mich noch besonders überraschte, war die für eine Photographie ganz erstaunliche Ähnlichkeit, gerade die, ich möchte sagen, geistige Ähnlichkeit. Es war wie ein wirkliches Porträt von Künstlerhand und gar nicht wie eine mechanische Aufnahme."
Und der "Jüngling" gibt auch eine für mich sehr befriedigende Antwort auf die Fotoaufnahme damaliger Zeiten und Dostojewskis Wirkung auf den Bildern selbst. Dort sagt Werssiloff zum Jüngling:
Zitat von Dostojewski
"Merke dir, (...) photographische Aufnahmen sind sehr selten ähnlich, und das ist leicht zu erklären: das Original, das heißt, ein jeder von uns, ist ja auch im Leben nur äußerst selten sich selber ähnlich. Das Gesicht eines Menschen zeigt seinen wesentlichsten Zug, seinen kennzeichnendsten Gedanken eben nur ausnahmsweise in Augenblicken. Der Künstler studiert das Gesicht, das er malen soll, und erhascht diesen eigentlichen Ausdruck des Gesichts, er errät sozusagen den Hauptgedanken des Menschen und gibt ihn im Bilde wieder, auch wenn das Gesicht des Betreffenden diesen Ausdruck während des Modellsitzens zumeist gar nicht hat. Die Photographie aber gibt den Menschen genau so wieder, wie er in dem einen Augenblick der Aufnahme aussieht, und da ist es nicht ausgeschlossen, dass zum Beispiel Napoleon, in einem zufälligen Augenblick photographiert, auf einer Photographie dumm aussehen könnte ..."
... oder eben Dostojewski ernst bzw. eigenartig zurückgeblieben, leidend oder weltentrückt.
Na, wenn das mal nicht d i e Erklärung auf unsere Gedanken über die Bildnisse Dostojewskis per se ist. Darum wirkt er auch immer so verschieden, so "momentan" und gar nicht "wirklich". Ich finde tatsächlich auch, dass er im Bildnis von Perow doch am besten herüberkommt und in Ausdruck und Haltung dem Mann in seinen Werken am nächsten kommt.
(Quelle: Jatman's Dostojewski-Seite)
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
Geht ja mal garnicht. Ich könnte vermutlich auch blind auf einen Zeitungsartikel tippen und keine 24 Stunden später hast Du das passende Zitat aus dem Jüngling gekramt.
Sicherlich lese ich oberflächlicher, aber mein Doppelgänger Goljadkin hat eher keine Weisheiten zu bieten.
6. Kapitel
Ich tu mich bereits schwer beim lesen. Lust an der Geschichte kommt nicht auf. Es wird am maximal zur Hälfte an der Geschichte liegen. Ich kann kein Buch zweimal lesen. Das wird immer mehr zum unumstößlichen Faktotum.
Inzwischen steht Goljadkin auch mit sich selbst im Gespräch. Könnte eine ergiebige Situation sein. Die Dialoge die er mit seinem Ego führt, nehmen leider keine Rücksicht auf den Leser. Das heißt, in kürzester Zeit weiß man nicht wann der echte Goljadkin spricht und wann nicht. Ich lese kann aber nur schwerlich zuordnen. Vielleicht hat das auch System seitens Dostojewskis. Aber gleich ob Absicht oder Nachlässigkeit, mir verleidet es das Lesen bereits jetzt im ersten Drittel.
Da wünsch ich mir doch lieber die gerade erschienene Autobiographie von Pete Townhend.
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