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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst


#76

RE: Grass: Was gesagt werden muss

in An der Literatur orientierte Gedanken 24.04.2012 13:27
von Krümel • 499 Beiträge

Zitat von LX.C
Grass bedient sich hier dem Mittel der Hyperbel, denn bisher sprach man von israelischer Seite durchaus nur von der Vernichtung der Atomanlagen, und spricht, was ganz wichtig zu berücksichtigen ist, zudem noch im Konjunktiv.
Grass stellt hier also keine Tatsachenbehauptung dar, sondern generiert ein persönlich gefürchtetes Horrorszenario des Lyrischen Ichs. Es handelt sich um eine Überspitzung, eine Ausmalung des Schlimmsten bei Eskalation der Lage, sprich einem offenen Krieg, in der "Phantasie" des Lyrischen Ichs.
Gerade um solche Befürchtungen und Ängste äußern zu können, hat Grass ja vermutlich die lyrische Form gewählt, um sich weniger angreifbar zu machen und durch das erlaubte Mittel der Hyperbel aufrütteln zu können. Das ging aufgrund der gewollten medialen Deformierung und den überhitzten Polemiken gegen den Autor in die Hose. Es ging doch eigentlich nie um die Sache, sondern darum, die abgeebbte Kampagne gegen Grass nach der verspäteten Zwiebel-Beichte fortzusetzen.



Klasse gesagt! Diese Zustimmung musste ich jetzt einfach aussprechen, weil es in der Tat genauso abgelaufen ist. Ich als Laie, als wirklicher Laie, habe das Gedicht wie beschrieben gelesen und habe die angeblichen "Experten" nicht verstanden. Es hatte doch einen bestimmten Grund, warum ein Prosa-Autor, ein Gedicht schreibt, in dem er im Grunde Prosa schreibt - oder?

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#77

RE: Grass: Was gesagt werden muss

in An der Literatur orientierte Gedanken 25.04.2012 00:19
von LX.C • 2.821 Beiträge

Danke Kroschka.

Zitat von Martinus
die Sache mit dem "Ersrschlag" ist eben das, wo ein wenig Fiktion ins Spiel kommt. Mit Erstschlag assoziiere ich Atombomben.



Das wäre dann Deine "Fiktion", nicht die des Dichters. Ich interpretiere diesen Satz im Zusammenhang der Strophe wiederum anders.

Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag

Die Israelis haben in ihrer Gründungsurkunde quasi festgeschrieben, sich aufgrund der jüdischen Geschichte nie wieder in eine Opferposition bzw. in eine passive Haltung zu begeben. Aus diesem lyrisch verdichteten "behaupteten Recht auf den Erstschlag" leitet Grass dann sein zugespitztes Horrorszenario, die Hyperbel ab:

[der das] iranische Volk auslöschen könnte.

So interpretiere ich das. Man hat das Gedicht ausschließlich wie ein Kommentar behandelt, jegliche Worte 1:1 ausgeschlachtet und wie zuvor schon beschrieben Sätze sogar deformiert, ohne jegliche Merkmale der Gedichtform zu berücksichtigen. So war es ein Leichtes, Grass daraus einen Strick zu drehen.

Ja, und ich muss bekennen, ich bin auch kein Grass-Fan. Ich mag seinen Schreibstil in den Romanen überhaupt nicht. Doch was zu viel ist, ist zu viel. Hat man nicht Ähnliches in dieser Bundesrepublik mit Böll veranstaltet?


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[i]Poka![/i]

zuletzt bearbeitet 25.04.2012 09:45 | nach oben springen

#78

RE: Grass: Was gesagt werden muss

in An der Literatur orientierte Gedanken 27.04.2012 18:13
von Roquairol • 1.072 Beiträge

Heute sehr guter Kommentar von Dennis Scheck im Deutschlandfunk, der sich einfach nur wundern kann, dass Literaturkritiker heute nicht mehr die Meinungsfreiheit verteidigen, sondern die Staatsräson, und der dann in der Feststellung gipfelt: Mit den Argumentationsketten, die einige Skribenten in ihren Artikeln geknüpft haben, würde kein Gymnasiast in einer Deutschklausur durchkommen. Hat mir gefallen!




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#79

RE: Grass: Was gesagt werden muss

in An der Literatur orientierte Gedanken 28.04.2012 16:46
von LX.C • 2.821 Beiträge

Ja, der Scheck, der gefällt mir oftmals sehr gut. Kann man das irgendwo hören?

Ich habe gerade eine Diskussion von 1996 über und mit Goldhagen und dessen Werk "Hitlers willige Vollstrecker" angesehen. Und der kritisiert am Ende Ähnliches, wie man bei der Grass-Debatte beobachten konnte: Er sei erstaunt, wie man in Deutschland seine Thesen falsch beschrieben und Dinge gesagt hätte, die nicht stimmen würden. Es ginge ihm dabei nicht darum, ob man seiner Interpretation zustimmen möge oder nicht. Dass man für viele Fragen unterschiedliche Antworten finden könne wäre normal und dass man über seine Thesen unterschiedlicher Ansicht sein kann auch. Hauptsache man diskutiere darüber. – Den Eindruck hat man auch, Goldhagen wirkt sehr gelassen und kritikfähig und fühlt sich nie persönlich angegriffen. - Aber die erfolgten inhaltlichen Falschdarstellungen hätten ihn sehr enttäuscht. Die Falschdarstellungen hätten der Diskussion und auch der deutschen Öffentlichkeit nicht genutzt.


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[i]Poka![/i]

zuletzt bearbeitet 28.04.2012 16:48 | nach oben springen

#80

RE: Grass: Was gesagt werden muss

in An der Literatur orientierte Gedanken 28.04.2012 18:36
von Roquairol • 1.072 Beiträge

Zitat von LX.C
Ja, der Scheck, der gefällt mir oftmals sehr gut. Kann man das irgendwo hören?




Ja, hier.
Die Bemerkungen zu Grass fallen ziemlich versteckt am Anfang des zweiten Teils.




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#81

RE: Grass: Was gesagt werden muss

in An der Literatur orientierte Gedanken 28.04.2012 19:27
von LX.C • 2.821 Beiträge

"Aber es ist nun mal ein Gedicht, ob es uns passt oder nicht!"

Großartiger Kommentar, danke - übrigens ca. ab 8. Minute wer reinhören möchte.


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[i]Poka![/i]

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