background-repeat

Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst


#31

RE: Charles Dickens

in Die schöne Welt der Bücher 08.02.2011 17:55
von LX.C • 2.821 Beiträge

Zitat von Martinus
Mr. Murdstone, ein Verbrecher, weil er die Kinderseele von David Copperfield traumatisiert, verprügelt ihn, weil er angeblich nicht lernen kann, dabei kann er sein gelerntes nicht wiedergeben, weil eben der Murdstone mit seiner giftigen Schwester in der Nähe ist. David hat einfach nur Angst. Durch die Schläge mit dem Rohrstock sich der Junge Schuldgefühle aufbaut


Ja, Seelenmörder ist der richtige Ausdruck. Denn viel schlimmer als die körperliche Pein, er wird ja nur ein Mal geschlagen und beißt dem Murdstone dabei so fest in die Hand, dass dieser es nie wieder tut, sind die seelischen Qualen, die ihm und seiner Mutter und über die Mutter wieder ihm zugefügt werden. Letztlich die Mutter daran sogar zugrunde geht. Nun hat sich Murdstone das Anwesen der Mutter unter den Nagel gerissen und den Jungen schickt er arbeiten, weil er das Geld für die Schule nicht mehr bezahlen will.


--------------
[i]Poka![/i]

zuletzt bearbeitet 08.02.2011 17:56 | nach oben springen

#32

RE: Charles Dickens

in Die schöne Welt der Bücher 10.02.2011 15:38
von Martinus • 3.195 Beiträge

Zitat von Taxine
Oder als der Kutscher sich nach Peggotty erkundigt, ob sie gut kochen könnte und dem Jungen dann brummig und knapp mitteilt, er solle ausrichten: "Barkis will.", was dieser auch im Brief an Peggotty erwähnt, sogar mit Nachtrag: "Es ist mir nochmals aufgetragen worden: Barkis will."



Mr. Barkis ist eine bezaubernde Nebenfigur. Außerdem, Copperfield weiß gar nicht, was dieses "Ich will" zu bedeuten hat. Pegotty ist ganz aufgelöst und lacht, als Coppefield sie persönlich noch mal auf den Brief anspricht. Sie wolle nicht heiraten usw., schließlich landet sie doch bei Mr. Barkis. Und vorher noch, diese Entäuschung Barkis', weil Pegotty auf den Brief nicht geantwortet hat. Das ist alles so realistisch und genial aus dem Leben gegriffen. Diese kleine Szenerie hat so viel Herz und Menschsein. Es geht aber noch weiter. Olivers Mutter stirbt, warscheinlich aus Gram wegen dem Murdstone. Pegotty und David haben ein sehr herzliches Verhältnis, sie wird aber von Mr. Murdstone aus dem Haushalt entlassen. Pegotty verspricht ihrem Zögling, dass sie sich regelmäßig besuchen werden. Doch dann, als Pegotty mit Mr. Barkis in das Haus des Kutschers gehen, fühlt David, er werde sie aus den Augen verlieren. So etwas passiert so oft, dass Menschen, auch Freunde,sich wegen irgendwelcher Lebensumstände verlieren. Das kann sehr schmerzen, wenn man nicht loslassen kann. Oliver Twist war wirklich eine Anfängerstudie. Dickens ist ein guter Menschenkenner und Beobachter. Meine Verehrung. Manchmal weiß ich gar nicht, dass ich einen Roman aus dem 19. jahrhundert lese, z.b. wenn ich über Emly lese, die bei einem zweiten Besuch Davids, einen Kuss von dem Buben ablehnt und sich ziert. Tja, sie ist eben älter geworden, und dann dass hier:

David und Emly: (heißt das Mädchen bei euch auch emly, oder doch Emily, ich lese auch aus Meyrink, aber im Fischer TB).

Zitat von Dickens
Ich sagte ihr, ich könne nie eine andere lieben und wäre bereit, jeden umzubringen, der sich um sie zu bewerben wagte.
Wie sich die kleine lustige Emly darüber lustig machte! Mit einer Miene, als sei sie unendlich viel gescheiter und älter als ich! Sie sagte, die kleine Hexe, ich sei ein kindischer Junge, und lachte dann so entzückend, daß ich den Schmerz über die demütigende Benennung über der bloßen Freude, sie ansehen zu dürfen, vergaß.



Dieses Pubertätsgeschwätz ist auch voll aus dem Leben gegriffen. Köhöstlich, aber die Mädel, ne, die verstehn die Jungen nicht, nüch wahr ! Wie kann man nur...tz tz

Copperfield, von allen verlassen, auch Murdstone kann mit ihm nichts anfangen...

Zitat von Dickens
Ich weiß nicht, was ich mit ihm anfangen soll. Er ist ein schwieriger Fall



..will David ein neues Leben anfangen, ein Leben auf eigener Faust.

Liebe Grüße
mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 10.02.2011 15:55 | nach oben springen

#33

RE: Charles Dickens

in Die schöne Welt der Bücher 10.02.2011 19:34
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Zitat von Martinus
... (heißt das Mädchen bei euch auch Emly, oder doch Emily, ich lese auch aus Meyrink, aber im Fischer TB).


Das Mädchen heißt bei mir auch Emly. Die Namen sind sowieso herrlich. Wenn ich z. B. Uriah Heep lese, dann wandern meine Gedanken direkt auf eine andere Bühne.




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 10.02.2011 20:27 | nach oben springen

#34

RE: Charles Dickens

in Die schöne Welt der Bücher 11.02.2011 00:09
von LX.C • 2.821 Beiträge

Zitat von Martinus
"Sie sagte, die kleine Hexe, ich sei ein kindischer Junge, und lachte dann so entzückend, daß ich den Schmerz über die demütigende Benennung über der bloßen Freude, sie ansehen zu dürfen, vergaß."


Bei mir Emilie, aber ei, da lob ich wieder die Prosodie meiner Übersetzung:

"Emilie sagte, ich sei ein törichter Junge, und lachte dann so liebreizend, daß ich den Schmerz über die demütigende Benennung in der Freude, sie anzusehen, vergaß." (102)

Mich würde interessieren, ob die Erzählung mit der Schule Doktor Strongs bei euch auch so einen großen Sprung macht, ab der Schlägerei mit dem Fleischergesellen, dem er unterliegt. Schnell ist Copperfield dann ein Jüngling, mit der Begründung, dass eben alles in der Schule so seinen Gang ging, und besiegt schließlich selbigen Fleischergesellen, dem er einen Schneidezahn ausschlägt.

Weiterhin würde ich gerne wissen, ob es Folgen hat, dass Copperfield dem Uriah Heep und dessen Mutter so viel erzählt, was er eigentlich für sich behalten wollte/sollte. Es wird in dem Kapitel betont, wie die beiden den Jungen beim Tee zum Reden bringen, ihm sozusagen alles was sie wollen aus der Nase ziehen. Nun frage ich mich, ob diese Szene einen Grund hat, der bei mir ausgespart ist.


--------------
[i]Poka![/i]

zuletzt bearbeitet 11.02.2011 00:10 | nach oben springen

#35

RE: Charles Dickens

in Die schöne Welt der Bücher 11.02.2011 15:34
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Hallo LX.C.

Zitat von LX.C
Mich würde interessieren, ob die Erzählung mit der Schule Doktor Strongs bei euch auch so einen großen Sprung macht, ab der Schlägerei mit dem Fleischergesellen, dem er unterliegt. Schnell ist Copperfield dann ein Jüngling, mit der Begründung, dass eben alles in der Schule so seinen Gang ging, und besiegt schließlich selbigen Fleischergesellen, dem er einen Schneidezahn ausschlägt.


Bei der vollständigen Version von "David Copperfield" handelt es sich um ein eigenartig eingeschobenes Kapitel (das 18. Kapitel) mit dem Titel: "Ein Rückblick". Ist mir auch stark aufgefallen, dieses Sprunghafte. Copperfield ist auf einmal rasend schnell siebzehn Jahre alt. Dickens Stil wechselt in diesem Kapitel allerdings komplett, wird erst nach dem Kapitel wieder gewohnt harmonisch. Er beschreibt nicht nur die Schlägerei, sondern mehrere Momente, in denen Copperfield sich hoffnungslos verliebt, allerdings gleichfalls relativ nichtssagend. (Ich meine, gerade die ersten romantischen Gefühle sind doch bei einem jugendlichen Menschen wichtig. Diese aber überspringt Dickens durch dieses Kapitel, als wäre ihm das Thema eher lästig.) Dabei wiederholt er unangenehm häufig die Namen der Personen, die Sätze sind knapp und ohne Liebe geschrieben, erinnern an Notizen, wirken fast stichpunktartig. (Vielleicht hat sie Dickens nur aus der Erinnerung eingeschoben oder war in schlechterer Stimmung?)
Um an einem Beispiel zu verdeutlichen:

Zitat von Dickens
Wer taucht da vor mir auf? Miss Shepherd ists, die ich liebe.
Miss Shepherd ist in der Pension bei Misses Nettingall. Ich bete Miss Shepherd an.


Ein doch eher leicht gruseliger Abschnitt voller Miss Shepherds und Miss Larkins. Danach geht es allerdings wieder wunderbar weiter.

Zitat von LX.C
Weiterhin würde ich gerne wissen, ob es Folgen hat, dass Copperfield dem Uriah Heep und dessen Mutter so viel erzählt, was er eigentlich für sich behalten wollte/sollte. Es wird in dem Kapitel betont, wie die beiden den Jungen beim Tee zum Reden bringen, ihm sozusagen alles was sie wollen aus der Nase ziehen. Nun frage ich mich, ob diese Szene einen Grund hat, der bei mir ausgespart ist.


Ich bin mir fast hundertprozentig sicher, dass hier noch Folgen auf Copperfield zukommen. (Ich bin allerdings erst im 19. Kap.) Das, was bisher geschehen ist, die Rückkehr von Mr. Micawber, der sein altes Leben kennt, die schmierige Aufmerksamkeit von Uriah Heep, der unterwürfig schleimig ist, wie auch seine Mutter von ganz genau gleichem Charakter - hier ahne ich noch Konsequenzen, hier erkenne ich doch Menschen, die das, was sie erfahren, noch für sich und gegen andere nutzen werden - das Arm-in-Arm-Laufen von Heep und Mr. Micawber als eine Bedrohung seines jetzigen guten Lebens, wird sicher noch unangenehme Auswirkungen auf Copperfield haben. Ich nehme an, Dickens schreibt hier nicht an einem Stück, nicht linear, sondern deutet vorerst nur an oder zeigt schon einmal den Charakter (der bei Heep ja wahrhaft kalt und hinterhältig zu sein scheint. Auch solche Sätze aus dessen Mund: Ich will Leute, die besser sind als ich, nicht durch Wissen verletzen. - oder das gleiche Verhalten der Mutter, die sich entschuldigt, dass eine Frau ihres niedrigen Standes trotzdem ihren Sohn liebt, lassen auf einen schlechten Charakter schließen*). Dickens baut hier wohl die Spannung langsam auf, ähnlich wie am Anfang, als Mr. Murdstone auftaucht und sich später als bösartiger Charakter offenbart. Es ist also noch nicht gesagt, ob in deinem Buch tatsächlich etwas ausgespart wurde, es sei denn, du hast das Buch schon durch. Warten wir einfach einmal ab. (Kleine Frage: Ist dein Buch trotzdem in Kapitel aufgeteilt?)
-------------
* ... Als wäre Liebe nur für reiche Menschen annehmbar, als könnte ein Mensch einen anderen, nur weil er von niedrigerem Stand ist, mit Wissen beleidigen. Ganz im Gegenteil. Der Satz Uriah Heeps verdeutlicht vielmehr, dass er sich schon jetzt wissender fühlt. Überhaupt ist die Unterwürfigkeit beider Heeps (Sohn und Mutter) so übertrieben, dass sie eher wie eine von ihnen perfektionierte Rolle wirkt, die beide spielen, um ihre Bösartigkeit hinter Über-Demut und hündischer Erniedrigung (die aber nicht echt ist) zu verbergen. Sie sagen, sie hätten nichts verdient, wie sie es aber den Leuten vermitteln, duckmäuserisch und sich selbst abwertend, zeigt doch, dass sie sich in allem doch überlegen zu fühlen scheinen. Sie sind der schleimige Satz des Bodens, der aber, wenn man nicht aufpasst, alles absorbiert. Die kalte, feuchte Hand, vor der sich Copperfield schon einige Male gefürchtet hat, ist ein weiteres Zeichen für das Unangenehme, das hinter der sklavischen Maske verborgen liegt.
--------------

So, nun aber wieder ein gewaltiger Sprung zurück, ins 11. Kapitel, das ich sehr interessant fand.

Zitat von Dickens Kap. 11
Ich war noch so sehr Kind und so klein, dass, wenn ich in ein fremdes Wirtshaus trat und ein Glas Ale oder Porter verlangte, man es mir kaum zu geben wagte…


An den Reaktionen der Wirtsleute wird deutlich, dass das Bestellen alkoholischer Getränke und vor allen Dingen die Arbeit von Kindern nicht so allüblich waren, wie man nach Oliver Twist hätte annehmen können. Dass die Kinderarbeit in der damaligen Gesellschaft erst hinterfragt werden musste, ist unbestritten, jedoch scheint von Twist zu Copperfield bereits ein Umschwung stattgefunden zu haben. Copperfield gerät durch Mr. Murdstone in die Fabrik seines Freundes und muss dort ganz alleine für seinen Lebensunterhalt sorgen, mit einem Lohn auskommen, der kaum für Nahrung und Unterkunft reicht. Diese große Verantwortung des kleinen Jungen drückt Dickens dadurch aus, dass er sein Geld für Pastete zum Frühstück verschwendet, statt für eine richtige Mahlzeit zu Mittag und besonders überspitzt dadurch, dass er Bier bestellt wie ein Großer. Die Wirtin umarmt ihn aus Mitgefühl, der Wirt betrachtet ihn skeptisch, der kleine Junge spielt durch die Verantwortung, die er für sich tragen muss, dabei in einer riesigen und dreckigen Stadt sich selbst überlassen, den Erwachsenen, der sich die Gewohnheiten erwachsener Menschen aneignet, arbeitet er schließlich auch wie einer von ihnen, kennt die Sorge, das Einteilen des Geldes, die Not, den Hunger. Dickens nutzt hier also zwei Richtungen der besseren Darstellung, einmal die Naschhaftigkeit des Jungen – das Kind in ihm (wenn er das Geld für Pastete hinauswirft), und das Bestellen alkoholischer Getränke, üppiger Mahlzeiten (insofern das Geld ausreicht) und das Geben von Trinkgeld (von dem er immer hofft, dass der Kellner es nicht nimmt), zwei Gegensätze, durch die das Handeln und die eigentliche Existenz des Jungen stärker zutage tritt, auch eindringlicher das Herz des Lesers erreicht.
In Kap. 11 schreibt Dickens in der Stimme Copperfields: (149)

Zitat von Dickens
Ich war so jung und so kindisch und so wenig geeignet, - wie hätte es auch anders sein können – die ganze Sorge für meine Existenz zu tragen…



Gleichzeitig wird auch deutlich, wie sehr sich Dickens für seine eigene Arbeit damals geschämt hat. David sagt:

Zitat von Dickens
Die Hoffnung auf eine Erlösung aus diesem Dasein hatte ich ganz entschieden aufgegeben. Ich fand mich nie in meiner Stellung zurecht und fühlte mich höchst unglücklich, aber ich ertrug es, und selbst Peggotty entdeckte ich teils aus Liebe, teils aus Scham in keinem Brief, obgleich ich viele schrieb, die Wahrheit.



Auch ist die Rolle von Mr. Micawber äußerst aufschlussreich, hat Dickens hier seinen Vater eindrucksvoll ins Bild gesetzt. Man erfährt sicherlich viel Wahres, wenn man von dem Leid des Mannes liest, der völlig verschuldet ist, von den Schwierigkeiten und dem Umgang der Familie mit dieser unangenehmen Situation, schließlich das Schuldengefängnis selbst, in dem auch Dickens Vater seine Zeit absitzen musste. Der kleine Copperfield besucht Mr. Micawber, leistet ihm Gesellschaft, wie auch Dickens seinen Vater besuchte. Er trägt die Sorge mit, kennt den Kummer, den Mr. Micawber (alias Dickens Vater) hat und der sich auf ihn selbst überträgt.
(Kap. 11)

Zitat von Dickens
Mr. Micawbers Bedrängnisse vermehrten noch die Last, die ich innerlich zu tragen hatte. In meiner Verlassenheit war ich der Familie sehr anhänglich geworden und ging immer herum, beschäftigt mit Mr. Micawbers Sorgen und beschwert von der Last seiner Schulden.


Dabei erwähnt Copperfield wohl nicht umsonst (als Dickens in Gedenken an den eigenen Vater), dass Mr. Micawber ein herzensguter Mensch ist, der immer Rat für jeden Menschen weiß, nur nicht für sich selbst.
Als die Last der Schulden endlich wegfällt, entsteht eine neue Unsicherheit:
(Kap. 12)

Zitat von Dickens
Mr. und Mrs. Micawber hatten sich an ihre alten Bedrängnisse so gewöhnt, glaube ich, dass sie sich ganz schiffbrüchig vorkamen, als sie jetzt von ihnen erlöst waren. Die ganze Elastizität war ihnen genommen…


Wer so lange mit Schulden und der Verfolgung durch Gläubiger lebt, wird all das wohl als Normalität und Lebensumstand für sich akzeptiert haben. Ist er dann von diesen Umständen befreit, verliert er die Aufgabe, ist ohne den Gedanken an das fehlende Geld und die Sorgen auf einmal orientierungslos und fühlt sich bedrückt, kann diesen Zustand kaum fassen.

Mr. Micawber gibt David (sehr autoritär) zwei wertvolle Ratschläge auf den Weg mit und sagt, dass sein Leben nicht verloren wäre, wenn er wüsste, dass die Warnung Copperfields Aussichten verbessern könnte. Er empfiehlt ihm, niemals etwas auf morgen zu verschieben – Aufschub ist der Dieb der Zeit - und niemals einen Penny mehr auszugeben, als er besitzt. Sein Beispiel ist anschaulich: (Kap. 12)
Jährliches Einkommen: zwanzig Pfund. Jährliche Ausgaben: neunzehn Pfund, neunzehn Schilling sechs Pence. Resultat: Wohlergehen. Jährliches Einkommen: zwanzig Pfund, jährliche Ausgaben: zwanzig Pfund sches Pence. Resultat: Elend.


Ende des 11. Kapitels, wo es also um die Schulden und Probleme Mr. Micawbers geht, erwähnt Dickens folgenden Satz: (156)

Zitat von Dickens
Obgleich Mr. Micawbers Angelegenheiten jetzt über die Krise hinaus waren, so schienen sie doch noch sehr verwickelt zu sein wegen eines gewissen Kontraktes, von dem ich immer sehr viel hörte, und der wahrscheinlich eine frühere Vereinbarung mit den Gläubigern gewesen sein mag. Vielleicht war es auch eines jener gewissen Teufelspakte auf Pergament, die einmal vor Zeiten in Deutschland so verbreitet gewesen sein sollen.



Ist hier (mit den Teufelspakten auf Pergament) Goethes Faust gemeint? Weiß das jemand von euch? (Gibt es in euren Büchern eigentlich einen Anhang?)

Liebe Grüße
Taxine (immer noch begeistert und ab sofort Dickens-Fan)




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 12.02.2011 13:52 | nach oben springen

#36

RE: Charles Dickens

in Die schöne Welt der Bücher 12.02.2011 00:30
von LX.C • 2.821 Beiträge

Ja, an der Kapitelaufteilung wurde nichts verändert. "Die Rückschau" ist bei mir auch Kapitel 18. Inhaltlich bei mir alles so wie von dir beschrieben. Also doch in der Hinsicht keine Auslassungen.
Kam mir eigenartig vor, die Szene bei Heeps so auszuschmücken und sie dann folgenlos zu lassen. Und dann kommt auch schon der beschriebene Sprung ins Erwachsenenalter. Dachte da wurde was weggelassen. Die Andersartigkeit des Stils in der Rückschau bekräftigten meine Vermutung.
Bei der Verabschiedung des Jünglings Copperfield von Agnes und Mr. Wickfield ist ja auch noch von Uriah die Rede. Also ob sich da noch was tut, ich bin mir nicht sicher. Konsequenter wäre es aber.


--------------
[i]Poka![/i]

zuletzt bearbeitet 12.02.2011 11:43 | nach oben springen

#37

RE: Charles Dickens

in Die schöne Welt der Bücher 12.02.2011 13:54
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Ja, es wäre zumindest schade um so eine schön geratene Figur wie Uriah Heep mit einem so undurchsichtigen Charakter, wenn Dickens ihn nicht noch einmal auftreten lässt mit dem Hintergrund, dass er Copperfield schadet. Aber da Mr. Micawber auch immer mal wieder auftritt, habe ich noch Hoffnung und bleibe erst einmal bei meiner Aussage.
Wie wirkt Heep eigentlich auf dich?




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 12.02.2011 13:56 | nach oben springen

#38

RE: Charles Dickens

in Die schöne Welt der Bücher 12.02.2011 16:11
von Martinus • 3.195 Beiträge

Zitat von Taxine
Ist hier (mit den Teufelspakten auf Pergament) Goethes Faust gemeint? Weiß das jemand von euch? (Gibt es in euren Büchern eigentlich einen Anhang?)



Bei mir ist zwar ein Anhang, ein tabellarischer Abriss über Dickens' Leben, der Beitrag zum Roman aus Kindlers Lexikon, der fast nur aus einer Inhaltsübersichtdes Romans besteht, darin kein Hinweis auf Goethes Faust.

Zitat von Taxine
Dickens schreibt hier nicht an einem Stück, nicht linear, sondern deutet vorerst nur an oder zeigt schon einmal den Charakter (der bei Heep ja wahrhaft kalt und hinterhältig zu sein scheint.



Ohne deinen Beitrag vorher gelesen zu haben (stimmt wirklich) bin ich zu denselben Anschauungen gekommen wie du. Was für ein Zufall, oder besser, geht das nicht aus dem Roman hervor? Uriah Heep (ich muss so herzlich lachen über diesen grandiosen Namen); auf mich wirkt er unheimlich, nicht zu durchschauen, irgendetwas hat er zu verbergen.

Zitat von Dickens, Kap.16
Kaum hatten wir uns gesetzt, als Uriahs roter Kopf und seine magere Hand an der Tür erschienen



Einen roten Kopf (Haare) haben auch der Teufel im "Doktor Faustus" und Fagin im "Oliver Twist". Eine magere Hand, tja, skelettiert. Später heißt es:

Zitat von Dickens, Kap.17
Uriah machte, seine dünnen Hände langsam reibend, eine gespensige Windung mit dem Oberleib,...



Es gibt noch andere unheimlich wirkende Textstellen. Ich bin sicher, der Kerl ist nicht koscher und taucht nochmal auf. Mr. Murdstones Charakter wird auch vorbereitet. Er noch nicht mit Klara verheiratet, und Pegotty sagt über Murdstone:

Zitat von Dickens, Kap.2

So einer wie dieser hätte Mr. Copperfield nicht gefallen.

usw.

Das herrliche an dem Roman ist ja gerade die Gestaltung der Charaktere. Davids Tante, sehr resolut, herrlich wie sie die Murdstones wieder aus ihrem Hause verscheucht und sich exzentrisch darüber aufregt, wenn jemand über einen Rasenfleck ihres Grundstücks reitet. Das ist sehr komisch. Mr. Dick, eine sehr freundliche Gestalt mit einer Macke. Er muss immer an den Tod von König Karl I. denken und bezieht manches aus seinem Leben darauf. Offenbar ist er geistig zurückgeblieben. Dickens zeichnet das Personal sehr sorgsam und manche Gestalten würde ich gerne in meinem realen Leben begegnen, Uriah aber hoffentlich nicht in einem Albtraum.

Im Alter von 10 Jahren verlässt David die Firma Murdstone & ...., die sieben Jahre verfliegen wirklich schnell. Im Beitrag vom Kindler steht, David verbringt fünf Jahre in der Schule von Canterbury. Wer weiß, was Dickens dazu getrieben hat, das 18. Kapitel so merkwürdig zu gestalten. Vielleicht hat er dieses Kapitel später geschrieben und dann dort hineingesetzt. Vielleicht wird das mal eine Biographie verraten, bin schon daran interssiert, eine rororo-monographie zu lesen, weiterhin reizt mich der Essay "Charles Dickens" von George Orwell (antiquarisch bei diogenes). Meine Lesestand ist eben dieses 18. Kapitel..

Liebe Grüße
mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 12.02.2011 16:14 | nach oben springen

#39

RE: Charles Dickens

in Die schöne Welt der Bücher 12.02.2011 16:15
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Zitat von Martinus
Davids Tante, sehr resolut, herrlich wie sie die Murdstones wieder aus ihrem Hause verscheucht und sich exzentrisch darüber aufregt, wenn jemand über einen Rasenflecks ihres Grundstücks reitet. Das ist so komisch. Mr. Dick, eine sehr freundliche Gestalt mit einer Macke.



Ja, die resolute Tante (sie gehört ebenfalls zu den Figuren, die am Anfang auftaucht, verschwindet und wieder auftaucht) mit harter Schale und weichem Kern und besonders der verrückte Mr. Dick sind mir im Moment die liebsten Figuren, was die Sympathie betrifft.
Mr. Dick wirkt auf mich gar nicht einmal so sehr zurückgeblieben, sondern nur als ein Mensch, der völlig in seiner eigenen Welt lebt und diese partout nicht verlassen möchte. (Er ist also vielleicht nicht debil, sondern nur verrückt.) Er lebt in einer Vergangenheit und glaubt dort seinen Platz zu haben und wenn er sich wieder in der Gegenwart befindet, dann versucht er das Erlebte (was freilich nur in seinem Kopf stattfindet) niederzuschreiben. Das tut er dann, wie genial, auf einen Drachen, um ihn steigen ... die Worte fliegen zu lassen (und so zu neuem Leben zu erwecken).
Für ihn ist es gut, dass die Tante sich seiner angenommen hat, denn er würde ohne sie völlig untergehen. Auch hier zeigt sich die gute Seele der Tante, die sowieso vieles durschaut und in ihrer Exzentrik zeigt, dass das Leben gelebt werden muss.




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 12.02.2011 16:28 | nach oben springen

#40

RE: Charles Dickens

in Die schöne Welt der Bücher 12.02.2011 16:37
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Zitat von Martinus
Einen roten Kopf (Haare) haben auch der Teufel im "Doktor Faustus" und Fagin im "Oliver Twist".



Das Klischee des diabolischen Menschen mit den roten Haaren ließe sich z. B. ganz einfach mit den Worten Daniil Charms aus der Welt schaffen, der, in seinem Klassiker des Absurden "Fälle", sagt:

Es war einmal ein rothaariger Mann, der hatte keine
Augen und keine Ohren. Haare hatte er auch keine,
so dass man ihn nur bedingt einen Rotschopf nennen
konnte.
Sprechen konnte er nicht, denn er hatte keinen Mund.
Eine Nase hatte er auch nicht.
Er hatte nicht einmal Arme und Beine. Und er hatte
keinen Bauch, und er hatte keinen Rücken, und er hatte
kein Rückgrat, und Eingeweide hatte er auch nicht.
Überhaupt nichts hatte er! So dass man gar nicht versteht,
von wem die Rede ist.
Besser, wir sprechen nicht mehr von ihm.


(Blaues Heft Nr. 10)


(Minimale Abweichung vom Thema, aber irgendwie passt es dann wieder doch.)




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 12.02.2011 17:01 | nach oben springen

#41

RE: Charles Dickens

in Die schöne Welt der Bücher 12.02.2011 21:45
von LX.C • 2.821 Beiträge

Zitat von Taxine
Mr. Dick wirkt auf mich gar nicht einmal so sehr zurückgeblieben, sondern nur als ein Mensch, der völlig in seiner eigenen Welt lebt und diese partout nicht verlassen möchte. (Er ist also vielleicht nicht debil, sondern nur verrückt.)


Oder Autist, wenn du das schon so beschreibst. Vielleicht daher immer wieder verharrend in dieser Schrift, die er zu keinem Ende führen kann. Und auf Nachfrage zu seiner Meinung reagiert er auch nach seiner ganz eigenen Logik.

Der Uriah wirkt auf mich natürlich ähnlich wie auf euch. Ist ja auch nicht schwer


--------------
[i]Poka![/i]

zuletzt bearbeitet 12.02.2011 21:48 | nach oben springen

#42

RE: Charles Dickens

in Die schöne Welt der Bücher 12.02.2011 22:18
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Nö, ist nicht schwer, ist aber interessant in der jeweiligen Interpretation, insbesondere, wenn man von "ähnlich" spricht.

Dass er auf Copperfield gruselig wirkt, heißt für mich z. B. noch nicht, dass Copperfield sich hier nicht täuschen kann, wenn auch Dickens dazu neigt, die Dinge etwas zu grell zu beleuchten. Vielleicht hatte ich hier im Hinterkopf, dass der Schein trügen kann.




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 12.02.2011 22:20 | nach oben springen

#43

RE: Charles Dickens

in Die schöne Welt der Bücher 12.02.2011 22:31
von LX.C • 2.821 Beiträge

Hm Copperfield. Vielleicht hat sich ja auch Dickens geirrt und seine Figur ist ihm anders geraten, als er es vorhatte

Hab natürlich auch schon gedacht, dass der Schein trügen könnte. Zunächst wirkt er auf mich aber auch schleimig, hintertrieben, schwer einschätzbar. Man weiß wirklich nicht, wo das noch hinführen wird. Die vertraute Umgangsweise, die er mit Mr. Micawber gepflegt hat, obwohl sie sich angeblich nicht kannten, macht noch bedenklicher.


--------------
[i]Poka![/i]

nach oben springen

#44

RE: Charles Dickens

in Die schöne Welt der Bücher 12.02.2011 22:36
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Ja nicht? Ist nicht auch Copperfield selbst hin und her gerissen, was er von diesem Mann zu halten hat? An kalten, nassen Händen hängt noch kein Charakter. An der Unterwürfigkeit, die auf mich gespielt wirkt, schon eher.
Andererseits ist David Copperfield eben eine Art Idealfigur, weshalb er selbst bei den Leuten speist, die er nicht allzu gern mag.

Anhand solcher Beispiele sieht man wieder, wie wichtig es ist, dass der Leser sich eigene Gedanken macht (oder überhaupt die Möglichkeit hat, sie sich zu machen), die Spannung für sich aufrecht erhält. Und Dickens, na, der hat hier schon große Arbeit geleistet.




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 13.02.2011 00:35 | nach oben springen

#45

RE: Charles Dickens

in Die schöne Welt der Bücher 13.02.2011 12:06
von LX.C • 2.821 Beiträge

Wasn eigentlich mit der Martha los? Is die schwanger und will nach London, weil die Geburt eines unehelichen Kindes dort nicht so auffällt? Und warum ist die so geächtet? Das hab ich nicht verstanden. Nur weil sie arm ist? Oder steckt da mehr dahinter?


--------------
[i]Poka![/i]

nach oben springen


Besucher
0 Mitglieder und 106 Gäste sind Online

Forum Statistiken
Das Forum hat 1121 Themen und 24657 Beiträge.

Xobor Einfach ein eigenes Forum erstellen | ©Xobor.de
Datenschutz