HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
|
Die Kapitel 13 und 14 finde ich sehr spannend. Daniel wurmt es noch wegen Helena. Als d'Espard fragt, ob Daniel die Jacke lieber Helena geschenkt hätte, ist Daniel überrascht und streitet natürlich alles ab; er sagt auch, er habe sie nie geküsst (ob das stimmt?).
Das Fräulein ist aber unsicher, Hamsun erzählt so schön:
In Antwort auf:
Wie Fräulein d'Espard jedoch dastand, war sie nicht die Spur hübsch, sondern sie war zahnlos mit enstelltem Gesicht und geschwollenem Leib.
Ich habe zu diesem Zeitpunkt auch nicht gewusst, dass sie schwanger ist, und ich frage mich nun von wem? Von Daniel oder vom Grafen?
Das Fräulein will nämlich das Aufgebot zur Hochzeit hinauszögern. Vielleicht denkt sie noch an den Grafen. Kann sein, denn im Kapitel 14 taucht er wieder auf.
Daniel und Fräulein d'Espard sind also gleich vorbelastet.
zu Daniel:
In Antwort auf:
Es schadete jedenfalls nichts, daß in der Kirche aufgeboten wurde, er hatte lange genug auf diesen Augenblick gewartet, da er das Kirchspiel in Erstaunen setzen wollte.
In Wahrheit denkt er aber an Rache, ja, denn er wünscht im insgeheimen, dass nun Helena eifersüchtig wird. Das sind die wüsten Gedanken eines Enttäuschten. Irgendwie mag er auch eitel sein. Er hatte das Haus wegen Helena gebaut, nun ist sie weg, eine andere muss her (als Notlösung?).
Gegenüber Helmer gibt Daniel ganz schön an, was er für eine tolle Frau er hat: hier glänzt sein Eytelscheytel
In Antwort auf:
Ja du meinst vielleicht, sie wäre ein häßliches altes Frauenzimmer,das keiner haben wollte? Hoho...
Dieses Hoho, wie er sich aufplustert bis zur gesalbten Stirn . Ich habe den Eindruck, ein meint das nötig zu haben, um sein Minderwertigkeitskomplex zu verdecken, den er durch Helenas Abfuhr bekommen hat. Die Zahnlücke will er deswegen auch nicht sehen.
Nun trifft Daniel seine Verflossene. Sie wünscht im Glück zur bevorstehenden Hochzeit.
Daniel:
In Antwort auf:
Ich hätte dich vielleicht erst fragen sollen? sagte er bissig. Sie bedeutete ihm ja nicht die Spur mehr; daß er errötete, war nur die Spannung.
Da rumort es, gell?
Liebe Grüße
Martinus
Hallo Martinus,
ja, es wird immer spannender. Als Herr Fleming so plötzlich wieder auftauchte (als der Mann mit dem Handkoffer beschrieben wurde, hoffte ich schon auf Moß ), da dachte ich: Ach du meine Güte, Madame d'Espard sitzt jetzt ganz schön in der Klemme, weil sie doch auch etwas von dem Geld verbraten hatte, das er ihr anvertraut hatte. Ich dachte, er käme, um es sich zurückzuholen. Aber, er kommt wohl wegen ihr, das Geld scheint ihm ziemlich egal.
Vielleicht ist auch Herr Fleming nicht der Vater. Daniel ist es auf keinen Fall. Sie hat vorher schon in dieser verzwickten Lage gesteckt, weil sie so verzweifelt nach einem Ehemann Ausschau gehalten und sich recht devot an Fleming geklammert hat. (Außerdem ist die Ausrede der Frühgeburt ziemlich offensichtlich, weil Daniel mehrmals betont, dass das Kind "größer als er selbst bei der Geburt wäre, dass es normal aussieht, usw.) Dieser füllt mit Madame d'Espard seine neue Stube und will auf eine Art so Helena wieder auf sich aufmerksam machen, während Julie sich ihn als Scheinvater ausgesucht hat.
Jetzt ist der elegante Herr Fleming wieder da, und schon verfällt sie ihm wieder ein bisschen. Vielleicht war auch er nur Ausrede-Gatte für ihr Kind. Damals war wohl das Alleinerziehende/und dabei Unverheiratete verpönt, warum sie die ganze Zeit so über ihren Zustand erschrocken war. Ihr hysterisches Wesen ist nicht ganz so ausgeprägt, obwohl sie schon in diese depressiven Zustände verfällt. Da sie sich aber ein Leben aufzwängt, das sie gar nicht will, nur, um nicht als "Gefallene" zu erscheinen, ist dieses Verhalten auch nachvollziehbar.
Herr Fleming ist abgebrannt (wie Julie dann vergleicht, dass er wenigstens Handschuhe anhatte (wenn auch abgetragene), um ihr die Rechnung zu zeigen, um seine Eleganz zu verdeutlichen (die Einstellung erinnert ein bisschen an Gestalten von Tolstoi)), und Daniel hofft ebenso auf das Geld aus dem Koffer. Madame d'Espard muss sich langsam zwischen ihnen entscheiden. Das klingt schon tragisch, wenn sie die Wahl treffen muss, für welchen der zwei Männer sie das Geld auslegen soll.
Hier fasst es Hamsun schön in Zeilen, was sie sich da aufgehalst hat.
In Antwort auf:
(... ) sie lebte hier auf der Grenze zwischen zwei Gesellschaftsschichten, ein lächerliches und unhaltbares tägliches Leben, ein geliehenes Leben, wenn sie auch versucht hatte, Wurzeln darin zu schlagen.
Liebe Grüße
Taxine
Hamsuns Lakonie ist unglaublich messerscharf:
In Antwort auf:
Auch er war ein Mensch, er hatte vergessen, auf allen vieren zu gehen und seinen Feind zu zerreißen, dafür aber gelernt, zu schießen. Nein, er war keine Größe, kein Held, er war, wie Menschen sind.
Es ergibt sich aber die Frage, ob Daniels Situation einen Mord rechtfertigt. Ich glaube das nicht. Er hätte auch verzichten können, dann hätte er Größe gezeigt. So zeigt er aber nur Schwäche. Hamsun will wohl sagen, Menschen sind schwach, sie sind von ihren Trieben, ihren Eifersüchteleien getrieben. In diesem Durcheinander denken sie nicht klug und wenden Gewalt an. In Hamsuns Aussage steckt keine Hoffnung, dass Menschen auch besser sein könnten. Der Vergleich mit den Tieren hinkt doch etwas. Tiere verzehren andere Tiere, um zu überleben; ist also notwendig. Solange ein Mensch vernünftig denken kann, bringt er keinen um.
Im Roman haben wir es aber mit einem klassischen Mordmotiv zu tun. Ein Tragiker ist Hamsun sowieso.
Mir kamen sofort Gedanken, wie der Mord hätte verhindert werden können, aber ich kann die Worte des Romans nicht ändern
Übrigens, wer der Vater des Kindes ist immer noch offen. Fräulein d'Espard und Fleming können gelogen haben.
Liebe Grüße
Martinus
RE: Knut Hamsun
in Die schöne Welt der Bücher 15.08.2007 23:58von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Was meinst du, ob Fleming oder ein anderer der Vater ist? Ich glaube jetzt schon, dass Fleming doch der Vater ist, im Heuschober haben sie sich ja "vereint". Auch von der Zeit kommt es hin. Zudem gibt's ja den Arztbericht.
Der Mord war irgendwo vorhersehbar, nur dachte ich, dass Daniel sie erschießen würde. Madame d'Espard kann sich hinterher an nichts mehr erinnern. Was für ein Spiel spielt sie jetzt wieder?
Und, was meinst du? Wie hätte denn der Mord verhindert werden können? Vielleicht hätten sie einfach ein paar Leute im Sanatorium zusammentrommeln müssen, in der Gruppe zur Hütte marschieren sollen, das Kind hinausholen können. Es ist für mich auch nicht schlüssig, warum sie mit Fleming und dem Kind nicht hätte fliehen können. Der Transport so eines kleinen Geschöpfes ist zwar schwierig, aber nicht unmöglich.
Wir gehen dem Ende entgegen, was?
Bin gespannt.
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
@ Taxine
In Antwort auf:
Es ist für mich auch nicht schlüssig, warum sie mit Fleming und dem Kind nicht hätte fliehen können.
das dachte ich auch. Wenn Daniel im Kirchspiel gewesen ist, hätte sie fliehen können. Es ist ihr zu spät eingefallen, denn Daniel hat sie ständig beobachtet.
Fleming ist wohl der Vater ja. Wenn Daniel das wüßte, wäre es für ihn noch aussichtsloser.
Liebe Grüße
Martinus
Ich glaube, er weiß es, er will es sich nur nicht eingestehen. Er hatte sich so auf diese Heirat versteift, dass er nichts mehr hat gelten lassen. Nicht, das die Dame ihm mehrmals sagte, dass es ihr nicht mehr möglich ist zu heiraten, wie auch nicht, dass Herr Fleming beim Pastor längst Einspruch erhoben hat, was eine Heirat unmöglich macht.
Der Pastor hat ihm ja durch die Blume gesagt, dass das Kind nur ein paar Tage zu früh gekommen sei, nicht mehrere Wochen. Das hat er, so denke ich, schon verstanden.
Warum sie ihn jetzt aber verteidigt, leuchtet mir auch nicht ein. Sie beschützen ihn ja, Marta und Julie, decken ihn. Dann hat ihr Fleming vielleicht als Mensch doch nicht so viel bedeutet, lediglich seine zarte, elegante Art, und weil sie das "andere Leben" in Städten vermisste.
Hier heißt es:
In Antwort auf:
(... ) Daniel erhielt ein herzlich mildes und gerechtes Urteil: sieben Jahre, es war eine Gnade von Gott und den Menschen (... )
Ein gerechtes Urteil für einen Mord. Hm... Entweder, Hamsun ergreift hier Partei, oder er meint es in Bezug auf das Schicksal, das Daniel zuvor erleiden musste, und aus den Augen der Menschen, die seltsamer Weise alle auf seiner Seite sind. (Besonders bei Madame d'Espard erstaunt es mich, denn immerhin hat er sie um eine mögliche Zukunft beraubt, die ihrem zarten Wesen eher liegt. Aber, sie findet sich ja jetzt gut zurecht, sieht die harte Landarbeit als angenehmes Abschalten ihrer Gedanken.)
So oder so ist es aber nicht gerecht, wenn er aus Eifersucht einen anderen Mann niederschießt. Überhaupt wird das hier alles abgetan, als wäre er im Recht gewesen. Das wundert mich schon.
So muss man dann wohl die Worte des Selbstmörders gelten lassen, der da sagt:
In Antwort auf:
Wieviel ist nun unsre eigene Schuld und wieviel die anderer? Wir haben jeder das Unsere zu schleppen, und wir fehlen alle und sind Menschen.
Viele Grüße
Taxine
Wow... was für ein Ende. Erschütternd. Beklemmend. Und doch auch so voller neuer Hoffnung.
In Antwort auf:
... in Gutem und Bösem, so erdenhaft beschäftigt. So nennen wir es hier ...
Jetzt bin ich am Rätseln, denn Hamsun hat uns noch ein paar versteckte Ungereimtheiten hinterlassen. Die um Moß zum Beispiel, von dem der Arzt sagte, er würde, obwohl er ja Briefe schrieb, trotzdem nicht zum Treffen nach Kristiania kommen. Ist er wohl doch gestorben? Die Briefe landeten ja immer beim neuen Doktor, und der alte hatte nun einmal Lepra bei ihm diagnostiziert. Vielleicht war es eine gute Tat, von irgendjemandem, der den Selbstmörder anonym wieder aufrichten wollte? Vielleicht der Briefträger, wo ihm der Selbstmörder den Fünfkronenschein schenkt. Natürlich wirkt es ganz unscheinbar, als ob er nur in seinem kurzzeitigen Glücksgefühl hilfreich sein wollte, es kann aber genauso gut heißen, dass er den Briefträger für seine Mühe belohnen wollte, ihm die angeblichen Briefe von Moß (als Therapie und Ermunterung für ein neues Leben) zu schreiben, aber wenigstens durch einen anderen überbringen zu lassen.
All das ergibt Sinn.
Zu Hamsun. Meine Güte. Er packt mich immer wieder. Völlig egal, welchen Roman ich von ihm lese.
Ich kann hier nur Gorki zupflichten, der über ihn sagt:
In Antwort auf:
(... ) Hamsuns Dichtung ist in Wahrheit eine "Heilige Schrift" über den Menschen, sein Stil ist vollständig frei von äußerem Prunk oder von Pracht. Seine Schönheit liegt in seiner absoluten, blendend schlichten Wahrheit, wodurch die norwegischen Menschen, die er schildert, ebenso überzeugend schön werden wie die Statuen des antiken Griechenlandes.
Ja, schlicht ist die Sprache, aber gewaltig die Handlung, und alle Gestalten, die er da erschaffen hat, schließt man als Leser irgendwo unvergesslich ins Herz.
Ich bin bewegt und begeistert!!!
Zum Schluß noch den Selbstmörder zitiert, um ein bisschen darüber nachzudenken:
In Antwort auf:
Ich habe mich zuschanden gewartet…
und
In Antwort auf:
Ach ja, der Tod macht reinen Tisch mit uns, wir taugen nicht zum Leben, wir sind zu klein für die Stiefel, in denen wir gehen, und dann stolpern wir in ihnen.
Liebe Grüße
Taxine
Mal noch was zum Fräulein. Nach dem Mord an Fleming wäre doch jede andere Frau entsetzt gewesen und hätte Daniel auf der Stelle verlassen. Marte verhält sich da auch seltsam gelassen.
Nun, jeder schleppt seins durch die Welt, gelle?
Den Selbstmördertyp fand ich grandios. Meine liebste Figur aus dem Karikaturenkabinett.
Besonders rührend, dass am Schluss ein einziges Mal in der zum Tode gekennzeichneten Welt ein wenig Hoffnung schimmert:
In Antwort auf:
Da man nicht am Tode hängen kann, hängt er am Leben.
Meinen Hut ab.
'n schönen Abend noch
Martinus
RE: Knut Hamsun
in Die schöne Welt der Bücher 16.08.2007 00:03von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Ja, der Selbstmörder und Moß waren meine Favoriten, besonders in ihrem sarkastischen Zusammenspiel.
Es ist irgendwie völlig still geworden, sobald man das Buch zugeschlagen hat. Man hat ja so mitgefiebert, die Menschen liebgewonnen.
Du hast es gut, du kannst, wenn du willst, direkt in den "Segen" springen.
Mich würde auch "Der Ring schließt sich" von ihm interessieren, scheinbar sein letzter Roman, wenn man mal von den autobiografischen Sachen absieht, die er im hohen Alter noch verfasst hat.
Die Geschichte klingt auch interessant. Es geht um den Nichtsnutz und Weltenbummler Abel, der keinen Wunsch nach dem Streben und Leben und Werden hat. Erinnert ein bisschen an Oblomow. Er ist wunschlos, ohne Ehrgeiz, dabei aber scheinbar einer dieser großartigen Sonderlinge, die Hamsun schon in Mysterien entwickelt hat.
Auf jeden Fall werde ich von Hamsun alles lesen, was man von ihm bekommen kann. Pan - Victoria - Segen der Erde - und eben genanntes. Obwohl: Die ersten Romane Hamsun locken mich nicht so, weil er da scheinbar noch auf der Suche war. Ich habe keine Lust auf das Triviale, das ihm in einigen seiner Schriften nachgesagt wird. Aber, vielleicht muss man sich da auch selbst ein Bild machen.
Na gut. Dir auch eine schöne Nacht. Es war mir wie immer eine Freude. Ich lese direkt Perutz. Bin gespannt, was mich hier erwartet. Ab nach Wien und in die klassische Verfolgungsjagd.
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
Hallo Taxine,
ich werde noch einmal Revue passieren lassen und "Das letzte Kapitel" für mich noch mal zusammenfassen.
Ja, dann stürze ich mich in den "Segen der Erde" und anschließend in seine Biographie. Darüber wird hier vielleicht auch noch diskutiert. Ich bin gerade so im Hamsun drin, deswegen klug, bei ihm noch zu verweilen.
Den Perutz bekommst du flott durch. Eine schöne Zeit dabei wünscht dir
Martinus
Ich muss erst mal sehen, wann ich wieder in die Buchhandlung komme. Im Moment ist es schlecht von der Zeit. Aber berichte ein bisschen, ich hole dich dann schon ein, wenn ich den "Segen" habe.
Der Perutz ist toll!
Liebe Grüße
Taxine
Hallo,
hier meine ersten Eindrücke über den "Segen der Erde":
Zu Beginn fühlte ich mich in alttestamentarische Zeiten versetzt.
In Antwort auf:
Der lange, lange Pfad über das Moor in den Wald hinein – wer hat ihn ausgetreten? Der Mann, der mensch, der erste, der hier war. Für ihn war noch kein Pfad vorhanden.
Niemand weiß, woher er kommt.
In Antwort auf:
Der Mann ist stark und derb, er hat einen rostigen Band und kleine Narben im Gesicht und an den Händen -
Wie ein Nomade, der sich ein Stück Land ausssucht, zieht er umher, bis er Land gefunden hat, wo er sich niederlassen will seine Heimat findet. So in etwa ist es auch in der Menschheitsgeschichte abgelaufen. Der Mann heißt Isak, macht Ödland fruchtbar, betreibt Viehzucht, baut Haus und Stall, eine Frau namens Inger gesellt sich zu ihm, sie bekommen Kinder.
Warum Isak und Inger abgeschieden wohnen wird beantwortet:
In Antwort auf:
Isak war mit dem rostigen Vollbart und dem zu untersetztem Körper, er war ein greulicher Mühlgeist, ja wie durch eine verzerrende Fensterscheibe gesehen. Und wer sonst ging mit einem solchen Ausdruck im Gesicht umher? Es war, als könne er jeden Augenblick eine Art von Barrabas loslassen. Es bedeutete schon viel, daß Inger nicht davonlief.
Nun passt Inger zu ihm, denn sie hat eine Hasenscharte, im Dorf wollt sie kein Mann anschauen. Sie habe eine Enstellung, weil ihre Mutter, als sie schwanger war, einen Hasen gesehen hat. Hier spielt Aberglaube eine Rolle. Inger hatte immer die Befürchtung, die Hasenscharte könne sich auf ihre Kinder übertragen. Ihre beiden Söhne waren aber kerngesund und wohlgestaltet, dass dritte ein Mädchen erstickte und vergrub die Mutter. Das Mädchen hatte eine Hasenscharte.
Mir ist nicht klar, warum Hamsun jetzt so eine Thematik aufbrüht? Eine Variation von Quasimodo? (ach Hugo, schmatz). Diese prächtigen Menschen, die auf dem Lande so größartiges leisten, verstoßen von der Gesellschaft nur weil sie ein wenig ruppig aussehen. Mich würde es interessieren, was für Intentionen Hamsun hatte, dieses darzustellen. Vielleicht hilft mir dann die Biografie.
Natürlich kommt Ingers Untat zu Tageslicht, sie wird verurteilt. Doch zuerst will sie es verschweigen. Gespräch zwischen Isak und Inger:
In Antwort auf:
Ist es eine Fehlgeburt gewesen? Fragte er. - Ja. - So. Und du hast keinen Schaden davongetragen? - Nein. Du Isak, ich habe schon so oft gedacht, ob wir uns nicht Schweine aufziehen sollten.
Oh, wie knallhart bissig kann Hamsun sein. Abgehakt erledigt. Aber nun, das Gesetz kommt.
In Antwort auf:
Das Gute geht oft einen spurlosen Weg, das Böse zieht immer seine Folgen nach sich.
Vom Charakter her gesehen sind Isak und Inger Menschen, die keine Zeit für Sorgenmacherei haben. Sie arbeiten rechtschaffend um zu überleben. Inger erzieht ihre Kinder, der Mann schuftet bestialisch hart. Sie sind in der Natur, in ihrer Umgebung integriert. Das Leben in der Natur verlangt natürlich auch Härte und Abgebrühtheit, sonst hätten sie die paar Jahre dort nie überleben können. Und dann aber diese Untat, die Angst vor der körperlichen Verunstaltung der Kinder. Warum das? Vielleicht bekommen wir das noch heraus.
Liebe Grüße
Martinus
Hallo Martinus,
ja wirklich, welch ein Thema. Diese Abgeschiedenheit des Menschen, in der Natur zu überleben, wo (um aus deinen Ausschnitten zu ersehen) der Mensch fast selbst zum Tier wird und gar tötet.
Vielleicht soll es zeigen, dass der Aberglaube über der menschlichen Moral steht. Dass aus dem Bauch heraus die Liebe der Mutter nicht ausreicht, wenn sie ihre eigenen Ängste gespiegelt sieht und diese dann so grausam aus der Welt schafft.
Das ist schön, dass du hier ein bisschen berichtest. Dankeschön!
Liebe Grüße
Taxine
Taxine sagte:
In Antwort auf:
Dass aus dem Bauch heraus die Liebe der Mutter nicht ausreicht, wenn sie ihre eigenen Ängste gespiegelt sieht und diese dann so grausam aus der Welt schafft.
Das trifft zu, denn, als Inger Jahre später aus dem Gefängnis herauskommt, bereut sie ihre Tat. Inger selbst hat während ihrer Haftzeit die Hasenscharte wegoperieren lassen. Da habe ich doch den Eindruck, der Frau habe das Gefängnis nicht übel getan, denn sie lernte mit einer Nähmaschine umzugehen, und kann weben. Für ihre Tochter Leopoldine, sie kam im Gefängnis zur Welt, und für sich schuf sie schöne Kleider und kommt nach den Knastjahren mit einer Portion Bildung zurück. In der Gefangenschaft lernten Mutter und Tochter das Schreiben.
Nun der Hauptkonflikt des Romans:
Isak ist natürlich der Naturbursche geblieben. Er brauchte niemals lesen können, wenn er eine Scheune baute oder ein Sägewerk. Bildung konnte er auch seinen Söhnen nur begrenzt beibringen. Sivert, der Jüngere, hat eine die handwerkliche Ader vom Vater gelernt, Eleseus geht in die Stadt, lernt schreiben und arbeitet in einem Büro. Inger näht Kleider für die Frauen vom Dorf und wünscht sich zu Isaks Entsetzen eine Dienstmagd. Inger hat auch nur noch sehr wenig Zeit, Isak bei der Arbeit zu helfen. Sie ist inzwischen zu fein geworden.
Inger über Isak:
In Antwort auf:
Aber eine besondere Pracht oder Schönheit war keineswegs an ihm. Nein, darin war Inger ihm überlegen. Bisweilen dachte sie wohl auch, sie habe schon Schöneres gesehen, Männer in feinen Kleidern und mit Spazierstöcken, Herren mit Taschentüchern und gestärkten Kragen, o diese Stadtherren. Deshalb behandelte sie Isak auch nur als den, der er war, sozusagen nur nach Verdienst, nicht besser: er war ein Ansiedler im Walde; wäre ihr Mund von jeher recht gewesen, so hätte sie ihn nie genommen, das wußte sie jetzt.
Über Inger heißt es:
In Antwort auf:
Jawohl, Inger hatte sich verändert und dachte nicht mehr beständig an ihr gemeinsames Bestes, sondern an sich selbst. Wohl hatte sie Kardätschen und Spinnrad und Webstuhl wieder in Gebrauch genommen, aber sie saß viel lieber an ihrer Nähmaschine, und als der Schlosser ihr ein Bügeleisen geschmiedet hatte, war sie fertig ausgerüstet, um sich im Schneidern als regelrecht ausgebildet zu zeigen....
Tja, Hamsun prangert die Eitelkeit der Menschen an. Ich kann das, Ich kann dies, ich bin ja so toll.
Isak dagegen beobachtet, wie immer mehr Leute sich in seiner Gegend ansiedeln, schöne Häuser bauen, von Landwirtschaft aber wohl weniger Ahnung haben. Isak prahlt nicht öffentlich, stellt nur fest, sein Nachbar Brede Olsen könne noch nicht mal das Moor entwässern und Felder schaffen. So muss Isak mit ansehen, das Land einfach zugebaut und landschaftlich nicht erschlossen wird. Was für ein Unsegen auf der Erde.
Liebe Grüße
Martinus
Hallo Martinus,
aus deinen Worten erfährt man fast selbst den Lesegenuss. Also dazwischen auch wieder das Thema der Eitelkeiten.
Nach der Kindstötung ist sie also ins Gefängnis gegangen? Auf wen ist denn Hamsuns Blick gerichtet? Teilt sich sein Auge zwischen Isak, der weiter sein Leben führt, und Inger, die im Gefängnis ist?
Wie hat sie sich denn die Hasenscharte wegmachen lassen? Oder, wie ist sie darauf gekommen?
Wurde sie auch im Gefängnis gehänselt?
Und wie hat denn Isak diesen Mord verarbeitet? Was hat er davon gehalten? Ich meine, wenn sie dafür ins Gefängnis gegangen ist, muss er ja erkannt haben, dass es sich nicht um eine Fehlgeburt gehandelt hat. Oder?
Liebe Grüße
Taxine